Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht
Leitsatz (amtlich)
Ergeht in dem Verfahren vor dem Finanzgericht ohne mündliche Verhandlung eine Entscheidung, so ist für das Anfallen der Verhandlungsgebühr der Austausch von Schriftsätzen nicht erforderlich; es genügt das Einreichen einer Rechtsmittelbegründung durch den Bevollmächtigten.
Normenkette
AO § 316; FGO § 139; BRAGO 31/2; BRAGO 117/2
Tatbestand
Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1951 hatte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (Bf.) bei den Sonderausgaben einen Abzug versagt. Hiergegen richtete sich die vom Bf. eingelegte Sprungberufung, die von dem Fachanwalt für Steuerrecht A. vertreten wurde. Die Berufung wurde von dem Bevollmächtigten eingehend begründet. Das Finanzamt sah von einer Stellungnahme ab, da es sich bei der Sprungberufung um eine reine Rechtsfrage handelte. Vom Finanzgericht wurde ohne mündliche Verhandlung der Berufung entsprochen. Die Kosten des Verfahrens wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Bf. beantragt nunmehr Erstattung einer Prozeßgebühr und einer Verhandlungsgebühr für seinen Bevollmächtigten sowie seiner sonstigen Auslagen. Die Vorbehörden haben von den in § 13 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte vorgesehenen Gebühren lediglich eine Prozeßgebühr als erstattungsfähig anerkannt, die Verhandlungsgebühr dagegen versagt. Das Finanzgericht ist der Auffassung, eine Verhandlungsgebühr könne deshalb nicht anerkannt werden, weil weder eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe noch von einem Verhandeln in dem schriftlich geführten Verfahren die Rede sein könne, da das Finanzgericht bereits auf den Berufungsschriftsatz hin entschieden habe. Prozeßfördernde Schriftsätze seien nicht ausgetauscht worden.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde des Bf. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Der Senat hat in seinem Urteil II 147/54 S vom 6. Juli 1955 (Slg. Bd. 61 S. 132, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 249) ausgesprochen, daß in den vor den Steuergerichten geführten Rechtsmittelverfahren auch dann eine Verhandlungsgebühr anfallen kann, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Voraussetzung für das Anfallen der Verhandlungsgebühr ist nach diesem Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, daß in einem solchen Verfahren eine Entscheidung oder eine ihr gleichzusetzende Maßnahme ergangen ist. Das bereits vor dem genannten Urteil vom 6. Juli 1955 ergangene Urteil des Finanzgerichts entspricht nicht diesen Grundsätzen. Es war deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Die für das Anfallen einer Verhandlungsgebühr in einem lediglich schriftlich geführten Rechtsmittelverfahren im Urteil vom 6. Juli 1955 geforderte Voraussetzung, daß in dem Vorverfahren eine Entscheidung oder eine ihr gleichzusetzende Maßnahme ergangen war, ist im Streitfall gegeben. Der Auffassung des Finanzgerichts, daß hier die Verhandlungsgebühr deshalb zu versagen sei, weil ein Austausch von Schriftsätzen zwischen den Beteiligten nicht stattgefunden habe und deshalb von einem "Verhandeln" im schriftlichen Verfahren keine Rede sein könne, das prozeßfördernd gewirkt habe, kann der Senat nicht folgen. Wenn der Senat auch im Urteil vom 6. Juli 1955 u. a. ausgeführt hat, das Anfallen der Verhandlungsgebühr sei eine Anerkennung dafür, daß der Bevollmächtigte dazu beigetragen hat, den Prozeßstoff bis zur Entscheidungsreife schriftlich zu klären, so folgt daraus nicht, daß diese schriftliche Klärung einen Austausch von Schriftsätzen erfordert. Das Urteil geht davon aus, daß sich erst durch die Entscheidung herausstellt, ob die Schriftsätze des Bevollmächtigten den Prozeß bis zur Entscheidungsreife gefördert haben.
Ist nach dem Urteil vom 6. Juli 1955 das Ergehen einer Entscheidung oder einer ihr gleichzusetzenden Maßnahme in einem schriftlich geführten Verfahren wesentliche Voraussetzung für das Anfallen der Verhandlungsgebühr, so kann demgegenüber auch der Einwand des Finanzamts, daß die Berufung und ihre Begründung lediglich eine prozeßeinleitende Maßnahme seien, kein Gewicht haben. Das im Steuerprozeß geltende Amtsprinzip (§ 243 der Reichsabgabenordnung - AO -) und die dadurch bedingte Gestaltung des Steuerprozesses führen dazu, daß im Gegensatz zum Zivilprozeß hier das schriftliche Verfahren keinen Wechsel von Schriftsätzen zwischen den Beteiligten und damit auch keine Begründung der Berufung (dies gilt mit Ausnahme des § 290 Abs. 1 AO auch für die Rechtsbeschwerde) erfordert. Die Berufungsbegründung allein kann deshalb das finanzgerichtliche Verfahren bereits bis zur Entscheidungsreife fördern. Daß dies der Fall war, zeigt das Ergehen der gerichtlichen Entscheidung. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, die Verhandlungsgebühr im schriftlichen Verfahren dann zu versagen, wenn die Entscheidung bereits allein auf Grund der Berufungsbegründung ergangen ist.
Der Kostenfestsetzungsbescheid des Finanzamts war deshalb dahin zu ändern, daß die dem Bf. zu erstattenden Kosten festgesetzt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 408695 |
BStBl III 1957, 118 |
BFHE 1957, 315 |
BFHE 64, 315 |