Entscheidungsstichwort (Thema)
An den Betrieb gebundenes Zuckerrübenlieferrecht als immaterielles Wirtschaftsgut
Leitsatz (NV)
- Die an den Betrieb gebundenen Zuckerrübenlieferrechte konnten sich im niedersächsischen Raum vor dem 1. Juli 1970 zu einem immateriellen Wirtschaftsgut nur dann verfestigen, wenn sie bereits einen Marktwert hatten.
- Diese Verfestigung lag jedenfalls vor, als sich Mitte der 70er Jahre für Zuckerrüben deutlich kostengünstigere Anbau- und Erntetechniken durchsetzten, die Zuckerpreise am Weltmarkt nachhaltig über dem EG‐Garantiepreis lagen und zudem die Preise für die Fruchtarten fielen, die typischerweise auf den rübenfähigen Flächen angebaut werden.
- Vom Pauschalwert für den Grund und Boden ist ein Wert für ein solches Lieferrecht nicht abzuspalten, wenn der Rübenanbauer bereit vor dem 1. Juli 1970 aufgrund seiner vertraglichen Beziehungen zu der von ihm belieferten Zuckerfabrik ein übertragbares und am Markt selbständig bewertetes Lieferrecht besaß.
- Es ist wenig wahrscheinlich, dass die seit dem 19. Jahrhundert an Aktien gebundenen Zuckerrübenlieferrechte sich vom Pauschalwert für den Grund und Boden abgespalten haben.
- Die Ermittlung des gemeinen Werts der an den Betrieb gebundenen Zuckerrübenlieferrechte durch die Vervielfältigung von Deckungsbeiträgen ist nur möglich, wenn es keine entsprechenden Marktdaten gibt.
Normenkette
EStG §§ 13-14, 16, 55; BewG §§ 9, 13 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) betrieben in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) eine Land- und Forstwirtschaft und bezogen Einkünfte i.S. von § 13 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit Vertrag vom 29. Januar 1987 verpachteten sie die Ackerflächen (rd. 21,7 ha) und die Hofstelle an einen anderen Landwirt. Außerdem gewährten sie dem Pächter unentgeltlich das auf den eigenen Flächen ruhende Zuckerrübenlieferrecht (2 110 dt). Zum 1. April 1987 erklärten die Kläger die Aufgabe ihres Betriebes und überführten die Wirtschaftsgüter ins Privatvermögen. Den Aufgabegewinn ermittelten sie mit 36 321 DM; der laufende Gewinn für das Wirtschaftsjahr 1986/87 betrug 89 325 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stellte dagegen den laufenden Gewinn mit 21 245 DM und den Veräußerungsgewinn mit 170 594 DM fest. Das FA sah dabei das Zuckerrübenlieferrecht (durchschnittlicher Rübenertrag 427,38 dt/ha) als eine immerwährende Nutzung i.S. von § 13 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) an und ging von einem gemeinen Wert von 145 200 DM aus, wobei es die Deckungsbeitragsdifferenz mit dem Achtzehnfachen ansetzte. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es setzte das Zuckerrübenlieferrecht nur mit dem Neunfachen des Jahreswertes an. Der so ermittelte gemeine Wert betrug ―unstreitig― 72 600 DM. Diesen Entnahmewert sah das FG jedoch im Ergebnis als steuerfrei an. Zur Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns sei dem gemeinen Wert für den Grund und Boden sowie das Zuckerrübenlieferrecht der Pauschalwert nach § 55 Abs. 1 EStG gegenüber zu stellen. Die Verlustausschlussklausel des § 55 Abs. 6 EStG werde nur in diesem Rahmen wirksam; sie gelte nicht lediglich für den auf den "nackten Grund und Boden" entfallenden Entnahmegewinn. Der vom FA ermittelte nicht abzugsfähige Verlust von 255 822 DM sei daher um 72 600 DM zu kürzen, so dass der auf das Zuckerrübenlieferrecht entfallende Aufgabegewinn unter Berücksichtigung des Senatsurteils vom 24. Juni 1999 IV R 33/98 (BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58) 0 DM betrage. Auch das FA gehe ersichtlich davon aus, dass sich das hier fragliche Zuckerrübenlieferrecht bereits zum 1. Juli 1970 zu einem selbständigen immateriellen Wirtschaftsgut verfestigt gehabt habe. Anlass zu weiteren tatsächlichen Ermittlungen bestehe daher nicht.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG sei von Entscheidungen des Bundesfinanzhof (BFH) abgewichen.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe, dem 1. April 1987, für die Zuckerrübenlieferrechte kein Gewinn angefallen sein kann.
1. Durch sein Urteil in BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58 hat der erkennende Senat entschieden, dass bei der Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebs einschließlich eines Zuckerrübenlieferrechts von dem auf das Zuckerrübenlieferrecht entfallenden Kaufpreisanteil ein anteiliger Buchwert abzusetzen sein kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich derartige Lieferrechte nicht bereits vor dem 1. Juli 1970 am Markt zu immateriellen Wirtschaftsgütern verfestigt hatten. Zur Klärung dieser Frage hatte der Senat die seinerzeitige Sache an das FG zurückverwiesen.
Den damaligen Zweifeln des Senats lagen folgende Überlegungen zugrunde: Von einem Teil des Schrifttums wird die Auffassung vertreten, die Rübenlieferrechte hätten sich bereits vor dem 1. Juli 1970 am Markt zu immateriellen Wirtschaftsgütern verfestigt, weil die Verordnung Nr. 1009/67/EWG des Rates vom 18. Dezember 1967 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (Zuckermarktordnung ―ZMO―; ABl Nr. B 308 vom 18. Dezember 1967, 1) bereits zum 1. Juli 1968 in Kraft getreten war (so z.B. Giere in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, B 576i; a.A. Prött, Referenzmengen und Lieferrechte in der Landwirtschaft -Kauf, Pacht und Leasing-, Schriftenreihe des Hauptverbandes der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. ―HLBS―, Heft 147 S. 37 ff., 41). Theoretisch war es zwar den Zuckerfabriken in der Folgezeit möglich, den Zuckerrübenanbauern ―über die an Aktien gebundenen Lieferrechte hinaus― über entsprechende Satzungen oder Lieferverträge feste Lieferkontingente mit Preisgarantien einzuräumen. Im niedersächsischen Raum konnten solche Lieferrechte aber vor allem nur dann einen Marktwert haben, wenn der EG-Garantiepreis für Zucker höher als der Weltmarktpreis war (vgl. Prött, a.a.O., HLBS, Heft 147 S. 37 ff., 41). Traf es indes zu, dass im niedersächsischen Raum die Zuckerfabriken ―wegen der noch mit hohen Kosten verbundenen Rübenproduktion― die zur Erfüllung der Zuckerquote notwendigen Rübenmengen nicht zusammenbringen konnten, dann gab es auch keinen Grund, für die ―auf vertraglichen Beziehungen zur Zuckerfabrik― bestehenden Lieferrechte etwas zu bezahlen.
Zu einer Verfestigung am Markt kam es ―allerdings abhängig von den Vereinbarungen des Rübenanbauers mit der jeweils von ihm belieferten Zuckerfabrik― jedenfalls seit Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als sich für den Zuckerrübenanbau deutlich kostengünstigere Anbau- und Erntetechniken durchgesetzt hatten und zudem die Zuckerpreise am Weltmarkt nachhaltig unter dem EG-Garantiepreis für Zucker lagen. Der Wert solcher Lieferrechte stieg ab Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, weil auch die Preise für die Fruchtarten fielen, die typischerweise auch auf den rübenfähigen Flächen angebaut werden (Prött, a.a.O., HLBS, Heft 147 S. 41).
Dem steht nicht entgegen, dass die Finanzverwaltung (vgl. Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums ―FinMin― vom 18. Dezember 1989 S 2230 - 156 - 31 1, Einkommensteuer-Kartei, § 13 Nr. 1.27) erst rd. 20 Jahre später die Auffassung vertreten hat, die an den Betrieb gebundenen Zuckerrübenlieferrechte seien immaterielle Wirtschaftsgüter. Denn sie waren als Wirtschaftsgüter spätestens ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts greifbar. Der vom Niedersächsischen FG im Urteil vom 31. Juli 2001 15 K 840/97, 15 K 237/98 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG―) 2001, 1431 vertretenen Ansicht ist nicht zu folgen.
Das FG durfte daher im Streitfall den auf den Verkauf der Rübenlieferrechte entfallenden Kaufpreisanteil nicht ohne weitere Prüfung steuerfrei lassen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat nicht festgestellt, ob von dem Pauschalwert für den Grund und Boden ein Teil auf die strittigen Lieferrechte abzuspalten ist. Insoweit kann auf das Senatsurteil in BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58 sowie das Senatsurteil vom heutigen Tage in der Sache IV R 53/02 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) verwiesen werden. Dementsprechend muss das FG noch feststellen, ob die Kläger bereits vor dem 1. Juli 1970 aufgrund ihrer vertraglichen Beziehungen zu der von ihnen belieferten Zuckerfabrik ein übertragbares und am Markt selbständig bewertetes Zuckerrübenlieferrecht besaßen. Ist das der Fall, kommt eine Abspaltung eines Buchwerts für dieses Lieferrecht vom Pauschalwert des Grund und Bodens nicht in Betracht (Senatsurteil vom 11. September 2003 IV R 53/02). Denn insoweit ist dann davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesem Umstand bei Einführung der Bodengewinnbesteuerung und Bemessung des Pauschalwertes gemäß § 55 Abs. 1 bis 4 EStG Rechnung getragen hat. Andernfalls ist festzustellen, in welcher Höhe für ein solches Lieferrecht ein Teil des zum 1. Juli 1970 für den Grund und Boden eingestellten Pauschalwerts nach dem Verhältnis der Teilwerte des Grund und Bodens sowie des Lieferrechts abzuspalten ist. Dieser Buchwert ist dann dem ermittelten gemeinen Wert des Lieferrechts im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe gegenüber zu stellen.
Hinsichtlich der möglicherweise an Aktien gebundenen Zuckerrübenlieferrechte bemerkt der Senat, dass in Norddeutschland solche an Aktien gebundene Lieferrechte vielfach unverändert seit dem 19. Jahrhundert bestanden. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass sich solche an Aktien gebundene Lieferrechte vom Pauschalwert für den Grund und Boden abgespalten haben können. Ob, seit wann und ggf. wie viele Lieferrechte die Kläger aufgrund ihrer Beteiligung an den von ihnen belieferten Zuckerfabriken hatten, lässt sich aus dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht erkennen. Das FG hat den Sachverhalt insoweit noch weiter aufzuklären.
3. Das FG ist außerdem zu der Ansicht gelangt, der gemeine Wert der Zuckerrübenlieferrechte sei entsprechend § 13 Abs. 2 BewG in der damals geltenden Fassung mit dem Neunfachen des Ertragswerts anzusetzen (dazu Senatsurteil in BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58). Wie sich aus § 16 Abs. 3 Satz 5 EStG a.F. (§ 16 Abs. 3 Satz 7 EStG n.F.) ergibt, sind die im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht veräußerten Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe anzusetzen. Der gemeine Wert bestimmt sich dabei nach § 9 Abs. 2 BewG (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1985 I R 235/80, BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456), so dass grundsätzlich der Preis maßgebend ist, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, wobei ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen sind. Die Ermittlung des gemeinen Werts durch die Vervielfältigung von Deckungsbeiträgen ist daher gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 BewG nur mangels entsprechender Marktdaten möglich (vgl. Köhne, Landwirtschaftliche Taxationslehre, 3. Aufl., S. 374 ff., 752 f.).
Fundstellen
Haufe-Index 1119027 |
BFH/NV 2004, 617 |
DB 2005, 10 |
HFR 2004, 526 |