Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung einer Umsatzsteuersonderprüfung während der Zwangsverwaltung
Leitsatz (NV)
1. Ist über ein Grundstück des Schuldners die Zwangsverwaltung angeordnet, so ist, soweit die Zwangsverwaltung reicht, eine Umsatzsteuersonderprüfung dem Zwangsverwalter und nicht dem Vollstreckungsschuldner gegenüber anzuordnen.
2. Durch eine Außenprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung erfolgt, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gehemmt. Auch die Anfechtung der nichtigen Anordnung hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht (Anschluß an BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 X R 31/86, BFHE 158, 491, 498).
Normenkette
AO 1977 §§ 33-34, 169-170, 171 Abs. 3, 4 S. 1, §§ 193, 196-197; ZVG § 20 Abs. 1, § 146 Abs. 1, § 148 Abs. 2, §§ 150, 152; UStG 1973 § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b, §§ 15a, 18 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte in den Jahren 1972 und 1973 auf eigenen Grundstücken in Z (u.a. im A-Weg 2 und 4) mehrgeschossige Gebäude errichtet, die sowohl Wohnungen als auch Gewerberäume enthielten. Nach Fertigstellung im Jahre 1974 vermietete sie die einzelnen Häuser an die X-KG. Auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 hatte sie verzichtet und für die Gebäudeherstellungskosten den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 in Anspruch genommen.
Nachdem die X-KG in Konkurs gefallen und der Konkursverwalter den mit der Klägerin geschlossenen Generalmietvertrag zum 31. März 1977 gegenüber dem zwischenzeitlich für die Grundstücke eingesetzten Zwangsverwalter gekündigt hatte, wurden die Gebäude in der Folgezeit teils steuerpflichtig, teils steuerfrei weitervermietet. In den Gebäuden A-Weg 2 und 4 standen darüber hinaus einzelne Büroetagen, die zuvor gewerblich genutzt waren, leer. Die im A-Weg 2 belegenen Etagen wurden anschließend erneut steuerpflichtig vermietet. Die Etagen in dem Gebäude im A-Weg 4 sind im Jahre 1981 in Wohneinheiten umgebaut und sodann im selben Jahr steuerfrei veräußert worden.
Nach Durchführung einer durch Prüfungsanordnung vom 24. Januar 1978 der Klägerin gegenüber angeordneten Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die sich auf die Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 15a UStG 1973 u.a. im Hinblick auf die beiden vorgenannten Grundstücke erstreckte, vertrat der Prüfer die Auffassung, der Vorsteuerabzug sei von 1977 an jährlich um 1/10 zu berichtigen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die steuerfrei vermieteten, sondern auch für die zunächst leerstehenden Gebäudeteile. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folge dem und setzte die Umsatzsteuer 1977 (und nachfolgend die Umsatzsteuer 1978 bis 1980) durch gegen an die Klägerin gerichteten und dieser bekanntgegebenen Bescheid vom 12. Mai 1978 unter Ansatz entsprechender Vorsteuerkürzungsbeträge fest. Diese Steuerfestsetzung hat das FA auf Klage der Klägerin hin am 16. Mai 1984 aufgehoben, weil es im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Juni 1988 V R 203/83 (BFHE 154, 181, BStBl II 1988, 920) der Auffassung war, der Bescheid hätte dem seinerzeit noch bestellten Zwangsverwalter bekanntgegeben werden müssen. Der Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (FG) ist daraufhin von beiden Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt worden. Im Anschluß daran erging am 17. Mai 1984 ein erneuter Bescheid für 1977, der - nachdem die Zwangsverwaltung zum 31. Dezember 1980 aufgehoben worden war - erneut der Klägerin bekanntgegeben wurde.
Mit ihrer hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage wandte die Klägerin sich gegen die Vorsteuerberichtigung, soweit diese im Hinblick auf die leerstehenden Flächen der Gebäude im A-Weg 2 und 4 vorgenommen worden waren. Überdies sah sie den Umsatzsteueranspruch 1977 - nach der Aufhebung des ursprünglichen Änderungsbescheides vom 12. Mai 1978 - als festsetzungsverjährt an, so daß dieser Bescheid insgesamt aufzuheben sei. Das FG folgte dem Einwand der Festsetzungsverjährung nicht und wies die Klage insoweit ab, gab ihr aber im übrigen statt. Es vertrat die Auffassung, das Leerstehen von Räumlichkeiten führe nicht zu einer Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a UStG 1973. Das Leerstehen sei ein neutraler Vorgang, der eine umsatzsteuerliche Korrektur nicht begründe. - Die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei bei Erlaß des geänderten Bescheides vom 17. Mai 1984 aber noch nicht abgelaufen gewesen. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung habe ihren Ablauf gehemmt.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 15a UStG 1973.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Umsatzsteuer für das Streitjahr 1977 war bei Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides vom 17. Mai 1984 bereits verjährt. Das FG hat dies verkannt. Die Revision des FA bleibt deshalb im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist die Änderung einer Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Umsatzsteuer im Regelfall vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Die Umsatzsteuer entsteht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG 1973 mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes (vgl. § 18 Abs. 1 und 2 UStG 1973), in dem die Leistungen ausgeführt oder die Entgelte vereinnahmt worden sind. Die Festsetzungsfrist der Umsatzsteuer beginnt allerdings erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Besteuerungszeitraum (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG 1973) abgegeben wurde, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruches folgt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977). Da die Klägerin die Umsatzsteuererklärung nach den Feststellungen des FG für das Streitjahr 1977 im Februar 1979 abgegeben hatte, begann die Festsetzungsfrist des Umsatzsteueranspruches 1977 sonach mit Ablauf des Jahres 1979 und endete mit Ablauf des Jahres 1983.
2. Entgegen der Annahme des FG ist der Ablauf dieser Frist nicht gehemmt worden.
a) Zwar hat das FA im Jahr 1978 eine auf § 193 AO 1977 gestützte Umsatzsteuersonderprüfung wegen der Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 15a UStG 1973 u.a. bezüglich der beiden Grundstücke im A-Weg durchgeführt. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, u.a. nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Der Umfang der hierdurch bewirkten Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist richtet sich jedoch im Ausgangspunkt danach, gegen wen die Außenprüfung angeordnet worden ist und auf welche Steuerarten, Besteuerungszeiträume oder Sachverhalte (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) sie sich nach der Prüfungsanordnung erstreckt (z.B. BFH-Urteile vom 10. August 1989 III R 5/87, BFHE 158, 109, BStBl II 1990, 38, 40; vom 15. Dezember 1989 VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 171 AO 1977 Rdnr. 16a und 16b).
Nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) Feststellungen des FG richtete sich die Prüfungsanordnung im Streitfall an die Klägerin. (Nur) dieser und nicht dem seinerzeit bestellten Zwangsverwalter ist sie bekanntgegeben worden. Dies aber wäre erforderlich gewesen. Zwar bleibt der Vollstreckungsschuldner während der Zwangsverwaltung als Unternehmer i.S. des Umsatzsteuerrechts Steuerschuldner (§ 13 Abs. 2 UStG 1973) und damit Steuerpflichtiger nach § 33 Abs. 1 AO 1977. Er bleibt auch Adressat einer durchzuführenden Außenprüfung (siehe Tipke/Kruse, a.a.O., § 193 AO 1977 Rdnr. 7; Schick in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 193 AO 1977 Rdnr. 33, jeweils für den Konkursverwalter). Neben ihn tritt aber gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO 1977 der Zwangsverwalter als Steuerpflichtiger (§ 33 Abs. 1 AO 1977), soweit seine Verwaltung reicht. Die dem Vollstreckungsschuldner durch die Anordnung der Zwangsverwaltung untersagte tatsächliche und rechtliche Verfügung über das beschlagnahmte Grundstück (§ 148 Abs. 2 i.V.m. §§ 146 Abs. 1, 20 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes - ZVG -) wird durch den Zwangsverwalter mit Wirkung für und gegen den Vollstreckungsschuldner ausgeübt (§§ 150, 152 Abs. 1 ZVG). Insoweit ist der Zwangsverwalter mit eigenen Pflichten ausgestattet; er hat die durch seine Verwaltungstätigkeit begründete Umsatzsteuer zu entrichten. Das FA ist gehalten, die von dem Zwangsverwalter bei der Ausübung des Amtes begründeten positiven und negativen Umsatzsteueransprüche gegen diesen geltend zu machen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des V.Senats des BFH (Urteile vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 23. Juni 1988 V R 203/83, BFHE 154, 181, BStBl II 1988, 920); auf die beiden vorgenannten Urteile wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
Daraus folgt, daß der Zwangsverwalter insoweit auch die Umsatzsteuersonderprüfung zu dulden hat. Ihm und nicht dem Vollstreckungsschuldner ist die Prüfungsanordnung bekanntzugeben (§§ 196, 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; vgl. auch Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 193 AO 1977 Rdnr. 33 zum Konkursverwalter). So hätte auch im Streitfall verfahren werden müssen: Die seitens des FA angeordnete Umsatzsteuersonderprüfung erstreckte sich auf die Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG 1973 u.a. im Hinblick auf die beiden hier in Rede stehenden Grundstücke. Zugrunde lagen die dem Zwangsverwalter gegenüber ausgesprochene Kündigung des Generalmietvertrages durch den Konkursverwalter der seinerzeitigen Mieterin und die dadurch (siehe das gegen die Beteiligten ergangene Senatsurteil vom 12. Mai 1993 XI R 64, 65/90, BStBl II 1993, 2080) bedingten Nutzungsänderungen der Grundstücke. Die Umsatzsteuersonderprüfung bezog sich also auf in den Pflichtenkreis des Zwangsverwalters fallende Vorgänge (vgl. auch § 152 Abs. 2 ZVG), die Berichtigungansprüche aus § 15a UStG 1973 auszulösen vermochten und die sonach ihn und nicht den Vollstreckungsschuldner betrafen (siehe auch Weiß, Umsatzsteuer-Rundschau, 1989, 24, 25, dort insbesondere Fußnote 12). Daß es dabei zugleich um die Prüfung von Vorgängen vor Anordnung der Zwangsverwaltung ging (siehe insoweit z.B. BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, BStBl II 1992, 59, unter 3. c der Entscheidungsgründe), ist nicht ersichtlich. Die gleichwohl der Klägerin bekanntgegebene Prüfungsanordnung war deshalb unwirksam (§§ 124 Abs. 1, 125 AO 1977); durch sie konnte die Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährung der Klägerin gegenüber nicht herbeigeführt werden (BFH-Urteil vom 10. April 1987 III R 202/83, BFHE 150, 1, BStBl II 1988, 165).
b) Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde auch nicht dadurch gehemmt, daß die Klägerin den ursprünglich auf die Umsatzsteuersonderprüfung hin ergangenen Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr 1977 vom 12. Mai 1978 angefochten hatte. Nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist allerdings gehemmt, wenn vor deren Ablauf der Steuerbescheid angefochten war. In diesem Fall läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über das Anfechtungsbegehren unanfechtbar entschieden ist. Durch die - zulässige (BFH-Urteil vom 7. August 1985 I R 309/82, BFHE 145, 7, BStBl II 1986, 42) - Anfechtung eines unwirksamen Steuerbescheides kann der Ablauf der Festsetzungsfrist jedoch nicht gehemmt werden (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 X R 31/86, BFHE 158, 491, 498; Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO 1977 Rdnr. 10, m.w.N.). Im Streitfall war der seinerzeit ergangene Umsatzsteuerbescheid nicht - wie nach den unter 2. a gemachten Ausführungen erforderlich - dem Zwangsverwalter, sondern der Klägerin bekanntgegeben worden. Ebenso wie die Prüfungsanordnung war sonach auch der Steuerbescheid unwirksam. Allein aus diesem Grunde hatte das FA den Bescheid auch aufgehoben und durch den nachfolgenden Bescheid vom 17. Mai 1984 ersetzt. Da dieser letztere Bescheid wegen des zwischenzeitlichen Eintritts der Festsetzungsverjährung aber nicht mehr ergehen durfte, konnte die Revision insoweit im Ergebnis keinen Erfolg haben.
Fundstellen