Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnungsstundung
Leitsatz (NV)
Eine Verrechnungsstundung kommt nicht nur in Betracht, wenn der Gegenanspruch durch die Vorlage einer Steuererklärung glaubhaft gemacht ist.
Normenkette
AO 1977 § 222; FGO § 102
Verfahrensgang
Tatbestand
Die miteinander verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Wege der Schätzung zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Bescheid vom 3. September 1993 wurde die Einkommensteuer 1991 auf 348 756 DM festgesetzt; es ergab sich eine Nachzahlung von 247 276 DM, die am 6. Oktober 1993 fällig wurde. Am 4. Oktober 1993 ging die Einkommensteuer-Erklärung ein. Der Änderungsbescheid vom 3. Januar 1994 erhöhte die Nachzahlung um 133 598 DM; dieser Betrag wurde am 7. Februar 1994 fällig.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 1993 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer- Abschlußzahlung zu stunden. Zur Begründung führten sie aus, daß sie mit Vertrag vom 1. Oktober 1993 in A ein Grundstück mit einem aufstehenden und zu renovierenden Gebäude zum Preis von ... Mio. DM erworben hätten. Der Verkäufer habe sie aufgefordert, bis zum 15. Dezember 1993 Vorauszahlungen in Höhe von ... Mio. DM zu leisten. Sie seien nach §4 Abs. 2 des Fördergebietsgesetzes (FördG) berechtigt, auf die geleisteten Vorauszahlungen für Modernisierungsleistungen Abschreibungen von 50 v. H. geltend zu machen ( ... Mio. DM). Im Wege des Verlustrücktrags ergebe sich für 1991 keine Nachzahlung, sondern eine Erstattung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) wies den Antrag zurück, da eine Stundung erst nach Eingang der Steuerklärung für 1993 gewährt werden könne. Auch die Oberfinanzdirektion (OFD) vertrat in ihrer Beschwerdeentscheidung die Auffassung, daß für eine Stundung die Steuererklärung für das Verlustjahr unerläßlich sei. Am 19. Januar 1994 wurde die Steuererklärung eingereicht; die Stundung der Einkommensteuer 1991 wurde von diesem Zeitpunkt an gewährt. Die Klage, mit der die Kläger die zinslose Stundung der Einkommensteuer- Nachzahlung für die Zeit zwischen dem 6. Oktober 1993 und dem 18. Januar 1994 begehrten, wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, daß die Ablehnung der Stundung durch das Ermessen der Verwaltungsbehörden gedeckt sei. Es sei zutreffend darauf abgestellt worden, daß in Fällen dieser Art die Vorlage einer Steuererklärung für das Verlustjahr erforderlich sei.
Das FG hat die Revision wegen Abweichung vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Juni 1996 II R 71/94 (BFH/NV 1996, 873) zugelassen. Mit der Revision tragen die Kläger vor:
1. Das angefochtene Urteil des FG stehe im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BFH. Nach dieser Rechtsprechung sei eine sog. Verrechnungsstundung zu gewähren, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehe und in absehbarer Zeit fällig werde und wenn dies seitens des Steuerpflichtigen glaubhaft gemacht werde. Der Nachweis durch Vorlage einer Steuererklärung sei nicht unabdingbar. Das FA habe bei seiner Entscheidung keinerlei Ermessen ausgeübt. Die Vorentscheidungen seien daher ermessensfehlerhaft.
2. Im Streitfall habe eine leicht überschaubare Sachverhaltsgestaltung vorgelegen. Das FördG erlaube, bis zu 50 v. H. des gesamten Volumens der Absetzung für Abnutzung in einem Jahr geltend zu machen. Die Steuerrückerstattung für den Zeitraum 1991 sei glaubhaft gemacht worden, selbst wenn man berücksichtige, daß sich für den Veranlagungszeitraum 1993 noch Änderungen hätten ergeben können. All dies sei durch die nachfolgende Entwicklung bestätigt worden.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
1. Ein rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegter Gegenanspruch liege in der Regel nur dann vor, wenn sein Bestehen durch die Vorlage von Steuererklärungen glaubhaft gemacht werden könne.
2. Der Streitfall sei mit dem Fall, der dem BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 873 zugrunde gelegen habe, nicht vergleichbar. Zum einen sei die Ermittlung der Einkünfte noch nicht möglich gewesen, da das Veranlagungsjahr noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Zum anderen sei noch nicht sicher gewesen, ob und in welcher Höhe Sonderabschreibungen hätten geltend gemacht werden können. Es handele sich daher nicht um einen leicht überschaubaren Sachverhalt wie in dem Fall des zitierten Urteils. Auch die alsbaldige Fälligkeit des Gegenanspruchs sei ungewiß gewesen. So hätten die Kläger ihre Einkommensteuer-Erklärung für 1991 erst am 5. Oktober 1993 abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß §126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Verpflichtung des FA, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§101 Satz 2 FGO). Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind ermessensfehlerhaft.
1. Gemäß §222 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.
2. Die Entscheidung über die Stundung ist eine Ermessensentscheidung. Die Verwaltungsbehörden haben von ihrem Ermessen nur unzureichend Gebrauch gemacht, da sie zu Unrecht davon ausgegangen sind, daß eine sog. Verrechnungsstundung nur in Betracht komme, wenn die Steuererklärung, aus der sich der Gegenanspruch ergibt, bereits vorliege (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 873, m. w. N.).
3. Ob die Ablehnung des Stundungsbegehrens im Streitfall möglicherweise aus anderen Erwägungen, auf die die Finanzbehörde ihre Ermessensentscheidung bislang nicht gestützt hat, zu rechtfertigen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden (§102 FGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §135 Abs. 1 und §136 Abs. 1 Satz 1 FGO; sie berücksichtigt, daß die Kläger im Klageverfahren noch die Stundung selbst (nicht nur eine Bescheidung) beantragt hatten (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1988 VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695).
Fundstellen
Haufe-Index 66596 |
BFH/NV 1998, 418 |