Leitsatz (amtlich)
Bei Gesellschafterdarlehen an eine überschuldete GmbH handelt es sich grundsätzlich nicht um verdecktes Stammkapital. Die angefallenen Zinsen und die Gesellschaftsteuer mindern den Gewinn der Gesellschaft.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, war im Jahre 1958 mit einem Stammkapital von 30 000 DM gegründet worden. Zur Abwendung des seit dem Jahre 1960 wegen Überschuldung drohenden Konkurses wurden der Klägerin von dem damaligen alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer Darlehen in Höhe von insgesamt 140 000 DM zur Verfügung gestellt, welche die Klägerin zusammen mit den vereinbarten und in den ersten Jahren gutgeschriebenen Zinsen von 5 % der Darlehenssumme passivierte (zum 31. Dezember 1968: 184 236 DM, zum 31. Dezember 1969: 132 685 DM).
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) setzte die für das Streitjahr 1969 als Betriebsausgaben geltend gemachten Zinsen (8 709 DM) und die im Jahre 1969 für das Darlehen festgesetzte Gesellschaftsteuer (2 118 DM) dem Gewinn wieder hinzu, da es sich bei den Gesellschafterdarlehen um verdecktes Stammkapital handele. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Die Klage zum FG führte zur Aufhebung des Körperschaftsteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung und zur Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 DM. Die Vorentscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 492 veröffentlicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des FA, das beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1969 auf 3 303 DM festzusetzen. Die Darlehen seien entgegen der Auffassung des FG für die Zeit der Überschuldung vorübergehend wie Stammkapital zu behandeln. Der BGH habe in den Urteilen vom 14. Dezember 1959 II ZR 187/57 (BGHZ 31, 258, NJW 1960, 285), vom 15. November 1962 II ZR 134/61 (GmbH-Rundschau 1963 S. 208 - GmbHR 1963, 208 -) und vom 29. November 1971 II ZR 121/69 (StRK, Kapitalverkehrsteuergesetz, § 3, Rechtsspruch 80; DB 1972, 331) die grundlegende Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter durchbrochen und der Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter bei der Finanzierung insoweit Grenzen gesetzt, als er Darlehen im Falle der Überschuldung dem haftenden Kapital hinzugerechnet habe. Der Gesetzgeber plane, die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung in das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zu übernehmen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie trägt noch vor, daß es ihr bereits ab Oktober 1966 wieder möglich gewesen wäre, Bankkredite zu erhalten. In dem vom FA angeführten Entwurf eines GmbHG sollten Gesellschafterdarlehen auch nur im Falle des Konkurses wie haftendes Kapital behandelt werden und nur, soweit dies für den Gläubigerschutz erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Im Streitfall ist es weder aus zivilrechtlichen noch aus wirtschaftlichen Erwägungen gerechtfertigt, die Gesellschafterdarlehen dem Stammkapital gleichzustellen. Die Zinsen und die Gesellschaftsteuer mindern daher den Gewinn der Klägerin (§§ 4 Abs. 4 EStG i. V. m. 6 Abs. 1 Satz 1 KStG).
1. Die Gesellschafter einer GmbH können zu dieser gesellschaftsrechtliche und schuldrechtliche Beziehungen unterhalten. Es bleibt ihnen - bei Beachtung des in § 5 Abs. 1 GmbHG vorgeschriebenen Mindestkapitals - grundsätzlich unbenommen, nicht nur den Umfang der für die Geschäftstätigkeit erforderlichen Finanzausstattung, sondern auch die Art der Mittelzuführung durch Einlage gegen Anteilsrechte oder durch Gewährung von Darlehen zu bestimmen; eine Nachschußpflicht sieht das GmbHG für den Fall der Unterkapitalisierung oder der Überschuldung der Gesellschaft nicht vor. Diese Grundsätze gelten auch für den Alleingesellschafter einer GmbH (ständige Rechtsprechung des BGH, z. B. Urteil II ZR 187/57).
Die steuerrechtlichen Folgen richten sich in der Regel nach der gewählten bürgerlich-rechtlichen Gestaltung. Nach der Rechtsprechung des BFH können Darlehen nur ausnahmsweise als verdecktes Stammkapital behandelt werden, wenn besondere - gegebenenfalls vom FA darzulegende - Umstände ergeben, daß im Einzelfall aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Form der Zuführung von Gesellschaftskapital allein möglich, also zwingend gewesen ist (z. B. BFH-Urteile vom 13. Januar 1959 I 44/57 U, BFHE 68, 515, BStBl III 1959, 197, und vom 28. Oktober 1964 I 198/62 U, BFHE 81, 329, BStBl III 1965, 119 - zur Körperschaftsteuer -), oder wenn sich die schuldrechtliche Vertragsgestaltung als so ungewöhnlich erweist, daß sie als Gestaltungsmißbrauch i. S. von § 6 StAnpG angesehen werden muß (z. B. BFH-Urteil vom 10. März 1972 III R 52/69, BFHE 105, 160, BStBl II 1972, 518 - zur Einheitsbewertung des Betriebsvermögens -). Ob für eine Darlehensgewährung nach der Sondervorschrift des § 3 Abs. 1 KVStG a. F. Gesellschaftsteuer anfällt oder nicht, ist für die körperschaftsteuerrechtliche Beurteilung im übrigen unmaßgeblich (vgl. BFH-Urteile vom 20. August 1957 I 317/56 U, BFHE 65, 337, BStBl III 1957, 360, und vom 6. Oktober 1959 I 136/59 U, BFHE 70, 24, BStBl III 1960, 10).
2. Im Streitfall hat das FA keine Umstände vorgetragen, nach denen die Zuführung von Fremdkapital durch die Gesellschafter ausgeschlossen gewesen wäre. Die Einräumung besonderer Rückzahlungsbedingungen zur Vermeidung der Überschuldung der Gesellschaft rechtfertigt es grundsätzlich nicht, die Gewährung eines Darlehens rechtlich oder wirtschaftlich einer Erhöhung des Stammkapitals gleichzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1968 I 161/65, BFHE 93, 44, BStBl II 1968, 720). Der Gesellschafter der Klägerin hat in dem hier zu entscheidenden Fall nicht auf die Geltendmachung der Darlehensforderung verzichtet. Die Richtigkeit dieser Annahme des FG wird dadurch bestätigt, daß die sinkende Überschuldung es der Gesellschaft ermöglichte, bereits vor Beginn des Streitjahres einen Teil der Darlehensschuld zurückzuzahlen. Nach Auffassung des erkennenden Senats erscheint es bereits aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen, die rechtliche Zuordnung einer Kapitalzuführung und die darauf beruhende rechtliche Behandlung der Zinsen von der Dauer und dem jeweiligen Grad der Überschuldung der Gesellschaft abhängig zu machen und so - möglicherweise - einem ständigen Wechsel zu unterwerfen. Verdecktes Stammkapital könnte allenfalls dann vorliegen, wenn dem zugeführten Kapital in jeder Beziehung uneingeschränkt die Funktion von Stammkapital zukäme. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben.
a) Der erkennende Senat vermag dem FA nicht darin beizupflichten, daß die Qualifizierung als verdecktes Stammkapital zwingend aus dem Handelsrecht folge. Der BGH hat zwar in den angeführten Urteilen zur Abwendung der Überschuldung der Gesellschaft gewährte Gesellschafterdarlehen in begrenztem Umfang dem haftenden Kapital gleichgestellt. Es ist umstritten, ob durch diese Rechtsprechung, die ihren Niederschlag im Entwurf eines GmbHG gefunden hat, der schuldrechtliche Charakter der Darlehen als Fremdkapital vorübergehend in Frage gestellt wird (vgl. z. B. Sonnenberger, NJW 1969, 2033; Kamprad, Die Behandlung von Gesellschafterdarlehen an eine GmbH als verdeckte Stammeinlagen im Steuer- und Privatrecht, Dissertation, 1967, S. 133). Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu entscheiden. Die Darlehen werden handelsrechtlich nur insoweit "wie Stammkapital" behandelt, als dies aus Gründen des Gläubigerschutzes erforderlich erscheint. So ist die Gleichstellung zeitlich begrenzt auf die Dauer der Überschuldung der Gesellschaft; die spätere Rückzahlung als Darlehen begegnet auch nach der Rechtsprechung des BGH keinen rechtlichen Bedenken. Selbst während der Dauer der Überschuldung kommt dem Gesellschafterdarlehen nicht in jeder Hinsicht die Eigenschaft von Stammkapital zu. Die Zivilrechtsprechung hat lediglich im Verhältnis zu den übrigen Gesellschaftsgläubigern die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückzahlung ausgeschlossen. Die Gesellschafterrechte des Darlehensgläubigers werden durch die Kapitalzuführung nicht berührt. Selbst wenn das Fremdkapital handelsrechtlich in dem dargestellten Umfang wie Eigenkapital zu beurteilen ist, rechtfertigt diese hinsichtlich des zeitlichen und des persönlichen Geltungsbereichs eingeschränkte Gleichstellung nicht die Annahme verdeckten Stammkapitals mit der Folge der Versagung der Abzugsfähigkeit der Zinsen als Betriebsausgaben (ebenso Herrmann in Steuerberater-Jahrbuch 68/69 S. 177 [201]; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 KStG, Anm. 51 und 73; Kamprad, GmbH-Rundschau 1969 S. 81 [84]; anderer Auffassung Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 1968 S 2745-5-VB 4 - Gemeinsamer Ländererlaß -, GmbH-Rundschau 1968 S. 234; vgl. auch Steuererlasse in Karteiform, KStG § 6 vGA, Nr. 27; Lange, Verdeckte Gewinnausschüttungen, 4. Aufl., 1973, Anm. 246).
b) Wirtschaftliche Gründe, die einer steuerrechtlichen Anerkennung der zivilrechtlichen Gestaltung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Das Verhältnis von Stammkapital und Darlehensforderung nimmt der Kapitalzuführung grundsätzlich nicht ihren obligatorischen Charakter (vgl. BFH-Urteile I 136/59 U, I 198/62 U und vom 18. März 1966 IV 218/65, BFHE 84, 539, BStBl III 1966, 197, zu Sachverhalten mit ähnlichen oder ungünstiger gelegenen Verhältnissen). Ob es der Klägerin möglich gewesen wäre, sich die erforderlichen Mittel auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen, ist für die Entscheidung nicht ausschlaggebend (BFH-Urteil vom 20. März 1956 I 178/55 U, BFHE 62, 482, BStBl III 1956, 179; vgl. auch BFH-Urteile III R 52/69 und vom 22. Februar 1974 III R 5/73, BFHE 111, 534, BStBl II 1974, 330). Für die Annahme des Tatbestandes einer Steuerumgehung i. S. von § 6 StAnpG liegen keine Anhaltspunkte vor.
Fundstellen
Haufe-Index 71758 |
BStBl II 1976, 226 |
BFHE 1976, 467 |