Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Rotfäule kann zu Waldnutzungen infolge höherer Gewalt im Sinn von § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG 1953 nur insoweit führen, als sie Schäden verursacht, die die Summe der im forstwirtschaftlichen Betrieb des Steuerpflichtigen regelmäßig und üblich anfallenden Schäden mengenmäßig in erheblichem Umfang übersteigen.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 3 S. 3, § 34b/1/2
Tatbestand
Streitig ist, ob der Steuerpflichtige (Stpfl.) die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG 1953 - EStG - für Kalamitätsnutzungen im Wirtschaftsjahr 1954/55 aus einem von Rotfäule befallenen, durchschnittlich 98jährigen Fichtenbestand in Anspruch nehmen kann.
Der Stpfl. - ein buchführender Land- und Forstwirt - erwarb im Jahr 1936 das Gut G., dessen gesamte bewirtschaftete Fläche 354,70 ha beträgt, wovon 258,50 ha Waldfläche sind. Der nach einem im Jahr 1952 für die Jahre 1952 bis 1961 erstellten Betriebswerk festgesetzte jährliche Hiebsatz beträgt 770 fm. Im Wirtschaftsjahr 1954/55 nahm der Stpfl. einen Gesamteinschlag von 1024 fm vor. Er beantragte, von dem eingeschlagenen Holz 439 fm als Kalamitätsnutzung anzusehen. Das Finanzamt erkannte nur eine Kalamitätsnutzung für 65 fm Holz an, die durch Sturmeinwirkung veranlaßt war. Für die wegen Rotfäule vorgenommene Waldnutzung von 374 fm, die einen Reinerlös von 33.398,20 DM erbrachte, lehnte es die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG ab, weil eine Einwirkung höherer Gewalt nicht vorgelegen habe.
Der Stpfl. ist der Ansicht, daß die auf einer Fläche von ca. 5,2 ha seines Fichtenbestandes aufgetretene Rotfäule ein Naturereignis im Sinne von § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG sei. Der in den Wirtschaftsjahren 1953/54 bis 1955/56 vorgenommene Kahlschlag des mit Rotfäule befallenen Fichtenbestandes sei zwar in dem Betriebswerk aus dem Jahre 1952 nicht vorgesehen gewesen. Um weiteren Schaden zu verhüten, habe er aber einen großen Teil des im Betriebsplan noch nicht hiebreifen, rotfaulen Holzes vorzeitig einschlagen müssen.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht gab dem Stpfl. jedoch in vollem Umfang recht und begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Die Aufzählungen der Waldnutzungen infolge höherer Gewalt in § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG dienten nur als Beispiele. Der Reichsfinanzhof habe das in seiner Entscheidung VI 149, 150/40 vom 31. Juli 1940 (Steuer und Wirtschaft 1940 Nr. 378) ausgesprochen und das Abholzen eines noch nicht schlagreifen Waldbestandes wegen Rotfäule als außerordentliche Waldnutzung infolge höherer Gewalt anerkannt. Die Kammer schließe sich dieser Auffassung an. Ein menschliches Versagen bei der Anpflanzung, die vor 80 bis 100 Jahren erfolgt sei, liege nicht vor, da die Forstwissenschaft damals, besonders hinsichtlich der Standortwahl noch nicht die Erkenntnisse der heutigen Forstwirtschaft gehabt habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob nur das erstmalige Auftreten von Rotfäule (vgl. Eckhardt, Die Besteuerung der Forstwirtschaft nach § 34 b EStG, S. 40) ein Naturereignis im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG sei, da im Streitfall die Rotfäule zum ersten Mal aufgetreten sei. Die abgetriebenen Bestände seien nach dem Betriebsplan nicht hiebreif gewesen. Im übrigen müßten Kalamitätsnutzungen auch dann anerkannt werden, wenn sie hiebreifes Holz umfaßten.
Der Vorsteher des Finanzamts vertritt in seiner Rb. die Auffassung, daß Rotfäule kein Naturereignis darstelle, sondern auf ein menschliches Versagen bei der Anpflanzung und Pflege zurückzuführen sei. Der Stpfl. hätte bei der normalen Durchforstung das langsame Fortschreiten der Rotfäule rechtzeitig erkennen und den Kahlabtrieb vermeiden können. Der Bundesfinanzhof habe im nicht veröffentlichten Urteil IV 35/55 vom 14. Juni 1956 das Abholzen eines Bestandes wegen Rotfäule für sich allein nicht als außerordentliche Waldnutzung anerkannt. Außerdem halte sich nach den Feststellungen des forstwirtschaftlichen Sachverständigen der Oberfinanzdirektion, der die Meldung des Stpfl. an Ort und Stelle überprüft habe, der Befall mit Rotfäule im normalen Rahmen. Der Einschlag an rotfaulen Beständen liege im Rahmen der planmäßigen Nutzung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Nach dem Urteil des Senats IV 401/58 S vom 24. August 1961 (BStBl 1962 III S. 28, Slg. Bd. 74 S. 69) gehören zu den Waldnutzungen (Holznutzungen) infolge höherer Gewalt (Kalamitätsnutzungen) im Sinn von § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG alle Nutzungen, die infolge von Naturereignissen der im Gesetz bezeichneten oder ähnlicher Art anfallen und zu einem Holzanfall führen, der über die mit dem forstwirtschaftlichen Betrieb verbundenen natürlichen und üblichen Schäden, sog. Totalitätsschäden, hinausgeht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 138/60 S vom 11. April 1961, BStBl 1961 III S. 276, Slg. Bd. 73 S. 18). Klarstellend wird bemerkt, daß nach diesen Entscheidungen nur der Teil dieser Nutzungen steuerlich begünstigt ist, der die Summe der im forstwirtschaftlichen Betrieb des Stpfl. regelmäßig und üblich anfallenden Schäden in erheblichem Umfang mengenmäßig übersteigt.
Der Senat führte in der Entscheidung IV 401/58 S weiterhin aus, daß es sich bei den Naturereignissen nicht um plötzlich oder katastrophenartig auftretende Ereignisse zu handeln braucht, wie sich aus dem im Gesetz aufgeführten Beispiel des Insektenfraßes ergibt; auch schleichende Krankheiten wie etwa Rotfäule oder andere infektiöse Holzkrankheiten, führen, soweit sie über das normale Maß hinausgehen und auf Grund forstwirtschaftlicher Erfahrungen nicht mit Erfolg bekämpft werden können, zu Kalamitätsnutzungen. Der Senat bezog sich auf das vom Finanzgericht angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs VI 149, 150/40 und auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 1540/30 vom 15. Oktober 1930 (besprochen in "Der deutsche Forstwirt", 1940, S. 816).
Die Auffassung des Vorstehers des Finanzamts, aus dem Begriff der höheren Gewalt sei abzuleiten, daß das schädigende Naturereignis nicht voraussehbar sein dürfe, ist nicht zutreffend. Denn auch solche Naturereignisse, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten und deshalb voraussehbar sind, führen zu steuerbegünstigten Kalamitätsnutzungen, wenn die durch das Naturereignis veranlaßten Nutzungen einen nicht unbedeutenden Umfang haben. Es ist zwar richtig, daß Schäden, die sich bei einer ordnungsmäßig durchgeführten Forstwirtschaft hätten vermeiden lassen, unter Umständen nicht zu steuerbegünstigten Kalamitätsnutzungen führen. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 401/58 S wird aber darauf hingewiesen, daß bei der Beurteilung des Verschuldens der Forstwirte und der Abwendbarkeit der Schäden kein strenger Maßstab anzulegen und nur bei groben Verstößen gegen die anerkannten Grundsätze einer ordnungsmäßigen forstwirtschaftlichen Betriebsführung die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG zu versagen ist.
Die Rotfäule ist wie der Eichenbaumschwamm eine schleichende Infektionskrankheit, die durch den von der Wurzel aus stammwärts vordringenden, das gesunde Holz zersetzenden und entwertenden Rotfäulepilz hervorgerufen wird (vgl. die Abhandlung von Döbele im Holz-Zentralblatt vom 26. September 1962 Nr. 116). Das Holz, das von der Rotfäule befallen wird, zeigt zunächst braun-violette Streifen und wird später gleichmäßig braun. Zuletzt zerfällt das Holz zu einer braunen Masse, in der noch Holzfasern zu erkennen sind. Schließlich löst sich der Rest in dunklen Moder auf. Die Rotfäule befällt die Fichte und Forche, seltener die Tanne und die übrigen Nadelhölzer, sowie einige Laubhölzer (vgl. die Abhandlung von Koch, Probleme um die Rotfäule, Kosmos, 1959 Heft 2 S. 73).
Wie der Rotfäulepilz den Baum befällt, ist von der Forstwissenschaft noch nicht eindeutig geklärt. Der Rotfäulepilz ist schwer erkennbar. Es besteht zwar die Möglichkeit, an den sog. Flaschenhalswüchsen den Befall mit Rotfäule festzustellen und durch Anklopfen und Abhorchen der Bäume beginnende Rotfäule zu vermuten. Eine zuverlässige Feststellung der Krankheit ist jedenfalls im allgemeinen erst in einem ziemlich späten Stadium möglich (vgl. Döbele, Holz-Zentralblatt vom 28. September 1962 und 3. Oktober 1962 Nr. 117 und 119). Das räumt auch die Stellungnahme des forstwirtschaftlichen Sachverständigen der Oberfinanzdirektion ein. Vorbeugungsmaßnahmen sind nach den jetzigen Erkenntnissen der Forstwissenschaft so gut wie ausgeschlossen.
Bei dieser Sachlage muß Rotfäule in der Regel als eine zu Kalamitätsnutzungen führende schleichende Infektionskrankheit angesehen werden, soweit sie Schäden verursacht, die die Summe der im Betrieb des Stpfl. regelmäßig und üblich anfallenden Schäden mengenmäßig in erheblichem Umfang übersteigen. Soweit der Senat in der nicht veröffentlichten Entscheidung IV 35/55 vom 14. Juni 1956 eine andere Auffassung vertrat, hält er daran nicht fest. Schon deshalb, weil im Streitfall Rotfäule zum ersten Mal auftrat, kann dem Stpfl. wegen der schweren Erkennbarkeit der Krankheit kein grobes Verschulden vorgeworfen werden.
Ohne Bedeutung ist es schließlich, ob es sich bei den eingeschlagenen Bäumen um hiebreife Bestände handelte. Denn Kalamitätsnutzungen können, wie der Senat in den Urteilen IV 476 - 478/53 U vom 31. Mai 1954 (BStBl 1954 III S. 229, Slg. Bd. 59 S. 52) und IV 29/52 S vom 7. Oktober 1954 (BStBl 1954 III S. 345, Slg. Bd. 59 S. 348) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs darlegte, auch dann vorliegen, wenn das auf höhere Gewalt beruhende Ereignis einen hiebreifen Bestand beeinträchtigt.
Die Vorinstanz hätte prüfen müssen, in welchem Umfang es sich um Nutzungen oder Schäden handelte, die als regelmäßig auftretend anzusehen und daher nicht steuerbegünstigt sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 138/60 S). Nur insoweit, als die wegen Rotfäule vorgenommenen Waldnutzungen die Summe der sog. Totalitätsnutzungen mengenmäßig in erheblichem Umfang übersteigen, können Kalamitätsnutzungen im Sinn von § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG anerkannt werden. Gegen die Auffassung des Finanzgerichts, ein Rotfäulebefall mit durchschnittlich 17 v. H. des eingeschlagenen Holzes und rund 70 v. H. der Stockabschnitte halte sich nicht im normalen Rahmen, bestehen keine Bedenken. Trotzdem besteht die Möglichkeit, daß auch Rotfäuleschäden mit einem bestimmten Erfahrungssatz mengenmäßig in die Summe der im Forstbetrieb des Stpfl. regelmäßig und üblich anfallenden Schäden einzubeziehen sind. Die Vorentscheidung, die insoweit von anderen Rechtsgrundsätzen ausging, und die Einspruchsentscheidung müssen deshalb aufgehoben werden.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das Finanzamt, an das die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen wird, wird nach Anhörung eines Sachverständigen zu prüfen haben, in welcher Höhe im Gesamtanfall der Waldnutzungen mengenmäßig nicht tarifbegünstigte Totalitätsnutzungen enthalten sind. Hierbei sind, wie der Senat in seiner Entscheidung IV 401/58 S ausführte, die individuellen Verhältnisse und die Erfahrungen während einer langen Reihe von Jahren im einzelnen Betrieb angemessen zu berücksichtigen. Die von der Finanzverwaltung für bestimmte, größere Gebiete aufgestellten Pauschsätze, die von einem bestimmten Prozentsatz des Hiebsatzes ausgehen, können dabei als Erfahrungstatsachen berücksichtigt werden. Sollte das Finanzamt zu dem Ergebnis kommen, daß die steuerbegünstigten Kalamitätsnutzungen im Wirtschaftsjahr 1954/55 niedriger sind als das zu versteuernde Einkommen, so wird es auch zu prüfen haben, in welcher Höhe steuerbegünstigte Kalamitätsnutzungen im Gewinnanteil 1954 des Wirtschaftsjahres 1953/54, für die der Stpfl. ebenfalls die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 Satz 3 EStG beantragte, enthalten sind. Diese Prüfung unterblieb bisher vom Finanzgericht, weil die von ihm festgestellten anteiligen Kalamitätsnutzungen aus dem Wirtschaftsjahr 1954/55 höher als das zu versteuernde Einkommen waren.
Fundstellen
BStBl III 1964, 119 |
BFHE 1964, 299 |
BFHE 78, 299 |
StRK, EStG:34/3 R 19 |