Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageänderung im Revisionsverfahren; Reichweite eines Einspruchs gegen einen (mehrere Festsetzungen umfassenden) Sammelbescheid
Leitsatz (amtlich)
Beantragt der Kläger im Klageverfahren, einen Vorläufigkeitsvermerk zu erweitern, und beantragt er im Revisionsverfahren, die Einkommensteuer herabzusetzen, liegt eine unzulässige Klageänderung i.S. der §§ 67, 123 FGO vor.
Die Reichweite eines Einspruchs gegen einen (mehrere Festsetzungen umfassenden) Sammelbescheid richtet sich nach der Beschwer, die sich aus der Begründung des Einspruchs ergibt (Anschluss an BFH-Urteil vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116).
Normenkette
FGO §§ 67, 118 Abs. 2, § 123; AO § 347
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die im Streitjahr 2002 zusammen veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch. Im Schriftsatz zur Einspruchseinlegung vom 25. November 2003 bezogen sich die früheren Bevollmächtigten der Kläger auf die "Einkommensteuer 2002" und führten aus, der Einspruch richte sich gegen die Höhe der Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, die nicht vollständig anerkannt worden seien.
In der Einspruchsentscheidung half der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) dem Begehren nur teilweise ab. Die Kläger erhoben mit Schriftsatz vom 5. Juli 2004 Klage. Im Rubrum des Schriftsatzes wurde als Gegenstand "wegen Einkommensteuer 2002" angeführt.
In einem Schreiben der früheren Bevollmächtigten an das Finanzgericht (FG) vom 10. August 2005 teilten diese mit, zwischen den Beteiligten sei eine tatsächliche Verständigung getroffen worden, die zum Abzug weiterer Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit führe. Es heißt in diesem Schreiben, die Kläger wollten im Hinblick auf ein Musterverfahren gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags "ihren bisherigen Klageantrag diesbezüglich erweitern".
Das FA erließ unter dem 13. September 2005 einen Änderungsbescheid und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Steuer wurde nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) teilweise vorläufig festgesetzt, unter anderem hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG.
Die Kläger erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht für erledigt, sondern rügten unter Hinweis auf ein beim FG Münster anhängiges Musterverfahren (Az. 12 K 6263/03 E) die Verfassungswidrigkeit der Festsetzung des Solidaritätszuschlags. Der Vorläufigkeitsvermerk des Änderungsbescheids decke ihr Rechtsschutzinteresse nicht ab, weil er sich nicht auf die einfachgesetzliche Auslegungsfrage erstrecke, ob Beiträge zu Rentenversicherungen nach Einführung des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) als Werbungskosten statt als Sonderausgaben zu behandeln seien, sondern nur die Frage einer Vereinbarkeit dieser Gesetzesauslegung mit höherrangigem Recht erfasse (Hinweis auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 2. August 2005 IV A 7 - S 0338 - 81/05, BStBl I 2005, 843, und vom 4. Oktober 2005 IV A 7 - S 0338 - 109/05, Deutsches Steuerrecht 2005, 1901).
In der mündlichen Verhandlung beim FG beantragten die Kläger, das Verfahren bis zum Abschluss des Musterverfahrens auszusetzen, hilfsweise die Festsetzung des Solidaritätszuschlags im Änderungsbescheid vom 13. September 2005 aufzuheben und die Einkommensteuer für das Streitjahr hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Beiträgen zur Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften vorläufig festzusetzen.
Das FG wies die Klage durch Prozessurteil des Einzelrichters ab. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1187 veröffentlicht. Die Aussetzung des Verfahrens sei nicht geboten, weil das angeführte Musterverfahren zum Solidaritätszuschlag für den Streitfall nicht vorgreiflich sei. Die Klage sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr zulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger nach Erlass des Änderungsbescheids im Klageverfahren entfallen sei. Der Klageantrag führe zu einer unzulässigen Klageänderung gemäß § 67 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da die Klageerweiterung erst nach Ablauf der Klagefrist vorgenommen worden sei. Es fehle auch die Durchführung des Vorverfahrens für das geänderte Klagebegehren.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Einspruch und Klage hätten sich gegen den gesamten Einkommensteuerbescheid und damit auch gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gerichtet. Das FG habe zu Unrecht das Klageverfahren nicht ausgesetzt. Das Musterverfahren sei vorgreiflich, weil die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung des Solidaritätszuschlags im Rahmen der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1708/06 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geprüft werde, welche sich gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juni 2006 VII B 324/05 (BFHE 213, 573, BStBl II 2006, 692) richte, der nach dem vorgreiflichen Verfahren beim FG Münster (12 K 6263/03 E) ergangen sei. Das Rechtsschutzbedürfnis sei nicht wegen der tatsächlichen Verständigung und deren Umsetzung im Änderungsbescheid vom 13. September 2005 entfallen. Die Ergänzung des Klägervortrags sei eine zulässige Klageerweiterung gemäß § 155 FGO i.V.m. § 264 Nr. 1 und Nr. 2 der Zivilprozessordnung.
Erstmals im Revisionsverfahren führen die Kläger aus, bei der Berechnung des Vorwegabzugs sei der Gesamtbetrag von 6 136 € zu Unrecht um die Einkünfte des Klägers gekürzt worden, obwohl die Klägerin im Streitjahr keine Einkünfte erzielt habe. Es komme nur eine Kürzung in Höhe von 3 068 € in Betracht.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Münster vom 18. November 2005 aufzuheben, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags im Einkommensteuerbescheid vom 13. September 2005 aufzuheben und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verständigung vom 10. August 2005 und der von den Klägern gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten die Einkommensteuer 2002 auf 103 578 € herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Auslegung der Einspruchsschrift ergebe, dass die Festsetzung des Solidaritätszuschlags nicht angefochten worden sei. Eine Auslegungsregel, dass bei Anfechtung eines Steuerbescheids stets auch die Festsetzung des Solidaritätszuschlags angefochten werde, existiere nicht und entspreche nicht der Rechtspraxis. Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags sei bestandskräftig geworden, so dass die Aussetzung des Klageverfahrens nicht geboten gewesen sei. Auch sei kein Vorverfahren durchgeführt worden. Das FG habe zutreffend das Rechtsschutzbedürfnis verneint.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision hat keinen Erfolg und wird deshalb als unbegründet zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Unzulässig ist der erstmals im Revisionsverfahren gestellte Antrag der Kläger, die Einkommensteuer 2002 auf 103 578 € herabzusetzen, weil die Rentenversicherungsbeiträge als vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften abzuziehen und ein Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 EStG nur in Höhe von 3 068 € vorzunehmen sei. Dieser Antrag führt zu einer unzulässigen Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 123 Abs. 1 FGO).
a) Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig. Der Übergang von einer Anfechtungs- zu einer Verpflichtungsklage ist grundsätzlich eine Klageänderung gemäß § 67 FGO (vgl. BFH-Entscheidungen vom 19. Mai 1972 III R 138/68, BFHE 106, 8, BStBl II 1972, 703 zum Übergang von einer Anfechtungsklage gegen einen Vermögensteuerbescheid zu einer Verpflichtungsklage auf Änderung eines Einheitswertbescheids; vom 23. März 1994 I B 170/93, BFH/NV 1995, 36 zum Übergang von einer Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid zu einer Verpflichtungsklage auf Festsetzung der Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen; vom 19. Mai 2004 III R 35/02, BFH/NV 2005, 60 zum Übergang von einer Anfechtungsklage gegen einen Zusammenveranlagungsbescheid zu einer Verpflichtungsklage auf Durchführung der getrennten Veranlagung; zu einem Ausnahmefall BFH-Urteil vom 9. August 1989 II R 145/86, BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981; Stöcker in Beermann/Gosch, FGO § 67 Rz 21).
b) Dies gilt auch für die im Streitfall vorliegende umgekehrte Konstellation des Übergangs von einem Verpflichtungs- zu einem Anfechtungsbegehren.
aa) Die Kläger haben im FG-Verfahren beantragt, den Vorläufigkeitsvermerk zum Änderungsbescheid vom 13. September 2005 wegen der Nichtabziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen auf die Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts zu erweitern. Die Klage auf Erlass oder Erweiterung eines Vorläufigkeitsvermerks ist eine Verpflichtungsklage (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 165 AO Rz 35). Im Revisionsverfahren haben sie die endgültige Herabsetzung der Einkommensteuer beantragt. Hierin liegt der Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Anfechtungsklage.
bb) Zwar ist der Vorläufigkeitsvermerk eine unselbstständige Nebenbestimmung zum Einkommensteuerbescheid (Senatsurteil vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278). Der Vorläufigkeitsvermerk betrifft unmittelbar den Inhalt (Regelungsgehalt) des Steuerbescheids, dem er beigefügt ist, weil er eine Aussage über die Verbindlichkeit und Endgültigkeit der Steuerfestsetzung trifft. Dies hat zur Folge, dass ein Streit um die Beifügung oder Erweiterung eines Vorläufigkeitsvermerks die Rechtmäßigkeit der gesamten Steuerfestsetzung betrifft und demzufolge bei Streitigkeiten nicht etwa der Vorläufigkeitsvermerk als Verwaltungsakt, sondern der Einkommensteuerbescheid insgesamt Verfahrensgegenstand ist.
Dennoch ist der Übergang vom ursprünglichen Antrag im Klageverfahren, einen Vorläufigkeitsvermerk zu erweitern, zum Antrag, die Einkommensteuer im Revisionsverfahren herabzusetzen, eine unzulässige Klageänderung i.S. der §§ 67, 123 FGO. Keine Klageänderung läge vor, wenn es sich bei dem Antrag des Klägers um die rein betragsmäßige Erweiterung oder Herabsetzung des Begehrens, die Einkommensteuerfestsetzung zu ändern oder um die Erweiterung oder Beschränkung des Begehrens, eine weitere Besteuerungsgrundlage anzugreifen oder den Angriff hiergegen fallen zu lassen, handeln würde (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 67 Rz 7; Tipke in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 67 FGO Rz 3; Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O., § 67 Rz 28-37). Der Antrag der Kläger, einen Vorläufigkeitsvermerk zu erweitern, stellt aber ein davon zu unterscheidendes Klageziel dar, selbst wenn hierzu auch die Einkommensteuerfestsetzung als solche anzufechten ist. Denn die Erweiterung des Vorläufigkeitsvermerks ist ein "aliud" im Vergleich zu einer Herabsetzung der Steuerfestsetzung. Mit der Ermessensentscheidung, die Steuer vorläufig festzusetzen, wird die Bestandskraft punktuell hinausgeschoben. Der Antrag, die Steuer auf einen bestimmten Betrag herabzusetzen, ist eine gebundene Entscheidung, die auf eine endgültige Steuerfestsetzung gerichtet ist.
cc) Eine Änderung des Klagebegehrens ist mit den Grundsätzen des Revisionsrechts unvereinbar. Das Wesen des Revisionsverfahrens besteht darin, die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung zu überprüfen. Eine solche Entscheidung liegt aber nur insoweit vor, als sie durch den Klageantrag angestrebt war. Über ein Begehren, das --wie hier-- erstmals im Revisionsverfahren erhoben wird, ist gerichtlich noch nicht entschieden, so dass es insoweit an einem Gegenstand der revisionsrichterlichen Nachprüfung fehlt (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile vom 4. April 1974 IV R 7/71, BFHE 112, 331, BStBl II 1974, 522; vom 21. April 1983 IV R 217/82, BFHE 138, 292, BStBl II 1983, 532; vom 25. August 1993 XI R 6/93, BFHE 172, 91, BStBl II 1994, 23; vom 19. Oktober 2006 III R 6/05, BFHE 215, 222, BStBl II 2007, 301).
2. Die Revision hinsichtlich des Solidaritätszuschlags ist zurückzuweisen.
a) Die Annahme des FG, der von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger gegen den "Einkommensteuerbescheid 2002" eingelegte Einspruch vom 25. November 2003 habe sich ausschließlich gegen die damalige Einkommensteuerfestsetzung gerichtet, hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
aa) Die Auslegung eines Einspruchs ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden. Das Revisionsgericht kann die Auslegung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 18. Januar 2007 IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509; vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 48). Revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist indes, ob ein Einspruch auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (vgl. BFH-Urteile vom 28. November 2001 I R 93/00, BFH/NV 2002, 613; vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6; vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116).
Fehlt es hingegen bei einer Einspruchsschrift an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 8. Mai 2007 X B 43/06, BFH/NV 2007, 1499; vom 24. Juli 2006 IX B 208/05, BFH/NV 2006, 2269; vom 19. Juli 2005 XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68; vom 27. Mai 2004 IV R 48/02, BFHE 206, 211, BStBl II 2004, 964; in BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 24. August 2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035; vom 6. Juli 2005 XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029; in BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116).
bb) Der mit dem Einspruch angefochtene Bescheid vom 30. Oktober 2003 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer ist ein sog. Sammelbescheid. Alle Steuerfestsetzungen stehen hierin selbstständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid verbunden. Die Steuerfestsetzungen können je nach Rechtsschutzbegehren grundsätzlich unabhängig voneinander angefochten werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1509; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 347 AO Rz 77). Gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolzG) können mit einem Rechtsbehelf gegen den Solidaritätszuschlag weder die Bemessungsgrundlage noch die Höhe des zu versteuernden Einkommens angegriffen werden. Die Einkommensteuerfestsetzung ist Grundlagenbescheid für die Höhe des Solidaritätszuschlags (§ 1 Abs. 5 Satz 2 SolzG). Die Anfechtung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags aus verfassungsrechtlichen Gründen muss sich hingegen gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags selbst richten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 213, 573, BStBl II 2006, 692).
cc) Ausgehend von dieser Sachlage ist die vom FG vorgenommene Auslegung, der mit Schreiben vom 25. November 2003 eingelegte Einspruch sei nicht auslegungsbedürftig und habe sich ausschließlich gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und nicht gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gerichtet, nicht zu beanstanden.
Der VI. Senat hat mit Urteil in BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116 für die Frage der Auslegungsbedürftigkeit des Einspruchs gegen einen Sammelbescheid entscheidend darauf abgestellt, auf welche Beschwer die Begründung des Einspruchs gestützt wird. Die Auslegungsbedürftigkeit folgt hiernach nicht schon daraus, dass der Einspruch sich gegen einen Sammelbescheid richtet und theoretisch alle darin enthaltenen Festsetzungen angefochten sein könnten. Ausgehend von diesem Maßstab, dem der Senat folgt, hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Einspruch vom 25. November 2003 nicht auslegungsbedürftig war. Die Kläger haben damals zur Begründung vorgetragen, ihr Einspruchsbegehren sei auf die Anerkennung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gerichtet und nicht zu erkennen gegeben, dass sie die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für verfassungswidrig halten und dessen Festsetzung angreifen wollen. Für den damaligen Willen der Kläger, mit dem Einspruch vom 25. November 2003 nur die Einkommensteuerfestsetzung anfechten zu wollen, spricht im Übrigen der weitere Geschehensablauf. Die Anfechtung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags wurde erstmals im Schreiben der früheren Bevollmächtigten vom 10. August 2005 angekündigt mit der Erklärung, der "bisherige" Klageantrag werde erweitert.
dd) Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags dem Grunde nach war jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig (§ 351 Abs. 1 AO i.V.m. § 42 FGO).
b) Das FG hat demzufolge zutreffend das Verfahren betreffend Einkommensteuer nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt, weil das Musterverfahren zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags nicht vorgreiflich war. Aufgrund der eingetretenen Bestandskraft konnte sich der Ausgang des Musterverfahrens nicht mehr auf das Klageverfahren auswirken (Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz 12, m.w.N.).
c) Zutreffend sind auch die Ausführungen des FG zur Unzulässigkeit der Klageänderung. Die Kläger haben erstmals vor dem FG neben der Einkommensteuerfestsetzung nach Ergehen des Änderungsbescheids unter dem 13. September 2005 die Festsetzung des Solidaritätszuschlags dem Grunde nach angefochten. Hierin liegt die erstmalige Anfechtung einer weiteren selbstständigen Festsetzung dieses Sammelbescheids im Klageverfahren. Eine Klageänderung gemäß § 67 FGO liegt auch vor, wenn im Wege der Klagehäufung gemäß § 43 FGO ein weiterer Klagegegenstand in das Verfahren eingeführt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981; Gräber/von Groll, a.a.O., § 67 Rz 7; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 67 FGO Rz 2; Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O., § 67 Rz 17). Die Klageänderung war unzulässig, weil zu diesem Zeitpunkt die Klagefrist bereits abgelaufen war (vgl. zu dieser Einschränkung Gräber/von Groll, a.a.O., § 67 Rz 11). Es kommt demnach auf die weitere Revisionsrüge, das FG habe zu Unrecht das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Aufhebung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags verneint, nicht mehr an.
3. Es kann dahinstehen, ob das FG hinsichtlich des ursprünglichen Antrags, den Vorläufigkeitsvermerk zur Einkommensteuerfestsetzung im Änderungsbescheid vom 13. September 2005 zu erweitern, zutreffend das Rechtsschutzbedürfnis verneint und die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat. Der BFH kann bei mehreren Streitgegenständen über die Revision zu den einzelnen Streitgegenständen nur entscheiden, wenn sich die Revisionsrügen gesondert auf die einzelnen Streitgegenstände beziehen und das Revisionsbegehren für jeden Streitgegenstand zulässig ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 58, und BFH-Urteil vom 8. Februar 1989 II R 85/86, BFHE 160, 1, BStBl II 1990, 587). Die Revisionsbegründung der Kläger enthält zu dem ursprünglichen Antrag im Klageverfahren, den Vorläufigkeitsvermerk zu erweitern, keine konkreten Ausführungen zu etwaigen Rechtsfehlern des FG. Sie führen lediglich an, das FG sei in seiner Urteilsbegründung auf die Abzugsfähigkeit der Rentenversicherungsbeiträge nicht gesondert eingegangen, ohne dies in der Revisionsbegründung zu vertiefen. Der Senat versteht die Kläger daher in der Weise, dass sie insoweit keine Revision erhoben haben.
4. In der Sache weist der Senat auf die zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des BVerfG zu den einzelnen Begehren der Kläger hin. Die Verfassungsbeschwerde gegen den BFH-Beschluss in BFHE 213, 573, BStBl II 2006, 692 im Nachgang zum Musterverfahren zur Festsetzung des Solidaritätszuschlags hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 11. Februar 2008 2 BvR 1708/06, Deutsche Steuerzeitung 2008, 229). Für Streitjahre vor 2005 und damit auch für das Streitjahr ist einfachgesetzlich und verfassungsrechtlich geklärt, dass Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben und nicht als vorweggenommene Werbungskosten zu behandeln sind. Das BVerfG hat auf die verneinende Senatsentscheidung vom 8. November 2006 X R 45/02 (BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574) die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvR 325/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2008, 753). Es ist zwar noch das Verfahren 2 BvR 2299/04 beim BVerfG gegen die Senatsentscheidungen vom 21. Juli 2004 X R 72/01 und X R 73/01, BFH/NV 2005, 513) anhängig. Dieses Verfahren ist jedoch wegen der vorgenannten Rechtsfrage nach dem Beschluss des BVerfG in HFR 2008, 753 als offensichtlich aussichtslos anzusehen. Schließlich hat das BVerfG durch Beschluss vom 25. Februar 2008 2 BvR 587/01 (HFR 2008, 750) auch die von den Klägern zur Höhe des Vorwegabzugs in Bezug genommene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Fundstellen
Haufe-Index 2225716 |
BFH/NV 2009, 1273 |
BFH/NV 2009, 1903 |
BFH/PR 2010, 28 |
BStBl II 2009, 892 |
BFHE 2009, 1 |
BFHE 226, 1 |
BB 2009, 2226 |
DB 2009, 2303 |
DStRE 2009, 1339 |
HFR 2009, 1216 |