Leitsatz (amtlich)
1. In der ehemaligen Provinz Hannover gilt Grundbesitz, der zwar der Pfarrerbesoldung gewidmet ist, an dem aber dem Stelleninhaber der Nießbrauch durch "Kirchengesetz, betreffend das Diensteinkommen der Geistlichen der evangelisch-lutherischen Kirche der Provinz Hannover" vom 2. Juli 1898 (GS 1898 S. 172) entzogen wurde, weiterhin als Dienstgrundstück im Sinne des § 4 Nr. 5c GrStG.
2. Wird ein derartiges fiktives Dienstgrundstück in ein Flurbereinigungsverfahren einbezogen, so erstreckt sich das Grundsteuerprivileg auch auf die Landabfindung.
Normenkette
GrStG i.d.F. vom 10.8.1951 § 4 Nr. 5c
Tatbestand
Die Klägerin erwarb 1964 im Wege der Flurbereinigung u. a. ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück, das zum Teil dem Pfarrvermögen und zum Teil dem Küstervermögen zugeteilt wurde. Das FA hat zum 1. Januar 1965 für diesen Grundbesitz einen Grundsteuermeßbetrag festgesetzt.
Auf den Einspruch hat das FA den Grundbesitz von der Grundsteuer freigestellt, soweit er dem Küstervermögen zugewiesen wurde, da über dieses Vermögen der Stelleninhaber wie ein Nießbraucher verfügen könne. Im übrigen war der Einspruch erfolglos, weil der Inhaber der Pfarrstelle über das Pfarrvermögen nicht wie ein Nießbraucher verfügen könne.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Die Revision der Klägerin rügt, das FG habe verkannt, daß es sich bei dem streitbefangenen Grundbesitz nicht um ein neu erworbenes Grundstück handle. Ein Erwerb setze die Auflassung voraus. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Die Flurbereinigung führe nicht zu einem Wechsel des Eigentümers, sondern nur zu einem Wechsel des Gegenstandes, auf den sich das Eigentum beziehe. Diese Veränderung sei mit einem Besitzwechsel vergleichbar. Im vorliegenden Fall handle es sich um einen durch die Flurbereinigung erzwungenen Tausch. Die Klägerin habe also keine Entscheidungsfreiheit gehabt, ob sie sich des bisherigen privilegierten Grundbesitzes habe begeben wollen. Im übrigen müsse man davon ausgehen, daß nach § 68 Abs. 1 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) das Grundsteuerprivileg auf die Landabfindung für das eingebrachte Grundstück übergehe.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Grundsteuermeßbetrag auf 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Nach § 4 Nr. 5c des Grundsteuergesetzes in der Fassung vor dem Änderungsgesetz vom 24. August 1965 (BGBl I 1965, 905) - im folgenden GrStG - waren am 1. Januar 1965 die Dienstgrundstücke der Geistlichen und Kirchendiener in dem Umfang von der Grundsteuer befreit, in dem sie nach den vor dem 1. April 1938 geltenden landesgesetzlichen Vorschriften befreit waren. Der Grundbesitz der Klägerin liegt im Gebiet der ehemaligen Provinz Hannover. In diesem Gebiet waren die Dienstgrundstücke der Geistlichen nach dem vor dem 1. April 1938 geltenden preußischen Landesrecht von der Grundsteuer befreit (vgl. Urteil des BFH III 1/63 U vom 30. Juli 1965, BFH 83, 180, BStBl III 1965, 566, mit Nachweisen). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Dienstgrundstück eines Geistlichen im Sinn des preußischen Rechts nur dann anzunehmen, wenn der betreffende Grundbesitz unmittelbar zum Unterhalt des Stelleninhabers bestimmt ist und der Stelleninhaber über dessen Nutzungsart und Erträgnisse zu befinden hat (BFH-Urteil III 1/63 U, a. a. O.). Der Grundbesitz der Klägerin gehört nicht zu den Dienstgrundstücken in diesem Sinn; denn den Stelleninhabern wurde durch § 3 "Kirchengesetz, betreffend das Diensteinkommen der Geistlichen der evangelisch-lutherischen Kirche der Provinz Hannover" vom 2. Juli 1898 (Gesetzessammlung - GS - 1898 S. 172) - im folgenden Kirchengesetz von 1898 - der Nießbrauch am Stellenvermögen entzogen. Die Verwaltung des Stellenvermögens ging auf die Kirchengemeinde über. Dieses Kirchengesetz wurde durch Art. 1 "Gesetz, betreffend das Diensteinkommen der evangelischen Pfarrer" vom 2. Juli 1898 (GS 1898 S. 155) - im folgenden Staatsgesetz von 1898 - staatsgesetzlich bestätigt.
Nach Art. 8 Abs. 2 des Staatsgesetzes von 1898 blieben aber die mit dem Stellenvermögen verbundenen steuerlichen Vorrechte bestehen, auch wenn das Stellenvermögen aufgrund des Kirchengesetzes von 1898 nicht mehr dem Nießbrauch des Stelleninhabers unterlag. Die vormaligen Dienstgrundstücke wurden damit, obwohl sie diese Eigenschaft mit dem Entzug der Nutzung durch den Stelleninhaber verloren hatten, weiterhin wie Dienstgrundstücke behandelt. Sie sind deshalb aufgrund dieser gesetzlichen Regelung fiktive Dienstgrundstücke geblieben. Diese Rechtslage wurde durch das "Pfarrerbesoldungsgesetz für die evangelisch-lutherische Kirche der Provinz Hannover" vom 26. Mai 1909 (GS 1909 S. 131) und das dieses Gesetz bestätigende "Gesetz, betreffend die Pfarrbesoldung, das Ruhegehaltswesen und die Hinterbliebenenfürsorge für die Geistlichen der evangelischen Landeskirchen" vom 26. Mai 1909 (GS 1909 S. 113) nicht verändert. Wie der Senat schon mit Urteil III 1/63 U (a. a. O.) entschieden hat, betrifft diese Erweiterung des Grundsteuerprivilegs nach Wortlaut und Wortsinn der maßgebenden Gesetze aber nur die Fälle, in denen das Stellenvermögen bei Inkrafttreten des Gesetzes dem Nießbrauch des Stelleninhabers unterlag und dieser Nießbrauch aufgrund des Gesetzes dem Stelleninhaber entzogen und die Verwaltung des Stellenvermögens auf die Kirchengemeinde übertragen wurde.
2. Der Senat stimmt der Klägerin darin zu, daß § 4 Nr. 5c GrStG grundsätzlich auch auf Grundbesitz anwendbar ist, der erst nach dem 31. März 1938 erworben wurde. Voraussetzung ist aber, daß dieser Grundbesitz befreit wäre, wenn die früheren landesrechtlichen Vorschriften noch geltendes Recht wären. Das bedeutet, daß neu erworbener Grundbesitz grundsätzlich nur dann von der Grundsteuer befreit ist, wenn er als Dienstgrundstück im Sinn der obigen Ausführungen zu qualifizieren ist. Das ist aber nur der Fall, wenn der Stelleninhaber an dem neu erworbenen Grundbesitz eine nießbrauchsähnliche Nutzungsbefugnis hat. Der von der Klägerin im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens erworbene Grundbesitz unterliegt, soweit er dem Pfarrvermögen zugewiesen wurde, nicht der Nutznießung durch den Stelleninhaber. Er ist deshalb kein Dienstgrundstück im Sinn des § 4 Nr. 5c GrStG. Neu erworbener Grundbesitz kann aber auch nicht aufgrund der Erweiterung des Grundsteuerprivilegs durch die Staatsgesetze von 1898 und 1909 (a. a. O.) wie ein Dienstgrundstück behandelt und von der Grundsteuer befreit werden, weil eine Befreiung nach deren Vorschriften voraussetzen würde, daß der Nießbrauch des Stelleninhabers aufgrund der Kirchengesetze von 1898 und 1909 (a. a. O.) entzogen und die Verwaltung auf die Kirchengemeinde übertragen wurde. Dies ist bei der Neuerwerbung von Grundbesitz aber nicht möglich. Durch Neuerwerb kann deshalb kein fiktives Dienstgrundstück entstehen.
3. Anders ist dagegen nach Auffassung des Senats die Rechtslage bei Landabfindungen aufgrund einer Flurbereinigung. Das FG hat unangefochten und damit für den Senat verbindlich (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß es sich bei dem streitbefangenen Grundbesitz um einen Erwerb im Wege einer Flurbereinigung und damit um eine Landabfindung aufgrund des Flurbereinigungsplanes (§ 58 FlurbG) handelte.
Das Ziel der Flurbereinigung ist u. a. , zersplitterten oder unwirtschaftlich geformten ländlichen Grundbesitz zusammenzulegen (§ 1 FlurbG). Nach § 10 FlurbG sind die Eigentümer der zum Flurbereinigungsgebiet gehörenden Grundstücke am Flurbereinigungsverfahren beteiligt. Die Beteiligten bilden eine Teilnehmergemeinschaft (§ 16 FlurbG). Die Flurbereinigungsbehörde gestaltet das Flurbereinigungsgebiet unter Berücksichtigung der gegeneinander abzuwägenden Interessen der Beteiligten und des Wohls der Allgemeinheit neu (§ 37 FlurbG). Die Ergebnisse des Flurbereinigungsverfahrens werden im Flurbereinigungsplan zusammengefaßt (§ 58 FlurbG). Der in dem Flurbereinigungsplan vorgesehene neue Rechtszustand tritt zu dem in der Ausführungsanordnung zu bestimmenden Zeitpunkt an die Stelle des bisherigen Rechtszustandes (§ 61 FlurbG). Dadurch wird das Grundbuch unrichtig; es ist auf Ersuchen der Flurbereinigungsbehörde zu berichtigen (§ 79 FlurbG). Die Landabfindung aufgrund des Flurbereinigungsplanes tritt demnach hinsichtlich der Rechte an den alten Grundstücken an die Stelle der alten Grundstücke (§ 68 FlurbG).
§ 68 FlurbG liegt die Idee der ungebrochenen Fortsetzung des Eigentums an einem "verwandelten" Grundstück zugrunde; denn dem Eigentümer wird durch die Flurbereinigung nichts genommen, was ihn in seiner Eigentümerstellung beeinträchtigt (so Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Zivilsachen Bd. 27 S. 15 [24]). Rechtlich vollzieht sich dieser Austausch somit nicht dadurch, daß das Eigentum an den ursprünglichen Flächen untergeht und hierfür als Entschädigung neues Eigentum gegeben wird. Die neue, im Flurbereinigungsplan ausgewiesene reale Grundstücksfläche tritt vielmehr als Surrogat an die Stelle des alten realen Grundstücks. Das an dem neuen Grundstück bestehende dingliche Recht ist grundsätzlich mit dem an dem eingelegten Grundstück bestehenden identisch (Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 12 S. 1 [5]). Der Senat ist der Auffassung, daß deshalb auch das mit dem in die Flurbereinigung eingelegten Grundstück verbundene Grundsteuerprivileg nach früherem Landesrecht durch die Landabfindung nicht untergeht. Er stimmt der Auffassung des FG nicht zu, daß § 68 Abs. 1 Satz 1 FlurbG nur die privaten Rechtsverhältnisse betreffe. Diese Vorschrift ist vielmehr, obwohl sie in dem Abschnitt "Wahrung der Rechte Dritter" steht, Ausdruck des allgemeinen Rechtssatzes des Umlegungsrechts, daß die Landabfindung als Surrogat des der Flurbereinigung unterworfenen Grundstücks gilt und in rechtlicher Beziehung alle seine Eigenschaften übernimmt (vgl. Seehusen/Schwede/Nebel, Flurbereinigungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1966, § 68 Anm. 2 bis 4).
4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Auf die Klage wird die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben; das Grundstück der Klägerin ist von der Grundsteuer freizustellen. Der Grundsteuermeßbetrag wird auf 0 DM festgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 69589 |
BStBl II 1971, 785 |