Leitsatz (amtlich)
In nationalen Gesetzen enthaltene Begriffsabgrenzungen können für die Auslegung des GZT als gemeinschaftsrechtlicher Norm im Regelfall nicht herangezogen werden.
Fleischsäfte, die keine spezifisch arzneilichen Wirkstoffe enthalten, fallen unter die Tarifnr. 16.03.
Normenkette
GZT Tarifst. 30.03 B II b Vorschrift 1 zu Kap. 30; GZT Tarifst. 16.03 C Vorschrift 1 zu Kap. 30
Tatbestand
Streitig ist die Tarifierung von sechs Kartons Fleischsaft einer über Apotheken vertriebenen Marke, den die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 3. November 1970 zum freien Verkehr hat abfertigen lassen. Die Zollstelle hat den Fleischsaft zunächst auf Grund der Angabe, daß er als natürliches Therapeutikum verwendet werde, durch vorläufigen Zollbescheid der Tarifst. 30.03 B II b des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – („Arzneiwaren”) zugewiesen. Nach einer Untersuchung durch die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA), die zu dem Ergebnis gekommen war, daß es sich um ein Lebensmittel der Tarifst. 16.03 C („Fleischextrakte, Fleischsäfte und Fischextrakte”) handele, änderte die Zollstelle die Tarifierung und erhob die entsprechenden Eingangsabgaben nach.
Gegen diesen Nachforderungsbescheid wandte sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit der Klage. Sie machte geltend, bei der eingeführten Ware handle es sich nicht um einen Fleischextrakt oder Fleischsaft im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Arzneiware der Tarifst. 30.03 B II b GZT. Das ergebe sich aus den im Einspruchsverfahren vorgelegten Prospekten, medizinischen Aufsätzen und sonstigen Vorschriften. Der Fleischsaft werde seit fast 100 Jahren von Ärzten aus aller Welt zur Behandlung von Kranken angewendet. Er sei für den Einzelverkauf als Arzneimittel, d. h. zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken aufgemacht. So sei er auch in der bei allen Ärzten vorhandenen Roten Liste aufgeführt. Auch die Tatsache, daß der Fleischsaft nur in Apotheken gehandelt werde, beweise seine Eigenschaft als Arzneimittel. Die Ware sei auch seit jeher bei der Einfuhr als Arzneimittel behandelt worden. Das ergebe sich aus Bescheinigungen der Bundesstelle für den Warenverkehr für gewerbliche Wirtschaft und der Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft. Der Charakter als Arzneiware sei ferner an dem hohen Verkaufspreis von 32,30 DM pro 50 g zu erkennen. Dieser hohe Preis widerspreche der Verwendung als normaler Fleischextrakt, der in Lebensmittelgeschäften erhältlich sei.
Eine Tarifierung nach der Tarifnr. 16.03 scheide dagegen aus, da die Ware ihrer Herstellung nach kein Fleischextrakt sei, der unter diese Tarifnummer falle. Die Ware werde im Gegensatz zu anderen Fleischextrakten im Vakuum konzentriert. Diese Herstellungstechnik werde gewählt, um die prophylaktische und therapeutische Wirkung zu erhalten. Nur normale, nicht im Vakuum konzentrierte Fleischsäfte würden von der genannten Tarifnummer erlaßt.
Der Fleischsaft stelle auch kein Lebensmittel dar. Das ergebe sich schon daraus, daß er für die Ernährung ungeeignet sei, da er fettfrei sei und keine nennenswerten Mengen an Eiweiß oder Kohlehydrate aufweise. Er sei auch als Lebensmittel in der Bundesrepublik Deutschland nicht verkehrsfähig, da er 9 % Glycerin enthalte, das nach dem Lebensmittelgesetz zur Haltbarmachung nicht verwendet werden dürfe. Daß der Fleischsaft kein Lebensmittel sei, werde schließlich durch die gutachtliche Stellungnahme des Handelslabors X. bestätigt. Auch die für die Tarifzuordnung maßgebliche Verkehrsauffassung spreche dagegen, die Ware mit anderen Fleischextrakten oder Fleischsäften landläufiger Art gleichzustellen und den Lebensmitteln zuzuordnen. Der Fleischsaft sei ein spezifisches Erzeugnis der pharmazeutischen Industrie, das in Anwendung spezieller technologischer Methoden und Verfahren im Hinblick auf die Bestimmung des Präparats als Arzneiware unter arzneimittelmäßiger Gewährleistung einer gleichbleibenden bestimmten Zusammensetzung hergestellt werde. Die ausschließlich therapeutische und prophylaktische Zweckbestimmung finde in der typisch arzneimittelmäßig erfolgten Aufmachung für den Einzelverkauf Ausdruck. Die Ware werde vom Verbraucher allein im Hinblick auf diese Zweckbestimmung gekauft und konsumiert. Sie müsse deshalb auch zolltariflich als Arzneimittel eingestuft werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, daß die Tarifst. 16.03 C GZT, in der Fleischextrakte und Fleischsäfte ausdrücklich aufgeführt sind, auch im Vakuum konzentrierte Fleischsäfte erfasse, und daß auch der Zusatz von Konservierungsstoffen (Glyzerin) der Einordnung in diese Tarifstelle nicht entgegenstehe. Dagegen scheide eine Tarifierung als Arzneiware im Sinne der Tarifnr. 30.03 aus, da diese Bestimmung nach der Vorschrift 1 Abs. 2 zu Kap. 30 GZT nicht für Lebensmittel oder Getränke (insbesondere auch diätetische Lebensmittel) gelte. Diätetische Lebensmittel seien demnach keine Arzneiwaren im Sinne der Tarifnr. 30.03, vielmehr ergebe sich aus den zolltariflichen Vorschriften in Verbindung mit den dazu ergangenen Erläuterungen, daß es für die Tarifierung als Arneiware im Sinne der Tarifnr. 30.03 GZT auf die spezifisch arzneiliche Wirkung des Erzeugnisses für bestimmte Krankheiten ankomme, die diätetischen Erzeugnissen wegen ihrer vielfältig gestreuten Anwendungsmöglichkeiten fehle.
Bei konkreter Betrachtung des von der Klägerin eingeführten Erzeugnisses komme der Senat zu dem Ergebnis, daß es sich um ein diätetisches Lebensmittel bzw. um ein Lebensmittel für Diabetiker im Sinne der Vorschrift 1 Abs. 2 zu Kap. 30 GZT handele. Auf Grund ihrer Zusammensetzung sei die Ware zur Behandlung von Krankheiten durch Heilernährung (Diät) bzw. Unterstützung der Heilkräfte des Körpers (natürliches Therapeutikum) bestimmt. Sie sei ihrem Wesen und Ihrer Zusammensetzung nach der in der Krankendiät verwendeten Fleischbrühe gleichzusetzen, von der sie sich wesentlich nur durch die Art der Konzentration und die möglicherweise höheren Wirkstoffgehalte unterscheide. Im Hinblick auf die auch in dem Prospekt für das Erzeugnis genannten Bestandteile würden Fleischsäfte und Fleischextrakte in der Fachliteratur als diätetische Lebensmittel beschrieben. Sie seien damit aber keine Arzneimittel, die zur medikamentösen Behandlung bestimmter Krankheiten geeignet und bestimmt wären.
Für die streitige Tarifierungsfrage könne nicht auf die Definition eines Arzneimittels im Arzneimittelgesetz oder auf die allgemeine Begriffsbestimmung für Lebensmittel im Lebensmittelgesetz zurückgegriffen werden. Da die Eingangsabgaben ausschließlich auf Grund zollrechtlicher Vorschriften nach dem Gemeinsamen Zolltarif zu erheben seien, sei auch die Einordnung der Ware als Arzneiware durch andere Behörden auf außerzollrechtlichen Gebieten irrelevant. Auch die Verkehrsauffassung trete im Rahmen der tarifrechtlichen Einordnung weitgehend zurück. Die Anwendung seit fast 100 Jahren durch Ärzte aus aller Welt zur Behandlung von Kranken mache das Erzeugnis ebensowenig zum Arzneimittel wie die Beschreibung der therapeutischen Wirkungsweise von Fleischextrakten bzw. Säften in der wissenschaftlichen Literatur. Gleiches gelte für den Umstand, daß die Ware überwiegend in Apotheken verkauft werde, in der großen Lauer-Liste und Roten Liste aufgeführt sei und als Lebensmittel möglicherweise nicht verkehrsfähig wäre. Schließlich könne auch dem Preis und dem Geschmack keine entscheidende Bedeutung als Abgrenzungskriterium zukommen, da sie in den hier in Betracht kommenden Tarifnummern nicht als solche aufgeführt worden seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin.
Die Klägerin führt aus, nach der in § 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) gegebenen Begriffsbestimmung sei unter einem Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes ein Stoff zu verstehen, der dazu bestimmt sei, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Ausgenommen von dieser Definition seien nur Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, soweit sie Lebensmittel im Sinne des § 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen seien. Diese Ausnahme greife hier nicht durch. Es sei in der ersten Instanz vorgetragen und nachgewiesen, daß das zu tarifierende Erzeugnis in die Rote Liste 1971, als Arzneimittel aufgenommen sei. Die Aufnahme von Arzneimitteln in die Rote Liste erfolge auf Grund der Analysenwerte durch eine Sachverständigenkommission, und zwar die Rote-Liste-Kommission. Nachgewiesen sei ferner durch Vorlage des Attests von Sachverständigen, daß das Erzeugnis wegen der Beifügung von Stoffen als Lebensmittel in Deutschland nicht verkehrsfähig sei und daß das Produkt als Arzneimittel zu bezeichnen sei. Da demnach das Erzeugnis kein Lebensmittel, sondern eindeutig ein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes sei, habe es das FG nicht unter Heranziehung von zolltariflichen Bestimmungen als Lebensmittel im Sinne des Gemeinsamen Zolltarifs einordnen und ihm die Arzneimitteleigenschaft absprechen dürfen. Das Erzeugnis sei auch kein diätetisches Lebensmittel, da es als solches nicht in die Rote Liste Aufnahme gefunden hätte. Bei dieser Sachlage habe das FG nicht die Einordnung der Ware als Arzneiware durch andere Behörden außer Betracht lassen dürfen. Das FG gehe auch insofern fehl, als es der Auffassung sei, daß die Verkehrsauffassung im Rahmen der tarifrechtlichen Einordnung zurücktreten müsse. Entscheidend müsse vielmehr sein, daß sich die Einordnung des Produktes als Lebensmittel schon deshalb verbiete, weil es als solches nicht verkehrsfähig sei und weil es andererseits durch die Aufnahme in die Rote Liste eindeutig als Arzneimittel anerkannt sei.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils der Klage stattzugeben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Revision nicht unmittelbar gegen die von dem FG vorgenommene Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs, insbesondere gegen die zolltarifliche Abgrenzung der in den Tarifnrn. 16.03 und 30.03 enthaltenen Begriffe. Sie trägt vielmehr vor, daß eine eigene zolltarifliche Abgrenzung der Begriffe Arzneiwaren und Lebensmittel nicht stattfinden dürfe, da für die Abgrenzung dieser Begriffe die Begriffsbestimmungen des Arzneimittelgesetzes und des Lebensmittelgesetzes maßgeblich seien. Das finanzgerichtliche Urteil verstoße gegen das materielle Recht, weil es dies nicht berücksichtigt habe.
Diese Argumentation der Klägerin ist jedoch schon in ihrem Ansatzpunkt verfehlt. Der Gemeinsame Zolltarif hat als Norm des Gemeinschaftsrechts übernationalen Charakter. Er gilt nicht nur innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, sondern in dem gesamten Bereich der EWG. Für seine Auslegung können deshalb nationalstaatliche Bestimmungen, die nicht im gesamten Bereich der EWG Geltung haben, nicht herangezogen werden (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 8. Dezember 1970 Rs. 14/70, EGHE 1970, 1001). Die im deutschen Arzneimittelgesetz und in dem Lebensmittelgesetz enthaltenen Begriffsbestimmungen konnten deshalb für die Abgrenzung der Begriffe Arzneiwaren und Lebensmittel im zolltariflichen Sinne nicht maßgeblich sein. Das gilt um so mehr, als der Gemeinsame Zolltarif wie das FG zutreffend hervorgehoben hat, den Begriff Arzneiwaren in der Vorschrift 1 zu Kap. 30 für seine Zwecke besonders definiert hat. Auf Definitionen anderer Gesetze und auch auf Begriffsvorstellungen der allgemeinen Verkehrsauffassung kann unter diesen Umständen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zurückgegriffen werden. Das gilt auch dann, wenn die zolltarifliche Begriffsabgrenzung, wie die Klägerin meint, mit der allgemeinen Verkehrsauffassung und auch mit den in den nationalstaatlichen Gesetzen enthaltenen Begriffsabgrenzungen nicht übereinstimmen sollte, indem die Ware zolltariflich als Lebensmittel, arzneimittelrechtlich aber als Arzneimittel einzustufen wäre. Ein als Verstoß gegen das materielle Recht zu wertender logischer Widerspruch liegt darin nicht.
Zu Unrecht meint die Klägerin auch, das FG habe bei der von ihm getroffenen Feststellung, daß es sich um ein diätetisches Lebensmittel gehandelt habe, die von ihr vorgelegten Beweisunterlagen und Gutachten übergangen. Das Gutachten der Sachverständigen beruht, wie das FG zu Recht ausführt, auf den nationalen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen und kann deshalb für die zolltarifliche Begriffsabgrenzung nicht herangezogen werden. Auch wenn es zutrifft, wie die Gutachter meinen, daß das zu tarifierende Erzeugnis wegen des Zusatzes von Glycerin in der Bundesrepublik Deutschland als Lebensmittel nicht verkehrsfähig wäre, schließt das nicht aus, daß es sich um ein Lebensmittel im zolltariflichen Sinne handelt. Für die Zuweisung einer Ware zu den Arzneiwaren im Sinne des Gemeinsamen Zolltarifs ist die spezifisch arzneiliche Wirkung maßgeblich. Da dem Erzeugnis, wie das FG festgestellt hat, eine solche Wirkung fehlt, konnte es nicht den Arzneiwaren zugeordnet werden, auch wenn es als Lebensmittel nicht verkehrsfähig sein sollte.
Ein Fehler der Beweiswürdigung kann auch nicht darin gesehen werden, daß das FG der Eintragung des Produktes in die Rote Liste keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat. Das FG konnte diese Eintragung zu Recht mit der Begründung übergehen, daß die Einordnung der Ware durch andere Behörden und auf außerzollrechtlichem Gebiet irrelevant sei (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. April 1970 VII R 114/68, BFHE 99, 150). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Eintragung in die Rote Liste eine Prüfung durch eine Sachverständigenkommission vorhergeht, wie die Klägerin nunmehr geltend macht, da für die Eintragung in die Rote Liste jedenfalls nicht die Begriffsabgrenzungen des Gemeinsamen Zolltarifs maßgeblich sind. Auch im übrigen läßt das angefochtene Urteil einen Rechtsverstoß nicht erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 510585 |
BFHE 1976, 125 |