Leitsatz (amtlich)
Auch ein Veräußerungsgewinn, der im 1. Halbjahr 1973 erzielt wurde, unterllegt dem Stabllitätszuschlag für das Kalenderjahr 1973.
Normenkette
StabZG § 2 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 5; EStG 1971 § 2 Abs. 1, § 25; AO 1977 § 38; BVerfGG §§ 31, 13 Nr. 8a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren mit 76 v. H. an der A-KG in B beteiligt. Am 30. April 1973 veräußerten sie ihre Anteile und erzielten hierbei einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 3 071 641 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte die Einkommensteuer 1973, die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer 1973 und den Stabilitätszuschlag zur Einkommensteuer 1973 durch vorläufigen Bescheid nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte aus nicht mehr streitigen Gründen teilweise Erfolg. In der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Einkommensteuer 1973 auf 807 187 DM, die Ergänzungsabgabe 1973 auf 24 215 DM und den Stabilitätszuschlag 1973 auf 40 359 DM fest. Von der Einkommensteuer entfielen auf den Veräußerungsgewinn 802 773 DM und auf die übrigen Einkünfte 4 414 DM. Der Stabilitätszuschlag wurde mit 5 v. H. aus 807 187 DM (802 773 DM + 4 414 DM) = 40 359 DM berechnet.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Festsetzung des Stabilitätszuschlags durch das FA sei nicht zu beanstanden.
Nach § 2 Nr. 1 des Stabilitätszuschlaggesetzes vom 26. Juni 1973 -- StabZG -- (BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) bemesse sich der Zuschlag, soweit eine Veranlagung zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vorzunehmen ist, nach der für die Veranlagungszeiträume 1973 und 1974 festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuerschuld. Der Stabilitätszuschlag sei eine Einkommensteuer. Er sei so gestaltet, daß er eine Tariferhöhung der Einkommensteuer bewirke.
Eine unzulässige Rückwirkung sei nicht gegeben. Es handele sich um den Fall einer sog. unechten Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sei. Der Steuerpflichtige könne nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibe. Er könne nur darauf vertrauen, daß sich eine Erhöhung in maßvollen Grenzen halte. Der im vorliegenden Fall anzuwendende Satz von 5 v. H. der Einkommensteuerschuld halte sich in einem maßvollen Rahmen. Unerheblich sei, daß die Veräußerung der Mitunternehmeranteile bereits am 30. April 1973 erfolgt sei.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG.
Der Stabilitätszuschlag sei zu Unrecht festgesetzt worden, denn er beruhe auf dem Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der A-KG am 30. April 1973. Zu diesem Zeitpunkt hätte noch niemand mit dem Stabilitätszuschlaggesetz rechnen können. Dementsprechend hätten die Kläger die Belastung mit dem Stabilitätszuschlag nicht in die Verkaufsverhandlungen einbeziehen können. Wille des Gesetzgebers sei es, ab 30. Juni 1973 Kaufkraft abzuschöpfen, um der Inflation entgegenzuwirken, nicht aber, in abgeschlossene Tatbestände einzugreifen.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstünden gemäß § 38 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- (§ 3 Abs. 1 und 3 des Steueranpassungsgesetzes -- StAnpG --), sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Der Tatbestand, an den das Einkommensteuergesetz (EStG) und Stabilitätszuschlaggesetz die Leistungspflicht knüpften, sei im Streitfall die Veräußerung der Beteiligung an der Personengesellschaft am 30. April 1973. Diese könne keinen Stabilitätszuschlag auslösen, denn dies sei erst bei Sachverhalten möglich, die nach dem 30. Juni 1973 verwirklicht seien.
Belastende Gesetze, die in schon abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingriffen, seien wegen Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungswidrig.
Außerdem sei der Gleichheitssatz verletzt. Bei Steuerbürgern, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn, vom Kapitalertrag oder nach § 50 a EStG unterlägen, würde der Stabilitätszuschlag von Einkünften vorgenommen, die nach dem 30. Juni 1973 zufließen. Niemand käme bei diesen Erhebungsformen auf die Idee, Stabilitätszuschlag auch auf vor dem 30. Juni 1973 verwirklichte Tatbestände zu erheben.
Zu erwägen wäre auch, ob ein Erlaß des Stabilitätszuschlags nach § 227 AO 1977 aus sachlichen Gründen zu gewähren sei.
Der Einkommensteuerbescheid 1973 ist während des Revisionsverfahrens am 27. August 1980 geändert worden. Die Kläger haben beantragt, diesen geänderten Bescheid vom 27. August 1980 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§§ 68, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 1976 und den Einkommensteuerbescheid, soweit damit Stabilitätszuschlag festgesetzt wird, aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Rüge der Kläger, das Stabilitätszuschlaggesetz sei verfassungswidrig, könne keinen Erfolg haben, da das BVerfG mit Beschluß vom 2. Oktober 1973 I BvR 345/73 (BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878) bindend festgestellt habe, daß das Stabilitätszuschlaggesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch im übrigen sei kein Rechtsverstoß feststellbar. Ein Erlaß der Steuerschuld nach § 227 AO 1977 sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Stabilitätszuschlag ist zu Recht festgesetzt worden.
1. Nach § 2 Nr. 1 StabZG bemißt sich der Stabilitätszuschlag, soweit eine Veranlagung zur Einkommensteuer oder zur Körperschaftsteuer vorzunehmen ist, nach der für die Veranlagungszeiträume 1973 und 1974 festgesetzten Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld. Auf die Veranlagung, Festsetzung und Entrichtung des Stabilitätszuschlags finden die für die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer geltenden Vorschriften Anwendung (§ 5 StabZG).
Der Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der KG ist mit Recht in die Bemessungsgrundlage für den Stabilitätszuschlag einbezogen worden. Dies ergibt sich daraus, daß die Einkommensteuer eine Jahressteuer ist.
Nach § 2 Abs. 1 EStG 1971, der für das Streitjahr maßgebend ist, bemißt sich die Einkommensteuer nach dem Einkommen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahrs bezogen hat. Die Regelung stimmt überein mit § 25 Abs. 1 EStG, der vorschreibt, daß die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahrs (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt wird, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach den §§ 46 und 46 a EStG eine Veranlagung unterbleibt.
Entgegen der Ansicht der Kläger kann aus § 38 AO 1977 oder § 3 StAnpG nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Beide Vorschriften bestimmen, daß die Steuerschuld entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuer knüpft. Für die veranlagte Einkommensteuer bedeutet dies nach § 3 Abs. 5 StAnpG (= § 36 Abs. 1 EStG 1975), daß die Einkommensteuer mit Ablauf des Zeitraums entsteht, für den die Veranlagung vorgenommen wird.
2. Auch aus dem Stabilitätszuschlaggesetz kann nicht gefolgert werden, daß der Veräußerungsgewinn außer Ansatz zu lassen ist, weil er vor dem Inkrafttreten des Stabilitätszuschlaggesetzes erzielt worden ist. Die Kläger weisen zwar zutreffend darauf hin, daß der Stabilitätszuschlag erhoben wurde, um Kaufkraft in der Zeit vom 1. Juli 1973 bis 30. Juni 1974 abzuschöpfen. Der Gesetzgeber hielt es aber nicht für gerechtfertigt, zur Erhebung des Stabilitätszuschlags besondere Veranlagungen für das zweite Halbjahr 1973 und für das erste Halbjahr 1974 durchzuführen, weil dies mit einem nicht vertretbaren Aufwand für die Wirtschaft und die Finanzverwaltung verbunden gewesen wäre. Er bestimmte vielmehr, daß für die Bemessung des Zuschlags von der vollen Jahressteuerschuld auszugehen ist, der Zuschlag aber nur in Höhe von jeweils 5 v. H. der Jahressteuerschuld 1973 und 1974 zu erheben ist (§ 3 Abs. 1 i. V. .m. § 2 Nr. 1 StabZG). Dabei nahm er im Interesse der Vereinfachung in Kauf, daß sich bei der Festsetzung aufgrund der Jahresveranlagungen 1973 und 1974 Abweichungen gegenüber einer Festsetzung des Stabilitätszuschlags aufgrund besonderer Veranlagungen für das zweite Halbjahr 1973 und das erste Halbjahr 1974 ergeben.
3. Die Rüge der Kläger, durch das Stabilitätszuschlaggesetz seien das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz nach Art. 3 GG verletzt, kann keinen Erfolg haben.
a) Nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) binden die Entscheidungen des BVerfG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Erklärt das BVerfG aufgrund einer Verfassungsbeschwerde ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig, so hat die Entscheidung Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 i. V. m. § 13 Nr. 8a BVerfGG).
Die sich aus der Beschlußformel und den tragenden Gründen einer Entscheidung des BVerfG ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung müssen von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden (BVerfG-Beschluß vom 20. Januar 1966 1 BvR 140/62, BVerfGE 19, 377, 391 f.; BVerfG-Urteil vom 19. Juli 1966 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56, 86; BVerfG-Beschluß vom 10. Juni 1975 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93). Haben sich die für die Entscheidung des BVerfG maßgebenden Verhältnisse nicht grundlegend geändert, so ist eine erneute Prüfung der der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsfragen ausgeschlossen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 30. Mai 1972 1 BvL 21/69, 18/71, BVerfGE 33, 199).
Das BVerfG hat mit Beschluß vom 2. Oktober 1973 1 BvR 345/73 (BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878) auf eine Verfassungsbeschwerde entschieden, daß der Stabilitätszuschlag mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Das BVerfG hat im Beschluß in BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878 zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, daß das Stabilitätszuschlaggesetz mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar ist, als es Veräußerungsgewinne erfaßt, die im ersten Halbjahr 1973 erzielt wurden. Nach Auffassung des BVerfG folgt aber -- entgegen dem Vortrag in der Revision -- die Verfassungswidrigkeit des Stabilitätszuschlaggesetzes weder aus Art. 3 noch Art. 20 GG. Die unterschiedliche Erhebungsform bei den Veranlagungsteuern einerseits und den Abzugsteuern andererseits ist vom BVerfG nicht beanstandet worden. Das BVerfG hat keine unzulässige Rückwirkung in der Regelung gesehen, daß sich der Stabilitätszuschlag 1973 bei den Veranlagungsteuern nach der für den Veranlagungszeitraum 1973 festgesetzten Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld bemißt, obwohl das Stabilitätszuschlaggesetz erst zur Jahresmitte 1973 verabschiedet worden ist.
b) Auch wenn man davon ausgeht, im BVerfGBeschluß in BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878 sei noch nicht mit bindender Wirkung entschieden worden, daß es verfassungsrechtlich zulässig ist, einen im ersten Halbjahr 1973 erzielten Veräußerungsgewinn dem Stabilitätszuschlag zu unterwerfen, kann die Revision keinen Erfolg haben.
Das Rechtsstaatsprinzip wird entgegen der Auffassung der Kläger nicht dadurch verletzt, daß das Stabilitätszuschlaggesetz auch Veräußerungsgewinne erfaßt, die im Kalenderjahr 1973 vor der Verabschiedung des Stabilitätszuschlaggesetzes erzielt wurden. Angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft kann der Bürger nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt. Wohl aber muß er darauf vertrauen können, daß sich eine Erhöhung des Steuertarifs während des Veranlagungszeitraums in maßvollen Grenzen hält (BVerfG-Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274, 278; BVerfG-Beschluß vom 9. März 1971 2 BvR 326/69 u. a., BVerfGE 30, 250, 269).
Diese Voraussetzungen liegen beim Stabilitätszuschlaggesetz vor.
Der Stabilitätszuschlag ist eine Tariferhöhung der Einkommensteuer (BVerfG-Beschluß in BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878). Der Zuschlag, der 5 v. H. der Jahressteuerschuld 1973 beträgt, führt, wie das FG mit Recht festgestellt hat, i. S. der Rechtsprechung des BVerfG zu einer maßvollen Erhöhung des Steuertarifs, mit der der Bürger im Lauf eines Veranlagungszeitraums rechnen muß.
Das Stabilitätszuschlaggesetz greift nicht in abgeschlossene Steuertatbestände ein. Die Einkommensteuerschuld 1973 der Kläger war bei Verabschiedung des Stabilitätszuschlaggesetzes noch nicht entstanden. Die für die Entstehung der Steuerschuld relevante Verwirklichung des Steuertatbestandes hatte zwar vor Inkrafttreten des Stabilitätszuschlaggesetzes mit Beginn des Veranlagungszeitraums 1973 am 1. Januar 1973 begonnen. Sie war jedoch noch nicht abgeschlossen, denn der Veranlagungszeitraum 1973 endete erst am 31. Dezember 1973.
4. Zu dem Vorbringen der Kläger, es sei zu erwägen, ob ein Erlaß des Stabilitätszuschlags aus Billigkeitsgründen zu gewähren sei, kann der Senat nicht Stellung nehmen, da diese Frage nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Fundstellen
Haufe-Index 74679 |
BStBl II 1983, 576 |
BFHE 1983, 355 |