Leitsatz (amtlich)
Das Roulettespiel ist weder eine Lotterie noch eine Ausspielung. Spiele, deren Charakter als Glücksspiele sich allein aus ihrer Ähnlichkeit mit dem Roulettespiel ergibt, unterliegen nicht der Lotteriesteuer.
Normenkette
RennwLottG § 17; StAnpG § 1 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger haben in Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Spielkasino betrieben. In diesem wurde ein rouletteartiges Kugelspiel veranstaltet. Nach der Ansicht der Kläger hing der Spielerfolg von der Geschicklichkeit der Spieler ab.
Das FA (Beklagter) sieht das Spiel als Glücksspiel an. Es hat die Kläger durch einheitlichen (zusammengefaßten) Bescheid je als Haftende für die Lotteriesteuer in Anspruch genommen. Ihre Einsprüche hat es zurückgewiesen. Während der Berufungsverfahren hat es einen Teil der Steuerforderungen bedingt erlassen. Das FG hat insoweit die Hauptsachen für erledigt erachtet und im übrigen die Berufungen der Kläger als unbegründet zurückgewiesen. Die Kläger verlangen mit ihren noch als Rechtsbeschwerden eingelegten Revisionen Freistellung von der Lotteriesteuer. Der Beklagte bestreitet die Erledigung der Hauptsachen in dem vom FG angenommenen Umfang; mit den Anschließungen beantragt er anderweitige Festsetzung des Haftungsbetrages.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen der Kläger sind begründet. Die Anschließungen des Beklagten (§ 293 AO a. F.) sind unbeschadet des Beschlusses des BFH II R 31/67 vom 14. Mai 1968 (BFH 92, 426) zulässig, da sie vor Inkrafttreten der FGO eingelegt worden sind. Sie sind im Ergebnis unbegründet.
Der Lotteriesteuer unterliegen gemäß § 17 des Rennwett- und Lotteriegesetzes vom 8. April 1922 - Rennw-LottG - (RGBl 1922, 393) im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen. Der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift, der durch den Sinnzusammenhang bestätigt wird, läßt es nicht zu. mit der Lotteriesteuer auch Glücksspiele zu erfassen, die weder Lotterien noch Ausspielungen sind. Das Roulettespiel ist weder eine Lotterie noch eine Ausspielung. Spiele, deren etwaiger Charakter als Glücksspiele sich allein aus ihrer Ähnlichkeit mit dem Roulettespiel ergibt, unterliegen folglich nicht der Lotteriesteuer.
Lotterien und Ausspielungen sind Unterarten der Glücksspiele im weiteren Sinne (Lackner-Maassen, Strafgesetzbuch, 4. Auflage 1967, § 284 Anm. 1 e, § 286 Anm. 1; Mezger-Blei, Strafrecht, Besonderer Teil, 9. Auflage 1966, S. 218; Palandt-Gramm, Bürgerliches Gesetzbuch, 27. Auflage 1968, § 762 Anm. 1 a, § 763 Anm. 1; Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 13. Auflage 1967, § 286 Rdnr. 2; Schwarz-Dreher, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 1967, § 286 Anm. 1 A), also Spiele, bei denen der Spielerfolg vom Zufall und nicht oder nicht entscheidend von der Geschicklichkeit des Spielers abhängt. Daraus ergibt sich, daß zwar jede Lotterie und jede Ausspielung ein Glücksspiel in diesem weiteren Sinne ist, daß aber umgekehrt nicht alle Glücksspiele Lotterien oder Ausspielungen sind, sondern nur diejenigen, welche deren besondere Merkmale erfüllen. Ihnen stehen komplementär diejenigen Glücksspiele gegenüber, welche weder Lotterien noch Ausspielungen sind. Zu diesen Glücksspielen im engeren Sinne gehört das Roulettespiel mit seinen Abarten (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 14 S. 28 - RGSt 14, 28 -; Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bd. 2 S. 274 - BGHSt 2, 274 -; 11, 209, siehe auch Schwarz-Dreher, a. a. O., § 284 Anm. 1 B zu b), soweit diese dem Glücksspielbegriff unterfallen.
Keiner dieser Begriffe ist gesetzlich definiert. Die einschlägigen Ausdrücke der § 17 RennwLottG, § 763 BGB, §§ 284, 286 StGB, § 33h Nr. 2 der Gewerbeordnung (GewO), § 7 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit entnehmen ihre Bedeutung also dem allgemeinen Sprachgebrauch (vgl. RGSt 10, 245). Dessen Bedeutungsgehalt kann durch den Sinnzusammenhang und den Zweck eines Gesetzes allenfalls modifiziert, aber nicht grundsätzlich verkehrt werden. Eine Deutung der Art, daß auch Glücksspiele im engeren Sinne Lotterien oder Ausspielungen wären, verließe den möglichen Wortsinn dieser Ausdrücke.
Von einer klaren, sich gegenseitig ausschließenden Gegenüberstellung der Begriffe des Glücksspiels im engeren Sinne und der Lotterien und Ausspielungen gehen auch das BGB und das StGB aus. Nach § 762 Abs. 1 Satz 1 BGB wird durch Spiel oder durch Wette eine Verbindlichkeit nicht begründet. Ein Lotterievertrag oder ein Ausspielvertrag ist jedoch gemäß § 763 Satz 1 BGB verbindlich, wenn die Lotterie oder die Ausspielung staatlich genehmigt worden ist. Fehlt diese Genehmigung, so sind die für Spiel und Wette geltenden Vorschriften des § 762 BGB anzuwenden (§ 763 Satz 2 BGB). Im Grundsatz gleich verhält sich das StGB. Es bedroht in § 286 Abs. 1 mit Strafe, wer ohne obrigkeitliche Erlaubnis öffentliche Lotterien veranstaltet, und stellt in § 286 Abs. 2 den Lotterien öffentlich veranstaltete Ausspielungen beweglicher oder unbeweglicher Sachen gleich. Andere Glücksspiele unterliegen härteren (§ 284 Abs. 2 StGB), sachlich (§ 284 Abs. 2 StGB) und persönlich (§ 284 Abs. 1, § 284a StGB) erweiterten und der Qualifikation (§ 285 StGB) zugänglichen Strafdrohungen.
Daraus ergibt sich zwingend, daß das Gesetz die hier maßgebenden Begriffe für abgrenzbar und abgegrenzt hält. Denn § 2 Abs. 1 StGB stellte und stellt den Grundsatz auf, daß eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde; diese Vorschrift ist - unbeschadet einer begrenzten Zulässigkeit normativer Tatbestandsmerkmale - noch immer in dem Sinne verstanden worden, daß der mit Strafe bedrohte Tatbestand begrifflich umschrieben sein müsse. Mit Art. 116 der Verfassung des Deutschen Reiches (WRV) und Art. 103 Abs. 2 GG hat dieser Grundsatz Verfassungsrang erhalten. Die Annahme, die genannten Begriffe seien unbestimmt, würde also gleichzeitig die Nichtigkeit der genannten Strafvorschriften bedeuten. Sind die Begriffe aber für das Strafrecht bestimmt, so können sie - bei gleicher Ableitung aus den Ausdrücken des allgemeinen Sprachgebrauchs - nicht für das Steuerrecht unbestimmt sein.
Die strafrechtliche Judikatur hat bewiesen, daß die Begriffe der Glücksspiele im engeren Sinne (§§ 284, 284 a, 285 StGB), der Lotterien (§ 286 Abs. 1 StGB) und der Ausspielungen (§ 286 Abs. 2 StGB) aus dem allgemeinen Sprachgebrauch heraus hinreichend abgegrenzt sind. Für das RennwLottG kann somit nichts anderes gelten; es muß diesen Bestimmungen folgen. Der Begriff der Ausspielung im Sinne des § 17 RennwLottG deckt sich somit mit dem des § 286 Abs. 2 StGB (vgl. BFH-Urteil II 57/51 U vom 11. November 1953, BFH 58, 286, BStBl III 1954, 23). Allerdings enthält § 286 Abs. 2 StGB eine positivrechtliche Einschränkung, nicht des Begriffs "Ausspielung", sondern des Anwendungsbereichs der Vorschrift: sie bezieht sich nicht auf alle Ausspielungen, sondern nur auf die Ausspielung beweglicher oder unbeweglicher Sachen. Die Ausspielung von barem Gelde fällt somit nicht unter § 286 Abs. 2 StGB und daher, falls sie keine Lotterie ist (§ 286 Abs. 1 StGB), unter die schärferen und weitergehenden Strafdrohungen der §§ 284 ff. StGB (RGSt 64, 219). Dadurch wird aber der - mit § 763 BGB übereinstimmende - allgemeine Begriff der Ausspielung als solcher nicht berührt. Er ist auch für § 17 RennwLottG maßgebend.
Die gegenteilige Praxis stützt sich auf das Urteil des RFH II A 86/22 vom 6. Oktober 1922 (RFH 10, 218), das noch zu § 34 und Tarifnr. 5 des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913 (RGBl S. 639) ergangen ist und ausgesprochen hat, ein öffentlich veranstaltetes Roulettespiel sei als eine öffentlich veranstaltete Ausspielung von Geldgewinnen anzusehen. Dessen Argumenten kann nicht gefolgt werden; zu einem Teil ist bereits oben auf sie eingegangen worden.
Der RFH räumt selbst ein, daß bereits durch das StGB für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 (RGBl 1871, 127), §§ 284 bis 286, damals schon geltend in der Fassung des Gesetzes gegen das Glücksspiel vom 23. Dezember 1919 (RGBl 1919, 2145), eine feste Terminologie vorgegeben ist, daß das Reichsstempelgesetz von 1881, auf dem die maßgebende Tarifnummer im wesentlichen beruht, an die Einbeziehung des Glücksspiels im engeren Sinne in die Besteuerung wohl nicht gedacht hat, und daß die Gestaltung des Tatbestandes, seine Anknüpfung an die Lotteriebesteuerung und die Vorschriften über die Veranlagung auf eine Besteuerung der Ausspielungen im engeren (und eigentlichen) Sinne hindeuten. Hieraus hätte sich zwingend eine Beschränkung der Steuerpflicht auf Lotterien und Ausspielungen im Sinne des § 763 BGB, § 286 StGB ergeben müssen mit der einzigen Maßgabe, daß die ausdrückliche Beschränkung des § 286 Abs. 2 StGB auf die Ausspielung von Sachen entfällt (vgl. § 28 der Ausführungsbestimmungen zum Rennwett- und Lotteriegesetz - RennwLottAB - vom 8. April 1922).
Demgegenüber hat sich der RFH auf § 4 AO bezogen, wonach bei der Auslegung der Steuergesetze außer dem Zweck auch ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen sind (vgl. jetzt § 1 Abs. 2 StAnpG). Indessen ist ein bewußtes Hinausgreifen über den klaren Wortsinn einer einzelstehenden Vorschrift (bei der also nicht durch Interpolation zweier Aussagen eine dritte Aussage gewonnen werden kann), im gegebenen Fall unter Außerachtlassen der im Zusammenhang der Rechtsordnung vorgegebenen Abgrenzung, keine Auslegung mehr (BFH-Urteil II 110/62 vom 28. November 1967, BFH 91, 132, BStBl II 1968, 216, und II 33/63 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 511). Erwägungen der Art, daß "Spiel und Wette als Mittel eines unverdienten Vermögensgewinns im wirtschaftlichen Leben des Volkes ... eine immer größere Bedeutung gewonnen" hätten und der Gesetzgeber in anderen Zusammenhängen "sein Augenmerk auf eine restlose Erfassung des unverdienten Vermögensgewinns gerichtet" habe, rechtfertigen nicht, eine Steuerquelle zu erschließen, die das Gesetz selbst nicht eröffnet hat.
Das gilt für das RennwLottG vom 8. April 1922 um so mehr, als die im Urteil vom 6. Oktober 1922 erwähnten Tatsachen dem Gesetzgeber nicht unbekannt sein konnten, es ihm somit freistand, die gleichen Wertungen anzustellen wie der RFH. Trotzdem wurde der Besteuerungstatbestand an die durch § 763 BGB, § 286 StGB festgelegten Begriffsmerkmale der Lotterie und der Ausspielung angeknüpft. Für die Identität dieser Merkmale sprechen weiterhin § 19 Abs. 2 RennwLottG, §§ 27, 41, 42 RennwLottAB, welche eindeutig Lose oder andere Spielausweise voraussetzen, und § 18 RennwLottG, § 28 RennwLottAB, welche Ausspielungen ohne Ausweise als Ausnahmen von der regelmäßigen Gestaltung einer Ausspielung behandeln. Wären alle Glücksspiele Ausspielungen im Sinne des § 17 RennwLottG, so müßte umgekehrt die Ausgabe von Losen oder Spielausweisen als zusätzlicher Sachverhalt erscheinen.
Das Roulettespiel und die diesem verwandten Spiele sind keine Ausspielungen (RGSt 14, 28; BGHSt 2, 274; 11, 209). Sie folgen zwar gewissen Spielregeln, aber nicht - wie der Begriff der Ausspielung voraussetzen würde (RGSt 62, 393 [394] unter Bezugnahme auf RGSt 55, 270; auch RGSt 67, 397; ferner BGHSt 3, 99 [104]; 9, 39; unter Abgrenzung zum Lotteriebegriff RGSt 18, 342 [345]; Oberlandesgericht Braunschweig, NJW 1954 S. 1777) - einem einseitig vom Veranstalter festgelegten Spielplan (vgl. Lackner-Maassen, a. a. O., § 286 Anm. 1; Mezger-Blei, a. a. O., S. 219; Schönke-Schröder, a. a. O., § 286 Rdnrn. 3, 9; Schwarz-Dreher, a. a. O., § 286 Anm. 1 B; siehe auch Leipziger Kommentar § 286 Anm. 2 zu b). Ein solcher Spielplan bestimmt den Gegenstand des Spieles und die Gewinnchancen in anderer Weise als die Spielregeln des Roulettes, obschon auch diese nicht in freier Vereinbarung der Spieler zustandekommen. Beim Roulette steht die Höhe des Einsatzes - unbeschadet einer vom Veranstalter festgelegten oberen und unteren Grenze - im Belieben des Spielers; er kann auf eine Mehrzahl von Chancen unterschiedlichen Risikos setzen und sein etwaiger Spielerfolg drückt sich in einem je nach der Art des gewählten Risikos unterschiedlichen Vielfachen seines Einsatzes aus. In den vom Veranstalter gesetzten Grenzen bestimmt der Spieler also selbst durch die Art und Höhe seines Einsatzes das Risiko und die Höhe seines etwaigen Gewinnes. Bei einer Ausspielung dagegen werden - dem Wortsinn dieses Ausdrucks entsprechend (vgl. RGSt 10, 245) - Gewinne "ausgespielt", deren Art und Höhe der Veranstalter autonom festsetzt. Bei der Ausspielung kann der Spieler allenfalls durch mehrere Einsätze (deren Höhe der Veranstalter festlegt) seine Chance quantitativ erhöhen, aber nicht qualitativ die Art des Risikos und dadurch zugleich die Höhe möglichen Gewinns aus einem einzigen Einsatz bestimmen.
Das von den Klägern in Gesellschaft bürgerlichen Rechts veranstaltete Spiel war daher keine Ausspielung im Sinne des § 17 RennwLottG. Es war, wie keiner weiteren Begründung bedarf, auch keine Lotterie. Folglich ist Lotteriesteuer nicht angefallen; die Kläger durften für eine solche nicht in Haftung genommen werden. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO) waren somit die Haftungsbescheide samt den Einspruchsentscheidungen aufzuheben (§ 100 FGO). Damit erweisen sich die Anschließungen des Beklagten (§ 293 AO a. F., § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO) als unbegründet; sie waren daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO), ohne daß es auf die streitige Frage, ob die Hauptsache des finanzgerichtlichen Verfahrens teilweise erledigt war, ankäme. Die Kosten sämtlicher Rechtszüge waren gemäß § 135 Abs. 1 FGO dem Beklagten aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 412924 |
BStBl II 1968, 829 |