Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung in Hinblick auf zollamtliche Verschluß-Zulassung
Leitsatz (NV)
1. Eine auf ermessensfehlerfreie Bescheidung gerichtete Leistungsklage ist zulässig, wenn das Klagevorbringen erkennen läßt, daß der Kläger sein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung durch Versagung oder Unterlassung einer (anderen) Leistung als verletzt sieht.
2. Zum Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung.
3. Der Hersteller oder Vertreiber von Verschlüssen hat keinen Anspruch auf deren zollamtliche Zulassung oder Anerkennung für die Verwendung im zollrechtlichen Versandverfahren. Die Ablehnung der Zulassung/Anerkennung bzw. einer entsprechenden innerdienstlichen Weisung genügt dem -- etwaigen -- Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (2.), wenn sie mit Schwierigkeiten der Verfahrensüberwachung begründet ist.
Normenkette
FGO §§ 40, 102; AO 1977 § 5; GG Art. 3 Abs. 1; EWGV 1062/87 Art. 65 Buchst. d; Übereink. EWG/EFTA vom 20. 5. 1987 Anl. II Art. 65 Buchst. d
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vertreibt in Deutschland Erzeugnisse eines aus einem Drittland stammenden Plomben-(Verschluß-)Programms, darunter als "Metal-Seal Nr. X" bezeichnete selbstschließende Verschlüsse, deren zollamtliche Zulassung als Zollverschlüsse sie erreichen möchte. Eine zolltechnische Untersuchung der Verschlüsse ergab, daß diese dem bereits verwendeten "Tyden-Seal" im wesentlichen gleichen und ein gleiches Maß an Verschlußsicherheit bieten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundesministerium der Finanzen -- BMF --) teilte der Klägerin mit, daß der Verschluß "Metal-Seal Nr. X" nicht als Nämlichkeitsmittel zugelassen werden könne, weil die Überwachung der Verwendung der Verschlüsse durch die zugelassenen Versender im zollrechtlichen Versandverfahren sonst erschwert werde. Würden nämlich mehrere Verschlüsse zugelassen, so müßte in den Versandscheinen neben den Kennbuchstaben und Nummern der Verschlüsse auch der jeweilige Verschlußtyp angegeben und müßten die Kennbuchstaben kontingentiert und ein zentrales System zur Überwachung der Nummern vorgesehen werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Klägerin die Erteilung eines neuen, ermessensfehlerfreien Bescheides begehrte, ab, im wesentlichen mit der Begründung, daß die Klägerin keinen Anspruch auf zollamtliche Zulassung der Verschlüsse und, mangels einer entsprechenden Rechtsnorm, auch keinen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung habe.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision rügt Verletzung von § 5 der Abgabenordnung (AO 1977) und von Art. 12 und 3 des Grundgesetzes (GG). Die vom BMF getroffene Entscheidung verletze die individuellen Interessen der Klägerin. Dieser sei es durch die wettbewerbsverhindernd wirkende Ablehnung verwehrt, Zollverschlüsse zu vertreiben. Ohne zollamtliche Zulassung ließen die Verschlüsse sich nicht verkaufen. Sei das Zulassungsverfahren nicht geregelt, so müsse es nach den Regeln des allgemeinen Verfahrens im Wege einer Ermessensentscheidung abgewickelt werden. Die Vorentscheidung versage der Klägerin zu Unrecht den Rechtsschutz. Überwachungsgründe dürften nicht zur Verweigerung der Zulassung führen. Im übrigen habe das BMF einen weiteren Anbieter von Verschlüssen (Tyden-Seal) zugelassen. Sollte dies erst nachträglich geschehen sein, so wäre eine erneute Bescheidung zu beantragen; im Hinblick hierauf sei das Streitverfahren auszusetzen.
Das BMF hält die Klage für unzulässig, jedenfalls aber, aus den Gründen der Vorentscheidung, für unbegründet und tritt dem Vorbringen der Klägerin hinsichtlich eines weiteren Anbieters des "Tyden-Seal" entgegen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat hat über die Revision ohne Aussetzung des Verfahrens zu entscheiden. Ein Aussetzungsgrund i. S. von § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens (§ 155 FGO, § 251 der Zivilprozeßordnung) sind nicht gegeben. Es ist im übrigen nicht ersichtlich, daß die von der Klägerin behauptete "Zulassung" eines weiteren Anbieters von -- anderen -- Zollverschlüssen durch das BMF für die Entscheidung im Streitfall bedeutsam sein könnte.
2. Die Revision ist nicht begründet.
Das FG, das die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges, mit bindender Wirkung für den Senat (§ 155 FGO, § 17 a Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes), stillschweigend bejaht hat, hat zutreffend entschieden, daß die Klage zwar zulässig, sie aber unbegründet ist.
a) Die Klage ist -- jedenfalls -- als "andere" Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) aus den Gründen der Vorentscheidung zulässig. Die Klägerin hat geltend gemacht, durch die Ablehnung oder Unterlassung einer (anderen) Leistung in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Das Vorbringen der Klägerin läßt erkennen, daß sie ihr subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung durch die Ablehnung oder Unterlassung der Leistung als verletzt sieht (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, 14. Aufl., FGO § 40 Tz. 10; Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteil vom 7. November 1990 II R 56/85, BFHE 162, 457, 460, BStBl II 1991, 183). Eine -- grundsätzlich -- unzulässige "Konkurrentenklage" (zu dieser Senat, Beschlüsse vom 18. September 1984 VII R 50 -- 51/82, BFHE 142, 20, 23, 26, BStBl II 1985, 12, und vom 13. Oktober 1987 VII B 96/87, BFHE 151, 18 f., BStBl II 1988, 67) liegt nicht vor.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage ergeben sich auch nicht daraus, daß das Klagebegehren unmittelbar -- nur -- auf Bescheidung gerichtet ist. Ein solches Begehren, das im Falle einer Verpflichtungsklage möglich ist (vgl. auch § 101 Satz 2 FGO), erscheint auch im Rahmen einer sonstigen Leistungsklage -- auch als deren alleiniges Ziel -- jedenfalls dann möglich, wenn der Rechtsschutzsuchende, wie im Streitfall ("zugunsten der Klägerin") letztlich die Gewährung einer Leistung verfolgt, die hier nicht in dem Erlaß eines Verwaltungsaktes, sondern in der Erteilung einer innerdienstlichen Weisung bestehen könnte.
b) Das FG hat die hiernach zulässige Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend als unbegründet abgewiesen. Einem etwa gegebenen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung hat das BMF genügt.
aa) Die hier einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts begründen keinen Anspruch des Herstellers oder Vertreibers von Verschlüssen auf zollamtliche Anerkennung oder Zulassung. Sie enthielten bzw. enthalten Bestimmungen über die Bewilligung von Vereinfachungen zugunsten zugelassener Versender im gemeinschaftlichen Versandverfahren, darunter die Bestimmung, daß im Rahmen einer zollamtlichen Bewilligung -- deren Erteilung im zollbehördlichen Ermessen liegt (Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F VI 2/104 Rz. 1) -- die Maßnahmen zur Nämlichkeitssicherung festzulegen sind, wobei vorgeschrieben werden kann, "daß die Beförderungsmittel oder die Packstücke vom zugelassenen Versender mit besonderen, von den Zollbehörden (bzw. zuständigen Behörden) zugelassenen Verschlüssen versehen werden" (früher Art. 65 Buchst. d der Verordnung -- EWG -- Nr. 1062/87 der Kommission vom 27. März 1987 zur Durchführung und Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 107/1, gleichlautend später Art. 105 Buchst. d der Verordnung -- EWG -- Nr. 1214/92 der Kommission vom 21. April 1992 mit Durchführungsvorschriften sowie Maßnahmen zur Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens, ABlEG L 132/1, jetzt Art. 400 Buchst. d der Zollkodex- Durchführungsverordnung; ferner Anlage II Art. 65 Buchst. d des Übereinkommens EWG/EFTA vom 20. Mai 1987 über ein gemeinsames Versandverfahren, ABlEG L 226/1). Nähere Bestimmungen hierzu sind in der Bundesrepublik Deutschland durch Verwaltungsanweisung getroffen (Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Z 3517). Hier heißt es, daß für die Nämlichkeitssicherung (aufgrund von Art. 65 Buchst. d der Versand-Durchführungsverordnung) grundsätzlich die Verwendung der selbstschließenden Verschlüsse Tyden-Seal -- deutscher Alleinvertreter: ... -- oder Mini-Breakaway-Seal vorzuschreiben ist. Dabei hat die bewilligende Zollbehörde -- Hauptzollamt bzw. Abgangszollstelle -- dem Versender im Interesse der zollamtlichen Überwachung bestimmte Auflagen zu machen, die eine Überwachung des Bezugs und der Verwendung der Verschlüsse ermöglichen sollen.
Adressaten dieser Regelung sind, wie das FG richtig erkannt hat, lediglich die Zollbehörden und die Versender, nicht aber andere Wirtschaftsteilnehmer wie die Vertreiber von Verschlüssen. Das BMF hat das den Zollbehörden zustehende Ermessen in der angeführten Dienstanweisung auch nicht in der Weise gebunden, daß auch dem Tyden-Seal gleichwertige Verschlüsse zugelassen werden könnten (vgl. zum Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung im Zusammenhang mit versandrechtlichen Regelungen etwa Senat, Urteil vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182, 184). Auch aus diesem Gesichtspunkt ergibt sich mithin kein auf die Zulassung solcher Verschlüsse gerichteter Anspruch eines Dritten.
bb) Ob der Klägerin ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zusteht, erscheint zumindest zweifelhaft. Das FG ist in Übereinstimmung mit der von ihm angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung -- richtig -- davon ausgegangen, daß der formellrechtliche Anspruch auf fehlerfreie Ermessenausübung einen Ermessen einräumenden Rechtssatz voraussetzt, dessen Regelungsgehalt zumindest auch dem individuellen Interesse des Anspruchstellers zu dienen bestimmt ist (in diesem Sinne Bundesverwaltungsgericht -- BVerwG --, Urteil vom 7. Januar 1972 IV C 49.68, BVerwGE 39, 235, 237 f.; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 17. Dezember 1969 2 BvR 23/65, BVerfGE 27, 297, 307: Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Zusammenhang mit einem Rechtssatz; s. ferner BFH, Urteil vom 26. Mai 1982 I R 16/78, BFHE 136, 111, 116, BStBl II 1982, 583; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17. Dezember 1973 Nr. 4 VII 73, VGH n. F. 27, 69, 71 = Bayerische Verwaltungsblätter 1974, 278). Für sich betrachtet, läßt sich aus den hier einschlägigen Rechtsvorschriften und Verwaltungsanweisungen (vorst. aa), die allein dem öffentlichen Interesse und daneben dem der zugelassenen Versender ("Destinatäre") dienen, ein solcher Anspruch nicht herleiten. § 5 AO 1977 vermag ihn nicht zu begründen, denn diese Vorschrift setzt eine entsprechende Ermessensnorm voraus.
Es besteht auch kein allgemeiner, von einschlägigen einfachgesetzlichen Anspruchsgrundlagen unabhängiger verfassungsrechtlicher Anspruch auf gleichmäßige, damit auch ermessensfehlerfreie Bescheidung (so grundsätzlich auch Pietzcker, Juristische Schulung -- JuS -- 1982, 106, 110; Juristenzeitung -- JZ -- 1989, 305, 307 f.). Er könnte sich vielmehr allenfalls im Zusammenhang mit einer einfachgesetzlichen Regelung ergeben. Insoweit wird die Auffassung vertreten, daß ein solcher, aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitender Anspruch dann gegeben sei, wenn ein "Bezug zur Rechtssphäre des Antragstellers" besteht bzw. normativ -- auch durch eine Richtlinie oder ständige Verwaltungspraxis -- die Pflicht zu einer (individualgerichteten) Leistung statuiert ist, die in die Rechtssphäre des Bürgers übergeht und diese erweitert (Pietzcker, JuS 1982, 106, 110, JZ 1989, 305, 308, 310; vgl. auch Rüfner in Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, GG Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 154, 156). Die bloße Verfahrensbeteiligung stellt freilich noch keinen "Bezug zur Rechtssphäre" her (a. M. Morner, Neue Juristische Wochenschrift 1973, 1207; wie hier Pietzcker, JuS 1982, 106, 110).
Der Senat läßt offen, ob er sich dieser Rechtsauffassung, nach der z. B. im "Schleusen"-Fall (BVerwGE 39, 235) ein vom BVerwG abgelehnter Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bejaht wird, anschließen könnte. Er läßt ferner offen, ob auf Grund der hier maßgebenden Regelungen (vorst. aa), etwa im Hinblick auf eine (besondere) Verschluß-Zulassung, ein "Bezug zur Rechtssphäre" der Klägerin und damit ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, den ein anderes Grundrecht als das aus Art. 3 GG nicht hergibt, anzunehmen wäre. Einer Entscheidung hierüber bedarf es nicht, weil die ablehnende Mitteilung des BMF ermessensfehlerfrei begründet worden und einem -- etwaigen -- formellrechtlichen Anspruch der Klägerin somit genügt ist.
cc) Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, ungeprüft gelassen, ob das BMF ein Ermessen fehlerfrei geübt hat (vgl. § 102 FGO), das diesem bei der Erteilung allgemeiner zollversandrechtlicher Weisungen als oberster Leitungsbehörde zustände (zu dem entsprechenden Direktivrecht übergeordneter Behörden in zollversandrechtlicher Hinsicht: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 21. Januar 1993 C-188/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 278).
Die Vorinstanz hat jedoch den Inhalt der ablehnenden Mitteilung des BMF festgestellt. Auf Grund dessen kann der Senat, da er durcherkennt, selbst prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., 14. Aufl., FGO § 102 Tz. 2). Die Prüfung ergibt, daß die Ablehnung durch das BMF rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Ablehnung ist mit den Schwierigkeiten begründet, die sich bei Zulassung weiterer Verschlüsse für die zollamtliche Überwachung ergäben. Bei der Bewilligung versandrechtlicher Vereinfachungen sind, wie auch die Bewilligungsvoraussetzungen (jetzt: Art. 399 Zollkodex-Durchführungsverordnung) zeigen, die Erfordernisse der zollamtlichen Überwachung ein wichtiger Gesichtspunkt. Er rechtfertigt es, die Verwendung der zugelassenen Verschlüsse wirksam zu prüfen. Die Annahme, daß die entsprechenden Prüfungen bei Zulassung mehrerer Verschlußtypen in einem unangemessen großen, möglicherweise sogar dem Vereinfachungszweck zuwiderlaufenden Umfang vorgenommen werden müßten, erscheint nicht fernliegend. Wenn unter Berücksichtigung dessen einem Vertreiber von Verschlüssen, d. h. einem Wirtschaftsteilnehmer, der als solcher nicht Beteiligter des Versandverfahrens ist, die zollamtliche Zulassung seiner Produkte versagt wird, so läßt sich darin kein Ermessensfehlgebrauch oder sonstiger Ermessensfehler sehen.
Fundstellen
Haufe-Index 419905 |
BFH/NV 1995, 77 |