Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung der Pensionsansprüche bei Verkauf einer GmbH
Leitsatz (NV)
- Eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss des Gesellschafter-Geschäftsführers zum Verkauf seiner Anteile dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen.
- Zur Ablösung der Versorgungszusage auf Veranlassung oder Druck des Unternehmens kommt es im Regelfall ferner, wenn dieses liquidiert wird. Ist der anlässlich der Liquidation entlassene Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-Gesellschaft, so ist zu prüfen, ob ein Zwang zu deren Liquidation bestand. Dies kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation deren Liquidation beschlossen hätte.
- Ergibt sich ein tatsächlicher Druck zum Verkauf der GmbH-Anteile aus der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, so kann gegebenenfalls davon auszugehen sein, dass der Verkauf von Anteilen an einer wirtschaftlich geschwächten und Verluste erzielenden GmbH nur unter Aufgabe der Versorgungsansprüche möglich ist.
- Dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft einem tatsächlichen Druck zur Ablösung der Pensionsansprüche bzw. zum Verkauf der Anteile ausgesetzt war, kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein anderer Anteilseigner in seiner Position sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verkauf entschlossen hätte, weil sich ein bloß vermögensverwaltendes Halten der Beteiligung als zu risikobehaftet darstellte.
- Entscheidend ist die wirtschaftliche Situation, in der sich das Unternehmen befand, als sich der Gesellschafter-Geschäftsführer zur Ablösung seiner Pensionsansprüche und zum Verkauf der GmbH-Anteile entschloss; die Ursachen hierfür sind unmaßgeblich.
- Dem Gesellschafter-Geschäftsführer ist es im Hinblick auf seine eigenen Belange und seine Verantwortung für den Betrieb als wirtschaftlicher Einheit und Arbeitgeber (BVerfGE 93, 165, 175) kaum zumutbar, eine ernsthafte Gefährdung des Unternehmens zu riskieren.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (EFG 2002, 1528) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres am … August 1993 verstorbenen Ehemannes. Dieser war bis zu seinem Tode alleiniger Gesellschafter der S-GmbH und Inhaber eines das Anlagevermögen an die GmbH verpachtenden Einzelunternehmens (Betriebsaufspaltung). Die Geschäftsführung der GmbH für die Bereiche Einkauf, Produktion und Vertrieb waren ihm, die für den Bereich Verwaltung der Klägerin übertragen.
Mit Vereinbarung vom … Dezember 1993 verzichtete die Klägerin gegenüber der GmbH auf die ihr zustehenden Ansprüche aus einer dem verstorbenen Ehemann zugesagten Pension (Witwenpension) gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages, der dem Barwert (Rückstellungswert laut A-Versicherung) der Pensionsverpflichtung entsprach. Mit Vertrag vom 24. Februar 1994 verpflichtete die GmbH ab 1. Mai 1994 einen weiteren, fremden Geschäftsführer. Zum 31. Juli 1994 schied die Klägerin als Geschäftsführerin aus der GmbH aus und veräußerte ihre Gesellschaftsanteile an die T-GmbH.
Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) zunächst den Abfindungsbetrag als ermäßigt zu besteuernde Entschädigung behandelt hatte, gewährte er nach einer Außenprüfung die Tarifermäßigung nicht mehr. Die Voraussetzungen hierfür seien nicht gegeben, da die Klägerin bei Aufgabe ihrer Rechte nicht unter wirtschaftlichem, rechtlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt habe. Mit ihrem Entschluss, die Anteile zu veräußern, habe die Klägerin in ihrer Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt, die ihr ggf. später keinen Entscheidungsspielraum mehr gelassen habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin machte mit ihrer Klage geltend, das Unternehmen sei vollständig auf ihren verstorbenen Ehemann zugeschnitten gewesen. Ein geeigneter Geschäftsführer sei zeitnah nicht zu finden gewesen. Der nach langer Suche im Mai 1994 berufene Geschäftsführer sei bereits im November 1995 wegen Erfolglosigkeit wieder abberufen worden. Die Ertragslage habe sich nach dem Tode weiter verschlechtert. Ohne Berücksichtigung des außerordentlichen Ertrags durch die Zahlung aus der Rückdeckungsversicherung zur Pensionsverpflichtung hätte die GmbH bereits 1993 einen Fehlbetrag von … DM erwirtschaftet. 1994 habe er … DM betragen. Da die GmbH unweigerlich auf den wirtschaftlichen Ruin zugegangen sei, seien die Veräußerung der Geschäftsanteile und der Verzicht auf die Witwenpension die einzig sinnvolle Möglichkeit gewesen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Entscheidung ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1528.
Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Die Nichtgewährung der Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletze materielles Recht. Außerdem habe das FG gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen. Sie habe sich in der Situation gesehen, ihrer Witwenpension in der Zukunft verlustig zu gehen, da diese außer durch die Rückdeckungsversicherung nicht weiter abgesichert gewesen sei. Deshalb habe sie nach dem Liquiditätszufluss aus der Rückdeckungsversicherung im Oktober 1993 zum 9. Dezember 1993 die Kapitalabfindung ihrer Pensionsansprüche mit der Gesellschaft vereinbart. Alle potentiellen Erwerber der GmbH hätten zum Ausdruck gebracht, dass keine Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern in der Bilanz verbleiben dürften.
Die Klägerin beantragt, das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Soweit die Klägerin mangelnde Sachaufklärung durch das FG rügt, hat sie keine Tatsachen bezeichnet, die diesen Verfahrensmangel ergeben (vgl. § 120 Abs. 3 Nr. 2 b FGO). Die Revision hat jedoch Erfolg, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG seine Entscheidung nicht tragen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die auch das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst ist oder, wenn der Steuerpflichtige bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis selbst mitgewirkt hat, der Steuerpflichtige unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9); der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (BFH-Urteil vom 6. März 2002 XI R 51/00, BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516).
An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638).
So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen. Der Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich beispielsweise aus Altersgründen zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, muss nicht damit rechnen, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen Abfindung durch die GmbH möglich ist. Denn die Gesellschaft wird in ihrer Liquidität durch laufende Zahlungen weniger beeinträchtigt als durch eine einmalige Abfindung (BFH in BFH/NV 2002, 638).
Zur Auflösung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses und Ablösung der Versorgungszusage auf Veranlassung oder Druck des Unternehmens kommt es im Regelfall auch, wenn dieses liquidiert wird (BFH-Urteil vom 16. April 1980 VI R 86/77, BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393). Ist der anlässlich der Liquidation entlassene Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-Gesellschaft, so ist zu prüfen, ob aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft ein Zwang zu deren Liquidation bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen (BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177).
2. Das FG geht davon aus, dass die Klägerin freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt habe, die zur Ablösung der Pensionsansprüche führte. Der freiwillige Entschluss soll danach der beabsichtigte Verkauf der GmbH gewesen sein. Mit dem FG ist auch der Senat der Auffassung, dass der Tod des bisherigen Gesellschafter-Geschäftsführers und Ehemanns der Klägerin allein noch keinen (tatsächlichen) Druck im Sinne der dargelegten Rechtsgrundsätze darstellte, die Anteile an der GmbH zu veräußern. Der Klägerin war es möglich, wie sie es auch getan hat, einen fremden Geschäftsführer zu bestellen.
Aus den Feststellungen des FG ergibt sich indessen, dass das Unternehmen im Streitjahr 1993 einen Verlust von … DM erwirtschaftete, der nur durch den außerordentlichen Ertrag aus der Auszahlung der Rückdeckungsversicherung zur Pensionsverpflichtung abgedeckt werden konnte, und dass auch im Folgejahr Fehlbeträge in Höhe von … DM entstanden. Das FG hat lediglich geprüft, ob sich diese schwierige wirtschaftliche Situation durch den Tod des Ehemanns der Klägerin ergab. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend sind die wirtschaftliche Situation selbst, in der sich das Unternehmen befand, als sich die Klägerin zur Ablösung ihrer Pensionsansprüche und zum Verkauf der GmbH-Anteile entschloss, sowie die damaligen mittelfristigen Perspektiven des Betriebes; die Ursachen hierfür sind unmaßgeblich. Der Klägerin ist es schon im Hinblick auf ihre eigenen Belange kaum zuzumuten, eine ernsthafte Gefährdung des Unternehmens zu riskieren. Erst recht gilt dies angesichts ihrer Verantwortung für den im Erbgang übernommenen Betrieb als wirtschaftliche Einheit und Arbeitgeber (zum Betrieb als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 [175]). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Unternehmen schließlich von einem internationalen Konzern erworben wurde und ―wie das FG ausdrücklich feststellt― in veränderten Strukturen fortgeführt wurde.
Das FG hat nicht geprüft, ob das Unternehmen von der Klägerin im Wege einer bloßen Vermögensverwaltung hätte fortgeführt werden können oder ob es angesichts der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft und der gegebenen Perspektiven objektiv geboten war, das Unternehmen auf einen anderen Gesellschafter zu übertragen, der beispielsweise in dem Marktsegment bereits tätig war oder über einen entsprechenden unternehmerischen Hintergrund verfügte.
3. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Schadenstiftendes Ereignis war im Streitfall die Auflösung des Pensionsanspruchs (vgl. BFH in BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516). Es lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilen, ob die Klägerin im Rahmen zunächst freiwillig aufgenommener Verkaufsverhandlungen unter den Druck potentieller Erwerber geriet, zunächst die Pensionsansprüche abzulösen, weil diese das Unternehmen nur ohne Verbindlichkeiten gegenüber der bisherigen Gesellschafterin kaufen wollten. Mit einem solchen Druck muss nicht in jedem Falle gerechnet werden (BFH in BFH/NV 2002, 638). Die Klägerin veräußerte ihre Geschäftsanteile erst zum 31. Juli 1994, auf die Pensionsansprüche hatte sie aber bereits am … Dezember 1993 verzichtet. Es erscheint danach fraglich, ob im Zuge der Anteilsveräußerung eine Zwangslage hinsichtlich der Aufgabe der Pensionszusage begründet worden sein kann. Das FG hat nicht festgestellt, wann die Verkaufsverhandlungen aufgenommen wurden und von wann der Verkaufsvertrag datiert. Das FG wird dies nunmehr nachholen.
b) Denkbar ist aber auch, dass sich ein tatsächlicher Druck zum Verkauf der GmbH aus der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens unmittelbar ergab. Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. In diesem Falle könnte ggf. davon auszugehen sein, dass der Verkauf von Anteilen an einer wirtschaftlich geschwächten und Verluste erzielenden GmbH nur unter Aufgabe der Versorgungsansprüche möglich ist.
Das FG wird in diesem Falle zu prüfen haben, ob die Klägerin aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft bzw. angesichts der aktuellen Aussichten zum Ende 1993 einem tatsächlichen Druck zur Ablösung der Pensionsansprüche bzw. zum Verkauf der Anteile ausgesetzt war. Letzteres kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein anderer Anteilseigner in der Position der Klägerin sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verkauf entschlossen hätte (BFH-Urteil in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177), weil ein bloß vermögensverwaltendes Halten der Beteiligung sich als risikobehaftet darstellte.
Fundstellen
Haufe-Index 1067331 |
BFH/NV 2004, 17 |
HFR 2004, 119 |
EStB 2004, 16 |
StBp 2004, 52 |
GmbHR 2004, 64 |