Leitsatz (amtlich)
1. Gegen eine im Jahre 1964 ergangene Verfügung, durch die Zahlungsaufschub für Monopolausgleich abgelehnt wurde, war der Einspruch gegeben.
2. Ein entgegen der gesetzlichen Vorschrift über einen längeren Zeitraum hin bewilligter laufender Zahlungsaufschub, mit welchem der Steuerpflichtige weiterhin rechnen kann, darf, auch wenn der Widerruf vorbehalten ist, erst versagt werden, wenn dem Steuerpflichtigen die künftige Nichtgewährung des Zahlungsaufschubs angemessene Zeit vorher mitgeteilt worden ist, damit er seine Dispositionen entsprechend treffen kann.
Normenkette
AO §§ 129, 229 a. F, § 235 Nr. 5 a. F, § 237 a. F; BrMonG: § 156
Tatbestand
Die Klägerin unterhält ein vom Hauptzollamt (HZA) bewilligtes Branntweineigenlager, in dem sie sowohl inländischen als auch ausländischen Branntwein lagert. Für die Branntweinsteuer war der Klägerin vom dafür zuständigen HZA laufender Zahlungsaufschub bewilligt worden. Mit Anmeldungen vom 4. und 5. Mai 1964 beantragte sie die Abfertigung von 15 Fässern Whisky, vier Fässern französischen Weinbrands und zwei Fässern Kognak mit insgesamt 2189,1 Liter Weingeist (1 W) und von drei Fässern fransözischen Weinbrands mit insgesamt 714,1 1 W zum freien Verkehr. Das HZA fertigte beide Partien antragsgemäß ab und forderte die Klägerin mit Steuerbescheiden vom 4. bzw 5. Mai 1964 auf, die festgesetzte Branntweinsteuer von 21 891 DM bzw. 7 141 DM binnen einer Woche zu bezahlen. Das HZA teilte der Klägerin auf Anfrage mit, daß mit sofortiger Wirkung für ausländischen Branntwein kein Zahlungsaufschub mehr gewährt werden könne.
Der als Beschwerde behandelte Widerspruch hatte keinen Erfolg. Die OFD stützte sich dabei auf § 156 des Branntweinmonopolgesetzes (BrMonG), wonach Zahlungsaufschub für Monopolausgleich nicht gewährt wird. Die als Klage behandelte Berufung führte unter Aufhebung der Bescheide des HZA vom 4. und 5. Mai 1964 hinsichtlich der Nichtgewährung von Zahlungsaufschub und unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung vom 8. Oktober 1964 zur Feststellung, daß die Versagung des Zahlungsaufschubs rechtswidrig gewesen ist.
Mit ihrer Revision beantragte die OFD zunächst, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Im Laufe des Revisionsverfahrens schränkte die OFD den Revisionsantrag dahin ein, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als das FG den Steuerbescheid vom 4. Mai 1964 hinsichtlich der Nichtgewährung von Zahlungsaufschub für den auf 15 Fässer Whisky entfallenden Betrag an Monopolausgleich aufgehoben und unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung festgestellt hat, daß die Versagung des Zahlungsaufschubs für den auf die 15 Fässer Whisky entfallenden Monopolausgleich rechtswidrig gewesen sei.
Zur Begründung wird vorgetragen, dem FG könne nicht dahin gefolgt werden, daß die Versagung des Zahlungsaufschubs für den von der Klägerin geschuldeten Monopolausgleich gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen habe. Das HZA habe der Klägerin gemäß Aufschubnehmerausweis vom 24. Januar 1962 laufend Zahlungsaufschub für Branntweinsteuer gewährt. Weiter habe das HZA zwar in der Zeit bis zu dem Erlaß der Steuerbescheide vom 4. und 5. Mai 1964 bei Auslagerung ausländischen Branntweins aus dem Branntweineigenlager der Klägerin auch Zahlungen fälliger Monopolausgleichsbeträge, soweit sie der Branntweinsteuer entsprochen hätten, aufgeschoben. Diese dem ehemals geltenden § 156 BrMonG widersprechende Praxis, die bei Lagerung von in- und ausländischem Branntwein aus Vereinfachungsgründen erfolgt sei, habe aber nicht dazu führen können, das als rechtswidrig erkannte Verfahren fortzusetzen. Aber selbst bei Annahme eines zu schützenden Interesses der Klägerin auf Grund des Umstandes, daß sie sich auf eine weitere Gewährung des Zahlungsaufschubs eingerichtet hätte, habe eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht eine Verpflichtung der Verwaltung begründen können. Das HZA habe mit Schreiben an die Klägerin vom 7. August 1964 den der Branntweinsteuer entsprechenden Teil des Monopolausgleichs bis zum 15. November 1964 gestundet. Bei diesem Datum handle es sich etwa um den Zeitpunkt, zu dem der Monopolausgleich bei Gewährung eines sechsmonatigen Zahlungsaufschubs gemäß § 129 AO ohnehin zahlbar gewesen wäre. Damit sei dem Interesse der Klägerin, die auf eine Fortführung der bisherigen Verwaltungspraxis hinsichtlich der Gewährung von Zahlungsaufschub vertraut habe, genügt. Entgegen dem Grundsatz des § 127a Abs. 2 Satz 1 AO seien keine Stundungszinsen erhoben worden, so daß eine finanzielle Einbuße zu Lasten der Klägerin nicht verursacht worden sei. Für sie habe die Stundung der geschuldeten Abgabenbeträge wirtschaftlich der Gewährung des von ihr erstrebten Zahlungsaufschubs entsprochen. Mit der Berücksichtigung der Interessen der Klägerin durch die Verwaltung entfalle ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben.
Die Klägerin beantragt, die Revision der OFD zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie habe ein begründetes Interesse an der Feststellung, daß die Versagung des Zahlungsaufschubs für Monopolausgleich rechtswidrig gewesen sei. Die Klägerin habe auf Grund zahlreicher ausgesetzter Beschwerdeverfahren gegen die Belastungen mit Stundungszinsen ein erhebliches Interesse, ihren Rechtsstandpunkt durch die Entscheidung eines Musterprozesses bestätigt zu sehen.
Das berechtigte Interesse sei aber auch deswegen gegeben, weil die Beklagte der Klägerin bis zum 15. November 1964 Stundung gewährt habe, während ein Zahlungsaufschub bis zum 26. November 1964 gedauert hätte. Rein rechnerisch ergebe dies einen finanziellen Verlust, möge dieser vielleicht auch sehr gering sein. Darauf könne es jedoch nicht ankommen.
Die Klage sei auch begründet. Zu Recht habe das FG ausgeführt, daß das HZA gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen habe. Die Klägerin habe bei der Kalkulation ihrer Verkaufspreise den sechsmonatigen Zahlungsaufschub berücksichtigt. Die plötzliche Versagung des Zahlungsaufschubs habe für die Klägerin eine erhebliche Existenzgefährdung bedeutet. Zu dem Hinweis der OFD auf die gewährte Stundung sei zu sagen, daß bei der bisherigen Gewährung des Zahlungsaufschubs die Klägerin die Abgaben erst 10 Tage später hätte zu entrichten brauchen. Bei den verhältnismäßig hohen Abgabebeträgen und den geringen Gewinnspannen in dieser Branche seien 10 Tage bereits ein Faktor, den die Klägerin bei ihren Kalkulationen berücksichtige. Im übrigen könne eine Stundung, die jederzeit widerruflich sei, den Aufschub keineswegs ersetzen. Denn auf der Grundlage einer kurzfristigen und widerruflichen Stundung könne kein kontinuierliches Geschäft aufgebaut und geführt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Die Klage richtete sich gegen die Versagung von Zahlungsaufschub für die in den Steuerbescheiden des HZA vom 4. Mai und 5. Mai 1964 angeforderten Monopolausgleichbeträge. Die Klage war nur zulässig, wenn das richtige Vorverfahren durchgeführt worden war. Im Streitfalle hat die OFD den von der Klägerin eingelegten "Widerspruch" als Beschwerde im Sinne des § 237 AO a. F. behandelt. Dies war nicht richtig, denn auf die Gewährung von Zahlungsaufschub im Sinne des § 129 Satz 1 AO besteht ein Rechtsanspruch, so daß gegen die Versagung des Zahlungsaufschubs der Einspruch gemäß §§ 229, 235 Nr. 5 AO a. F. gegeben war (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Rdnr. 4 zu § 129; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Rdnr. 853 zu § 129; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., Rdnr. 5 zu § 129, und Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. XII Anm. 2 zu § 229). Daran ändert nichts die Tatsache, daß nach § 156 BrMonG die Gewährung von Zahlungsaufschub für Monpolausgleich ausgeschlossen ist. Es kann nur darauf ankommen, ob grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Zahlungsaufschub besteht und ob die Klägerin glaubte, einen Rechtsanspruch zu haben. Gegen die Ablehnung des Zahlungsaufschubs war daher im Streitfalle nicht die Beschwerde, sondern der Einspruch gegeben.
Die Vorinstanz hat diese Rechtslage verkannt. Der Senat sieht jedoch davon ab, die Vorentscheidung aufzuheben und den Weg freizumachen für eine nachträgliche Einspruchsentscheidung des HZA, weil davon ausgegangen werden muß, daß das HZA in einer Einspruchsentscheidung nicht anders entschieden hätte als die OFD in ihrer Beschwerdeentscheidung. Das HZA hat nämlich dem "Widerspruch" der Klägerin nicht abgeholfen, sondern diesen der OFD zur Entscheidung vorgelegt (vgl. § 304 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO a. F.). Nach der Sachlage ist weiter die Annahme gerechtfertigt, daß das HZA auch heute noch an seiner Auffassung festhält. Der BFH hat bislang in Fällen einer Fehlbehandlung von Rechtsmitteln der hier in Rede stehenden Art davon abgesehen, nachträglich die Entscheidung der an sich zuständigen Stelle herbeizuführen, wenn diese ihre Auffassung schon in eindeutiger Weise zu erkennen gegeben hat. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung und auf § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO hält es der Senat daher im vorliegenden Fall für vertretbar, von der Aufhebung der Vorentscheidung abzusehen.
Zutreffend hat die Vorinstanz gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festgestellt, daß die Nichtgewährung von Zahlungsaufschub rechtswidrig war. Der Zahlungsaufschub für den im Steuerbescheid vom 4. Mai 1964 festgesetzten Betrag von 21 891 DM hätte sich nach der Feststellung der Vorinstanz bis zum 25. November 1964 erstreckt. Die Vorentscheidung ist aber erst am 20. April 1967 ergangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Verwaltungsakt, nämlich die Ablehnung des begehrten Zahlungsaufschubs, schon erledigt, weil die Frist eines etwa gewährten Zahlungsaufschubs schon beendet gewesen wäre.
Ebenso hat die Vorinstanz zutreffend ausgeführt, daß die Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit des ablehnenden Verwaltungsakts ein berechtigtes Interesse hatte. Nach der Feststellung der Vorinstanz hat die Klägerin in der Zeit nach dem 4. Mai 1964 bei weiteren Einfuhren von ausländischem Branntwein mit ihren Anträgen auf Gewährung von Zahlungsaufschub keinen Erfolg gehabt, es ist ihr lediglich Stundung gewährt worden, für die sie Stundungszinsen zu zahlen hat. Die Klägerin hat in diesen Fällen wegen der Auferlegung von Stundungszinsen Beschwerde eingelegt und gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung vom 1. November 1965 beim FG Klage erhoben, um einen Musterprozeß durchzuführen. Das berechtigte Interesse der Klägerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß ihr im Streitfalle zinslose Stundung bis zum 15. November 1964 gewährt worden war, zumal sich der Zahlungsaufschub bis zum 25. November 1964 erstreckt hätte.
Die Versagung des Zahlungsaufschubs für den Monopolausgleich verstößt im Streitfalle gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wie das FG zu Recht entschieden hat. Der BFH hat in Fällen von Steuernachforderungen entschieden, daß eine Nachforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt, wenn die Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Abgabenanspruchs - weil mit dem vorausgegangenen nachhaltigen Verhalten der Verwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch stehend - mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist. Ein solches nachhaltiges Verhalten der Verwaltung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insbesondere dann vor, wenn es sich über einen längeren Zeitraum hin erstreckt hat (vgl. Urteile des BFH VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958, BFH 68, 378, BStBl III 1959, 146, BZBl 1959, 214; VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BFH 70, 341, BStBl III 1960, 127, und VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BFH 77, 201, BStBl III 1963, 390).
Im Streitfalle sind nun keine Abgaben nacherhoben worden, sondern es ist der Klägerin Zahlungsaufschub für Monopolausgleich für den am 4. Mai 1964 aus dem Branntweineigenlager abgefertigten Whisky versagt worden, obwohl der Klägerin, wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, mindestens seit Januar 1962 laufender Zahlungsaufschub für Branntweinsteuer bewilligt worden war und nach der Feststellung der Vorinstanz das HZA aufgrund von Weisungen seiner vorgesetzten Dienststellen der Klägerin Zahlungsaufschub - im Gegensatz zu § 156 BrMonG - auch bei der Abfertigung von eingeführten monopolausgleichpflichtigen Branntweinerzeugnissen gewährt hatte. Diese Feststellung der Vorinstanz gründet sich offensichtlich auf die Erklärung in der Beschwerdeentscheidung, daß das HZA bisher keinen Unterschied hinsichtlich der Gewährung von Zahlungsaufschub bei der Abfertigung monopolausgleichpflichtiger Waren aus dem Branntweineigenlager gemacht hat, sofern in dem Branntweineigenlager auch anderer Branntwein lagerte. Aus der Beschwerdeentscheidung geht weiter hervor, daß das HZA bei der Abfertigung vom 4. Mai 1964 in Abweichung von seinem bisherigen Verfahren den Zahlungsaufschub verweigert hat, weil die Verhältnisse im Branntweineigenlager der Klägerin so übersichtlich seien, daß der dort lagernde ausländische und inländische Branntwein unschwer getrennt aus dem Lager abgefertigt werden könne.
Der Grundsatz von Treu und Glauben muß auch bei der Versagung einer zuvor ständig gewährten Steuervergünstigung Anwendung finden, wenn ein zwingendes Schutzbedürfnis des Steuerpflichtigen gegen Verhaltensänderungen der Verwaltung besteht. Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt im gesamten Steuerrecht (vgl. Urteil des BFH VII 194/63 vom 31. Januar 1967, BFH 87, 554, BStBl III 1967, 232, HFR 1967, 248). Da das HZA der Klägerin über einen längeren Zeitraum hin allgemein, d. h. auch für den der Branntweinsteuer entsprechenden Teil des Monopolausgleichs Zahlungsaufschub gewährt hat, konnte die Klägerin bei der Abfertigung vom 4. Mai 1964 darauf vertrauen, daß ihr auch für diesen Fall Zahlungsaufschub für den Monopolausgleich gewährt werde. Nach der Feststellung der Vorinstanz hat die Klägerin aufgrund des vom HZA gesetzten Vertrauenstatbestands Dispositionen getroffen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Sie hat bei der Preisgestaltung hinsichtlich des Whiskys den bisher auch für Monopolausgleich gewährten Zahlungsaufschub einkalkulieren können, wie es in der Vorentscheidung heißt.
Einer Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben steht im Streitfalle nicht entgegen, daß der Klägerin der Zahlungsaufschub widerruflich bewilligt worden war, denn einmal darf der Widerruf nicht beliebig ausgesprochen werden, sondern nur aufgrund pflichtgemäßen Ermessens (vgl. Urteil des BFH VII 37/59 vom 13. Januar 1960, HFR 1961, 143), zum anderen gilt auch für die einem Widerruf gleichkommende Nichtgewährung des Zahlungsaufschubs, wie schon erwähnt, der Grundsatz von Treu und Glauben. Der Zahlungsaufschub für Monopolausgleich konnte der Klägerin so lange nicht versagt werden, solange sie noch mit der Gewährung von Zahlungsaufschub rechnen konnte. Das HZA hätte also der Klägerin angemessene Zeit vorher mitteilen müssen, daß in Zukunft für Monopolausgleich kein Zahlungsaufschub mehr gewährt werde, damit sich die Klägerin entsprechend hätte einrichten können (vgl. auch Urteil des BFH VII 226/63 U vom 15. Dezember 1964, BFH 81, 353, BStBl III 1965, 127).
Bei dieser Sach- und Rechtslage hat das FG mit Recht festgestellt, daß die Versagung des Zahlungsaufschubs rechtswidrig gewesen ist. Demnach war die Revision mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 69070 |
BStBl II 1970, 634 |
BFHE 1970, 293 |