Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung - Heilung von Bekanntgabemängeln - Nachholung der Begründung eines Verwaltungsakts - Umsatzsteuerjahresbescheid kein die Vorauszahlungsbescheide ändernder Bescheid
Leitsatz (amtlich)
Das berechtigte Interesse des Steuerpflichtigen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung ist nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige sich auf fehlerhafte Bekanntgabe und unzureichende Begründung der Prüfungsanordnung beruft, die bei der Prüfung ermittelten Tatsachen jedoch bei einer erstmaligen Steuerfestsetzung verwertet werden.
Orientierungssatz
1. Der Umsatzsteuerjahresbescheid ist kein Bescheid, der die Steuerfestsetzungen in den Umsatzsteuervorauszahlungen ändert.
2. Das berechtigte Interesse des Steuerpflichtigen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung ist gegeben, wenn das FA die durch die Außenprüfung erlangten Kenntnisse ―in einem Steueränderungsbescheid― nicht auswerten darf (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Die fehlerhafte Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung kann im Beschwerdeverfahren durch die ordnungsgemäße Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung geheilt werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.1988 III R 52/86).
4. Die in einer Prüfungsanordnung fehlende Begründung für die Prüfung nach § 193 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kann in der Beschwerdeentscheidung nachgeholt werden (vgl. BFH-Urteil vom 7.11.1985 IV R 6/85).
Normenkette
AO 1977 § 155 Abs. 1, § 157 Abs. 1, § 193 Abs. 2 Nr. 2, §§ 196, 121; FGO § 100 Abs. 1 S. 4; UStG 1980 § 18 Abs. 1, 3; AO 1977 § 126 Abs. 1 S. 2, § 122 Abs. 1; UStG 1980 § 18 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.03.1990; Aktenzeichen IV K 440/87) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten in Grundstückseigentümergemeinschaft (Kläger) erwarben mehrere Eigentumswohnungen in einer Wohnanlage und vermieteten sie an einen gewerblichen Zwischenmieter. Sie erklärten in Umsatzsteuervoranmeldungen für die ersten drei Kalendervierteljahre 1985 steuerpflichtige Umsätze (Vermietung) und machten für das erste und zweite Quartal Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über den Erwerb der Wohnungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stimmte den bezeichneten Steueranmeldungen nicht zu.
Das FA ordnete für das erste bis dritte Quartal 1985 eine Umsatzsteuerprüfung an. Die Prüfungsanordnung enthielt außer dem Hinweis auf die §§ 193, 194, 195 und 196 der Abgabenordnung (AO 1977) keine weitere Begründung und keine Rechtsbehelfsbelehrung. Auf die Durchführung einer Schlußbesprechung verzichteten die Kläger. Das FA übersandte ihnen am 18.Juli 1986 den Bericht über die am 26.November 1985 abgeschlossene Prüfung.
Mit Schreiben vom 1.September 1986 erhoben die Kläger Beschwerde gegen die Prüfungsanordnung vom 26.November 1985. Zur Begründung machten sie geltend, die Prüfungsanordnung sei ihnen nicht übergeben worden und enthalte keine für die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs.2 Nr.2 AO 1977 erforderliche Begründung. Das FA habe die bei der Prüfung ermittelten Tatsachen zu Unrecht in den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für das erste bis dritte Quartal 1985 vom 15.August 1986 ausgewertet und die Umsatzsteuer auf 0 DM festgesetzt.
Gegen diese Bescheide haben die Kläger Rechtsbehelfe erhoben.
Die Oberfinanzdirektion (OFD) Stuttgart wies die Beschwerde gegen die Prüfungsanordnung mit der Beschwerdeentscheidung vom 13.Oktober 1987 als unbegründet zurück. Sie führte u.a. aus, die Prüfungsanordnung sei den Klägern rechtzeitig vor Beginn der Prüfung ordnungsgemäß bekanntgegeben worden. Die Prüfung sei nach § 193 Abs.2 Nr.2 AO 1977 zulässig gewesen, weil die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Vermietung von Eigentumswohnungen an einen gewerblichen Zwischenmieter umfangreiche Sachverhaltsermittlungen erfordert habe, die sich nicht nur auf die schriftlichen Vereinbarungen, sondern auch auf Nebenabreden bzw. auf eine abweichende tatsächliche Durchführung hätten erstrecken müssen. Beim Umfang der erforderlichen Ermittlungen sei eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig gewesen. Eine rechtzeitige Prüfung der Zwischenvermietung beim Zwischenmieter sei nicht möglich gewesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der gegen die Beschwerdeentscheidung gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage statt. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 459 veröffentlicht worden. Die Prüfungsanordnung, so führte das FG aus, sei nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise begründet worden. Die Begründung habe in der nach Abschluß der Außenprüfung ergangenen Beschwerdeentscheidung nicht mehr nachgeholt werden können.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 126 Abs.1 Nr.2, Abs.2 AO 1977. Es beantragt sinngemäß, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
Die Kläger haben zur Revision nicht Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Vorentscheidung verletzt § 100 Abs.1 Satz 4 FGO. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß ein Feststellungsinteresse der Kläger gegeben und daß die Klage zulässig sei.
Die Klage war unzulässig, denn die Kläger haben kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs.1 Satz 4 FGO) gegen eine in der Hauptsache nach Durchführung der Außenprüfung erledigte Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) setzt voraus, daß die Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit haben (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10.April 1990 VIII R 415/83, BFHE 160, 409, BStBl II 1990, 721). Das berechtigte Interesse ist gegeben, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung dazu führt, daß das FA die durch die Außenprüfung erlangten Kenntnisse nicht auswerten darf.
1. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung kann zu einem Verbot der Verwertung der bei der Prüfung ermittelten Tatsachen in einem Steueränderungsbescheid führen (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 30.November 1987 VIII B 3/87, BFHE 151, 354, BStBl II 1988, 183 m.w.N.; Schick, in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., Vorbemerkung § 193 AO 1977 Tz.346 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 196 AO 1977 Rdnr.9). In dem Änderungsbescheid dürfen z.B. die bei einer solchen Prüfung dem FA neu bekanntgewordenen Tatsachen (§ 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977) nicht berücksichtigt werden. Eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist infolge der Prüfung tritt nicht ein.
Dagegen besteht kein Verwertungsverbot in der Hinsicht, daß das FA neu bekanntgewordene Tatsachen bei einer erstmaligen Steuerfestsetzung vor Ablauf der Festsetzungsfrist berücksichtigt, selbst wenn die Tatsachen anläßlich einer durch eine verfahrensfehlerhafte Prüfungsanordnung eingeleiteten Außenprüfung ermittelt worden sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29.September 1987 X R 15/82, BFH/NV 1988, 333, 335 zu 3.; Schick, a.a.O., vor § 193 AO 1977 Tz.351). Das FA bedarf zur Ermittlung des Sachverhalts für eine erstmalige Steuerfestsetzung keiner förmlichen Prüfungsanordnung. Es ist zur Erforschung des steuerrechtlich erheblichen Sachverhalts nach §§ 85, 88 ff. AO 1977 von Amts wegen verpflichtet und darf den Steuerpflichtigen dazu gemäß § 90 Abs.1 AO 1977 heranziehen. Die Berechtigung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts für die erstmalige Steuerfestsetzung wird auch nicht durch eine etwa fehlerhafte Begründung für die Sachverhaltsermittlung beeinträchtigt. Verfahrensrechtliche Verstöße bei der Aufklärung des Sachverhalts, selbst wenn sie ein Verwertungsverbot zur Folge hätten, könnten bei der vollständigen neuen Sach- und Rechtsprüfung im Einspruchsverfahren (§ 367 Abs.2 Satz 1 AO 1977) ―wiederum unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen (§ 365 Abs.1, § 90 Abs.1 AO 1977)― geheilt werden. Die Pflicht zur unbeschränkten Aufklärung des Sachverhalts bliebe bei einer Anfechtung der erstmaligen Steuerfestsetzung ebenfalls für das FG bestehen (§ 76 Abs.1 FGO). FA und FG hätten mithin den ermittelten Sachverhalt für die erstmalige Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen (§ 18 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes ―UStG― 1980, § 150 Abs.1 Satz 2, § 164 Abs.1 Satz 2, § 167 Abs.1, § 168 AO 1977) unabhängig von der etwa unzureichenden Begründung der Prüfungsanordnung berücksichtigen dürfen.
An der Annahme, im Streitfall fehle das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse, ändert sich nichts, falls das FA die tatsächlichen Feststellungen aus der Außenprüfung auch bei einer erstmaligen Festsetzung der Jahresumsatzsteuer berücksichtigt haben sollte; denn der Umsatzsteuerjahresbescheid (§ 18 Abs.3, Abs.4 Satz 2 UStG 1980, § 155 Abs.1, § 157 Abs.1 AO 1977) ist kein Bescheid, der die Steuerfestsetzungen in den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden ändert.
2. Das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung vom 26.November 1985 ist ferner nicht aus anderen Gründen vorhanden. Eine etwaige fehlerhafte Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vom 26.November 1985 durch das FA ist durch die ordnungsgemäß bekanntgegebene Beschwerdeentscheidung geheilt worden (vgl. BFH-Urteil vom 28.Oktober 1988 III R 52/86, BFHE 155, 238, BStBl II 1989, 257 unter 2 b m.w.N.).
3. Der Senat hält es schließlich für angebracht, darauf hinzuweisen, daß das finanzgerichtliche Urteil auch deshalb keinen Bestand hätte haben können, weil in der Beschwerdeentscheidung die in der Prüfungsanordnung fehlende Begründung für die Prüfung nach § 193 Abs.2 Satz 2 AO 1977 nachgeholt (§ 126 Abs.1 Satz 2 AO 1977) werden durfte (vgl. BFH-Urteil vom 7.November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435 unter 2 a m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 63917 |
BFH/NV 1991, 67 |
BStBl II 1991, 825 |
BFHE 164, 495 |
BFHE 1992, 495 |
BB 1991, 1999 (L) |
DB 1991, 2372 (L) |
DStR 1991, 1312 (KT) |
DStZ 1991, 702 (KT) |
HFR 1991, 695 (LT) |
StE 1991, 347 (K) |