Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung der Unbestrittenheit von Gegenansprüchen der Steuerpflichtigen bei der Aufrechnung nach § 124 AO.
Bei der Aufrechnung der Steuerpflichtigen nach § 124 AO sind die Gegenansprüche, mit denen aufgerechnet werden soll, nicht schon dann als bestritten anzusehen, wenn die Einwendungen des Fiskus lediglich formale und nicht sachlich beachtenswerte Gründe enthalten.
Normenkette
AO § 124
Tatbestand
Die beschwerdeführende OHG hat am 21. Dezember 1951 gegenüber dem Finanzamt erklärt, daß sie gegen Gewinnabführungsbeträge aus 1944 in Höhe von rund 152.700 RM mit ihren gegen das ehemalige Deutsche Reich gerichteten Forderungen aus Kriegslieferungen in gleicher Höhe aufrechne. Die Aufrechnungserklärung wurde auf den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 1951 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1951 S. 599) gestützt; danach kann mit Forderungen gegen das Deutsche Reich auch nach dem Währungsstichtag aufgerechnet werden, wenn sich die aufzurechnenden Forderungen vor der Währungsumstellung aufrechenbar gegenüber gestanden haben.
Das Finanzamt hat der Aufrechnung widersprochen. Die Voraussetzung der Gegenseitigkeit der aufzurechnenden Forderungen sei nicht gegeben, weil gegen die Gewinnabführung als Landessteuer nicht mit ehemaligen Reichs- und jetzigen Länderverbindlichkeiten aufgerechnet werden könne. Dementsprechend hat das Finanzamt auf Antrag unter dem 7. November 1952 gemäß § 125 der Reichsabgabenordnung (AO) einen Abrechnungsbescheid erteilt. In dem Bescheid ist ausgeführt, daß die Bfin. auf die Gewinnabführungsschuld 1944 von 172.850 RM umgewertet 10 : 1 = 17.285 DM nach Anrechnung von Zahlungen bzw. Verrechnung von Umsatzsteuervergütungen in Höhe von 12.389 DM noch 4.896 DM zu zahlen habe. Das Finanzamt hat somit die geforderte Aufrechnung abgelehnt.
Der gemäß § 261 AO als Berufung zu behandelnde Einspruch gegen den Bescheid blieb erfolglos. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts haben zwei Oberfinanzdirektionen angemeldete Kriegslieferungsforderungen der Firma von 339.273,70 RM und 1.375,71 RM nicht anerkannt. Von den weiter zur Aufrechnung gestellten Forderungen von 25.189,17 RM sei ein Teil bei anderen Oberfinanzdirektionen angemeldet, zum Teil sei die Anmeldung beabsichtigt.
Das Finanzgericht hat sich zwar auf den Boden der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 1951 gestellt. Es hat aber ausgeführt, die Verbindlichkeiten des Reiches aus Kriegslieferungen seien wegen der allgemeinen Sperre nach dem Militärregierungsgesetz Nr. 52 bereits vor dem Währungsstichtag nicht aufrechenbar gewesen. Es sei deshalb erforderlich, daß die aufzurechnenden Forderungen nicht nur vor dem Währungsstichtag, sondern bereits vor der Beschlagnahme durch das Militärregierungsgesetz Nr. 52 sich aufrechenbar gegenüber gestanden hätten. Eine solche Aufrechnungslage könne nur dann bestanden haben, wenn die gegen die Steueransprüche aufzurechnenden Ansprüche für die damalige Zeit - abgesehen von ihrer Fälligkeit - entweder rechtskräftig festgestellt oder unbestritten gewesen seien (§ 124 AO). Die Forderungen seien nicht unbestritten, da sie nicht anerkannt worden seien. Die Anerkennung der Gegenforderungen der Beschwerdeführerin (Bfin.) sei von den zuständigen Oberfinanzdirektionen, als Dienststellen des Bundes, auf den das ehemalige Aktiv- und Passivvermögen des Reiches gemäß Art. 134 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) übergegangen sei, ausdrücklich abgelehnt. Die übrigen Forderungen seien weder registriert noch anerkannt. Daher hätte die Bfin. die Aufrechnung nicht rechtswirksam erklären können.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird in erster Linie eingewendet, die Aufrechnung könne durch die einfache Berufung auf die Vorschrift des § 124 AO nicht zu Fall gebracht werden. Es sei nicht angängig, sich auf ein unsubstantiiertes Bestreiten zu beschränken. Die Steuerpflichtige könne nicht gezwungen werden, sich oder der öffentlichen Hand völlig unnötige Kosten durch die Anstrengung eines Zivilprozesses zu machen, es sei denn, daß gegen den zur Aufrechnung gestellten Anspruch begründete Einwendungen erhoben würden. Die Stellungnahme des Finanzgerichts widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben, die das gesamte Recht beherrschen. Die Bfin. verweist auf die entsprechenden Grundsätze im Zivilprozeß (Baumbach-Lauterbach, Komm. zur Zivilprozeßordnung 22. Aufl. 1954 Anm. 4 B vor § 12 S. 39, Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 1954, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 12 S. 136, NJW 1954 S. 795). Einen Verfahrensmangel erblickt die Bfin. darin, daß das Finanzgericht keine Auflage zum substantiierten Bestreiten gemacht und keine Gelegenheit zur Erhebung der Feststellungsklage vor dem ordentlichen Gericht unter Aussetzung des Verfahrens gegeben habe.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Die Finanzverwaltungsbehörden, insbesondere der Finanzminister des Landes in seiner äußerung vom 24. September 1952, haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß bei der Aufrechnung mit Verbindlichkeiten des Reiches aus Kriegslieferungen gegen Landessteuern die erforderliche Gegenseitigkeit der Forderungen auch dann nicht gegeben sei, wenn die Steuerforderungen, gegen die aufgerechnet wird, bereits vor dem Zusammenbruch des Reiches entstanden und infolge übergangs der Steuerhoheit über die betreffenden Steuern auf das Land übergegangen sind. Diese Auffassung hat der Bundesfinanzhof in dem zur Veröffentlichung freigegebenen Urteil II 176/52 U vom 6. Oktober 1954 abgelehnt. An den Grundsätzen des Urteils wird festgehalten. Der übergang der Steuerhoheit auf das Land oder eine spätere Festsetzung der Steueransprüche, die wie die Gewinnabführung 1944 im Jahre 1944 entstanden sind, stehen nach dem Urteil der Aufrechnung grundsätzlich nicht im Wege. Das Bestehen einer Aufrechnungslage vor dem Zusammenbruch des Reiches ist somit hinsichtlich der Steueransprüche aus Gewinnabführung 1944 grundsätzlich zu bejahen, vorausgesetzt, daß damals die zur Aufrechnung gestellten Forderungen fällig gewesen sind. Die Berechtigung der Aufrechenbarkeit von Forderungen aus Kriegslieferungen mit Einkommensteuer- und Gewinnabführungsbeträgen aus den Jahren 1944 und 1945 liegt auch begründet in dem inneren Zusammenhang, in dem die gegenseitigen Forderungen zueinander stehen. Nach dem Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 11/48 vom 28. Juli 1948 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Kontrollratgesetz Nr. 12 Art. VIII Rechtsspruch 2) sind die Bestimmungen des Art. VIII des Kontrollratgesetzes Nr. 12 über das Verbot des Abzugs von Verlusten aus Wehrmachtsaufträgen auch bei Veranlagung zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer 1944 anzuwenden. Da die gewerblichen Einkünfte im Sinne der Gewinnabführung die Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind, die der Besteuerung nach dem Einkommensteuerrecht unterliegen (§ 3 der Gewinnabführungs- Verordnung 1943 vom 15. Mai 1944, Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 120), gilt diese Rechtsprechung für die Gewinnabführung 1944 bzw. 1945 ebenfalls. Es würde unvertretbar erscheinen, Verluste aus Kriegslieferungen zu besteuern, auf die Steuerbeträge aber die Forderungen, die den Grund für die Besteuerung abgaben, nicht zur Verrechnung zuzulassen.
Was die Aufrechenbarkeit der Gegenforderungen der Bfin. anlangt, so findet die von dem Finanzgericht ausgesprochene Gleichstellung der "Nichtanerkennung mit "Bestreiten" im Gesetz keine Stütze. § 124 AO schreibt nur vor, daß die Gegenansprüche, mit denen aufgerechnet wird, unbestritten (oder rechtskräftig festgestellt) sein müssen. Die Anerkennung der Forderung ist keine gesetzliche Voraussetzung für deren Aufrechenbarkeit. Das Finanzgericht konnte aus dem an das Finanzamt gerichteten Schreiben der Oberfinanzdirektion (Bundesvermögensabteilung) vom 20. Februar 1954 nicht entnehmen, daß die Gegenansprüche bestritten waren. In dem Schreiben sind die Gegenforderungen der Bfin. lediglich deshalb nicht anerkannt worden, weil "eine gesetzliche Regelung für die Abwicklung der Verbindlichkeiten des Reiches noch nicht getroffen worden ist". Zudem hat die Oberfinanzdirektion hinsichtlich einer Anzahl von Rechnungsposten in Höhe von zusammen rund 55.000 RM vorgeschlagen, die Einziehung der Einkommensteuer und Gewinnabführung aus 1944 und 1945 bis zum Erlaß des in Aussicht stehenden Kriegsfolgenschlußgesetzes auszusetzen. Wegen der anderen Posten müßten, so führt die Oberfinanzdirektion aus, noch besondere Ermittlungen bei der Firma angestellt werden. Hiervon sei jedoch nach einer Weisung des Bundesministers der Finanzen abzusehen. Zum mindesten hinsichtlich dieses Betrages von rund 55.000 RM, der, in DM umgerechnet, die Reststeuerschuld aus Gewinnabführung von 4.896 DM übersteigt, konnte das Finanzgericht nicht ohne weitere Aufklärung ein Bestreiten unterstellen.
Hinzu kommen noch folgende Rechtserwägungen, die das Finanzgericht außer acht gelassen hat. Auf die Aufrechnung nach § 124 AO finden die Vorschriften des bürgerlichen Rechts unmittelbar Anwendung (Urteil des Bundesfinanzhofs II 102/54 U vom 11. August 1954, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 291). Daher ist bei der Aufrechnung nach § 124 AO auch der im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 1954 (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 12 S. 136, 143) ausgesprochene Grundsatz zu berücksichtigen, daß der Aufrechnungsgegner - hier der Fiskus - genötigt ist, "sich zu den Gegenforderungen substantiiert zu erklären" und seine etwaigen Einwendungen zu begründen, um die Entscheidung über die Zulässigkeit der Aufrechnung zu ermöglichen. Diesem Grundsatz widerspricht es, wenn der Fiskus dem Aufrechnungsbegehren nicht mit sachlichen, den Bestand und die Fälligkeit der Gegenanprüche vor dem Inkrafttreten der Sperre nach dem Militärregierungsgesetz Nr. 52 berührenden Einwendungen entgegentritt, sondern sich auf einfaches Bestreiten oder die Geltendmachung formaler Gründe beschränkt. Als sachliche Einwendung in diesem Sinne ist nicht der Umstand anzusehen, daß ein Gesetz über die Regelung der Ansprüche gegen das Deutsche Reich geschaffen werden soll. Ein ausdrückliches mit Rückwirkung auf die Aufrechnungslage vor dem Inkrafttreten des Militärregierungsgesetzes Nr. 52 ausgestattetes Verbot der Aufrechnung ist nicht ergangen.
Wegen unzutreffender Rechtsanwendung wird daher die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Das Finanzgericht wird nunmehr die Rechtslage unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsausführungen erneut prüfen. Falls es nicht bereits für die in dem Schreiben der Oberfinanzdirektion (Bundesvermögensabteilung) vom 20. Februar 1954 angeführten Posten von zusammen 55.000 RM die Unbestrittenheit annimmt, wird es die Oberfinanzdirektion (Bundesvermögensabteilung) auffordern, zu erklären, ob, inwieweit und aus welchen sachlichen Gründen der Bestand und die Fälligkeit der Gegenansprüche vor dem Inkrafttreten des Militärregierungsgesetzes Nr. 52 bestritten werden. Soweit die Feststellungen das Finanzgericht die überzeugung gewinnen lassen, daß Bestand und Fälligkeit der Gegenforderungen vor dem genannten Zeitpunkt gegeben waren, kann das Finanzgericht die Aufrechnung auch dann aussprechen, wenn die Oberfinanzdirektion die Forderungen aus rein formalen Gründen bestreitet. Soweit beachtliche sachliche Einwendungen erhoben werden, wird das Finanzgericht sich schlüssig werden, ob es die Entscheidung aussetzt, um der Bfin. Gelegenheit zu geben, vor den ordentlichen Gerichten Bestand und Fälligkeit der Gegenforderungen vor dem genannten Zeitpunkt feststellen zu lassen, oder die Aufrechnung insoweit abzulehnen, weil die erforderliche Unbestrittenheit noch nicht gegeben sei.
Fundstellen
Haufe-Index 408086 |
BStBl III 1955, 32 |
BFHE 1955, 84 |
BFHE 60, 84 |