Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vorsteuerabzug im Billigkeitswege aus Rechnungen für Scheinlieferungen
Leitsatz (NV)
Das Umsatzsteuergesetz erfasst nur tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge und nicht vorgetäuschte Umsätze. Es entspricht daher der gesetzlichen Wertung, dass aus Rechnungen, denen tatsächlich keine Lieferungen oder sonstigen Leistungen zugrunde liegen, kein Vorsteuerabzug zulässig ist.
Normenkette
AO §§ 163, 227; UStG §§ 14-15; EWGRL 388/77 Art. 17
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1997 im Leasinggeschäft tätig, u.a. auch im Baubereich. Sie kaufte von dem Unternehmer A Baumaschinen und verleaste diese an die B-GmbH (B). B war Organgesellschaft des Unternehmers C. C hatte dem A Rechnungen über verschiedene Baumaschinen ausgestellt.
Von der Klägerin unbemerkt, wurden mehrere Baumaschinen in betrügerischem Zusammenspiel zum Gegenstand von Kauf- und Leasingvereinbarungen gemacht, ohne dass die betreffenden Baumaschinen tatsächlich geliefert wurden.
Die der Klägerin von A in Rechnung gestellte Umsatzsteuer, der keine Warenlieferungen zugrunde lagen, beträgt insgesamt 326 850 DM. Die Klägerin machte diesen Betrag als Vorsteuer geltend.
Die Umsatzsteuer 1997 für die Klägerin wurde entsprechend der am 9. September 1998 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingegangenen Umsatzsteuererklärung festgesetzt.
A meldete die Umsatzsteuer aus den an die Klägerin gerichteten Rechnungen über Scheinlieferungen im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen an. Gleichzeitig machte er die Vorsteuer aus den Rechnungen des C über die Scheinlieferungen geltend, sodass aus diesen Geschäften für A keine oder jedenfalls keine wesentlichen Zahllasten resultierten.
Nach Aufdeckung der Scheingeschäfte hielt das für A zuständige FA nunmehr nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung gegenüber A an den angemeldeten Umsätzen fest und versagte den Abzug der Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen des C. Die dadurch entstehenden Umsatzsteuernachzahlungen konnten nicht beigetrieben werden.
Im Februar 2001 führte das FA bei der Klägerin eine Umsatzsteuersonderprüfung durch, in deren Verlauf der Prüfer Kenntnis davon erhielt, dass ein Teil der von der Klägerin abgerechneten Leasinggeschäfte ohne entsprechenden wirtschaftlichen Hintergrund waren. Er vertrat daraufhin die Auffassung, dass im Streitjahr ein Vorsteuerabzug in Höhe von 326 850 DM zu versagen sei und die Klägerin die von ihr der B in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG schulde. Das FA setzte die Umsatzsteuer 1997 mit Bescheid vom 14. Mai 2001 auf 711 994 DM fest.
Während des Einspruchsverfahrens beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuer nach § 163 der Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen und ihr u.a. den Vorsteuerbetrag von 326 850 DM zu belassen. Das FA lehnte dies ab.
Während des Klageverfahrens gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 1997 sowie die Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen setzte das zwischenzeitlich zuständig gewordene FA … am 8. März 2005 die Umsatzsteuer 1997 auf 364 418,18 € (712 740 DM) fest. Das Finanzgericht (FG) hat das Verfahren "betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer 1997" mit Beschluss vom 27. April 2006 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 2 K 2139/06 an das FG Düsseldorf verwiesen.
Im vorliegenden Verfahren betreffend den Billigkeitserlass machte die Klägerin geltend, ihr sei Vorsteuer für 1997 in Höhe von 326 850 DM im Billigkeitsweg zu belassen. Sie habe eine ordnungsgemäße Rechnung erhalten und aufgrund des Täuschungsmanövers nicht erkennen können, dass den abgerechneten Leistungen keine wirtschaftlichen Vorgänge zugrunde gelegen hätten. A sei vermögenslos und eine zivilrechtliche Geltendmachung des Schadens aussichtslos. Es könne ihr nicht angelastet werden, dass A die ordnungsgemäß angemeldete und von ihr, der Klägerin, bezahlte Umsatzsteuer mit Vorsteuern seines angeblichen Vorlieferanten verrechnet habe.
Das FA erklärte, die von A und C gemäß § 14 Abs. 3 UStG geschuldete Umsatzsteuer sei nicht beitreibbar.
Das FG wies die Klage ab (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1469). Das FA habe weder die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten, noch von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihr im Billigkeitswege für 1997 Vorsteuerbeträge in Höhe von 326 850 DM zu belassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG das FA nicht dazu verpflichtet, den begehrten Vorsteuerabzug für 1997 in Höhe von 326 850 DM aus Billigkeitsgründen zu gewähren.
1. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg zu gewähren sein, wenn der Gesetzeswortlaut die Entstehung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug an Voraussetzungen knüpft, deren Erfüllung im Einzelfall vom leistungsempfangenden Unternehmer unter Beachtung der Wertungen des Gesetzgebers nicht verlangt werden kann (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2002 V R 85/01, BFH/NV 2003, 829, m.w.N.).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Vielmehr entspricht es der gesetzlichen Wertung, dass aus Rechnungen, denen tatsächlich keine Lieferungen oder Leistungen zugrunde liegen, ein Vorsteuerabzug nicht zulässig ist. Denn das UStG erfasst nur tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge und nicht vorgetäuschte Umsätze.
Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie ist der Steuerpflichtige befugt, "die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen" abzuziehen, "die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden".
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) erstreckt sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist; vielmehr muss die ausgewiesene Steuer aufgrund der tatsächlich erbrachten Lieferung oder Leistung geschuldet werden (Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87 --Genius Holding--, Slg. 1989, I-4227). Der BFH hat sich dieser Rechtsprechung unter Aufgabe seiner früheren Rechtsauffassung angeschlossen (Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695).
Danach kann allein der Umstand, dass der Unternehmer die ihm in Rechnung gestellte, tatsächlich aber nicht aufgrund einer erbrachten Lieferung oder Leistung geschuldete Mehrwertsteuer bezahlt hat, eine Billigkeitsmaßnahme nicht rechtfertigen.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Abzug der umstrittenen Vorsteuerbeträge im Billigkeitsweg ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.
a) Die Klägerin beruft sich insoweit zu Unrecht auf das EuGH-Urteil vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03, C-355/03 und C-484/03 --Optigen-- (Slg. 2006, I-483). Der diesem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem des Streitfalles nicht vergleichbar und betrifft eine ganz andere Problematik. Denn dort ging es nicht um den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Scheinlieferungen, sondern um den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über tatsächliche Umsätze, die zu Lieferketten gehörten, an denen ohne Wissen der in den Ausgangsverfahren klagenden Gesellschaften ein Händler beteiligt war, der mehrwertsteuerpflichtig war, aber verschwand, ohne die Mehrwertsteuer an die Steuerbehörden entrichtet zu haben. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich von dem des Streitfalles ganz wesentlich dadurch, dass dort tatsächlich ein Leistungsaustausch stattgefunden hat und Mehrwertsteuer entstanden ist. In einem solchen Fall wird das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug dann nicht berührt, wenn er von dem betrügerischen Verhalten des an der Lieferkette beteiligten Händlers weder Kenntnis hatte noch haben konnte.
b) Das Klagebegehren ist auch nicht unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 15. März 2007 Rs. C-35/05 --Reemtsma-- (Slg. 2007, I-2425) gerechtfertigt. Auch insoweit sind die Sachverhalte nicht miteinander vergleichbar.
Reemtsma ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die von einem italienischen Unternehmen Werbe- und Marketingleistungen in Anspruch genommen hatte. Die Reemtsma zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer wurde von Reemtsma irrtümlich gezahlt und an den italienischen Fiskus entrichtet. Reemtsma verlangte nach Aufdeckung des Irrtums die Erstattung der Mehrwertsteuer, da diese in Deutschland geschuldet worden sei.
Der EuGH hat zunächst seine Rechtsprechung bestätigt, dass sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist. Auch seien die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Neutralität und Effektivität nicht verletzt, wenn der Dienstleistungsempfänger grundsätzlich eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen seinen Vertragspartner erheben müsse, um die rechtsgrundlos an diesen gezahlten Beträge erstattet zu bekommen. Nur dann, wenn ausnahmsweise die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich werde, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, könne der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Effektivität es gebieten, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörde richten könne (vgl. Randnr. 41 des Urteils).
In der Rechtssache Reemtsma war ausschlaggebend, dass die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer tatsächlich an den italienischen Fiskus entrichtet worden war. Auf die Zahlung der Mehrwertsteuer an den Fiskus hat der EuGH sowohl in Nr. 1 des Tenors als auch in Randnr. 28 der Entscheidungsgründe abgestellt. Eine Verpflichtung des Fiskus, eine Steuer zu erstatten, die gar nicht an ihn entrichtet worden ist, lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen.
Im Streitfall ist die in den umstrittenen Rechnungen des A ausgewiesene und von der Klägerin gezahlte Mehrwertsteuer nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht an das zuständige FA abgeführt worden. A hatte die entsprechenden Beträge zwar in seiner Umsatzsteuervoranmeldung erklärt. Er hat aber gleichzeitig Vorsteuerbeträge aus den entsprechenden Rechnungen des C abgezogen, denen tatsächlich keine Lieferungen zugrunde lagen.
Fundstellen
Haufe-Index 2159821 |
BFH/NV 2009, 1156 |
HFR 2009, 819 |