Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines Erwerbsvorgangs i. S. v. § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 zwischen Kapitalgesellschaft und deren Gesellschafter

 

Leitsatz (NV)

Der Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs (Kaufvertrags) zwischen einer GmbH (Veräußerin) und deren Gesellschafter (Erwerber) i. S. v. § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steht nicht entgegen, daß

1. die GmbH das Kaufobjekt (Grundstück) im Vorgriff auf die Wiedererlangung ihrer ursprünglichen "freien" Rechtsposition gegenüber dem Gesellschafter (Erwerber) bereits (eine kurze Zeit) vor Aufhebung des Kaufvertrags zwischen GmbH und Gesellschafter im eigenen Namen und für eigene Rechnung an einen anderen (Zweiterwerber) verkauft hat;

2. der Gesellschafter aufgrund seiner Stellung als solcher an den Geschäftserfolgen der GmbH entsprechend seiner Beteiligungsquote (im Streitfall: 1 v. H.) teilgenommen hat;

3. der Gesellschafter in seiner Eigenschaft als (Mit-)Geschäftsführer der GmbH beim Abschluß des Kaufvertrags zwischen der GmbH und dem Zweiterwerber mitgewirkt hat; denn insoweit wurde der Gesellschafter-Geschäftsführer nicht in eigenem Namen und persönlichen Interesse, sondern als gesetzlicher Vertreter (Organ) der GmbH für deren Rechnung tätig.

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 16 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hält 1 v. H. der Geschäftsanteile an der X- GmbH und ist deren Geschäftsführerin. Ihr Ehemann hält die restlichen Anteile an der X- GmbH und ist ebenfalls Geschäftsführer dieser Firma.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 19. November 1991 erwarb die Klägerin von der X- GmbH eine Eigentumswohnung in Z. Der Kaufpreis betrug ... DM. Mit notariellem Vertrag vom 20. Dezember 1991 hoben die X-GmbH und die Klägerin den genannten Kaufvertrag auf. In § 3 dieses Aufhebungsvertrags beantragte die Klägerin, die Grunderwerbsteuer nicht festzusetzen bzw. einen eventuell ergangenen Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben.

Auf Anfrage des Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) teilte die Klägerin diesem am 21. Januar 1992 mit, die betreffende Wohnung hätten unbedingt andere Interessenten erwerben wollen. Diese Interessenten (Eheleute Y) hätten die Wohnung mit notariellem Vertrag vom 17. Dezember 1991 von der X-GmbH zum Preis von ... DM gekauft. Da sie -- die Klägerin -- die Wohnung lediglich als Kapitalanlage habe nutzen wollen, sei sie mit dem Verkauf an die Eheleute Y einverstanden gewesen. Als Ersatz habe sie von der X- GmbH mit Kaufvertrag vom 20. Dezember 1991 eine andere Wohnung zum gleichen Preis erworben.

Mit Bescheid vom 29. Januar 1992 setzte das FA wegen des Erwerbsvorgangs vom 19. November 1991 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. Mit weiterem Bescheid vom 30. Januar 1992 lehnte das FA die Aufhebung dieses Grunderwerbsteuerbescheids ab, da eine Rückgängigmachung i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 nicht vorgelegen habe.

Mit der hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage beantragte die Klägerin, den Verwaltungsakt vom 30. Januar 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sowie den Grunderwerbsteuerbescheid vom 29. Januar 1992 aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es bejahte die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG 1983.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 für eine Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 29. Januar 1992 vorgelegen haben.

1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 wird ein Erwerbsvorgang auf Antrag u. a. dann nicht besteuert, wenn er vor dem Übergang des Eigentums an dem betreffenden Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird. "Rückgängig gemacht" in diesem Sinne ist ein Erwerbsvorgang dann, wenn sich die Vertragspartner derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, daß die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtstellung wiedererlangt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253). Die beiden Voraussetzungen für eine tatsächliche Rückgängigmachung des Vertrags, nämlich der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits, sind nicht isoliert, sondern in sachlichem Zusammenhang zu betrachten. Nur wenn der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung deshalb nicht wiedererlangt, weil trotz der formellen Aufhebung des Vertrages der Erwerber die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück behält, steht dies der Annahme einer tatsächlichen Rückgängigmachung des Vertrags entgegen. Denn § 16 Abs. 1 GrEStG 1983 verlangt lediglich die Beseitigung der Folgen eines Grundstückskaufvertrags, und zwar dergestalt, daß Bindungen zwischen den ursprünglichen Vertragsbeteiligten von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung nicht mehr bestehen bleiben (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BFH- Urteile vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271, und vom 7. Oktober 1987 II R 123/85, BFHE 152, 193, BStBl II 1988, 296, zu den entsprechenden Bestimmungen des § 34 Abs. 1 des Rheinland-Pfälzischen GrEStG und des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940).

2. Im Streitfall haben die Vertragspartner des Kaufvertrags vom 19. November 1991 diesen Erwerbsvorgang nicht nur formal aufgehoben, sondern auch im Sinne der unter 1. dargelegten Grundsätze tatsächlich rückgängig gemacht. Dem Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 war daher zu entsprechen.

a) Im Zeitpunkt der innerhalb der Zwei-jahresfrist des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 erfolgten Aufhebung des Kaufvertrags vom 19. November 1991 -- d. h. am 20. Dezember 1991 -- war das Eigentum der verkauften Eigentumswohnung noch nicht auf die Klägerin übergegangen.

b) Durch den notariell beurkundeten Aufhebungsvertrag vom 20. Dezember 1991 haben sich die Vertragspartner vollständig aus den durch den Kaufvertrag vom 19. November 1991 begründeten Bindungen (gegenseitigen Rechten und Pflichten) entlassen.

aa) Dem steht zunächst nicht entgegen, daß die Klägerin als Ersatz für die Preisgabe ihres Übereignungs- und Übergabeanspruchs in bezug auf die ihr am 19. November 1991 verkaufte Eigentumswohnung durch den neuen Kaufvertrag vom 20. Dezember 1991 ein anderes Objekt von der X-GmbH zum gleichen Kaufpreis erwarb. Denn dies vermochte nichts daran zu ändern, daß die Klägerin in bezug auf das dem hier allein zu beurteilenden Erwerbsvorgang vom 19. November 1991 zugrundeliegende Kaufobjekt ihre Verfügungsmöglichkeit einbüßte und die Veräußerin insoweit ihre ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangte (vgl. auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 2. Januar 1990 4 K 70/88, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1990, 376, 377, linke Spalte).

bb) Entgegen der Ansicht des FA sind zwischen der Klägerin und der X-GmbH in bezug auf den streitigen Erwerbsvorgang vom 19. November 1991 nach Abschluß des Aufhebungsvertrages vom 20. Dezember 1991 auch keine Bindungen von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung bestehen geblieben.

Derartige -- der Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 entgegenstehende -- Bindungen wären anzunehmen, wenn die Veräußerin (X-GmbH) trotz der Aufhebung des Kaufvertrages vom 19. November 1991 ihre ursprüngliche Rechtsstellung ("freie" Verfügungsmöglichkeit) in bezug auf das Kaufobjekt nicht wiedererlangt hätte und die Klägerin nach wie vor die aus dem aufgehobenen Kaufvertrag erlangte Position hätte verwerten können (vgl. Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., § 16 Rdnz. 16 m. w. N.; Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 16 Rdnr. 61 m. w. N.; Viskorf, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1988, 206, 207f.) bzw. diese Position bereits verwertet gehabt hätte, ohne daß diese Verwertung nach Aufhebung des Erwerbsvorgangs rückgängig gemacht worden wäre.

Für das Vorliegen eines solchen Sachverhalts bestehen keine Anhaltspunkte: Mit der Aufhebung des Kaufvertrags vom 19. November 1991 hatte sich die Klägerin sämtlicher Rechte (Vorteile) aus diesem Vertrag und damit jeglicher Einwirkungsmöglichkeiten auf das Kaufobjekt zugunsten der X- GmbH begeben.

Die Veräußerin (X-GmbH) erlangte dadurch gegenüber der Klägerin ihre ursprüngliche "freie" Rechtsstellung zurück. Daß die X-GmbH im Zeitpunkt der Aufhebung des Kaufvertrags bereits gegenüber den Zweiterwerbern (Eheleute Y) gebunden war, weil sie das Kaufobjekt im Vorgriff auf die Wiedererlangung ihrer ursprünglichen "freien" Rechtsposition gegenüber der Klägerin bereits am 17. Dezember 1991 im eigenen Namen und für eigene Rechnung an die Eheleute Y verkauft hatte, ist entgegen der Ansicht des FA für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 ohne Belang. Die Rechte und Pflichten und das wirtschaftliche Ergebnis aus diesem Zweitverkauf trafen auf der Veräußererseite allein die X-GmbH, nicht hingegen (auch) die Klägerin, die aus der Zweitveräußerung keine persönlichen wirtschaftlichen Vorteile haben sollte.

An diesem Ergebnis ändert nichts, daß die Klägerin aufgrund ihrer Stellung als (Minderheits-)Gesellschafterin der X-GmbH mittelbar an deren Geschäftserfolgen entsprechend ihrer Beteiligungsquote partizipierte. Denn diese -- mittelbare -- Teilhabe am Geschäftserfolg der X-GmbH beruhte nicht darauf, daß die Klägerin ihre durch den Kaufvertrag vom 19. November 1991 erlangte Rechtsposition verwertete, sondern allein auf ihrer -- unabhängig von diesem Kaufvertrag und dessen Aufhebung bestehenden -- gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an der X-GmbH. Auch der Gesichtspunkt, daß die Klägerin in ihrer Eigenschaft als (Mit-)Geschäftsführerin der X-GmbH (Veräußerin) beim Abschluß des Kaufvertrags zwischen der X-GmbH und den Zweiterwerbern (Eheleute Y) mitgewirkt hat, steht der Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 nicht entgegen. Denn insoweit handelte die Klägerin nicht in ihrem eigenen Namen und persönlichen Interesse, sondern als gesetzliche Vertreterin (Organ) der X-GmbH und für deren Rechnung. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das GrEStG strikt zwischen der Sphäre der Kapitalgesellschaft und den Sphären ihrer Gesellschafter trennt. Dies gilt sowohl für die Verwirklichung von Erwerbsvorgängen zwischen Kapitalgesellschaft und Gesellschafter i. S. von § 1 GrEStG 1983 als auch für deren Umkehrung, d. h. die Rückgängigmachung von Erwerbsvorgängen im Rahmen des § 16 GrEStG 1983.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421011

BFH/NV 1996, 260

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