Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Erwirbt ein Steuerpflichtiger durch testamentarische Erbfolge Betriebsvermögen, so liegt in der Regel ein unentgeltlicher und nicht ein ganz oder teilweise entgeltlicher Erwerb vor. Etwa auf dem ererbten Vermögen lastende Pflichtteilsverbindlichkeiten sind in diesem Falle beim Erben keine Anschaffungskosten (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs I 115/59 U vom 6. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 2).
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 6; EStDV § 5 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuer 1954 der Bf. im wesentlichen die Frage der Bewertung eines im Erbfolgewege angefallenen Betriebsvermögens, und zwar, ob hierfür die Werte des Erblassers fortzuführen sind oder ob eine Höherbewertung der Gegenstände des Betriebsvermögens um die von der Erbin zu tragenden Erbfallschulden (= Pflichtteilsverbindlichkeiten), die auf dem Nachlaß ruhen, zulässig ist.
Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der am 25. Juni 1954 tödlich verunglückte Kaufmann X. war Inhaber mehrerer Molkereibetriebe und Autoreparaturwerkstätten mit Autohandel. Er hatte durch Testament vom 21. Juni 1953 zu seiner alleinigen Erbin die beschwerdeführende Ehefrau (Bfin.) eingesetzt und seine beiden aus seiner geschiedenen Ehe stammenden Söhne auf den Pflichtteil gesetzt. über die Berechnung des Pflichtteils schweben noch Verhandlungen und ein Zivilprozeß (betreffend Höhe des Nachlasses).
Die Bfin. hat in ihren auf den 30. Juni 1954, statt auf den genauen Todestag des Erblassers (25. Juni 1954), aufgestellten Eröffnungsbilanzen die Buchwerte des Erblassers nicht unverändert fortgeführt, sondern die Werte des Anlagevermögens erhöht, einen Firmenwert angesetzt und von den erhöhten Anlagewerten Abschreibungen vorgenommen. Sie ging dabei von der Erwägung aus, daß den beiden Söhnen des Erblassers ein Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Nachlaßwertes auszuzahlen sei und demgemäß in Höhe der Hälfte des Betriebsvermögens der Pflichtteil Anschaffungskosten für sie im Sinne des § 6 EStG darstelle. Eine im Jahre 1956 durchgeführte Betriebsprüfung folgte dem jedoch nicht, sondern sah den übergang der Betriebe in vollem Umfang als einen einheitlichen und unentgeltlichen Vorgang mit der Maßgabe an, daß in der Eröffnungsbilanz der Bfin. zum 1. Juli 1954 die Buchwerte der Schlußbilanz vom 30. Juni 1954 unverändert fortgeführt werden müßten. Das zuständige Finanzamt schloß sich dieser Auffassung an und veranlagte die Bfin. für 1954 entsprechend dem Betriebsprüfungsbericht.
Die hiergegen eingelegte Sprungberufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht führte in seiner Entscheidung aus: Die Pflichtteilsverbindlichkeiten der Alleinerbin gegenüber den Söhnen des verunglückten Erblassers begründeten keinen teilweise entgeltlichen Erwerb der ererbten Betriebe. Zivilrechtlich liege eine Gesamtrechtsnachfolge vor mit der Folge, daß der Erbe Besitz und Schulden gleichzeitig übernehme. Er erhalte den Besitz nicht als Entgelt für die Verbindlichkeiten, sondern beides zusammen. Es könne daher zum Beispiel auch nur eine einheitliche Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft erfolgen. Nach bürgerlichem Recht könne niemals, gleichgültig, ob eine gesetzliche oder eine testamentarische Erbfolge vorliege, von einem entgeltlichen Erwerb des Erbteils gesprochen werden. Auch steuerrechtlich würden die Fälle der Erbfolge in Betrieben nicht anders beurteilt, in denen Erblasserschulden vorhanden seien. Davon gehe grundsätzlich auch das hier umstrittene Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1488/31 vom 8. November 1933 (RStBl 1934 S. 295) aus. Andernfalls könnte es eine unentgeltliche übertragung eines Betriebes im Sinne von § 5 EStDV 1953 von Todes wegen praktisch überhaupt nicht geben.
Ob die etwa vom Erben zu tragenden sogenannten Erbfallschulden, zu denen auch Pflichtteilsverbindlichkeiten gehörten, Anschaffungskosten für einen ererbten Betrieb darstellen könnten, hänge davon ab, ob die Leistungen überhaupt als eigene Leistungen des Erben angesehen werden könnten. Das sei dann nicht der Fall, wenn als zugewendet nur das angesehen werden könne, was dem Erben nach Abzug der sogenannten Erbfallschulden vom Nachlaßvermögen verbleibe. Es lägen dann Leistungen des Erben vor, die er aus dem Werte der Erbschaft, nicht jedoch für den Erwerb der Erbschaft zu erbringen habe. Es bestehe ferner auch zwischen eigentlicher Nachlaßverbindlichkeit und sogenannter Erbfallschuld insofern ein Unterschied, als im ersten Fall der Erbe nur in die Rechtsstellung des Erblassers einrücke, während im zweiten Fall die Erbfallschuld erst mit dem Erbfall überhaupt zur Entstehung gelange und dann den Erben als solchen treffe.
Nach Ansicht des Reichsfinanzhofs schieden solche Erbfallschulden als Anschaffungskosten aus, bei denen der Versorgungsgedanke überwiege. Daraus könne aber nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß, weil die Auflagen usw. nicht überwögen, in jedem Fall die Annahme eines entgeltlichen Erwerbes eines ererbten Betriebes begründet sei. Es müsse vielmehr hinzukommen, daß die fraglichen Vorgänge einkommensteuerrechtlich das Betriebsvermögen berührten. Im Streitfall stehe somit noch nicht fest, daß die Pflichtteilsverbindlichkeiten einkommensteuerrechtlich deshalb das Betriebsvermögen berührten, weil sie nicht auf dem Versorgungsgedanken beruhten. Der Reichsfinanzhof habe zwar im Falle des genannten Urteils vom 8. November 1933 den Zusammenhang mit dem Betriebsvermögen nach den dort gegebenen besonderen Umständen angenommen. Im Streitfall liege aber der Sachverhalt anders, so daß die Grundsätze dieses Urteils auf ihn keine Anwendung finden könnten. Das Finanzgericht kam daher zur Zurückweisung der Berufung.
Mit der Rb. machen die Bf. im wesentlichen unrichtige Rechtsanwendung geltend, die sie darin sehen, daß das Finanzgericht es abgelehnt hat, die Grundsätze des Urteils des Reichsfinanzhofs vom 8. November 1933 auf den Streitfall anzuwenden. Sie sind der Ansicht, daß bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise, die sich aus dem Urteil zwingend ergebe und von der auch das Finanzgericht habe ausgehen wollen, beide Fälle gleichlägen und nicht unterschiedlich beurteilt werden könnten. Es müsse rechtlich zwingend gefolgert werden, daß der Erblasser im Falle des Urteils vom 8. November 1933 den Sohn zum Alleinerben eingesetzt und seinen beiden Töchtern Geldvermächtnisse zu Lasten des Alleinerben zugewendet habe. Im Streitfall sei die mit dem Erblasser zwar nicht verwandte Bfin. zur Alleinerbin berufen worden, während die ehelichen Söhne auf den Pflichtteil gesetzt worden seien. Pflichtteilsverbindlichkeiten seien gemäß § 1967 Abs. 2 BGB Nachlaßverbindlichkeiten, die den Erben als solchen träfen, also Erbfallschulden. Im wirtschaftlichen Endergebnis sei der Anspruch nichts anderes als ein gesetzlicher Abfindungsanspruch der Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben. Der vom Reichsfinanzhof erwähnte Versorgungsgedanke scheide im Streitfall völlig aus. Der Fall müsse wirtschaftlich so angesehen werden, als habe der Erblasser die Bfin. zur Hälfte und seine beiden Söhne zu je 1/4 zu Erben berufen wollen und als habe die Bfin. dann die Erbteile der beiden Söhne käuflich, d. h. also entgeltlich gegen Zahlung des Pflichtteils, erworben, so daß auch hier nach den Grundsätzen des Urteils vom 8. November 1933 entschieden werden müsse.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Streitig ist, ob die die Bfin. auf Grund des Testaments vom 21. Juni 1953 treffenden Erbfallschulden (Pflichtteilsverbindlichkeiten) gegenüber den im Testament nicht bedachten beiden Söhnen als Verbindlichkeiten der privaten Sphäre der Erbin oder als Anschaffungskosten - also als Kosten, die auf einem Erwerbsvorgang, nämlich einem entgeltlichen Betriebserwerb der Bfin., beruhen - mit den von der Bfin. aus dieser Annahme gezogenen Folgerungen anzusehen sind. Wie auch die Bfin. nicht verkennt, kann die von ihr beanspruchte Höherbewertung des von ihr geerbten Vermögens (mehrere gewerbliche Betriebe) nicht vorgenommen werden, wenn die Erbfallschulden als eine familien- und erbrechtliche Angelegenheit anzusehen und demgemäß der Privatsphäre zuzurechnen sind (siehe dazu auch das Urteil des Bundesfinanzhofs I 115/59 U vom 6. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 2). Das hat die Vorinstanz angenommen. Der Senat tritt ihr darin bei.
Unstreitig beruht der gesamte Vermögensanfall der Bfin. auf der Bestimmung des Testaments vom 21. Juni 1953, durch das die Bfin. das gesamte Vermögen des tödlich verunglückten Kaufmanns X. vermacht erhielt und dessen Söhne auf den Pflichtteil gesetzt wurden. Damit spricht schon das äußere Bild dafür, daß es sich um einen Vorgang der familien- und erbrechtlichen Privatsphäre handelt. Ein Zusammenhang mit der betrieblichen Sphäre der Bfin., die, wie sich aus den Akten ergibt, zeitweise Prokuristin des Erblassers war, ist nicht ersichtlich. Es entspricht auch der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs (siehe das oben genannte Urteil I 115/59 U vom 6. Oktober 1959 und das Urteil VI A 1469/30 vom 18. Dezember 1930, RStBl 1931 S. 381, u. a.), den Erbfall in der Regel als Vorgang der privaten Lebenssphäre anzusehen. Forderungen, die dabei gegen den Erben entstehen, berühren daher das Privatvermögen und können in der Regel keine Betriebsschulden darstellen (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 217/29 vom 12. November 1930, RStBl 1931 S. 108). Auch nach zivilrechtlichen Grundsätzen sind Pflichtteilsverbindlichkeiten Nachlaßverbindlichkeiten im Sinne von § 1967 Abs. 2 BGB (siehe dazu Palandt, Anm. 3 vor § 2303 BGB). Der Reichsfinanzhof hat im Urteil vom 18. Dezember 1930 (a. a. O) entschieden, daß Kosten, die im Zusammenhang mit einem Erbfall entstehen, keine Werbungskosten (Betriebsausgaben) sind. Es ist deshalb im Grundsatz davon auszugehen, daß der Erbfall eine Angelegenheit der Privatsphäre ist.
Dem steht nicht entgegen, daß die Rechtsprechung die Möglichkeit einer gemischten Schenkung im Grundsatz anerkannt hat (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs I 115/59 U vom 6. Oktober 1959, a. a. O., und des Reichsfinanzhofs VI A 1488/31 vom 8. November 1933, a. a. O.). Daher kann es sich unter Umständen um teilweise entgeltlichen Erwerb handeln. Das muß aber nicht der Fall sein. Fälle dieser Art hat die Rechtsprechung, wie sich aus der Begründung des Urteils vom 8. November 1933 ergibt, insbesondere bei Erbauseinandersetzungen als möglich angesehen. Darum handelt es sich jedoch im Streitfall nicht. Es liegt nach Ansicht des Senats zweifelsfrei kein rechtsgeschäftlicher Erwerb der der Bfin. angefallenen Betriebe gegen eine Gegenleistung (Zahlung des Pflichtteils an die Söhne des Verunglückten) vor. Alleinige Grundlage des Vermögenserwerbs ist vielmehr das Testament des Erblassers zugunsten der Bfin. Mit Recht hat deshalb die Vorentscheidung ausgeführt, daß im Streitfall die Erbfallschulden nicht als Anschaffungskosten der ererbten Betriebe angesehen werden könnten und auch ein wirtschaftlicher Zusammenhang der Pflichtteilsschuld mit dem ererbten Betriebsvermögen nicht bestehe. Die Tatsache, daß die Pflichtteilsansprüche sich nach der Höhe und dem Wert des Betriebsvermögens bemessen, reicht zur Annahme eines wirtschaftlichen Zusammenhanges mit dem Betriebsvermögen keinesfalls aus (im Gegensatz zu Henze, Deutsche Steuer-Zeitung 1938 S. 1180). Es handelt sich dabei vielmehr um die Findung einer Bemessungsgrundlage für die Ansprüche. Mit Recht hat ferner das Finanzgericht ausgeführt, daß der Sachverhalt im Falle des Urteils vom 8. November 1933 insofern wesentlich anders gelagert war, als dort der Vater seine drei Kinder völlig gleichbehandeln wollte, während im Streitfall die zweifelhafte Absicht des Erblassers dahin ging, sein Vermögen ausschließlich der Bfin. zuzuwenden. Das Finanzgericht konnte somit zu dem Ergebnis kommen, daß die Grundsätze des Urteils vom 8. November 1933 auf den Streitfall nicht anzuwenden seien. Zur gegenteiligen Auffassung zwangen es auch nicht überlegungen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise; denn diese können nicht dazu führen, daß eine Angelegenheit, die - wie hier der streitige Erbfall - als eine solche der familien- und erbrechtlichen Sphäre anzusehen ist, als eine Angelegenheit der betrieblichen Sphäre behandelt wird.
Nicht zu Unrecht hat auch das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß, falls man die übernahme von Betriebs- oder Nachlaßschulden als entgeltlichen Erwerb ansehe, es kaum jemals eine unentgeltliche Betriebsübertragung von Todes wegen geben würde. Der Erbe übernimmt die Schulden, gleich welcher Art, nicht als Gegenleistung für den ihm anfallenden Besitz, sondern er übernimmt Besitz und Schulden einheitlich zusammen.
Nach alledem bestand für die Vorinstanz kein Zwang, den Sachverhalt, wie die Bfin. meint, so anzusehen, als ob der Erblasser die Bfin. zur Hälfte und seine beiden Söhne je zu 1/4 als Erben berufen und dann die Bfin. die Erbteile der beiden Söhne käuflich, d. h. also entgeltlich, erworben habe. Das Testament vom 21. Juni 1953 macht die Bfin. eindeutig unter Ausschluß der ehelichen Söhne zur Alleinerbin. Der Senat verbleibt somit dabei, daß es sich bei dem Streitfall um einen Vorgang erb- und vermögensrechtlicher Natur handelt und ein ganz oder teilweise entgeltlicher Erwerb des Vermögens durch die Bfin. nicht gegeben ist. Ist das aber der Fall, so kann eine Aufstockung der ererbten Vermögenswerte gemäß dem Begehren der Bfin. nicht erfolgen. Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409623 |
BStBl III 1960, 172 |
BFHE 1960, 459 |
BFHE 70, 459 |
BB 1960, 510 |
DB 1960, 597 |