Leitsatz (amtlich)
Schulden aus niedrig verzinslichen öffentlichen Wohnungsbaudarlehen sind gemäß § 12 Abs. 1 BewG regelmäßig mit dem Nennwert anzusetzen.
Normenkette
BewG § 12 Abs. 1, §§ 103, 109
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Haus- und Grundbesitz GmbH, setzte in der Vermögensaufstellung zum 1. Januar 1974, dem hier streitigen Stichtag, zinslose Mieter- und Lastenausgleichsdarlehen mit dem Nennbetrag von 788 823 DM sowie niedrig verzinsliche Wohnungsbaudarlehen aus öffentlichen Mitteln mit dem Nennbetrag von 848 937 DM an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ die Darlehensschulden unter Hinweis auf Abschn. 56 Abs. 5 Satz 2 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1974 nur mit dem Gegenwartswert von 594 256 DM bzw. 394 412 DM zum Abzug zu. Das FA vertrat die Auffassung, die mit den unverzinslichen bzw. niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen zusammenhängende Mietpreisbindung sowie die sich daraus ergebenden weiteren Folgerungen seien nicht als wirtschaftliche Nachteile anzusehen, die einen Ansatz der Schulden mit dem Nennbetrag (§ 12 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -) rechtfertigten. In Anbetracht des allgemeinen Mieterschutzes und der wirtschaftlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt sei ein Unterschied zwischen öffentlich gefördertem und freifinanziertem Wohnungsbau kaum mehr gegeben. Mietpreisbindung, besonderer Kündigungsschutz, Belegungsrecht und etwa darauf beruhende erschwerte Veräußerungsmöglichkeit seien wertbestimmende Eigenschaften der Grundstücke, nicht der Schuld. Diese wertmindernden Umstände hätten sich bereits bei der Bewertung des Grundvermögens nach dem Ertragswertverfahren infolge Zugrundelegung der (niedrigen) preisrechtlich zulässigen Mieten ausgewirkt.
Einspruch und Klage hatten in diesem im Revisionsverfahren allein noch streitigen Punkt keinen Erfolg.
Die Klägerin rügt mit der Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 12 BewG.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten und hat zu den anstehenden Rechtsfragen Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Betriebsschulden (§ 103 BewG) sind gemäß § 109 Abs. 1 BewG mit dem Teilwert (§ 10 BewG) zu bewerten. Dieser bemißt sich nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats und der herrschenden Meinung im Schrifttum bei Kapitalschulden nach den Vorschriften des § 12 BewG (Urteile vom 26. August 1955 III 133, 134/55 S, BFHE 61, 207, BStBl III 1955, 278, und vom 10. Mai 1972 III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 12. Aufl., § 109 BewG Anm. 26; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 12 BewG Anm. 19). Nach § 12 Abs. 1 BewG sind Schulden grundsätzlich mit dem Nennbetrag zu bewerten. Sie können mit einem höheren oder niedrigeren Wert als dem Nennwert anzusetzen sein, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Unter welchen Voraussetzungen besondere Umstände i. S. dieser Vorschrift anzunehmen sind, ist im Gesetz nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann insbesondere die niedrige Verzinsung einer Schuld zu einer Bewertung unter dem Nennwert führen, wenn die Schuld außerdem für längere Zeit unkündbar ist (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1980 III R 52/79, BFHE 132, 298, BStBl II 1981, 247). Denn bei langfristigen, unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Verbindlichkeiten entspricht die wirtschaftliche Belastung des Schuldners nicht dem Nennbetrag, sondern regelmäßig nur dem um den kapitalisierten Zinsvorteil geminderten Wert der Schuld, d. h. deren Gegenwartswert.
2. Eine Bewertung längerfristig laufender unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Schulden mit dem Gegenwartswert ist jedoch nicht angezeigt, wenn die Zinsvergünstigung unter der Auflage gewährt ist, diese an Dritte weiterzugeben oder wenn dem Vorteil der Unverzinslichkeit oder niedrigen Verzinslichkeit wirtschaftliche Nachteile gegenüberstehen, die dem Darlehen immanent sind. Aus dieser Erwägung hat der II. Senat des BFH entschieden, daß die Zinsvergünstigung für Wohnungsbaudarlehen, die einem Grundstückseigentümer aus öffentlichen Mitteln zur Errichtung von Mietwohnungen gewährt werden, keine von dem Nennwert abweichende Bewertung rechtfertige (Urteil vom 24. März 1981 II R 118/78, BFHE 133, 95, BStBl II 1981, 487, mit weiteren Hinweisen). Der II. Senat stellte es in jener Entscheidung maßgebend darauf ab, daß die Zinsvergünstigung der Wohnungsbaudarlehen aus öffentlichen Mitteln an die Mieter in Form von preisgünstigen Mieten weitergegeben werden müsse. Unter diesen Umständen handele es sich bei der Zinsvergünstigung nicht um einen für den Grundstückseigentümer selbst bestimmten Vorteil, welcher als besonderer Umstand i. S. des § 12 Abs. 1 BewG angesehen werden könnte, sondern im wirtschaftlichen Ergebnis um einen an die Mieter weiterzugebenden "durchlaufenden Posten".
3. Der erkennende Senat schließt sich dieser Beurteilung für das Bewertungsrecht an. Die Bewertung langfristig laufender niedrig verzinslicher Schulden unter dem Nennwert beruht auf der Erwägung, daß sich der Zinsvorteil für den Schuldner selbst vorteilhaft auswirkt. An dieser Voraussetzung fehlt es bei niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen aus öffentlichen Mitteln, wenn der Zinsvorteil - wie bei dem hier in Rede stehenden Mietwohngrundstücken - in Form von niedrigen Mieten an die Mieter weitergegeben werden muß. Andere Umstände, die eine Bewertung der Schuld mit dem wesentlich niedrigeren Gegenwartswert für das Bewertungsrecht rechtfertigen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Der Senat folgt insoweit nicht der abweichenden Auffassung des BMF.
a) Nicht durchgreifend ist der Einwand, auf die Abzinsung der niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen dürfe schon deshalb nicht verzichtet werden, weil sich der Zinsvorteil bei der Einheitsbewertung der Grundstücke nach dem Ertragswertverfahren ausgewirkt habe; denn der Einheitswert öffentlich geförderter Wohngebäude sei unter Zugrundelegung der preisrechtlich zulässigen Miete wesentlich niedriger als für vergleichbare freifinanzierte Grundstücke festgestellt. Gegen diese Auffassung des BMF sprechen bewertungssystematische Bedenken. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß nach dem BewG für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Grundsatz der Einzelbewertung gilt (vgl. z. B. Urteil vom 12. Juli 1968 III 181/64, BFHE 93, 323, BStBl II 1968, 794). Dieser Bewertungsgrundsatz, der mit der Einfügung des § 98 a BewG durch Art. 2 des Vermögensteuerreformgesetzes (VStRG) vom 17. April 1974 (BGBl I 1974, 949, BStBl I 1974, 233) kodifiziert worden ist, verlangt, daß alle zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter einzeln bewertet werden. Danach dürfen bei der Bewertung u. a. von Schulden nur solche Umstände berücksichtigt werden, die dem Schuldverhältnis als solchem innewohnen, der Verbindlichkeit selbst immanent sind (BFHE 93, 323, 332, BStBl II 1968, 794; vgl. zum sonstigen Vermögen BFH-Urteil vom 15. Dezember 1967 III 225/64, BFHE 91, 423, BStBl II 1968, 338). Ein Vorteil, der sich für den Schuldner von zinslosen oder zinsverbilligten Wohnungsbaudarlehen daraus ergeben kann, daß das Grundstück im Wege des Ertragswertverfahrens auf der Grundlage der preisrechtlich zulässigen (niedrigen) Kostenmiete bewertet wird und dadurch bei der Veranlagung zur Vermögen-, Gewerbe-, Erbschaft- oder Schenkungsteuer eine Minderung der Steuerlast entstehen kann, ist der Darlehensschuld selbst nicht immanent. Bei einem solchen Vorteil handelt es sich lediglich um einen - möglichen - Rechtsreflex bei den einzelnen einheitswertabhängigen Steuern. Dabei verkennt der Senat nicht den - allerdings nur mittelbaren - wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der zinsgünstigen Finanzierung durch öffentliche Mittel einerseits und den für die öffentlich geförderten Objekte festgestellten niedrigen Einheitswert andererseits. Es kann jedoch nicht davon gesprochen werden, daß insoweit Umstände vorliegen, die der Darlehensschuld selbst innewohnen.
Abgesehen davon berücksichtigt die Auffassung des BMF nicht, daß die nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerte die wirtschaftlichen Nachteile aufgrund der unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Wohnungsbaudarlehen nur insoweit ausgleichen können, als sie am 1. Januar 1964 bereits tatsächlich eingetreten waren (vgl. hierzu auch die Ausführungen 3 c). Die sich seit dem Hauptfeststellungszeitpunkt bis zum jeweiligen späteren Feststellungszeitpunkt ergebenden wirtschaftlichen Nachteile, die sich mit der wachsenden Dauer des Hauptfeststellungszeitraums laufend erhöhen, bleiben bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens außer Ansatz (§ 27 BewG). Insoweit trifft die Ausgangsthese des BMF bereits für den hier streitigen Stichtag 1. Januar 1974 nicht mehr in vollem Umfang zu, daß sich der niedrigere Zinssatz für öffentliche Wohnungsbaudarlehen bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens durch den Ansatz einer niedrigeren Miete ausgewirkt habe.
b) Der Einwand des BMF, durch die Inanspruchnahme verbilligter öffentlicher Mittel sei die Klägerin in die Lage versetzt, ein -gemessen am Eigenkapital - entsprechend höheres Bauvolumen zu erstellen und damit in vermehrtem Umfang Sachwerte zu schaffen, greift ebenfalls nicht durch. Abgesehen davon, daß tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz hierzu fehlen, vermag es der Vorteil, der in der Bildung von Sachwertvermögen liegen kann, nicht zu rechtfertigen, Schulden, die wirtschaftlich mit diesem Sachwertvermögen zusammenhängen, unter dem Nennwert anzusetzen. Für die Bewertung von Verbindlichkeiten spielt die Art der mit den Darlehen finanzierten Wirtschaftsgüter grundsätzlich keine Rolle. Im übrigen handelt es sich auch insoweit um Umstände, die außerhalb des Schuldverhältnisses selbst liegen. Schließlich ließe sich dieser vom BMF behauptete Vorteil, der in der Fremdfinanzierung von Sachwerten liegen soll, nicht hinreichend quantifizieren. Der BMF hat in diesem Zusammenhang selbst ausgeführt, daß bei Investitionen im Wohnungsbau außer dem Kapitaleinsatz noch zahlreiche andere zum Teil auch rein persönliche Überlegungen (z. B. die Inanspruchnahme günstiger steuerrechtlicher Regelungen, die Einschätzung der künftigen Mietengesetzgebung, die Geldentwertung) eine wichtige Rolle spielen. Dies schließt es aus, im Einzelfall und für den jeweiligen Stichtag rein rechnerisch zu ermitteln, in welcher Höhe die mit der Inanspruchnahme von zinsverbilligten öffentlichen Mitteln verbundenen Vorteile unbeschadet der an den Mieter weitergegebenen Mietverbilligung dem Grundstückseigentümer selbst zugute kommen.
c) Entgegen der Auffassung des BMF liegt ein Vorteil auch nicht darin, daß ein Grundstückseigentümer bei Inanspruchnahme verbilligter öffentlicher Wohnungsbaudarlehen für sein Eigenkapital eine normale und auf längere Sicht gesicherte Rendite erhält. Eigentümer öffentlich geförderter Wohngebäude sind, hinsichtlich der Mietgestaltung, an die Kostenmiete gebunden, die nach § 72 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. Wo-BauG) und mit Hilfe der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BVO) zu ermitteln ist. Der Kostenmiete liegt der Erstarrungs- bzw. Einfrierungsgrundsatz zugrunde (§ 4 der II. BVO). Dieser besagt, daß bei der Erstellung der Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Laufzeit öffentlicher Darlehen die Verhältnisse zugrunde zu legen sind, die im Zeitpunkt des Antrags auf Bewilligung der öffentlichen Mittel bzw. zum Zeitpunkt ihrer Bewilligung bestanden haben. Dies gilt auch für die Verzinsung von Eigenleistungen (§ 20 der II. BVO). Dabei darf für den Teil der Eigenleistungen, der 15 v. H. der Gesamtkosten des Bauvorhabens nicht übersteigt, eine Verzinsung von nur 4 v. H. angesetzt werden (§ 20 Abs. 2 Satz 2 der II. BVO). Wird berücksichtigt, daß demgegenüber Renditeberechnungen bei freifinanzierten Mietwohngrundstücken im allgemeinen nicht die historischen Baukosten, sondern in etwa den Zeitwerten entsprechende Größen zugrunde liegen, läßt sich insbesondere auch im Hinblick auf die lange Laufzeit öffentlicher Wohnungsbaudarlehen deren Abzinsung nicht mit dem Hinweis auf die Höhe und Sicherheit der Rendite des Eigenkapitals begründen. Dem steht nicht entgegen, daß sich derzeit auch im freifinanzierten Mietwohnungsbau kaum noch eine auch nur mäßige Verzinsung des Eigenkapitals erzielen läßt. Es ist zu berücksichtigen, daß die Eigenkapitalverzinsung im freifinanzierten Wohnungsbau - jedenfalls, wenn wie im Streitfall geboten, auf längere Zeiträume abgestellt wird - infolge allgemeinen Ansteigens der Mieten und Realisierung eines lediglich unter Sachwertgesichtspunkten gestiegenen Grundstückspreises im Ergebnis regelmäßig eine steigende Tendenz gezeigt hat.
d) Die Erwägungen des BMF lassen im übrigen außer Betracht, daß Eigenkapital, das sich durch die Tilgung der öffentlichen Mittel bildet, bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung außer Ansatz bleibt. Dieser Umstand, dem mit wachsender Laufzeit öffentlicher Darlehen eine immer größer werdende Bedeutung zukommt, bewirkt, daß einerseits zwar die Nachteile aus der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, insbesondere die niedrige Verzinsung des Eigenkapitals, unverändert bestehenbleiben, jedoch andererseits der Vorteil, der in der niedrigen Verzinsung öffentlicher Wohnungsbaudarlehen liegt, mit deren Tilgung geringer wird. Diese während der Laufzeit öffentlicher Wohnungsbaudarlehen wachsenden Nachteile lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Verbindlichkeit aus diesen Darlehen während deren gesamter Laufzeit mit dem Nennwert anzusetzen.
4. Die vorstehenden Ausführungen, die auf die Inanspruchnahme zinsgünstiger öffentlicher Mittel abstellen, gelten im Streifall entsprechend für zinslose bzw. zinsverbilligte Mieter- und Lastenausgleichsdarlehen. Denn diese Darlehen sind im vorliegenden Fall mit vergleichbaren wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen ausgestattet wie Wohnungsbaudarlehen der öffentlichen Hand. Die zinslosen bzw. zinsverbilligten Schulden aus Mieterund Lastenausgleichsdarlehen sind hier mithin wie die Verbindlichkeiten aus den zinsgünstigen Wohnungsbaudarlehen der öffentlichen Hand mit dem Nennwert anzusetzen.
5. Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Einheitswert war antragsgemäß auf 6 179 000 DM festzustellen.
Fundstellen
BStBl II 1982, 639 |
BFHE 1983, 299 |
NJW 1982, 2576 |