Leitsatz (amtlich)
Eine Leibrente liegt nicht vor, wenn bei wiederkehrenden Bezügen die einzelnen Leistungen davon abhängig sind, daß der Berechtigte ein Wettbewerbsverbot beachtet.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1a
Tatbestand
Streitig ist, wie wiederkehrende Bezüge, die der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als ehemaliger Handelsvertreter von seinem Handelsherrn erhält, zu versteuern sind.
Der Kläger war zunächst als unselbständiger, später als selbständiger Handelsvertreter für eine Bekleidungswerke betreibende GmbH tätig. 1963 schloß er mit der GmbH einen Vertrag, in dem es u. a. heißt:
"§ 1 Herr A war bis zum 30. April 1963 als selbständiger Handelsvertreter für die Gesellschaft tätig. Er tritt mit Wirkung vom 1. Mai 1963 wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand.
§ 2 Herr A erhält in Anerkennung seiner langjährigen Tätigkeit für die Gesellschaft eine Altersrente in Höhe von DM 825, die jeweils zum Monatsende von der Gesellschaft gezahlt wird. Die Gesellschaft verpflichtet sich, diese Altersrente bis zu seinem Tode an ihn zu zahlen. Sollte Frau A ihren Gatten überleben, so erhält sie in den ersten 6 Jahren, gerechnet vom 1. Mai 1963, eine Hinterbliebenenrente in Höhe von DM 400. Diese Vereinbarung erlischt am 30. April 1969.
§ 3 Der Rentenanspruch entfällt, wenn Herr A ohne schriftliche Zustimmung der Gesellschaft a) ein Konkurrenzunternehmen gründet, erwirbt oder sich in irgendeiner Weise direkt oder indirekt an einem solchen Unternehmen beteiligt, b) eine Nebenbeschäftigung auf dem Gebiet des Textilverkaufs ausübt oder sich direkt bzw. indirekt mit dem Verkauf von Erzeugnissen der Bekleidungsindustrie befaßt, die mit den Erzeugnissen der Firma B in Konkurrenz stehen. Eine Ausnahme ... Herr A wird auch in Zukunft die Interessen der Firma B wahren und alles vermeiden, was der Gesellschaft Schaden zufügen könnte. Von der Innehaltung dieser Treueverpflichtung ist die Zahlung der Rente abhängig.
§ 4 ... Die Provision für alle direkten und indirekten Aufträge bis zum Stichtag 30. April 1963 ist abgerechnet. Alle später eingehenden Aufträge sind nicht mehr provisionspflichtig.
§ 5 Mit diesem Abkommen sind alle Ansprüche des Herrn A, die mit dem beendigten Vertragsverhältnis in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen, abgegolten."
Der Kläger begehrte, die 1966 auf Grund dieser Vereinbarung an ihn geleisteten Zahlungen als Rente nur mit dem Ertragsanteil, zumindest nach § 34 EStG mit dem halben Steuersatz zu versteuern. Demgegenüber sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) in den Zahlungen voll zu versteuernde nachträgliche gewerbliche Einkünfte und erließ einen entsprechenden Steuerbescheid.
Die Sprungklage blieb erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die wiederkehrenden Bezüge des Klägers könnten nicht nach § 22 Nr. 1 a EStG versteuert werden, da keine Leibrente vorliege. Es fehle an dem dafür notwendigen Rentenstammrecht, da die vom Verpflichteten zu erbringenden Einzelleistungen von wirtschaftlichen Voraussetzungen abhängig gemacht worden seien. § 3 des Vertrags vom 30. April 1963 mit der darin vereinbarten Wettbewerbs- und Treueklausel sei dahin auszulegen, daß für den Fall des Nichteinhaltens der vom Kläger übernommenen Verpflichtung nicht die Rücknahme der Rentenzusage selbst vorbehalten sein sollte, sondern daß dann nur der Rentenanspruch bzw. die Zahlung der Rente entfallen sollte. Damit sei nicht das Rentenstammrecht selbst - was unschädlich sei -, sondern die einzelne Rentenleistung durch die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung bedingt gewesen.
Den wiederkehrenden Bezügen könne der Charakter einer Leibrente auch nicht mit der Begründung zuerkannt werden, daß damit dem Kläger angeblich zustehende Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Abführung von Versicherungsbeiträgen hätten abgegolten werden sollen, selbst dann nicht, wenn dies beabsichtigt gewesen sein sollte. Geldrenten, die an die Stelle von Schadensersatzansprüchen treten, seien nur dann Leibrenten, wenn dem Schuldverhältnis durch Novation die neue Grundlage eines einheitlichen Stammrechts gegeben werde. Die Begründung eines neuen Schuldverhältnisses lasse sich jedoch aus dem Vertrag vom 30. April 1963 nicht entnehmen. Aus den §§ 2 und 3 dieses Vertrags ergebe sich vielmehr, daß die Rentenaussage im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Handelsvertreterverhältnis gestanden habe.
Schließlich könnten die Zahlungen an den Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt einer Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG begünstigt besteuert werden. Eine Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 a EStG - Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen - sei schon deshalb zu verneinen, weil die Zahlungen nicht in einem oder zwei Jahren zugeflossen seien. Eine Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 C EStG - Ausgleichszahlung an Handelsvertreter - könne nicht angenommen werden, da weder das Vorbringen des Klägers noch die von ihm vorgelegte Korrespondenz mit der GmbH einen Anhalt dafür gebe, daß die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB vorgelegen hätten.
Mit der Revision wird Verletzung materiellen Rechts (§ 22, § 34 EStG) gerügt und dazu vorgebracht:
Bei einer anderen Auslegung als vom FG vorgenommen müsse man zu dem Ergebnis gelangen, daß entweder ein bedingtes Rentenstammrecht begründet oder daß zur Abgeltung aller mit dem beendigten Vertragsverhältnis zusammenhängender Ansprüche durch Novation ein Rentenstammrecht erworben worden sei. Zumindest seien die Bezüge mit dem halben Steuersatz zu versteuern.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die Vorentscheidung ist nicht zu beanstanden, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die an den Kläger in der Form wiederkehrender Bezüge geleisteten Zahlungen keine Leibrente darstellen und nicht nur mit dem Ertragsanteil, sondern in vollem Umfange der Einkommensteuer unterliegen.
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu z. B. das Urteil des Senats vom 27. September 1973 VIII R 77/69, BFHE 111, 37, BStBl II 1974, 103, mit Nachweisen) ist das FG davon ausgegangen, daß der Begriff der Leibrente im Sinne von § 22 Nr. 1 a EStG - ebenso wie in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG - als Begriff mit einem festbestimmten bürgerlich-rechtlichen Inhalt grundsätzlich nach bürgerlichem Recht zu bestimmen ist. Danach ist die Leibrente ein einheitlich nutzbares Recht (Rentenstammrecht), das dem Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge als fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen. Es ist zwar unschädlich, wenn das Rentenstammrecht von besonderen Bedingungen abhängig gemacht wird (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., Anm. 27 [2] zu § 22 EStG mit Nachweisen). Ein Rentenstammrecht wird jedoch nicht begründet, wenn die einzelnen Leistungen von außerhalb des Rentenvertrags liegenden Verhältnissen oder Umständen beeinflußt werden (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1966 VI R 31/66, BFHE 87, 395, BStBl III 1967, 179; VIII R 77/69; Jansen-Wrede, Renten, Raten, dauernde Lasten, 5. Aufl., S. 35 mit Nachweisen; Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., Anm. 3 zu § 759).
Ohne Rechtsirrtum hat das FG angenommen, daß im Streitfall die einzelnen Leistungen von persönlichen Verhältnissen des Berechtigten abhängig gemacht wurden und deshalb ein Rentenstammrecht nicht begründet wurde. Diese Annahme beruht auf einer unter Beachtung der gesetzlichen Auslegungsregeln und unter Berücksichtigung der wesentlichen Tatsachen vorgenommenen Auslegung des Vertrags vom 30. April 1963. Der objektive Inhalt dieses Vertrags, insbesondere seines § 3, wonach der "Rentenanspruch entfällt", wenn das Konkurrenzverbot verletzt wird und "die Zahlung der Altersrente abhängig" ist von der Innehaltung der Treueverpflichtung, sowie die Auslegung des Vertrags wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es im Verhältnis der Vertragsschließenden zueinander erfordern, rechtfertigen die Annahme, daß die GmbH und der Kläger nicht die Rentenzusage, sondern die einzelnen Leistungen von der Beachtung der Wettbewerbs- und Treueklausel abhängig machten.
Frei von Rechtsirrtum ist ferner die vom FG gewonnene Überzeugung, daß im Streitfall kein an die Stelle von Schadensersatzansprüchen tretendes, selbständiges und ein Rentenstammrecht begründendes Schuldverhältnis geschaffen wurde. Der objektive Vertragsinhalt, insbesondere § 2 mit seiner "Anerkennung der langjährigen Tätigkeit (des Klägers) für die Gesellschaft" und § 3 mit seiner Wettbewerbs- und Treueklausel, lassen es nicht zu, auf einen Willen der Vertragspartner zur Umschaffung eines Schadensersatzanspruchs in einen selbständigen Rentenanspruch zu schließen. Aus dem Vertragsinhalt ist vielmehr das Gegenteil erkennbar. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, daß bei Begründung eines neuen Schuldverhältnisses keine Veranlassung für den Kläger bestanden hätte, sich auf eine Verpflichtung zur Interessenwahrung und Schadensabwendung einzulassen.
2. Der Vorentscheidung ist auch darin beizupflichten, daß die vom Kläger vereinnahmten Zahlungen nicht nach § 34 Abs. 1 EStG begünstigt besteuert werden können.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesen Zahlungen um Entschädigungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG handelt. Derartige Entschädigungen sind nur dann als außerordentliche Einkünfte im Sinn von § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzusehen, wenn ihre Versteuerung nach dem Tarif für den Steuerpflichtigen eine unzumutbare Progressionsbelastung ergibt. Das hat der BFH bisher in der Regel nur bei einmaligen größeren Zuflüssen anerkannt, die sich bei normalem Ablauf auf eine Mehrzahl von Jahren verteilt hätten (vgl. z. B. Urteil vom 11. Dezember 1970 VI R 66/66, BFHE 100, 530, BStBl II 1971, 137). Diese Voraussetzung ist bei Zahlungen, die wie im Streitfall in Rentenform über Jahre hinweg in monatlichen Beträgen geleistet werden, nicht erfüllt.
Fundstellen
Haufe-Index 71443 |
BStBl II 1975, 630 |
BFHE 1975, 452 |