Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld, Weiterleitung, zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen Eheleuten
Leitsatz (NV)
- Verletzt ein ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht, kann er sich gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen.
- Die Weiterleitung erfordert nicht nur, dass der vorrangig Kindergeldberechtigte bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben. Vielmehr muss dieser gleichzeitig anerkennen, seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anzusehen.
- Im sog. Weiterleitungsverfahren ist es nicht Aufgabe der Familienkasse, Unterhaltsvereinbarungen bzw. ‐zahlungen zwischen verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen und zivilrechtlich zu überprüfen.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 1; AO 1977 § 37 Abs. 2; EStG § 31 S. 3, § 64 Abs. 2 S. 1, § 70 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog Kindergeld für seine 1986 und 1988 geborenen Kinder C und D. Nachdem er sich im Mai 1996 von seiner Ehefrau, der Beigeladenen, getrennt hatte, lebten die Kinder im Haushalt der Mutter.
Vor Umzug des Klägers erfuhr der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) durch Meldedatenabgleich nach § 69 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit den Einwohnermeldeämtern und aufgrund des Kindergeldantrages der Beigeladenen vom März 1999. Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung daher ab Juni 1996 auf und forderte das für den Zeitraum Juni 1996 bis März 1999 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt … DM vom Kläger zurück. Den dagegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte mit der Begründung zurück, das Kindergeld sei wegen der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden. Auf eine Weiterleitung des Kindergeldes könne sich der Kläger nicht berufen, weil die Beigeladene zwar erklärt habe, im Rahmen der Unterhaltszahlungen die Hälfte des Kindergeldes erhalten zu haben, aber nicht bereit gewesen sei, ihren Anspruch auf Kindergeld für den strittigen Zeitraum als erfüllt anzusehen. Erfüllungswirkung trete aber nur ein, wenn der vorrangig Berechtigte (hier: die Kindesmutter) bestätige, dass er seinen für den Weiterleitungszeitraum bestehenden Kindergeldanspruch insgesamt als erfüllt ansehe.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, er habe unterhaltsrechtlich gesehen das hälftige Kindergeld an die Kindesmutter gezahlt. Das ergebe sich bereits aus dem Urteil des Amtsgerichts (AG) vom … 1997.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und entschied, aus der Berechnung des Unterhaltsanspruchs durch das AG ergebe sich die volle Weiterleitung des Kindergeldes. Denn hätte die Beigeladene das Kindergeld erhalten, hätte der Kläger von seiner Unterhaltsverpflichtung gemäß Düsseldorfer Tabelle das hälftige Kindergeld abziehen können. So habe er zusätzlich zu dem Betrag lt. Düsseldorfer Tabelle das hälftige Kindergeld gezahlt, so dass er im Ergebnis das Kindergeld in voller Höhe weitergeleitet habe. Wenn die Beigeladene die formale Bestätigung der Erfüllung ihres Kindergeldanspruchs unter Verstoß gegen Treu und Glauben verweigere, könne darauf die Ablehnung des Verzichts auf die Rückforderung nicht gestützt werden. Für die Verwaltung sei insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben. Denn wenn der vorrangig Berechtigte zwar die Weiterleitung des Kindergeldes bestätige, aber unter Verstoß gegen Treu und Glauben die Erklärung verweigere, dass mit der Weiterleitung der Kindergeldanspruch erfüllt sei, könne er selbst keinen Antrag auf Kindergeld stellen, weil er etwas verlangen würde, was er bereits erhalten habe. Der Antrag müsste als treuwidrig abgelehnt werden, da ihm das Kindergeld nicht doppelt zustehe. Demgemäß müsse der Beklagte auf die Rückforderung des weitergeleiteten Betrages verzichten.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die fehlerhafte Anwendung der §§ 64, 70 Abs. 2 EStG und des § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Voraussetzungen einer Weiterleitung nach der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 64.4 Abs. 4 (BStBl I 2000, 639) seien nicht erfüllt, da eine übereinstimmende Erklärung beider Elternteile über die vollständige Weiterleitung des Kindergeldes erforderlich sei; zudem müsse der vorrangig Berechtigte bescheinigen, seinen Anspruch insoweit als erfüllt anzusehen. Daran scheitere es hier. Von einer fehlerhaften Billigkeitsentscheidung infolge einer Ermessensreduzierung auf null könne nicht die Rede sein.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladene haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Beklagte gemäß § 70 Abs. 2 EStG befugt war, die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers ab Juni 1996 aufzuheben.
Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, dass eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet (Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 64 EStG Rdnr. 12). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld nach dem sog. Obhutsprinzip demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem Berechtigten im Haushalt lebt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liegt darin nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).
Im Streitfall haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnisse dadurch geändert, dass die Kinder des Klägers spätestens ab Juni 1996 bei ihrer Mutter, der Beigeladenen, lebten und in deren Haushalt aufgenommen waren. Ab diesem Zeitpunkt stand das Kindergeld daher nicht mehr dem Kläger, sondern der Beigeladenen zu. Die bisherige Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Klägers war demgemäß vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Einen Entscheidungsspielraum besitzt die Verwaltung insoweit nicht (Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 70 Rdnr. C 13; BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).
2. Entgegen der Auffassung des FG ist der Kläger aufgrund der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Juni 1996 jedoch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, das an ihn seit diesem Zeitpunkt gezahlte Kindergeld von insgesamt … DM zu erstatten. Hierin liegt ein materiell-rechtlicher Mangel der Vorentscheidung, der zu deren Aufhebung und zur Abweisung der Klage führt.
Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: der Beklagte), nach § 37 Abs. 2 AO 1977 gegenüber dem Leistungsempfänger (hier: der Kläger) einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid des Beklagten vom 12. Juli 1999 ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger weggefallen. Dieser ist daher verpflichtet, dem Beklagten den zurückgeforderten Betrag von … DM zu erstatten.
3. Ob sich der Kläger gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG bzw. gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten unter Umständen auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen kann, lässt der Senat dahingestellt. Denn das kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger als ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht verletzt hat (vgl. Felix in Kirchhof/ Söhn, a.a.O., § 70 Rdnr. C 17). Gemäß § 68 Abs. 1 EStG hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Der Haushaltswechsel des Kindes ist eine erhebliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne (vgl. auch Nr. 17 des Kindergeld-Merkblattes 1996, BStBl I 1996, 1073, 1100), die der Kläger jedoch nicht angezeigt hat.
4. Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht darauf berufen, er habe das Kindergeld an die Beigeladene als vorrangig Berechtigte weitergeleitet.
a) Nach 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG des Bundesamts für Finanzen (BfF) zu § 64 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann der Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Berechtigten und der Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben, und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt (vgl. Verfügung des BfF vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff., bzw. vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten ―neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG). Der in DA-FamEStG 64.4 Abs. 4 bis 8 vorgesehenen Form hat der Kläger jedoch nicht Genüge getan und auch sonst keine Gründe vorgebracht, die eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten. Weder hat der Kläger die erforderliche schriftliche Bestätigung der Beigeladenen als vorrangig Berechtigter auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck vorgelegt, noch hat diese die Weiterleitung des vollen Kindergeldes bestätigt und insbesondere auch nicht deutlich gemacht, ihren eigenen Anspruch auf Kindergeld als erfüllt anzusehen. Zudem hat der Kläger einen entsprechenden Erlassantrag nicht gestellt. Die Entscheidung des Beklagten ist daher nicht zu beanstanden; sie beruht darauf, dass die Weiterleitung die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen ausschließt, sondern lediglich aus Vereinfachungsgründen von der Familienkasse als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden kann (Senatsurteil vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606). Wie der Senat bereits mit Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00 (BFH/NV 2002, 1425) dargelegt hat, kann bei dieser Sachlage offen bleiben, ob es sich bei einer auf 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG gestützten Entscheidung der Familienkasse um eine erlassähnliche Billigkeitsentscheidung der Verwaltung gemäß §§ 163, 227 AO 1977 handelt, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und die grundsätzlich nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann, oder ob Gegenstand der Bestimmungen in 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG nicht der Erlass einer Billigkeitsmaßnahme, sondern der Abschluss eines sog. Verrechnungsvertrages ist.
b) Entgegen der Auffassung des FG kann insbesondere aus der Erklärung der Beigeladenen, "Seitdem ich von meinem Exmann getrennt lebe, erhielt ich pro Monat die Hälfte des Kindergeldes für beide Kinder, d.h. es wurde mit dem Unterhalt verrechnet", nicht auf eine Weiterleitung des Kindergeldes an die Beigeladene im Sinne der DA-FamEStG geschlossen werden. Zum einen steht eine derartige Auslegung von 64.4. Abs. 3 ff. DA-FamEStG in klarem Widerspruch zum Wortlaut der Vorschrift. Denn diese stellt darauf ab, dass der vorrangig Kindergeldberechtigte nicht nur bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben, sondern gleichzeitig anerkennt, seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anzusehen (vgl. Verfügung des BfF vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff.; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten ―neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG). Zum anderen hat der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 2002, 1425 dargelegt, dass es im sog. Weiterleitungsverfahren nicht Aufgabe der Familienkasse sein kann, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 12. Januar 2000 VI B 206/99, BFH/NV 2000, 835; vgl. auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 1. Juli 1998 II 672/97 Ki, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1525). Ob der Kläger ―unterhaltsrechtlich gesehen― gemäß den in der Düsseldorfer Tabelle getroffenen Regelungen einen Betrag in Höhe des vollen Kindergeldes an die Beigeladene gezahlt hat, ist für die hier zu treffende Entscheidung daher ohne Belang. Bei Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 39/99, juris). Es ist insoweit auch nicht sachwidrig, von einer Rückforderung des Kindergeldes nur bei Vorlage einer Erklärung des vorrangig kindergeldberechtigten Elternteils nach Maßgabe der oben angeführten Verfügungen des BfF (Schreiben des BfF vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366 f.) abzusehen. Denn ohne eine derartige Erklärung würde sich der Beklagte dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme aussetzen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 39/99, juris).
Fundstellen
Haufe-Index 1053838 |
BFH/NV 2004, 14 |