Leitsatz (amtlich)
Das Urteil eines FG in einer Einkommensteuersache von Eheleuten ist selbst dann nicht mit Gründen versehen, wenn es auf ein Urteil des FG vom gleichen Tage in der Körperschaftsteuersache einer GmbH, bei der die Ehefrau alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer ist, Bezug nimmt.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1975 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Die Klägerin (Ehefrau) ist alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der ... GmbH; die GmbH vermittelt Immobilien. Die Klägerin kaufte im November 1973 von der Wohnbau & Co., einer Geschäftspartnerin der GmbH, eine Eigentumswohnung für 152 800 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte nach einer Betriebsprüfung den Betrag als verdeckte Gewinnausschüttung der GmbH an die Klägerin "aus Überlassung einer Eigentumswohnung" (1974 10 000 DM, 1975 142 800 DM). Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hinsichtlich Einkommensteuer 1974 statt und wies sie hinsichtlich Einkommensteuer 1975 ab. Es führte in seinem Tatbestand über die vorstehenden Feststellungen hinaus aus: "Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche Sachdarstellung im Tatbestand des in der Körperschaftsteuersache 1975 der GmbH ergangenen Urteils des Senats vom heutigen Tage (Az.: XI 223/79 K) Bezug genommen." Die Beteiligten hätten zur Begründung ihrer Standpunkte auf ihr Vorbringen im Verfahren XI 223/79 K verwiesen. Das FA habe ergänzend mitgeteilt, es habe bei der Klägerin - anders als bei der GmbH - 10 000 DM bereits 1974 als verdeckte Gewinnausschüttung erfaßt, weil der Klägerin 1974 der Grund- und Bodenanteil im Wert von 10 000 DM "zugeflossen" sei. In seinen Entscheidungsgründen führte das FG aus: Es habe in der Körperschaftsteuersache der GmbH eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen. "Auf die ausführlichen Gründe dieses Urteils wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen." Hierin sei dargelegt worden, daß die als verdeckte Gewinnausschüttung anzusehende Vorteilsgewährung nicht in der Zuwendung der Eigentumswohnung liege, denn mit dieser habe die GmbH unmittelbar nichts zu tun gehabt. "Die Vorteilsgewährung liegt vielmehr in der mit der Verrechnung der Forderungen einhergehenden Freistellung der Klägerin von der Kaufpreisforderung der Wohnbau & Co.". Dieser Vorteil sei ihr in vollem Umfang 1975 zugeflossen. Das zu versteuernde Einkommen 1974 werde antragsgemäß um 10 000 DM herabgesetzt. Eine zusätzliche Erfassung der 10 000 DM in 1975 komme wegen des Verböserungsverbots nicht in Betracht.
Das FA hat nach Anhängigkeit der Revision den Einkommensteuerbescheid für 1975 gemäß § 174 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert und die Einkünfte der Klägerin aus Kapitalvermögen um jene 10 000 DM erhöht, die das FG für 1974 außer Ansatz gelassen hatte.
Die Kläger haben Revision eingelegt und den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§§ 68, 123 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie machen geltend: Es fehle eine Begründung der Vorentscheidung i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Die Begründung bestehe im wesentlichen in der Verweisung auf das FG-Urteil XI 223/79 K. Eine Verweisung auf eine andere Entscheidung sei jedoch lediglich unter den Voraussetzungen möglich, daß die andere Entscheidung unter den gleichen Parteien ergangen sei und nicht erhebliche Zeit nach Beginn der Revisionsfrist zugestellt werde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. März 1970 VII R 43/68, BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494). Das FG-Urteil XI 223/79 K sei gegen die GmbH, nicht gegen sie, die Kläger, ergangen. Insbesondere der Kläger (Ehemann) habe nichts mit der GmbH zu tun. Im übrigen sei die Vorentscheidung bereits am 29. Juli 1983, das Urteil XI 223/79 K aber erst am 10. September 1983 zugestellt worden. Es werde ferner die Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine fehlerhafte Beurteilung des Zuflusses gerügt.
Die Kläger beantragen, die Einkünfte aus Kapitalvermögen um einen um 155 513 DM geminderten Betrag anzusetzen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat eine Auskunft der Geschäftsstelle des I. Senats des BFH zu I R 290/83 eingeholt; danach wurde die FG-Entscheidung XI 223/79 K am 10. August 1983 - also zwölf Tage nach der Zustellung der angegriffenen Vorentscheidung - zugestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Revision ist unabhängig von der Höhe des Streitgegenstandes zulässig, weil die Kläger rügen, daß die Vorentscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Diese Rüge ist formgerecht erhoben worden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, sind bezeichnet. Die Kläger führen im einzelnen an, daß sie wegen der mehrfachen Bezugnahme auf das FG-Urteil XI 223/79 K in der Körperschaftsteuersache nicht oder doch nicht rechtzeitig zu einer sachgemäßen Auseinandersetzung mit der Vorentscheidung in der Lage gewesen seien.
Die Revision ist auch begründet. Ein FG-Urteil muß einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten (§ 105 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 FGO). Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen; wegen der Einzelheiten darf auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt (§ 105 Abs. 3 FGO). Es ist anerkannt, daß das FG auf andere eigene Entscheidungen Bezug nehmen darf (BFH-Urteile vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885, und vom 21. Januar 1977 III R 125/73, BFHE 121, 284, BStBl II 1977, 396). Der Bezugnahme sind jedoch Grenzen gesetzt. Ein wesentlicher Verfahrensmangel ist nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH gegeben, wenn die Gründe des Urteils hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts dadurch ersetzt werden, daß auf eine in einem anderen Rechtsstreit zwischen denselben Beteiligten ergangene, diesen jedoch erst erhebliche Zeit nach Beginn der Revisionsfrist zugestellte Entscheidung verwiesen wird (BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu § 551 Nr. 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ausgeführt, daß die in Bezug genommene Entscheidung zwischen den Parteien ergangen sein müsse (Beschluß vom 2. Oktober 1970 I ZB 9/69, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 39; s. weiterhin Urteil vom 4. Juli 1978 VI ZR 104/77, Versicherungsrecht - VersR - 1978, 961).
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß die Bezugnahme auf eine andere Entscheidung, selbst wenn diese wie hier am Tage der angegriffenen Entscheidung ergangen ist, jedenfalls dann unstatthaft ist, wenn sie nicht zwischen denselben Beteiligten ergangen ist. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Er läßt dahingestellt, ob mit dem Urteil in BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494 auch eine Zustellung der in Bezug genommenen Entscheidung erst erhebliche Zeit nach Beginn der Revisionsfrist eine Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO begründet. Der BGH hat hierzu in dem Beschluß in NJW 1971, 39 die Auffassung vertreten, eine spätere Zustellung der in Bezug genommenen Entscheidung sei generell unschädlich; die Revisionsfrist beginne erst dann zu laufen, wenn auch die in Bezug genommene Entscheidung zugestellt sei; erst dann liege eine Zustellung "des in vollständiger Form abgefaßten Urteils" i. S. des § 552 ZPO vor. Der für den Finanzgerichtsprozeß maßgebliche § 120 Abs. 1 FGO stellt demgegenüber auf die Zustellung "des vollständigen Urteils" ab. Hierunter ist das Urteil zu verstehen, so wie es vom FG beschlossen und abgesetzt worden ist (BFH-Urteil vom 23. Oktober 1975 VIII R 99/75, BFHE 118, 1, BStBl II 1976, 296). Es braucht nicht dazu Stellung genommen zu werden, ob BFH und BGH divergierende Auffassungen vertreten und ob die um zwölf Tage verzögerte Zustellung der FG-Entscheidung in der Körperschaftsteuersache eine erhebliche Verzögerung i. S. der BFH-Rechtsprechung wäre.
Denn das FG-Urteil XI 223/79 K in der Körperschaftsteuersache ist nicht gegen dieselben Beteiligten wie die Vorentscheidung ergangen. Lediglich der Beklagte; das FA, war in beiden Fällen derselbe. Kläger sind indessen unterschiedliche Personen, im anhängigen Verfahren die Kläger, in der Körperschaftsteuersache die GmbH. Eine Identität mit der GmbH kann selbst für die Klägerin nicht angenommen werden. Die Einmann-GmbH und ihr alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer sind auch steuerverfahrensrechtlich verschiedene Personen.
Der Mangel der Vorentscheidung ist erheblich. Die nach Ausscheiden der Feststellungen des FG in der Körperschaftsteuersache verbleibenden Feststellungen des FG in der Vorentscheidung erlauben keine Beurteilung, ob die vom FA und FG angenommene verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt. Das FG korrigiert zwar die Annahme des FA, daß die GmbH der Klägerin die Eigentumswohnung übertragen habe; denn die Klägerin erwarb die Eigentumswohnung in eigener Person von der Wohnbau & Co. (ohne Einschaltung der GmbH). Eine verdeckte Gewinnausschüttung könnte allenfalls darin liegen, daß die GmbH die Kaufpreisverpflichtung der Klägerin erfüllte. Die Freistellung der Klägerin soll sich nach der einzigen einschlägigen Darlegung des FG durch "Verrechnung der Forderungen" vollzogen haben. Es bleibt unklar, ob und welche Forderungen der GmbH zur Verrechnung verwandt wurden, ob diese Forderungen gegenüber der Wohnbau & Co. bestanden, wie und wann sich die Verrechnung vollzog. Ohne ergänzende Feststellungen zu diesen Punkten läßt sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids nicht beurteilen.
Das Fehlen von Gründen ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 119 Nr. 6 FGO), aus dem ohne weiteres die Verletzung von Bundesrecht folgt. Ob die Zurückverweisung auch im Hinblick auf § 127 FGO geboten wäre, weil der zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Änderungsbescheid und der dem Änderungsbescheid angepaßte Revisionsantrag weitere tatsächliche Feststellungen erfordern, braucht nicht entschieden zu werden. Das FG wird auch prüfen, ob der Änderungsbescheid ergehen durfte und die erweiterte Steuerfestsetzung rechtmäßig ist.
Fundstellen
Haufe-Index 75036 |
BStBl II 1984, 591 |
BFHE 1985, 113 |