Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist eine Sache bei Inkrafttreten des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848 = BStBl 1957 I S. 352) in der Berufungsinstanz anhängig, so hat das Finanzgericht zu prüfen, ob eine getrennte Veranlagung der Ehegatten nach § 26a EStG erforderlich ist. Bejahendenfalls hat es die hiernach gebotenen Steuerfestsetzungen durchzuführen.

Es ist unzulässig, die Einspruchsentscheidung sowie den gegen die Eheleute ergangenen Steuerbescheid aufzuheben und die Sache zur Durchführung der getrennten Veranlagung an das Finanzamt zurückzuverweisen.

 

Normenkette

EStG §§ 26, 26a; AO § 243; FGO § 76; AO §§ 244, 284; FGO § 100

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der gewerblichen Gewinne streitig, die der Steuerpflichtige (Stpfl.) in den Jahren 1949 bis 1952 aus der von ihm betriebenen Klempnerei erzielt hat. Das Finanzamt hat die Gewinne im Anschluß an eine im Dezember 1954 durchgeführte Betriebsprüfung geschätzt. Die Einsprüche des Stpfl. blieben erfolglos.

In der Berufungsinstanz beantragte er mit einem an das Finanzamt gerichteten Schreiben vom 20. September 1957 unter Hinweis auf § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 I S. 352), die nach den Vorschriften dieses Gesetzes vorgesehene getrennte Veranlagung durchzuführen. Die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung im Sinne des § 26a des genannten Gesetzes sind auf Grund des § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 3 des gleichen Gesetzes gegeben. In dieser Hinsicht ist festzustellen: Der Stpfl. ist für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1952 zutreffend nach § 26 EStG in seiner ursprünglichen Fassung mit seiner am 28. Juli 1952 verstorbenen und - nach seiner Erklärung - von ihm allein beerbten Frau zusammen veranlagt worden. Die Ehefrau hatte in den einzelnen hier in Betracht kommenden Veranlagungszeiträumen ihrer Höhe nach unbestrittene Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Hausverwaltung). Die Zusammenveranlagung erfolgte jeweils für den einzelnen Veranlagungszeitraum durch einen einheitlichen Bescheid im Sinne des § 210 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO), der sowohl an den Stpfl. wie an seine Ehefrau gerichtet war.

Die Vorinstanz hat - offensichtlich in der Absicht, dadurch den Weg für eine getrennte Veranlagung durch das Finanzamt freizumachen - folgende Entscheidung getroffen:

"Die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts vom 6. Juli 1955 und die zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheide der Veranlagungszeiträume 1949 - 1952 werden aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens werden dem Berufungsgegner auferlegt. Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 1.018 DM".

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts. Er macht zur Begründung geltend: Eine ersatzlose Aufhebung der ergangenen Einkommensteuerbescheide könne verfahrensrechtlich nur dann als zulässig erachtet werden, wenn anzuerkennen wäre, daß diese Bescheide und die nunmehr durchzuführenden getrennten Veranlagungen gegen verschiedene Steuerpflichtige gerichtet seien; etwa in dem Sinne, daß sich die von der Vorinstanz aufgehobenen Bescheide gegen die "Ehegemeinschaft" gerichtet haben, während die getrennten Veranlagungen sich nunmehr gegen den Stpfl. als Ehemann und gegen dessen Ehefrau als Steuerpflichtige richten. Das sei indessen nicht der Fall; denn Einkommensbezieher im Sinne der §§ 1 und 2 EStG sei sowohl nach dem § 26 EStG a. F. als auch nach dem neugefaßten § 26 EStG jeder Ehegatte für sich, d. h. also der Ehemann und die Ehefrau. In dem nach § 26 EStG a. F. gegen die Eheleute ergangenen gemeinsamen Steuerbescheid seien lediglich zwei an sich "getrennt zu erlassende Bescheide" gemäß § 210 Abs. 2 AO äußerlich zu einem Bescheid verbunden worden. Der so ergangene einheitliche Bescheid sei auf Grund des nunmehr geltenden § 26a EStG im Wege getrennter Veranlagung dahin zu berichtigen, daß jeder Ehegatte nur mit dem Einkommen heranzuziehen sei, das auf den von ihm bezogenen Einkünften beruhe. Diese Berichtigung sei gemäß den §§ 243, 244 AO Sache des Verwaltungsgerichts und nicht des Finanzamts. Das Gericht habe danach die sachliche Streitfrage zur Höhe des gewerblichen Gewinns zu entscheiden und im Zuge dieser Entscheidung auch von Amts wegen die sich aus § 26a EStG ergebenden rechtlichen Folgerungen zu berücksichtigen. Allenfalls könne es gemäß § 284 AO als zulässig angesehen werden, wenn sich das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage über die Höhe des gewerblichen Gewinns beschränke und die Sache zur weiteren Veranlassung nach § 26a EStG an das Finanzamt zurückverweise.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung.

Zur Zulässigkeit der Rb. sei im Hinblick auf die Streitwertgrenze des § 286 AO bemerkt: Die angefochtene Vorentscheidung bezeichnet sich als Entscheidung in der Umsatzsteuer-, Gewerbesteuer- und Einkommensteuersache 1949 bis 1953. Das ist unrichtig. Tatsächlich bezieht sie sich nach ihrem Inhalt, wie auch durch den Abtrennungsbeschluß vom 25. November 1957 klargestellt ist, nur auf die Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1949 bis 1952. Es betragen für diese Zeiträume:

die festgesetzten Steuern --------------- 7.075 DM

die Steuern nach § 26a EStG (für beide Eheleute) ---------------------------- 6.057 DM.

Das Interesse der Behörde geht dahin, daß die sich nach dem Verfahren der Vorinstanz ergebende Verzögerung vermieden wird und die zu b) genannten Steuern alsbald durch das Verwaltungsgericht und nicht durch das Finanzamt festgesetzt werden. In entsprechender Anwendung der Grundsätze des Urteils des erkennenden Senats IV 437/53 U vom 9. Dezember 1954 (Slg. Bd. 60 S. 145, BStBl 1955 III S. 56) berechnet der Senat den Streitwert unter Berücksichtigung des genannten Interesses der Verwaltung auf 10 v. H. von rund 6.000 DM, also auf 600 DM, so daß gegen die Zulässigkeit der Rb. auch im Hinblick auf § 286 AO keine Bedenken bestehen.

In der Sache selbst ist auf folgendes hinzuweisen:

Die Vorentscheidung läßt nicht erkennen, welche Gründe im einzelnen für das von ihr eingeschlagene Verfahren maßgebend waren. Möglicherweise war für die ersatzlose Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheides die überlegung bestimmend, daß dieser Bescheid infolge der Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. ebenfalls nichtig geworden sei und daher der Aufhebung unterliege. Eine derartige Erwägung wäre rechtlich unzutreffend. Der Bescheid ist auf Grund der veränderten Rechtslage, d. h. auf Grund der Nichtigkeit des § 26 EStG a. F., nicht nichtig geworden. Er unterliegt vielmehr der Abänderung nach Massgabe des Gesetzes vom 26. Juli 1957 (vgl. Geigen, Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, S. 252).

Dem Finanzamt ist darin beizupflichten, daß sowohl nach der bisherigen wie nach der neuen Rechtslage als Steuerpflichtige ausschließlich die beiden Ehegatten in Betracht kommen und daß sich - als Folge der veränderten Rechtslage - lediglich Inhalt und Umfang ihrer steuerlichen Leistungspflicht geändert haben. In dieser Hinsicht ist auf folgendes hinzuweisen: Nach § 26 EStG a. F. in Verbindung mit § 7 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) bezogen beide Ehegatten das gleiche Einkommen. Das bedeutete, daß die Ehefrau nicht lediglich Steuerhaftende war, daß sie vielmehr Steuerpflichtige und Steuerschuldnerin in gleichem Umfange und auf Grund des gleichen Einkommens wie ihr Ehemann war (vgl. Kommentar zur Reichsabgabenordnung von Hübschmann-Hepp-Spitaler, zu § 326 auf S. 18 und 19 Anm. 20, sowie Kommentar zur Reichsabgabenordnung von Rolf Kühn, Aufl. 1956 S. 77). Das Gesetz ging hierbei davon aus, daß bei bestehender Ehe und unter den Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG a. F. das erzielte Einkommen von jedem der Ehegatten - also auch von der Ehefrau - im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft erwirtschaftet werde und daß es deshalb gerechtfertigt sei, beide Ehegatten als Gesamtschuldner wegen des von ihnen - wenn auch auf verschiedenartige Weise, so doch in gleichem Umfange - verwirklichten steuerlichen Tatbestands bzw. erzielten Einkommens in Anspruch zu nehmen. Wenn das Gesetz es im § 210 Abs. 2 AO für zulässig erklärt, an beide Ehegatten einen einheitlichen Bescheid zu erlassen, so trägt es damit aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Vereinfachung nur dem Umstand Rechnung, daß der sich an jeden der nach § 26 EStG a. F. "zusammen zu veranlagenden" Ehegatten richtende Bescheid notwendigerweise inhaltsgleich ist. Dieser Bescheid richtet sich mithin sowohl an den Ehemann als Steuerpflichtigen als auch an die Ehefrau als Steuerpflichtige. Die Sachlage ist nicht anders, als wenn - wie ebenfalls durchaus zulässig - an beide Ehegatten zwei getrennte (inhaltsgleiche) Bescheide ergangen wären. Sie ist vielmehr verfahrensrechtlich dahin zu beurteilen, daß an jeden der beiden Ehegatten ein Einkommensteuerbescheid gerichtet und ergangen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 303/51 U vom 6. März 1952, Slg. Bd. 56 S. 273, BStBl 1952 III S. 107, 108; Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, vom 10. August 1925 2. Band S. 139). Es bedeutet deshalb insoweit keine grundsätzliche änderung der Sachlage in verfahrensrechtlicher Hinsicht, wenn nunmehr im Zuge der "getrennten" Veranlagung nach § 26a EStG wegen des Fortfalls der Inhaltsgleichheit an die Stelle des einheitlichen Bescheids notwendigerweise zwei äußerlich getrennte Bescheide bzw. Steuerfestsetzungen treten. Die Bedeutung des § 26a EStG besteht in ihrer praktischen Auswirkung darin, daß der gegen den Ehemann und gegen die Ehefrau ergangene Einkommensteuerbescheid inhaltlich in verschiedenartiger Weise eine änderung insofern erfährt, als an die Stelle gleich hohen Einkommens ein für jeden der Ehegatten verschieden hohes Einkommen tritt. Dazu bedarf es - wovon offenbar die Vorinstanz ausgeht - nicht eines neuen Veranlagungsverfahrens, sondern nur einer inhaltlichen änderung der bereits erfolgten Steuerfestsetzungen, die allerdings nunmehr wegen Fortfalls der Inhaltsgleichheit erforderlich macht, daß an die Stelle des bisher einheitlichen Bescheids zwei getrennte Bescheide bzw. Steuerfestsetzungen treten.

Dem Verwaltungsgericht unterliegt zur Beurteilung sowohl der Steuerfall des Ehemanns als auch der Steuerfall der Ehefrau. Beide Fälle sind mit der Rechtsmitteleinlegung durch den Ehemann in der Einspruchsinstanz bzw. bei dem Gericht "anhängig" geworden. Das Rechtsmittel des Ehemanns gegen die auf der Grundlage des § 26 EStG a. F. ergangenen Bescheide wirkt prozessual auch für und gegen die Ehefrau (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 135/51 U vom 12. September 1951, Slg. Bd. 55 S. 477, BStBl 1951 III S. 192, 193). Das gilt hier um so mehr, als der Ehemann nach seiner Erklärung zugleich der alleinige Rechtsnachfolger seiner im Juni 1952 verstorbenen Ehefrau ist und daher seine prozessualen Handlungen auch unter diesem Gesichtspunkt zu sehen und zu beurteilen sind. Nach den §§ 243, 244 AO haben die Finanzgerichte bzw. das Verwaltungsgericht nicht nur die zur Erörterung gestellte Streitfrage zu entscheiden, sondern den Steuerfall als solchen auf Grund der für das erkennende Gericht in dem zu entscheidenden Einzelfall gegebenen Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Das bedeutet, daß das Verwaltungsgericht nicht nur entsprechend dem Rechtsmittelantrag des Stpfl. über die streitige Höhe des gewerblichen Gewinns, sondern auch - von Amts wegen - über die Auswirkungen des § 26a EStG zu befinden hat. Mit anderen Worten: Das Gericht hat das zu versteuernde Einkommen des Ehemanns auf der Grundlage des sich nach seiner Prüfung ergebenden gewerblichen Gewinns und das zu versteuernde Einkommen der Ehefrau auf der Grundlage der von ihr bezogenen - der Höhe nach unbestrittenen - Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu ermitteln und dementsprechend für jeden der Ehegatten die Einkommensteuer festzusetzen. Dazu ist die Vorinstanz auch bei entsprechender Mitwirkung des Stpfl. ebenso wie das Finanzamt in der Lage. Dahin zielt im Ergebnis auch in prozessualer Hinsicht das Begehren des Stpfl., und darauf hat er ein Recht. Er will keine neuen Bescheide, sondern ein die Sachlage in vollem Umfange entscheidendes Urteil des Gerichts (vgl. hierzu auch Urteil des Bundesfinanzhofs IV 461/52 U vom 10. April 1953, Slg. Bd. 57 S. 381, BStBl 1953 III S. 149). Aus diesen Gründen scheidet in solchem Falle auch eine Zurückverweisung der Sache durch das Verwaltungsgericht an das Finanzamt gemäß § 284 AO aus, weil dann die Möglichkeit eines neuerlichen Rechtsmittelverfahrens nicht auszuschließen ist, auch wenn das Verwaltungsgericht zur eigentlichen Streitfrage im zurückverweisenden Urteil Stellung nimmt. Damit tritt dann möglicherweise eine weitere zeitliche Verzögerung im Ablauf des Verfahrens und das Gegenteil dessen ein, was die Vorschrift des § 284 AO bezweckt, wenn sie unter anderem als Rechtfertigung für eine Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt auf den Gesichtspunkt der Ersparung von Zeit hinweist. Aus den gleichen Erwägungen ist es auch nicht sinnvoll, über den einzigen Streitpunkt - die Höhe des gewerblichen Gewinns - vorab durch Zwischenurteil (ß 284 Abs. 2 AO) zu entscheiden; denn auch dieses Verfahren würde nur eine nach den hier gegebenen Umständen nicht vertretbare Verzögerung der abschließenden Entscheidung bedeuten.

Die Sache geht an das Verwaltungsgericht zurück. Dieses wird nunmehr über die Höhe des gewerblichen Gewinns zu befinden und außerdem die bei "getrennter" Veranlagung im Sinne des § 26a EStG auf den Ehemann und auf die Ehefrau entfallende Einkommensteuer festzusetzen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409044

BStBl III 1958, 212

BFHE 1958, 556

BFHE 66, 556

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