Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wenn eine Bank bevollmächtigt ist, das gesamte greifbare Inlandsvermögen eines Ausländers zu veräußern und den Erlös in das Ausland zu transferieren, muß sie für die Begleichung der Lastenausgleichsabgaben sorgen, andernfalls sie sich haftbar macht.
Normenkette
AO §§ 103, 108-109
Tatbestand
Es besteht Streit darüber, ob die Beschwerdegegnerin (Bgin.), eine Bank in C, zu Recht für die Vermögensabgabeschuld der in Canada wohnhaften Abgabepflichtigen haftbar gemacht worden ist.
Die früheren Miteigentümerinnen des Grundstücks S.-Straße in C beauftragten und bevollmächtigten laut Urkunde vom 10. April 1953 die Bgin., das genannte Grundstück, ferner ein weiteres in D. belegenes und zwei Grundstücke in der Ostzone für sie zu verkaufen. Außerdem sollte die Bank die beim bisherigen Verwalter aufgelaufenen Geldbeträge von diesem einziehen, das gesamte Geld auf ein Sperrmarkkonto zu Gunsten der Auftraggeberinnen einzahlen und nach Möglichkeit auf ein Konto bei der Bank in New York überweisen. Für das Grundstück in D. lief zu dieser Zeit ein Wiedergutmachungsverfahren mit dem Ziel der übergabe an die früheren Eigentümerinnen, die obenbezeichneten Auftraggeberinnen.
Das Grundstück in der S.-Straße wurde am 11. März 1954 auftragsgemäß verkauft, der Barpreis von 16.500 DM von dem beurkundenden Notar am 23. März 1954 auf ein Ausländersperrmarkkonto eingezahlt und am 9. April 1954 an die Auftraggeberinnen transferiert.
Durch Bescheid vom 6. Mai 1954, geändert am 24. November 1955, setzte das Finanzamt die Vermögensabgabe für die Auftraggeberin K. fest; gleichzeitig ordnete es die sofortige Fälligkeit der Abgabe gemäß § 50 des Lastenausgleichsgesetzes an.
Am 23. Oktober 1956 nahm das Finanzamt die Bank für die Vermögensabgabeschulden der Auftraggeberin mit Haftungsbescheid in Anspruch. Gegen diesen Haftungsbescheid richten sich die hier in Rede stehenden Rechtsmittel. Der Einspruch blieb - abgesehen von einer änderung in der Höhe des Bescheids - ohne Erfolg, die Vorinstanz stellte die Bgin. von der Haftung frei. In den Gründen der Berufungsentscheidung wird ausgeführt, eine Haftung nach § 108 der Reichsabgabenordnung (AO) komme nicht in Frage, weil die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nur denjenigen träfen, der über das Vermögen des Vollmachtgebers soweit zu verfügen in der Lage sei, daß er dessen steuerliche Pflichten erfüllen könne, vorausgesetzt, daß ihm dies nach Lage der Sache auch zuzumuten sei. Die Bgin. habe über das inländische Vermögen der ausländischen Auftraggeberinnen nicht unbeschränkt verfügen können. Sie habe keine Generalvollmacht, welche die Verwaltung der Grundstücke und die freie Verfügung über die eingehenden Gelder beinhalte. Sie sei nach außen den Käufern des Grundstücks gegenüber als bevollmächtigte Bank aufgetreten und habe dadurch jedem Dritten kenntlich gemacht, daß sich ihre Befugnis auf den eigentlichen Verkaufsakt beschränke. Darüber hinaus habe der Vertreter der Bgin. bei den Verkaufsverhandlungen auf die Spezialvollmacht ausdrücklich Bezug genommen. Wenn die Bgin. unter diesen Umständen die Verkaufserlöse zurückbehalten hätte, hätte sie sich einer Verletzung ihrer Bankpflichten schuldig gemacht. Aber auch eine Haftbarmachung nach § 109 Abs. 1 AO komme deshalb nicht zum Zuge, weil ein grobfahrlässiges Verhalten nicht nachzuweisen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, daß zur Zeit des Vertragsabschlusses und zur Zeit des Eingangs des Verkaufserlöses sowie zur Zeit der Transferierung der Gelder keine Vermögensabgabeschuld bestanden habe. Es habe nicht im Rahmen des Aufgabengebiets der Bank gelegen, sich über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erhebung von Personensteuern ihrer Auftraggeberin zu informieren, ehe sie ihren Bankauftrag erfüllte. Sie habe auch nach den Umständen damit rechnen dürfen, daß ihren Auftraggeberinnen noch ein Grundstück in D zur Verfügung stehe. Infolgedessen könne es ihr nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn sie sich streng im Rahmen ihrer Befugnisse gehalten habe.
Gegen dieses Urteil hat das Finanzamt Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt und unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gerügt. Wer als Bevollmächtigter auftrete, habe, soweit er von der Vollmacht Gebrauch mache, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters; er habe insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln, die er verwalte, entrichtet würden. Diese Vertretungsmacht könne vom Vollmachtgeber nicht durch Verbote in bezug auf die Steuerentrichtung eingeschränkt werden. Wenn man der Ansicht des Finanzgerichts folge, so könne generell jeder Vollmachtgeber die Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den Bevollmächtigten dadurch verhindern, daß er alles, was auf diese Pflichterfüllung gerichtet sei, verbiete. Die Bgin. habe die ihr durch die AO auferlegte Pflicht schuldhaft verletzt, zumal man an eine angesehene Bank hohe Anforderungen stellen dürfe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Verfügungsberechtigter im Sinne des § 108 AO ist jeder, der im wirtschaftlichen Sinne über Mittel, die einem anderen gehören, verfügen kann und als solcher auftritt (Entscheidung des Reichsgerichts 4 D 113/38 vom 3. Juni 1938, Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 72 S. 240); wenn das Finanzgericht diese Verfügungsberechtigung der Bgin. verneint, so kann ihm hierin nicht gefolgt werden. Es ist richtig, daß der Reichsfinanzhof in dem vom Finanzgericht angeführten Urteil V e A 1052/31 vom 22. Dezember 1933 (Slg. Bd. 35 S. 76) die Haftung bejahte, weil der in Anspruch Genommene eine allgemeine Vollmacht zur Verwaltung und Erhaltung der Häuser usw. hatte. Es kann aber nicht als richtig anerkannt werden, hieraus zu schließen, daß Vertreter mit geringerer Vollmacht nicht zur Haftung herangezogen werden können. Eine Generalvollmacht ist jedenfalls nicht erforderlich. Wenn eine Bank bevollmächtigt ist, das gesamte greifbare Inlandsvermögen eines Ausländers zu veräußern und den Erlös in das Ausland zu transferieren, muß sie kraft Gesetzes für die Begleichung etwa bestehender Lastenausgleichsabgaben sorgen.
Unstreitig hat die Bgin. Vollmacht für den Verkauf des Grundstücks gehabt. Ihre Vollmacht bezog sich aber auch darauf, das Entgelt zu vereinnahmen und an die Auftraggeber zu überweisen. Damit sind tatsächlich Mittel der Auftraggeber in ihre Hand gelangt, über die sie verfügen konnte. Wenn die Bgin. demgegenüber behauptet, ihre Vollmacht habe sich nicht darauf bezogen, Steuerangelegenheiten der Auftraggeber zu erledigen, das hätten die Auftraggeber auch nicht gewollt, so verkennt sie die Bedeutung der Haftungsvorschriften. Während nach bürgerlichem Recht der Vertreter berechtigt ist, für den Vertretenen zu handeln, Dritten gegenüber aber hierzu nicht verpflichtet ist, besteht für ihn im Steuerrecht eine unmittelbare Rechtspflicht, zu deren Einhaltung er durch Zwangsmittel angehalten werden kann. § 108 AO legt dem Beauftragten mit der Annahme und Ausführung des Auftrags steuerrechtliche Pflichten auf, die der Auftraggeber vertragsmäßig nicht beschränken kann. Wenn sich durch die Erfüllung des Auftrags steuerliche Pflichten ergeben, so muß sie der Beauftragte auch gegen den Willen des Auftraggebers erfüllen. Es ist gerade der Zweck der §§ 108, 103 AO dies zu sichern. Zwingendes öffentliches Recht kann nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen geändert werden. Die Bgin. hätte darum gemäß §§ 108, 103 AO die steuerlichen Pflichten erfüllen müssen, die den Auftraggebern oblagen.
Daß die Auftraggeber die Vermögensabgabe schuldeten, ist unstreitig; die Vermögensabgabeschuld kann sofort fällig gestellt werden, wenn Ausländer ihr gesamtes Inlandsvermögen veräußern. Daß die in der Vollmacht benannten Grundstücke das einzige Vermögen der Auftraggeber waren, war allein aus dem Auftrag erkennbar. Daß über das Grundstück in D. ein Wiedergutmachungsverfahren lief, war ebenfalls bekannt, d. h. die Bgin. wußte, daß dieses Grundstück den Auftraggebern nicht gehörte und die Wiedererlangung von dem Spruch des Gerichts abhängen würde. Sie wußte also auch, daß das von ihr verkaufte Grundstück das einzige greifbare Vermögen der Auftraggeber im Inland war, auf das das Finanzamt bei der Vermögensabgabe zurückkommen konnte. Insbesondere in diesem Falle müssen die §§ 108 und 109 AO wirksam werden.
Nach § 109 AO kommt die Haftung der Bgin. nur in Frage, wenn sie die Pflicht schuldhaft verletzt hat und dadurch Steueransprüche verkürzt worden sind. Eine Verkürzung ist eingetreten, wenn die Steuer zu niedrig festgesetzt oder nicht rechtzeitig bezahlt worden ist (vergl. Urteil des Reichsfinanzhofs V e A 1052/31 vom 22. Dezember 1933, Slg. Bd. 35 S. 76). Das trifft hier zu. Die Ansicht des Finanzgerichts ist irrig, wenn es meint, zur Zeit der Transferierung habe keine Vermögensabgabeschuld bestanden. Die Vermögensabgabe gilt gemäß § 20 des Lastenausgleichsgesetzes als zu Beginn des 21. Juni 1948 entstanden. Die Festsetzung spielt hierbei keine entscheidende Rolle.
Schuldhaft handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt; es kann auch mit dem Reichsfinanzhof im Urteil V A 1078/29 vom 18. Juli 1930, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 1038, angenommen werden, daß es sich um ein grobes Verschulden handeln muß. Es muß zur Begründung der Haftung ein Pflichtenverstoß vorliegen, der dem Inanspruchgenommenen nach seinen Kenntnissen und Erfahrungen zum Vorwurf gereicht (vergleiche Kühn, Reichsabgabenordnung, 4. Auflage § 109 S. 105). Ein solcher Vorwurf trifft die Bgin. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführte, dürfen an eine angesehene Bank mit Rechtsabteilung erhöhte Anforderungen gestellt werden. Sie konnte und mußte von dem Bestehen der Vermögensabgabeschuld Kenntnis haben. Unter diesen Umständen ist es schuldhaft, wenn sie gleichwohl den Betrag transferierte, ohne dem Finanzamt eine Gelegenheit zu lassen, seine Steuerforderung durchzusetzen.
Die Haftbarmachung der Bgin. ist darum gerechtfertigt; über die Höhe der Vermögensabgabeschuld besteht kein Streit mehr. Das Urteil der Vorinstanz war darum aufzuheben und die Berufung mit der Kostenpflicht aus § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409134 |
BStBl III 1958, 367 |
BFHE 1959, 245 |
BFHE 67, 245 |