Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ist auf einer durch die Post mit Zustellungsurkunde zuzustellenden Sendung (Rechtsmittel-, z. B. Einspruchsentscheidung) der Tag der Zustellung nicht vermerkt worden, so beginnt die Frist für ein weiteres Rechtsmittel (z. B. Berufung) in der Regel mit dem Ablauf des dritten Tages nach der Aufgabe zur Post (ß 17 VwZG).
Normenkette
AO § 246 Abs. 1, § 237 a. F; FGO § 47/1; VwZG §§ 3, 9, 17; ZPO § 195 Abs. 2
Tatbestand
Das Finanzgericht gewährte wegen der am 22. Dezember 1953 beim Finanzamt eingegangenen Berufung der Grundstücksgemeinschaft gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Nachsicht (ß 86 der Reichsabgabenordnung - AO -). Die Einspruchsentscheidung sei am 20. November 1953 förmlich durch die Post zugestellt worden, die Berufungsfrist sei mithin schon mit dem 20. Dezember 1953 abgelaufen gewesen. Die Auffassung der Gemeinschaft, daß nach der Rechtsmittelbelehrung die Berufungsfrist noch gewahrt gewesen sei, weil als Bekanntgabetag bei Zusendung durch einfachen oder eingeschriebenen Brief der dritte Tag nach der am 19. November 1953 erfolgten Aufgabe zur Post, also der 22. November, gelte, treffe zwar bei der angewandten Zustellungsart nicht zu. Da aber die Gemeinschaft nicht durch einen rechtskundigen Berater vertreten sei, müsse ihr Irrtum als entschuldbar angesehen werden.
Entscheidungsgründe
Die Rüge des Vorstehers des Finanzamts in dessen Rechtsbeschwerde (Rb.), daß die Vorinstanz § 86 AO unrichtig angewandt habe, weil es nach der klaren Fassung der Rechtsmittelbelehrung keines rechtskundigen Beraters zur richtigen Deutung der Rechtsmittelfrist bedürfe, vermag der Senat bei der hier gegebenen Sachlage nicht zu folgen.
Aus dem von der Gemeinschaft zu den Berufungsakten gereichten Briefumschlag ergibt sich, daß die Zustellung durch die Post insofern nicht ordnungsmäßig durchgeführt worden ist, als der zustellende Postbedienstete nur die von ihm zurückbehaltene, an das Finanzamt weitergeleitete Postzustellungsurkunde, nicht aber den für den Empfänger bestimmten Vordruck auf dem Umschlag: "Zugestellt am ..." mit dem Tag der Zustellung ausgefüllt hat. Der als Empfänger bezeichnete Gemeinschafter konnte somit den Tag der Zustellung aus der Sendung nicht erkennen, zumal nach dem Vermerk auf der Postzustellungsurkunde die Aushändigung nicht an den Adressaten selbst, sondern an eine Schreiberin im Geschäftslokal erfolgt war. Erst von dieser hatte der Adressat den Brief übermittelt erhalten. Nach § 3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 gelten für das Zustellen durch den Postbediensteten die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 193 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Im § 195 Abs. 2 ZPO ist der wesentliche Inhalt der vom Postbediensteten über die Zustellung aufzunehmenden Urkunde festgelegt und in Satz 2 vorgeschrieben, daß der Postbedienstete an Stelle der (in Satz 1 zunächst vorgesehenen) übergabe einer Abschrift dieser Urkunde an den Zustellungsempfänger den Tag der Zustellung der Sendung selbst vermerkt; er hat dies in der Zustellungsurkunde zu bezeugen. Der Vermerk des Zustellungstages auf der Sendung selbst ist mithin ein wesentlicher Bestandteil der formgerechten Zustellung. Nach § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein Schriftstück, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, zwar allgemein als in dem Zeitraum zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat; diese Vorschrift gilt aber nach § 9 Abs. 2 a. a. O. nicht, wenn mit der Zustellung eine Berufungsfrist beginnt. Es kann danach zweifelhaft sein, ob die nicht formgerecht vorgenommene Zustellung überhaupt nicht als Bekanntgabe anzusehen, die Rechtsmittelfrist also überhaupt nicht in Lauf gesetzt ist oder ob die Zustellung als eine Bekanntgabe in der Form der Zusendung durch einfachen Brief (ß 17 VwZG) zu gelten hat. Der Senat nimmt das letztere an. Der abweichenden Anordnung in Ziff. 11 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Oktober 1952, Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1952 S. 547, wird keine entscheidende Bedeutung zukommen, weil sie offensichtlich auf das ordentliche (zivile) Prozeßverfahren abgestellt ist, während für den Steuerprozeß die vereinfachende Sonderregelung in § 17 VwZG zu beachten bleibt. Die einmonatige Berufungsfrist hat danach, wie auch der Vertreter der Gemeinschaft ausgeführt hat, mit dem Ablauf des dritten Tages nach der Aufgabe zur Post, also des 22. November 1953, zu laufen begonnen. Die Berufung ist somit noch rechtzeitig eingelegt worden.
Bei dieser Verfahrensrechtlage braucht der Senat nicht zu der vom Finanzamt angeschnittenen Frage Stellung zu nehmen, ob der Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung, der mit dem in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 97/56 U vom 22. August 1956, Slg. Bd. 63 S. 253, Bundessteuerblatt 1956 III S. 296, wiedergegebenen übereinstimmt, als ausreichend klar und im Hinblick auf den abweichenden Wortlaut des § 246 AO rechtlich zutreffend anzusehen ist, wie es das oben erwähnte Urteil annimmt (vgl. dazu die Bemerkungen von Fließbach, Steuer und Wirtschaft 1956 Spalte 869 ff. und Hartz, Der Betrieb 1956 S. 1004).
Fundstellen
Haufe-Index 408752 |
BStBl III 1957, 241 |
BFHE 1958, 23 |
BFHE 65, 23 |