Leitsatz (amtlich)
Wenn ein Bauträger ein Grundstück mit einem im Bau befindlichen Gebäude verkauft und sich zugleich dem Käufer gegenüber verpflichtet, das Bauvorhaben nach den vorhandenen Plänen fertigzustellen (Verkauf mit Fertigstellungsverpflichtung), erwirbt der Käufer das Grundstück nicht zur Fertigstellung des Bauwerks und gibt der Verkäufer seinen eigenen Bebauungszweck nicht auf.
Normenkette
GrEStG Hessen § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a; GrEStG Hessen § 4 Abs. 10 Unterabs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schloß am 31. Mai 1969 einen notariell beurkundeten Vertrag über den Kauf eines Grundstücks, auf dem ein Gebäude im Rohbau im wesentlichen fertiggestellt war. Zugleich wurde die Auflassung erklärt. Die Verkäuferin verpflichtete sich, das im Bau befindliche Gebäude nach Maßgabe der der Klägerin bekannten Baupläne schlüsselfertig zu erstellen. Die Kosten der Fertigstellung waren in dem Kaufpreis enthalten. Der Verkäuferin war bereits am 28. April 1969 der Rohbauabnahmeschein erteilt worden.
Die Klägerin beantragte, den Erwerb gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der in Hessen geltenden Fassung von der Grunderwerbsteuer freizustellen, weil sie das Grundstück zur Schaffung von Wohnraum erworben habe.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat den Antrag abgelehnt und Grunderwerbsteuer festgesetzt. Das Finanzgericht (FG) hat den angefochtenen Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Kaufvertrag vom 31. Mai 1969 unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Der Erwerb ist nicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit.
Der Kaufvertrag wäre nur dann steuerfrei gewesen, wenn die Klägerin das Grundstück i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG zur Schaffung von Wohnraum erworben hätte. Das war nicht der Fall. Die Fertigstellung des schon rohbaufertigen Gebäudes war nach dem Kaufvertrag Vertragspflicht der Verkäuferin, die von ihrer Verpflichtung zur Übereignung des Grundstückes nicht zu trennen war. Es lag ein einheitlicher Vertrag i. S. des § 139 BGB vor (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 25. Juli 1979 II R 105/77, BFHE 128, 544, BStBl II 1980, 11). Nach dem eindeutigen Wortlaut des Vertrages war die Fertigstellung des Gebäudes Verpflichtung der Verkäuferin in ihrer Eigenschaft als Verkäuferin. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, daß der Auftrag zur Fertigstellung unabhängig von dem Kaufvertrag an die Verkäuferin erteilt worden ist. Deshalb trat für die Verkäuferin durch den Kaufvertrag in ihrem Verhältnis zu dem Bauvorhaben keine Änderung dahin ein, daß sie die Verwirklichung ihres steuerbegünstigten Zweckes (die Schaffung von steuerbegünstigtem Wohnraum) aufgegeben und die Klägerin die Verwirklichung des steuerbegünstigten Zweckes als einen eigenen Zweck übernommen hätte. Auch die Aussage des vom FG vernommenen Zeugen läßt eine andere Schlußfolgerung nicht zu.
Die Grunderwerbsteuerfreiheit gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG setzt voraus, daß ein Grundstück zur Schaffung von steuerbegünstigtem Wohnraum erworben wird. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, daß der Erwerber diesen Zweck selbst verwirklichen muß, will er die Steuerfreiheit erlangen (vgl. u. a. die Urteile des erkennenden Senats vom 2. September 1959 II 66/57, BFHE 69, 518, BStBl III 1959, 453, und vom 28. April 1970 II 109/65, BFHE 99, 250, BStBl II 1970, 600; weitere Nachweise bei Boruttau/Klein/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Anhang 1028 a). Die Steuerbefreiung wird u. a. dann nicht ausgeschlossen, wenn jemand ein Grundstück mit einem im Bau befindlichen Gebäude kauft und das Bauvorhaben selbst fertigstellt oder durch einen von ihm beauftragten Dritten fertigstellen läßt (§ 4 Abs. 10 Unterabs. 3 GrEStG). Dies gilt allerdings nur insoweit, als die Fertigstellung der Bebauung nicht weiterhin dem Verkäufer zuzurechnen ist. Der Käufer eines Grundstücks mit einem im Bau befindlichen Gebäude kann deshalb Steuerfreiheit nur erlangen, wenn zugleich angenommen werden muß, daß der Verkäufer, der mit der Bebauung begonnen hat, die von ihm begonnene Zweckverwirklichung (Schaffung steuerbegünstigter Wohnungen) aufgegeben hat. Dies folgt aus dem Grundsatz, daß Steuerfreiheit wegen eines Grundstückserwerbs zur Schaffung von steuerbegünstigtem Wohnraum nur einmal gewährt wird.
Entscheidend ist danach, ob sich die Verkäuferin, die mit der Zweckverwirklichung begonnen hatte, durch den Verkauf so weit von dem Bauvorhaben gelöst hat, daß angenommen werden konnte, sie habe den steuerbegünstigten Zweck aufgegeben. Dies ist nicht der Fall. Die Verkäuferin hatte das Bauvorhaben begonnen und sollte es nach den von ihr aufgestellten Plänen fertigstellen. Der Umstand allein, daß die Fertigstellung nach Abschluß des Kaufvertrages für sie zur Vertragspflicht gegenüber der Klägerin geworden war, läßt nicht den Schluß zu, daß sie nunmehr den steuerbegünstigten Zweck aufgegeben habe. Ihre Stellung zum Bauvorhaben hat keine grundsätzliche Veränderung erfahren. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Frage der Mängelhaftung nach Werkvertragsrecht in Fällen der vorliegenden Art ist davon auszugehen, daß hier ein einheitlicher Vertrag mit Fertigstellungsverpflichtungen vorliegt (vgl. zuletzt das Urteil vom 5. April 1979 VII ZR 308/77, Neue Juristische Wochenschrift 1979 S. 1406 - NJW 1979, 1406 - mit weiteren Nachweisen; kritisch zu dem entschiedenen Einzelfall Peters, NJW 1979, 1820).
Auf die Aussage des vom FG vernommenen Zeugen kommt es nicht an. Wenn dieser ausgesagt hat, das Grundstück sollte in dem Zustand, in dem es sich bei Abschluß des Vertrages befand, zum Gegenstand des Vertrages gemacht werden, so ist hierin keine Tatsachenäußerung zu sehen, sondern nur eine rechtliche Würdigung des abgeschlossenen Vertrages, die in den mit Rechtsfolgewillen getroffenen Abmachungen selbst keine Grundlage findet. Diese Äußerung ist nicht anders zu würdigen, als hätte der Zeuge ausgesagt, die Beteiligten seien sich darüber einig gewesen, daß die Klägerin Bauherrin werden sollte. Solche Äußerungen ohne Tatsachenhintergrund beweisen nicht, daß mit dem Abschluß des Kaufvertrages in dem Verhältnis der Verkäuferin zur Bebauung eine grundlegende Änderung eingetreten ist. Der erkennende Senat vermag sich deshalb nicht der aus der Zeugenaussage vom FG gezogenen Schlußfolgerung anzuschließen. Es handelt sich insoweit nicht um eine nur dem Tatsachenrichter zugängliche Würdigung dahin, daß eine Tatsache wahr oder unwahr sei. Das FG hat sich vielmehr der vom Zeugen geäußerten Rechtsauffassung angeschlossen. Diese Rechtsauffassung aber ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Vertrages nicht richtig.
Ohne Bedeutung für den vorliegenden Fall ist, daß die Rechtsprechung des BGH dahin geht, beim Kauf eines Grundstückes mit noch nicht fertiggestelltem Gebäude richte sich die Mängelhaftung für das Gebäude nach Werkvertragsrecht (vgl. das schon erwähnte Urteil des BGH, NJW 1979, 1406 mit weiteren Nachweisen). Soweit in der früheren Rechtsprechung des Senats andere Aussagen gemacht worden sind (vgl. die Urteile vom 20. Juni 1967 II 73/63, BFHE 90, 82, 86, BStBl III 1967, 794, ferner BFHE 99, 250, 255, BStBl II 1970, 600 und BFHE 99, 558, 560, BStBl II 1970, 749), hält der Senat hieran nicht mehr fest. Entscheidend ist allein, daß die vom Verkäufer im untrennbaren Zusammenhang mit dem Kaufvertrag eingegangene Fertigsteilungsverpflichtung ausschließt, dieser habe den steuerbegünstigten Zweck (Schaffung von steuerbegünstigtem Wohnraum) aufgegeben. Daraus folgt, daß der Käufer diesen Zweck nicht als eigenen Zweck übernommen hat.
Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung. Der Senat kann in der Sache selbst erkennen. Die vom FG festgestellten Tatsachen, vor allem der eindeutige Wortlaut des Kaufvertrages ergeben, daß die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit des Erwerbs gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG nicht vorgelegen haben. Nach dem eindeutigen Vertragswortlaut kann auch die Höhe der Gegenleistung nicht zweifelhaft sein. Sie richtet sich nach dem Gegenstand des Kaufvertrages. Dieser war im vorliegenden Fall das Grundstück mit dem noch fertigzustellenden Gebäude. Der Grundsatz, daß ein Grundstück im allgemeinen in dem Zustand zum Gegenstand des Kaufvertrages gemacht wird, in dem es sich im Zeitpunkt der Veräußerung befindet (vgl. das Urteil BFHE 99, 558, 559, BStBl II 1970, 749) gilt allgemein nur dann, wenn der Verkäufer neben der kaufvertraglichen Verpflichtung zur Übergabe und Übereignung des Grundstücks keine weiteren Verpflichtungen übernimmt. Bei einem Kaufvertrag mit Fertigstellungsverpflichtung ist dieser Grundsatz demgegenüber regelmäßig nicht anwendbar. Aus dem Abschluß des Kaufvertrages unter Eingehung einer Fertigstellungsverpflichtung folgt vielmehr regelmäßig, daß das Grundstück in diesem Falle mit dem Gebäude zum Gegenstand des Kaufvertrages gemacht werden sollte. Hieran kann auch eine rein verbale Äußerung, daß dies nicht der Fall sei, nichts ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 73540 |
BStBl II 1980, 472 |
BFHE 1980, 341 |