Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein beruflich selbständiger Versicherungsvertreter unterliegt hinsichtlich aller von ihm aus dem Versicherungsgeschäft erzielten Provisionen der Umsatzsteuer; ein beruflich nicht selbständiger Versicherungsvertreter ist hinsichtlich aller von ihm aus dem Versicherungsgeschäft erzielten Provisionen nicht zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Die bisherige umsatzsteuerliche Behandlung der "Generalvertreter mit gemischter Tätigkeit" wird nicht mehr aufrechterhalten.
Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Rechtsnatur der Folgeprovisionen bei der Kraftfahrzeugversicherung.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 1, 2 Ziff. 1
Tatbestand
I. Bescheid
Das Finanzgericht hat den Steuerpflichtigen als Versicherungs- Generalvertreter mit gemischter Tätigkeit bezeichnet und lediglich mit den Umsätzen aus vermittelnder Tätigkeit zur Umsatzsteuer 1952 bis 1954 herangezogen, diesen Umsätzen aber nicht die von dem Steuerpflichtigen bei der Kraftfahrzeugversicherung erzielten Folgeprovisionen zugerechnet. Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts rügt außer wesentlichen Verfahrensmängeln die unrichtige Anwendung des bestehenden Rechtes, weil die Folgeprovisionen aus einer Vermittlungs- und Abschlußtätigkeit herrührten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das inzwischen ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (BStBl 1961 III S. 567, Slg. Bd. 73 S. 827) hat ausgeführt, daß es auf die Tätigkeit, die der Versicherungsvertreter entfaltet, nicht ausschlaggebend ankommt, sondern darauf, ob er in den Organismus des Versicherungsunternehmens, das er vertritt, derart eingegliedert ist, daß er dessen Weisungen nach Ort, Zeit und Art und Weise der Tätigkeit zu folgen verpflichtet ist.
Im vorliegenden Falle muß daher einwandfrei geklärt werden, welche Stellung der Steuerpflichtige hat, ob die eines in die Versicherungsunternehmen eingegliederten und somit beruflich unselbständigen oder die eines beruflich selbständigen Versicherungsvertreters. Ist der Steuerpflichtige derart in die beiden konzernmäßig verbundenen Versicherungsunternehmen eingegliedert, daß er deren Weisungen nach Ort, Zeit und Art und Weise seiner Tätigkeit zu folgen verpflichtet ist, dann ist er beruflich unselbständig, und seine sämtlichen aus dem Versicherungsgeschäft erzielten Einnahmen sind nicht steuerbar. Ist er beruflich selbständig, so ist er mit seinen sämtlichen aus dem Versicherungsgeschäft erzielten Umsätzen zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Die besondere bisherige umsatzsteuerliche Behandlung von "Generalvertretern mit gemischter Tätigkeit" kann seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 nicht mehr aufrechterhalten werden. Damit bedarf es aber keines Eingehens auf die Rechtsnatur der Folgeprovisionen bei der Kraftfahrzeugversicherung.
Der Senat kann an Hand der Akten nicht ersehen, ob der Steuerpflichtige in den hier in Betracht kommenden Veranlagungszeiträumen in die Versicherungsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 UStG eingegliedert gewesen ist oder nicht. Es kann sein, daß das der Fall gewesen ist. Manche sich aus dem Betriebsprüfungsbericht ergebenden Umstände sprechen dafür, andere, wie z. B. die Zahlung der Büromiete durch den Steuerpflichtigen, die eigenen Angestellten usw. dagegen. Vor allem enthalten die dem Bundesfinanzhof vorliegenden Akten die Verträge, die der Steuerpflichtige mit den Versicherungsgesellschaften geschlossen hat, weder in Urschrift noch in Abschrift.
Der Fall muß daher unter Aufhebung der Vorentscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen werden, das unter Beachtung der Ausführungen des erwähnten Urteils des Bundesfinanzhofs I 200/59 S den Tatbestand in der bezeichneten Hinsicht noch einwandfrei zu klären und sodann erneut zu entscheiden haben wird.
II. Urteil Hinsichtlich des Sachverhaltes und der Rechtsausführungen wird auf den Bescheid vom 14. Dezember 1961 in vollem Umfange Bezug genommen. Was die Folgeprovisionen bei der Kraftfahrzeugversicherung anbelangt, so hat die mündliche Verhandlung nichts Neues ergeben.
Der Vertreter des Steuerpflichtigen hat in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dem Finanzgericht habe der Vertrag, den der Steuerpflichtige mit dem Versicherungsunternehmen abgeschlossen habe, vorgelegen. Das Finanzgericht habe daraus gefolgert, daß der Steuerpflichtige Generalvertreter mit gemischter Tätigkeit gewesen sei. Der Bundesfinanzhof sei an diese Feststellung gebunden. Hierzu ist zu bemerken:
Die Feststellung des Finanzgerichts über die berufliche Stellung des Steuerpflichtigen ist sehr knapp gehalten. Sie geht nicht auf die Darlegungen des Betriebsprüfers ein, die berechtigte Zweifel über die Generalvertreterstellung des Steuerpflichtigen erwecken. Insofern liegt ein Widerspruch zwischen der Feststellung des Finanzgerichts und dem Akteninhalt vor. Der Betriebsprüfer hat festgestellt, daß die Gesamteinnahmen des Steuerpflichtigen im Jahre 1952 150.000 DM, im Jahre 1953 175.000 DM und im Jahre 1954 200.000 DM betragen haben. Diesen Beträgen steht der jeweilige Gesamtaufwand gegenüber, der im Jahre 1951 100.000 DM, im Jahre 1953 120.000 DM und im Jahre 1954 130.000 DM betragen hat, dort überall aufgeschlüsselt nach "Werbungskosten" und "Betriebsausgaben". Auf die Werbungskosten entfallen rund durchschnittlich 80.000 DM im Jahre. Derartig hohe Werbungskosten hat aber niemand, der in ein Unternehmen derart eingegliedert ist, daß er dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Zu den Unkosten des Steuerpflichtigen gehören Absetzungen für Abnutzung für Wirtschaftsgüter seines Büros und seiner Kraftwagen, er hat in den hier in Betracht kommenden Jahren stets 4.000 DM Büromiete und zwischen 40.000 DM und 50.000 DM an Gehältern gezahlt, also Beträge, die, wenn sie lediglich auf die Vermittlungstätigkeit des Steuerpflichtigen entfallen wären, die Einnahmen aus der Vermittlungstätigkeit in zwei Jahren überschritten hätten. Also müssen diese Ausgaben teilweise von den übrigen Einnahmen des Steuerpflichtigen gedeckt worden sein, so daß er auch insoweit ein erhebliches Unternehmerwagnis getragen hat. Da sich das Urteil des Finanzgerichts hiermit nicht auseinandersetzt, muß der Sachverhalt insoweit noch aufgeklärt werden.
Weiterhin ist in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden, daß das Urteil des Bundesfinanzhofs I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (a. a. O.) kein Gesetz sei. Selbst wenn die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts im vorliegenden Falle mit den Grundsätzen jenes Urteils nicht in Einklang stehen sollten, habe das Finanzgericht nicht gegen das UStG verstoßen, zumal da das Urteil vom 3. Oktober 1961 bei dem Ergehen des Urteils des Finanzgerichts noch nicht vorgelegen habe. Das Urteil I 200/59 S sei überdies nicht mit § 2 Abs. 2 UStG vereinbar. Es dürfe nicht rückwirkend angewendet werden; eine rückwirkende Anwendung von Urteilen habe der I. Senat des Bundesfinanzhofs in einem anderen Falle mit Bescheid I 188/61 vom 9. Januar 1962 für unzulässig erklärt.
Insoweit ist zu bemerken: Daß das Urteil I 200/59 S kein Gesetz ist, wird von niemandem bezweifelt werden. Nachdem es aber ergangen ist, muß jeder Steuerfall, der noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist und Fragen betrifft, auf die sich das Urteil I 200/59 S bezieht, nach den neuen Erkenntnissen dieses Urteils hinsichtlich der Rechtsauslegung beurteilt werden. Der Senat hält daran fest, daß für jeden Veranlagungszeitraum die Steuer nach den zu der Zeit der Festsetzung geltenden Auslegungen der Gesetzesvorschriften zu bestimmten ist, im Rechtsmittelverfahren somit nach den Rechtsanschauungen, die im Zeitpunkte der endgültigen Entscheidung gelten. Ausnahmen bilden nur die Fälle, in denen durch ein solches Verfahren ein Verstoß wider Treu und Glauben herbeigeführt werden würde, also z. B. bei ausdrücklichen Zusicherungen des Finanzamts gegenüber einem Steuerpflichtigen hinsichtlich einer Rechtsauslegung. Gerade aber für die Fälle der Umsatzsteuerpflicht der Versicherungsvertreter gilt das nicht, weil sich insoweit seit 1950 die Rechtsprechung in einem stetigen Fluß befunden hat, diese Tatsache den Versicherungsvertretern durch ihre Berufsorganisationen immer wieder vor Augen geführt worden ist, und jeder Versicherungsvertreter mit dem Ergehen einer grundsätzlichen, die Frage endgültig regelnden Entscheidung, die von der bisherigen Handhabung auch abweichen konnte, rechnen mußte.
Ein Vergleich des vorliegenden Falles mit dem Falle des Bescheides des Bundesfinanzhofs I 188/61, bei dem es sich um die Frage handelte, ob die Auflösung einer Rückstellung in einem Jahre zulässig war, kommt daher hier, wo es sich um die unmittelbare Rechtsanwendung handelt, nicht in Betracht.
Der Senat trägt daher keine Bedenken, die Grundsätze des Urteils I 200/59 S für das Gebiet der Umsatzsteuer und insbesondere auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Der Steuerpflichtige hat auch nicht dargetan, weshalb er jenes Urteil mit § 2 Abs. 2 UStG nicht für vereinbar hält.
Der Steuerpflichtige hat endlich in der mündlichen Verhandlung die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 1961 angeführt, insbesondere das Urteil 2 BvL 6/59 (BStBl 1962 I S. 486), das § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ergänzung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 20. Mai 1952 insoweit für nichtig erklärt hat, als darin die Anwendung des § 3 Ziff. 1 des Gesetzes für den Veranlagungszeitraum 1951 angeordnet worden ist.
Insoweit kann auf die vorhergehenden Ausführungen und weiterhin darauf verweisen werden, daß das Bundesverfassungsgericht keine der im vorliegenden Falle in Betracht kommenden Vorschriften des UStG für nichtig erklärt hat.
Die Vorentscheidung wird daher aufgehoben. Der Fall gelangt an das Finanzgericht zurück, das unter Beachtung der Ausführungen des erwähnten Urteils des Bundesfinanzhofs I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 den Tatbestand in der bezeichneten Hinsicht noch einwandfrei zu klären und sodann erneut zu entscheiden haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 410436 |
BStBl III 1962, 259 |
BFHE 1962, 699 |
BFHE 74, 699 |