Leitsatz (amtlich)
1. Ein Schadenersatzanspruch ist erst aktivierungspflichtig, wenn er am Bilanztag hinreichend konkretisiert ist.
2. Die Grundsätze über die Berücksichtigung von Umständen, die nach dem Bilanztag eingetreten sind, für die Bilanzierung am Bilanztag gelten nicht, wenn der nachträglich eingetretene Umstand ein Merkmal ist, das zur Konkretisierung eines Schadenersatzanspruchs im Sinne von Nr. 1 beiträgt.
Normenkette
EStG 1961 §§ 4-5
Tatbestand
Streitig ist, ob und in welcher Höhe der Kläger und Revisionskläger (Kläger) einen Anspruch auf Schadenersatz gegen eine Versicherungsgesellschaft in der Bilanz zum 31. Dezember 1961 zu aktivieren hat.
Der Kläger - ein Bauunternehmer - erlitt im Jahre 1959 einen Unfall, für den die Versicherungsgesellschaft des Schädigers aufkam. Die Versicherungsgesellschaft zahlte an den Kläger die folgenden Beträge:
28. April 1960 Vorschuß 1 000 DM
20. Juni 1960 Vorschuß 1 500 DM
24. Oktober 1961 Teilentschädigung 5 500 DM
14. Januar 1963 Restentschädigung 21 000 DM
29 000 DM
Von der Restentschädigung vom 14. Januar 1963 mit 21 000 DM aktivierte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) auf den 31. Dezember 1961 einen Betrag von 14 792 DM unter dem Gesichtspunkt eines Ersatzanspruchs wegen Verdienstausfalls. Es legte hierbei die Schätzung des den Kläger bei der Schadensregulierung vertretenden Rechtsanwalts Dr. Z zugrunde, die sich auf eine eingehende Besprechung mit der Versicherungsgesellschaft gründete, nach der ein Teilbetrag der 21 000 DM mit 1 207,80 DM auf ungedeckte Behandlungskosten, ein weiterer Teilbetrag von 5 000 DM auf Abfindung von Zukunftsrisiken und der Restbetrag von 14 792 DM auf Verdienstausfall entfallen.
Der Einspruch des Klägers wurde zurückgewiesen, die Klage blieb erfolglos. Der Kläger hatte vor dem FG vorgetragen, das FA gehe von einer falschen Rechtsauffasung aus, wenn es die Aktivierung des fraglichen Betrags in der Bilanz zum 31. Dezember 1961 deshalb fordere, weil die Versicherungsgesellschaft den Betrag am 14. Januar 1963 und damit vor Aufstellung der Bilanz 1961 tatsächlich bezahlt habe. Entscheidend sei, wann der Anspruch als konkretisiert anzusehen sei, d. h. ob zum Jahresende die Versicherungsgesellschaft dem Kläger gegenüber grundsätzlich anerkannt habe, daß sie dem Grunde nach verpflichtet sei, einen Verdienstausfall zu entschädigen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, die Versicherungsgesellschaft habe vielmehr in der gesamten Korrespondenz immer zum Ausdruck gebracht, der Kläger habe keinen Verdienstausfall erlitten. Erst im Januar 1963 habe sie, um den lästigen Versicherungsfall los zu werden, dem Kläger ein Gesamtabfindungsangebot von 21 000 DM gemacht, das dieser auf Anraten seines Rechtsanwalts angenommen habe. Erst hierdurch sei die Forderung des Klägers auf Schadenersatz wegen Verdienstausfalls hinreichend konkretisiert und als greifbarer Vermögensgegenstand aktivierungsfähig geworden. Auch könne es sich nach dem ganzen Ablauf der Dinge, insbesondere nach den Verhandlungen mit der Versicherungsgesellschaft, nur um einen Ersatz für künftigen Verdienstausfall handeln, der sich auch erst in Steuerabschnitten nach 1962 gewinnerhöhend auswirken könne. Im übrigen bestritt der Kläger die Höhe des anzusetzenden Betrags, da der Anteil eines nicht steuerbaren Ersatzes für Zukunftsrisiko durch zusätzliche Arzt-, Krankenhaus- und Pflegekosten mit dem angesetzten Betrag von 5 000 DM nicht angemessen abgegolten sei.
Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Forderungen gegen die Versicherungsgesellschaft auf Verdienstausfall seien zu aktivieren, wenn sie entstanden und konkretisiert seien (Urteile des BFH vom 10. April 1956 I 51/55 U, BFHE 62, 465, BStBl III 1956, 173, und vom 21. Februar 1957 IV 630/55 U, BFHE 64, 437, BStBl III 1957, 164 a. E.). Da der Kläger seinen Gewinn durch Vermögensvergleich ermittelte, sei es nicht möglich, die Forderung nach § 11 Abs. 1 EStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung zu erfassen. Es sei der Wert am Bilanztag anzusetzen. Bei der Bewertung seien alle Erkenntnisse, die der Kaufmann bis zur Bilanzerstellung erlangt habe, zu verwerten, wenn die den Wert begründenden Tatsachen am Bilanztag bereits vorhanden gewesen seien. Der Anspruch des Klägers gegen den Schädiger sei im Zeitpunkt des Unfalls eingetreten. Ab dem Zeitpunkt der Schädigung sei ein Ersatzanspruch des Klägers wegen Verdienstausfalls vorhanden gewesen, der sich in Höhe von 21 000 DM im Januar 1963 konkretisiert habe. Nach dem Urteil des BFH vom 27. April 1965 I 324/62 S (BFHE 82, 445, BStBl III 1965, 409) sei der Kaufmann verpflichtet, auch werterhellende Umstände, die erst nach dem Bilanztag eintreten, zu berücksichtigen. Im Streitfall habe die Versicherungsgesellschaft des Schädigers den Kläger vor der Aufstellung der Bilanz 1961 im Vergleichsweg abgefunden, wodurch sich die Forderung vor dem Tag der Bilanzerstellung konkretisiert habe. Sie sei daher vom FA zu Recht auf den 31. Dezember 1961 berücksichtigt worden.
Die Höhe des Ansatzes müsse geschätzt werden, da ein Teil der 21 000 DM auf Ersatzleistungen entfalle, die einkommensteuerlich unerheblich seien, wie Arztkosten, Schmerzensgeld (Urteil des BFH vom 29. Oktober 1959 IV 255/58 U, BFHE 70, 234, BStBl III 1960, 87). Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn sich das FA bei der Schätzung an die Aufteilung des Rechtsanwalts Dr. Z gehalten habe, der Kläger habe jedenfalls gegen diese Schätzung keine stichhaltigen Einwendungen vorgebracht.
Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und den Einkommensteuerbescheid des FA für 1961 aufzuheben, die Einkommensteuer 1961 auf der Grundlage eines Einkommens festzusetzen, in dem die fraglichen 14 792 DM nicht enthalten sind und die Kosten dem FA aufzuerlegen, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur anderweitigen Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt mangelnde Sachaufklärung, Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten und Verletzung des materiellen Steuerrechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz.
1. Auf die Verfahrensrüge braucht nicht näher eingegangen zu werden, da sich die Vorentscheidung aus sachlich-rechtlichen Gründen als rechtsirrtümlich erweist.
2. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß die Schadenersatzforderung vom Kläger erst als bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut anzusetzen ist, wenn sie hinreichend konkretisiert ist. Der Schadenersatzanspruch entsteht abstrakt zwar mit dem schädigenden Ereignis, im Streitfall im Zeitpunkt des Unfalls des Klägers. Dies genügt aber nicht zur Bejahung der Aktivierungspflicht in der Bilanz. Im Stadium des Entstehens eines wirtschaftlich greifbaren Anspruchs, der sich erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände als Wirtschaftsgut manifestiert und damit aktivierungspflichtig wird, liegt lediglich eine vage Anwartschaft, die auch im geschäftlichen Verkehr noch kein gegenständliches Gut darstellt.
Der BFH hat im Urteil vom 17. Februar 1971 I R 121/69 (BFHE 101, 513, BStBl II 1971, 391) für den Ansatz einer Rückstellung des Vermieters für künftige Instandhaltung des Mietobjekts dargelegt, daß eine solche Rückstellung im allgemeinen erst passivierungsfähig ist, wenn sich die Verbindlichkeit, die ihre zugrunde liegt, durch den Eintritt der Reparaturbedürftigkeit konkretisiert. Diese Grundsätze, die für die Bilanzierung von (ungewissen) Verbindlichkeiten gelten und denen der Senat zustimmt, müssen in verstärktem Maße für den Ansatz von Wirtschaftsgütern auf der Aktivseite der Bilanz Anwendung finden. Dies erfordern die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, deren einer der auch für die Einkommensteuerbilanz geltende Grundsatz der kaufmännischen Vorsicht ist (Urteile des BFH vom 4. September 1962 I 198/61 U, BFHE 76, 14, BStBl III 1963, 7; vom 20. November 1962 I 242/61 U, BFHE 76, 307, BStBl III 1963, 113; vom 27. Mai 1964 IV 352/62 U, BFHE 80, 8, BStBl III 1964, 478).
Dem entsprechen Überlegungen, die im Urteil IV 352/62 U über den Zeitpunkt der Ansatzpflicht eines Schadenersatzanspruchs ausgesprochen wurden. Hiernach braucht ein umstrittener Schadenersatzanspruch erst aktiviert zu werden, wenn wegen des Anspruchs ein rechtskräftiges obsiegendes Urteil vorliegt. Durch ein erstinstanzliches Urteil, das angefochten ist, wird der Anspruch noch nicht hinreichend konkretisiert. Auf den Streitfall angewendet könnte daher eine hinreichende Konkretisierung des Schadenersatzanspruchs, wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, daß die Versicherungsgesellschaft sich noch 1962 mit der Begründung einer Ersatzpflicht wegen Verdienstausfalls des Klägers entzog, der Kläger habe keinen Verdienstausfall erlitten, frühestens mit dem Vergleichsangebot der Gesellschaft im Januar 1963 bejaht werden, wovon anscheinend die Vorinstanz selbst ausgeht. Die von dieser angeführten Urteile des BFH I 51/55 U und IV 630/55 U stehen dieser Auffassung nicht entgegen.
3. Dem FG kann sodann aber nicht darin gefolgt werden, daß für den zu entscheidenden Fall die Grundsätze der Wertaufhellungstheorie des Urteils des BFH I 324/62 S Anwendung finden und daher schon allein deshalb die Ansatzpflicht in der Bilanz zum 31. Dezember 1961 zu bejahen sei, weil das Vergleichsangebot der Versicherungsgesellschaft bzw. der Vergleichsabschluß vor dem Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1961 durch den Kläger liegt. Für Anwendung der Wertaufhellungstheorie, die im Urteil des BFH vom 4. April 1973 I R 130/71 (BFHE 109, 55, BStBl II 1973, 485) zutreffend dahin interpretiert wird, daß auch nach dem Bilanztag eintretende Umstände bei der Bewertung der am Bilanztag anzusetzenden Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen sind, die einen Hinweis auf den Wert des Wirtschaftsguts am Bilanztag geben, ist hier kein Raum. Zwar trifft der Grundgedanke der These auch auf das Vorhandensein von Wirtschaftsgütern am Bilanztag zu, aber doch nur dann, wenn nachträgliche Umstände Erkenntnisse darüber vermitteln, daß am Bilanztag ein Wirtschaftsgut tatsächlich gegeben war. Dieser Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor. Der Kläger hat durch das Vergleichsangebot der Versicherungsgesellschaft im Januar 1963 keine Kenntnis über das Bestehen des Ersatzanspruchs erhalten, sondern das Wirtschaftsgut Ersatzanspruch selbst ist als aktivierungsfähiges überhaupt erst nach dem 31. Dezember 1961 entstanden. Denn nach dem unter 2. Ausgeführten ist das Vergleichsangebot das entscheidende Merkmal, durch das der Ersatzanspruch frühestens dergestalt konkretisiert wurde, daß von einem aktivierungsfähigen Wirtschaftsgut gesprochen werden kann. Der Ersatzanspruch kann dann aber nicht allein deshalb, weil der Zeitpunkt seiner Konkretisierung vor dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung lag, in einer Bilanz, hier der zum 31. Dezember 1961, ausgewiesen werden, zu deren Stichtag die Konkretisierung noch nicht eingetreten war. Dabei ist gleichgültig, daß der Wert des Ersatzanspruchs ebenfalls durch das Vergleichsangebot eindeutig festgelegt wurde.
Unter diesen Umständen braucht der Senat zu der sich aufdrängenden Frage, ob die Wertaufhellungstheorie im Streitfall auch deshalb nicht angewendet werden könnte, weil der Kläger die Bilanz 1961 erst mehr als ein Jahr nach Ablauf des Bilanztages und damit unter Umständen entgegen § 39 Abs. 2 Satz 2 HGB verspätet (vgl. hierzu Urteil des BFH I 324/62 S i. V. mit dem Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 112/69, BFHE 109, 167, BStBl II 1973, 555) aufgestellt hat, nicht Stellung zu nehmen.
4. Der Senat kann nicht selbst entscheiden. Denn infolge ihrer rechtsirrtümlichen Auffassung über die Wertaufhellungstheorie und ihre Anwendung auf den Streitfall unterließ es die Vorsinstanz, dem Vortrag des Klägers über die Konkretisierung des Ersatzanspruchs erst nach dem 31. Dezember 1961 nachzugehen und Feststellungen darüber zu treffen. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Streitsache zur erneuten Entscheidung nach Maßgabe der Ausführungen des Senats an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 70719 |
BStBl II 1974, 90 |
BFHE 1974, 532 |