Leitsatz (amtlich)
Wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verpflichtung des FA zur Zahlung von Erstattungszinsen nach dem 31. Dezember 1965 im Anschluß an einen Rechtsstreit verwirklicht, der bereits vor dem 1. September 1961 rechtshängig geworden war, so beginnt die Verzinsung im Falle einer Sprungberufung nicht vor Eingang der Berufungsschrift beim FG.
Normenkette
StÄndG 1961 Art. 17 Nr. 6, Art. 18; AO i.d.F. vor dem 1. Januar 1966 § 155; AO i.d.F. vor dem 1. Januar 1966 § 249; AO i.d.F. vor dem 1. Januar 1966 § 261; FGO § 47 Abs. 2, § 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1, § 111; StSäumG §§ 5-6
Gründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Verwaltungsentscheidungen und zur anderweitigen Festsetzung des Betrages der Erstattungszinsen.
Der Senat bejaht in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung den Anspruch auf Erstattungszinsen gemäß § 111 FGO 1) ...
Für die Berechnung des Zeitraums, für den Erstattungszinsen zu zahlen sind, ist gleichfalls nicht mehr § 155 AO a. F., sondern ausschließlich § 111 FGO maßgeblich. Danach hat die Verzinsung gemäß § 5 StSäumG vom Tage der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu erfolgen. Diese Regelung weicht insofern von § 155 AO a. F. ab, als für den Beginn der Verzinsungspflicht zwar auch der "Tag der Rechtshängigkeit bei Gericht" festgesetzt war, jedoch mit dem Klammerzusatz "(§ 249)". § 249 AO a. F. schrieb in Abs. 3 Sätze 1 und 2 vor, daß die Rechtsmittel bei der Geschäftsstelle der Behörde anzubringen seien, deren Bescheid angefochten werde. Die Anbringung bei der zur Entscheidung berufenen Stelle (Rechtsmittelbehörde) oder bei der für eine frühere Rechtsstufe zuständigen Behörde genüge. Gemäß § 249 Abs. 3 Satz 4 AO a. F. waren die Rechtsmittel dann, wenn sie bei der Rechtsmittelbehörde angebracht waren, der zuständigen Stelle, d. h. der Geschäftsstelle der Behörde, deren Bescheid angefochten wurde, zu übermitteln. Der in dem aufgehobenen § 155 AO a. F. gebrauchte Ausdruck "Rechtshängigkeit" gibt durch die Klammerverweisung auf § 249 AO a. F. dem Begriff einen Sinngehalt, der von dem im sonstigen Prozeßrecht verwendeten Begriff der Rechtshängigkeit abweicht; denn die Rechtshängigkeit wird nach Prozeßrecht stets nur durch die Erhebung der Klage begründet (vgl. § 263 Abs. 1 ZPO, § 90 Abs. 1 VwGO), und dies kann nur bei Gericht geschehen, nicht an anderer Stelle. Der in § 155 AO a. F. verwendete Begriff der Rechtshängigkeit entsprach vielmehr dem der Anhängigkeit bei Gericht, wie er auch in Art. 18 StÄndG 1961 verwendet wurde, mit der Folge, daß der Rechtsstreit auch dann als anhängig anzusehen war, wenn das Rechtsmittel gemäß § 249 Abs. 3 AO a. F. bei der Geschäftsstelle der Behörde angebracht worden war, deren Bescheid angefochten wurde (vgl. BFH-Urteile III 82/62 U vom 20. Juli 1962, BFH 75, 382, BStBl III 1962, 404, und V 299/61 vom 30. September 1965, HFR 1966, 28). Demgegenüber ist der in § 111 Abs. 1 FGO verwendete Begriff der Rechtshängigkeit im allgemeinen prozeßrechtlichen Sinne zu verstehen, was durch § 66 Abs. 1 FGO bestätigt wird. Nach dieser Vorschrift tritt die Rechtshängigkeit der Streitsache durch Erhebung der Klage ein; nach § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage bei dem Gericht zu erheben. Dem steht nicht entgegen, daß es zur Fristwahrung für die Klageerhebung nach § 47 Abs. 2 FGO genügt, wenn die Klage bei der Behörde "angebracht" wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen hat, denn hierdurch wird die Klage zwar "anhängig", aber noch nicht "rechtshängig" (vgl. auch Tipke-Kruse, a. a. O., § 66 FGO Rdnr. 1, § 111 FGO Rdnr. 4; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 66 FGO Anm. 2 Abs. 1; Ziemer-Birkholz, a. a. O., § 66 FGO Rdnr. 7; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 66 FGO Rdnr. 5). Auch im Streitfall kann die Verzinsung erst vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit an erfolgen, d. h. von dem Zeitpunkt ab, zu dem die Streitsache beim Gericht eingegangen ist. Selbst wenn es sich hier um eine Sprungberufung handelte, kann auch insoweit nicht die Einlegung der Sprungberufung beim FA, sondern nur der Eingang der Streitsache beim FG als Zeitpunkt für den Beginn der Zinszahlungen maßgeblich sein. Nach dem Inhalt der Akten ist die Sprungberufung am 1. Februar 1960 beim FG eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Streitsache rechtshängig geworden, so daß die Verzinsung gemäß § 111 Abs. 1 FGO auch von diesem Zeitpunkt ab beginnt. Der Zeitraum, für den Erstattungszinsen zu zahlen sind, läuft somit vom ..... 1960 bis ..... 1966. Das sind 82 volle Monate. Der vom FA zu entrichtende Zinsbetrag errechnet sich daher auf ... DM.
1) So schon BFH-Urteil vom 7.10.1970 III R 114/68 (BStBl. II 1971, 14)
Fundstellen
Haufe-Index 69481 |
BStBl II 1971, 529 |
BFHE 1971, 14 |