Leitsatz (amtlich)
Die einzelnen Tankstellen eines Kraftstoff-Großhandelsunternehmens bilden nicht deshalb Teilbetriebe, well sie von Pächtern bewirtschaftet werden.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tatbestand
Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Der Ehemann (Kläger) betreibt ein Großhandelsunternehmen mit Kraftstoffen, Heizöl und Schmierstoffen, zu welchem im Jahre 1966 noch 14 Tankstellen gehörten. Im Jahre 1967 (Streitjahr) veräußerte er sechs verpachtete Tankstellen. Er beantragte in seiner Einkommensteuererklärung 1967, die Steuer auf den Veräußerungsgewinn von insgesamt 351 879 DM nach dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu bemessen.
In dem nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) für vorläufig erklärten Einkommensteuerbescheid 1967 führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Veranlagung zunächst antragsgemäß durch. Aufgrund einer Betriebsprüfung erkannte das FA die Tankstellenveräußerungen nicht mehr als Teilbetriebsveräußerungen an. Es erließ dementsprechend einen endgültigen Einkommensteuerbescheid gemäß § 225 AO.
Die Sprungklage hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) bezog sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Teilbetriebsbegriff (Hinweis auf Urteile vom 26. Juni 1975 VIII R 39/74, BFHE 116, 391, BStBl II 1975, 832; vom 5. April 1968 IV R 75/67, BFHE 92, 219, BStBl II 1968, 523). Insbesondere nach den Grundsätzen der letztgenannten Entscheidung habe die einzelne Tankstelle im Streitfall keinen Teilbetrieb gebildet. Die Tankstellen seien nicht als eigenständige Gewerbebetriebe in Erscheinung getreten. Der Verkauf sei im Auftrag des Klägers durchgeführt worden. Nicht entscheidend sei, daß die Tankstellenpächter neben den Kraftstoffen Autozubehör usw. in eigenem Namen verkauften und hierfür eine Einzelhandelsgenehmigung benötigten. Diese Verkäufe und sonstigen Nebenleistungen gäben den Tankstellen im Hinblick auf ihren Umfang und ihre sekundäre Bedeutung nicht das Gepräge. Das FA habe im übrigen entgegen der Ansicht der Kläger mit der endgültigen Einkommensteuerveranlagung für 1967 nicht gegen Treu und Glauben verstoßen.
In ihrer Revision beantragen die Kläger die Aufhebung der Vorentscheidung und die Anerkennung der Tankstellenveräußerungen als steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung. Sie rügen Verletzung sachlichen Rechts. Die Vorentscheidung habe den Teilbetriebsbegriff verkannt (Hinweis insbesondere auf das BFH-Urteil vom 4. Juli 1973 I R 154/71, BFHE 110, 245, BStBl II 1973, 838). Denn jede Tankstelle sei deutlich vom Hauptunternehmen, dem Großhandel in Mineralöl- und Mineralölprodukten, abgrenzbar und bilde für sich einen organisatorisch geschlossenen Teil des Gesamtunternehmens. Die veräußerten Tankstellen seien örtlich voneinander getrennt gewesen und hätten ihren eigenen Kundenkreis gehabt. Sie seien völlig selbständig von Pächtern geleitet worden. Diese hätten auch den üblichen Tankstellenservice geleistet. Die hierbei entfaltete Verkaufstätigkeit der Tankstellenpächter habe im Durchschnitt etwa 30 v. H. des Einkommens dieser Pächter ausgemacht. Die Sache sei ähnlich gelagert wie im Falle der von einer Brauerei betriebenen Gastwirtschaft, in dem der BFH die Teilbetriebseigenschaft anerkannt habe (Urteil vom 3. August 1966 IV 380/62, BFHE 86, 628, BStBl III 1967, 47). - In der Änderung der ursprünglichen Einkommensteuerveranlagung liege ein Verstoß gegen Treu und Glauben, da die Sach- und Rechtslage vor der vorläufigen Veranlagung eingehend mit dem FA erörtert worden sei. Im Hinblick hierauf hätte das FA einen besonderen Hinweis anbringen müssen, wenn es in der Frage der Tankstellenveräußerungen anderer Meinung gewesen wäre. Im Vertrauen auf die ursprüngliche Sachbehandlung des FA seien wesentliche geschäftliche Dispositionen getroffen worden. Insbesondere seien erhebliche Investitionen vorgenommen worden. Es stelle einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn die Finanzverwaltung eine einmal bezogene Rechtsposition bei einer späteren Betriebsprüfung ändere (BFH-Urteile vom 1. April 1966 VI 122/64, BFHE 85, 437, BStBl III 1966, 519; vom 13 Januar 1970 I R 122/67, BFHE 98, 41, BStBl II 1970, 352). Zwar seien die Verkäufe zu diesem Zeitpunkt schon durchgeführt gewesen; die Kläger hätten sich jedoch bei einem Hinweis des FA in ihren finanziellen Dispositionen auf etwaige Steuernachforderungen einrichten können.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, welche die Rechtsprechung zur Auslegung des Teilbetriebsbegriffs entwickelt hat (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 5. Oktober 1976 VIII R 62/72, BFHE 120, 257, BStBl II 1977, 42; vom 2. August 1978 I R 78/76, BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15; vom 12. September 1979 I R 146/76, BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51).
a) Danach ist ein Teilbetrieb i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch in sich geschlossener Teil eines Gesamtbetriebs, der für sich lebensfähig ist. Es muß hiernach eine Untereinheit des Gesamtbetriebs, ein selbständiger Zweigbetrieb im Rahmen des Gesamtunternehmens vorliegen (vgl. BFH-Urteile vom 27. März 1969 IV R 113/68, BFHE 95, 387, BStBl II 1969, 464; BFHE 110, 245, BStBl II 1973, 838). Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu entscheiden.
b) Der BFH hat in dem Urteil in BFHE 92, 219, BStBl II 1968, 523 entschieden, daß bei einem Unternehmen, das den Kraftstoffgroßhandel mit einem eigenen Netz von Tankstellen betreibt, die einzelne Tankstelle in der Regel keinen organisch selbständigen Teilbetrieb, sondern nur eine unselbständige Verkaufsstelle bildet. Der IV. Senat hat die Teilbetriebseigenschaft verneint, obwohl die veräußerte Tankstelle von einem selbständigen Agenten geleitet worden war. Andererseits hat im Falle des Urteils in BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15 der erkennende Senat die Vorentscheidung aufgehoben, weil sie zur Ablehnung der Teilbetriebseigenschaft bei einer Verkaufsfiliale aus dem Grunde gelangt war, daß die Waren durch einen selbständigen Handelsvertreter angeboten wurden. Der Senat führte dort aus, daß es für die Beurteilung der Teilbetriebseigenschaft unerheblich sei, ob der Betriebsteil von Angestellten oder von einem selbständigen Handelsvertreter geleitet werde.
Diese Grundsätze sind auch dann maßgebend, wenn die Tankstelle von einem Pächter betrieben wird. Entscheidend ist, ob die einzelne Tankstelle - gleichviel, ob verpachtet oder nicht - die erforderliche betriebliche Selbständigkeit gegenüber dem Stammunternehmen besitzt. Es kommt also darauf an, welche betriebliche Funktion sie im Rahmen des Absatznetzes der Mineralölgroßhandelsfirma erfüllt. Diese Frage muß unabhängig davon geprüft werden, daß aus der Sicht des Pächters einer solchen Tankstelle in jedem Falle ein Betrieb (und nicht nur ein Teilbetrieb) gegeben ist. Ob die Tankstelle im Rahmen des Vertriebsnetzes der Verpächterfirma einen Teilbetrieb bildet, muß aus den Gegebenheiten der Betriebsorganisation des Verpächterunternehmens beurteilt werden. Für die Entscheidung des Streitfalles kann es deshalb keinen Unterschied machen, ob die veräußerten Tankstellen von Angestellten oder durch selbständige Handelsvertreter oder von Pächtern betrieben wurden.
Nach den Feststellungen des FG haben die Tankstellen im Streitfall den Verkauf im Auftrage des Klägers durchgeführt. Die Sache liegt deshalb ebenso wie im Falle des Urteils in BFHE 92, 219, BStBl II 1968, 523. Danach hatte die einzelne Tankstelle im Rahmen des Absatzsystems nur die Funktion eines austauschbaren Betriebsmittels. Die Tankstellen bildeten auch im Streitfall keine organisch selbständigen Teilbetriebe, sondern unselbständige Verkaufsstellen. Unbegründet ist der Hinweis der Kläger darauf, daß die veräußerten Tankstellen ihre eigenen Kundenkreise gehabt hätten. Dieses Vorbringen hätte einer genaueren Substantiierung bedurft, da bei Tankstellen erfahrungsgemäß gerade nicht mit einem festen örtlichen Kundenkreis gerechnet wird, ein erheblicher Teil des Geschäfts vielmehr in der Regel aus Leistungen für den durchlaufenden Verkehr besteht.
Zu Unrecht berufen sich die Kläger auf die Teilbetriebseigenschaft von Brauereigaststätten, von welcher der BFH in dem Urteil in BFHE 86, 628, BStBl III 1967, 47 ausgegangen ist. Der BFH bezog sich dort auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 14. Februar 1940 VI 9/40 (RStBl 1940, 474). Der RFH hatte in dieser Entscheidung für den Regelfall die Teilbetriebseigenschaft solcher Gastwirtschaften bejaht, weil dies der allgemeinen Volksanschauung und der Verkehrsauffassung entspreche. Vor allem aber wies der RFH darauf hin, daß eine Gastwirtschaft nicht nur als Bierabsatzstelle für die gewerblichen Einkünfte des Brauereibesitzers von Bedeutung sei, sondern daß der Betrieb der Gastwirtschaft als solcher eine gewerbliche Einkommensquelle für den Brauereibesitzer bilde. Hier zeigt sich deutlich der Unterschied zur Tankstelle als Teil des Absatznetzes einer Mineralölfirma. Die Tankstelle ist aus deren Sicht nur "Absatzstelle", besonders dann, wenn sie verpachtet ist und die zusätzlichen Leistungen Sache des Pächters sind.
c) Es ist schließlich nichts dafür dargetan, daß die veräußerten sechs Tankstellen insgesamt die Merkmale eines Teilbetriebs erfüllt hätten. Nach den Feststellungen des FG, die mit Revisionsrügen nicht angegriffen sind, ist davon auszugehen, daß die veräußerten Tankstellen nicht in besonderer Weise organisatorisch verbunden waren.
2. Zu Unrecht machen die Kläger geltend, daß die Änderung der ursprünglichen Einkommensteuerveranlagung gegen Treu und Glauben verstoße. Die Kläger behaupten selbst nicht, daß das FA vor Durchführung der Verkäufe eine bindende Zusage wegen der Behandlung dieser Vorgänge als Teilbetriebsveräußerungen i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG gegeben habe. Da die ursprüngliche Veranlagung in vollem Umfang für vorläufig erklärt worden war, konnten die Kläger nicht davon ausgehen, daß das FA bei der endgültigen Veranlagung seinen Rechtsstandpunkt in der seit jeher umstrittenen Frage der Beurteilung von Tankstellenveräußerungen aufrechterhalten werde. Das bloße Vertrauen darauf aber, daß aus solchen Vorgängen künftighin nicht mehr mit Steuerbelastungen zu rechnen sei, weil die Frage mit dem FA einmal erörtert worden sei, wird nicht geschützt. Es ist gerade die Regel, daß die finanziellen Dispositionen eines Unternehmers durch die Ergebnisse einer Betriebsprüfung nachträglich mehr oder weniger erheblich beeinflußt werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 73552 |
BStBl II 1980, 498 |