Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablaufhemmung bei unterbrochener Außenprüfung auch ohne neue Prüfungsanordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Außenprüfung nach einer Unterbrechung von mehr als sechs Monaten vor Ablauf der normalen Festsetzungsfrist fortgeführt, so ist die Verjährung auch dann gehemmt, wenn keine neue Prüfungsanordnung erlassen wurde.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 4, §§ 196-197; FGO § 99 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ―eine OHG― wurde im Oktober 1989 gegründet. Gegenstand des Unternehmens war nach dem Gesellschaftsvertrag die Montage, die Herstellung, der Vertrieb und die Wartung von elektronischen Geräten, überwiegend jedoch der Vertrieb von Computern. Bereits zum 31. Dezember 1990 wurde der Betrieb nach eigenen Angaben wieder eingestellt. Am 31. Juli 1991 gingen beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) die Feststellungs-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen der Jahre 1989 und 1990 ein. Das FA folgte ihnen bei den jeweiligen Veranlagungen.
Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 6. Juli 1993 führte das FA eine Außenprüfung durch, die nach seinen Angaben am 19. Juli 1993 begann und mit Unterbrechungen bis zum 4. Dezember 1995 dauerte. Nach den Feststellungen des Prüfers ergaben sich erhebliche Änderungen des Gewinns und der Umsätze, da vorgefundene Rechnungen als Leistungsempfängerin nicht die Klägerin, sondern andere Unternehmen ihrer Gesellschafter auswiesen. Zudem ging der Prüfer davon aus, dass keine Berliner Einkünfte i.S. des § 23 des Berlinförderungsgesetzes vorlägen, da der Geschäftssitz in A gewesen sei.
Das FA erließ aufgrund der Prüfungsfeststellungen am 7. Mai 1996 Änderungsbescheide. Die hiergegen gerichteten Einsprüche hatten nur teilweise Erfolg.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Klage. Sie griff zum einen einzelne Prüfungsfeststellungen an und bestritt zum anderen die Einhaltung der Festsetzungsfrist. Die Außenprüfung habe zwar am 19. Juli 1993 um 10.00 Uhr begonnen. Sie sei jedoch sogleich nach ihrem Beginn unterbrochen und erst 1995 wieder aufgenommen worden. Der Prüfungsbeginn sei daher nicht geeignet gewesen, den Ablauf der Festsetzungsfrist, der am 31. Dezember 1995 eingetreten sei, zu hemmen.
Beide Beteiligten haben auf eine entsprechende Anfrage des Finanzgerichts (FG) dem Erlass eines Zwischenurteils gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Frage der Festsetzungsverjährung zugestimmt. Die Klägerin hat insoweit beantragt, im Rahmen des § 99 Abs. 2 FGO festzustellen, dass den geänderten Feststellungs-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden vom 5. Oktober 1998 der Ablauf der Festsetzungsverjährung (Feststellungsverjährung) entgegenstehe. Das FA hat beantragt, dem Feststellungsbegehren nicht zu entsprechen. Das FG erließ daraufhin ein Zwischenurteil, mit dem es feststellte, dass die streitigen Änderungsbescheide innerhalb der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist ergangen seien.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Klägerin beantragt,
das Zwischenurteil des FG aufzuheben und die Bescheide des FA über Umsatzsteuer 1989 und 1990, Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1989 und 1990 sowie Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge 1989 und 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 1998 aufzuheben;
hilfsweise: das Zwischenurteil des FG zu ändern und festzustellen, dass den vorgenannten Bescheiden der Ablauf der Festsetzungsverjährung (Feststellungsverjährung) entgegensteht.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet.
1. Das Urteil des FG leidet nicht unter einem Verfahrensmangel. Es liegt in der Natur des Zwischenurteils gemäß § 99 Abs. 2 FGO, dass über einen Streitpunkt vorab entschieden wird. Das kann naturgemäß nur in der Weise geschehen, dass das FG die maßgebliche Vorfrage entweder zu Gunsten des einen oder des anderen Beteiligten entscheidet. Selbst wenn der erstinstanzliche Urteilsausspruch in der Weise formuliert wäre, dass es das FG lediglich abgelehnt hätte, die Vorfrage im Sinne der Klägerin zu entscheiden, wäre das im Wege der Auslegung ―soweit es die Vorfrage betrifft― als endgültige Entscheidung zugunsten des FA zu verstehen. Keinesfalls könnte die Entscheidung so verstanden werden, dass über die Vorfrage im Endurteil erneut entschieden werden kann. Ob und ggf. welchen Antrag das FA gestellt hat, ist unmaßgeblich, sofern es der Vorabentscheidung nicht überhaupt widersprochen hat.
2. Auch in der Sache selbst ist das Urteil des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide sind innerhalb der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist ergangen.
Die Festsetzungsfrist für die streitigen Steuerbescheide begann nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärungen abgegeben wurden. Das war das Jahr 1991. Demnach endete die vierjährige Frist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) mit Ablauf des Jahres 1995. Entsprechendes gilt für die Feststellungsfrist bezüglich der angegriffenen Feststellungsbescheide (§ 181 Abs. 1 AO 1977).
Obwohl die streitigen Bescheide erst im Jahre 1996 ergangen sind, sind sie nicht wegen Überschreitung der Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist rechtswidrig. Wird nämlich vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung erlassenen Steuerbescheide bestandskräftig geworden sind (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977). So verhielt es sich im Streitfall. Aufgrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG steht fest, dass die Außenprüfung vor dem 31. Dezember 1995 begonnen hat.
Es liegt auch nicht der Ausnahmefall des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 vor. Nach dieser Vorschrift tritt die in Satz 1 der Vorschrift normierte Ablaufhemmung nicht ein, wenn eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Finanzbehörde zu vertreten hat. Unterstellt, der Vortrag der Klägerin, die Außenprüfung habe zwar am 19. Juli 1993 um 10.00 Uhr begonnen, sei aber nach einer Eingangsbesprechung unterbrochen und erst im Jahre 1995 fortgesetzt worden, sei richtig, so folgt hieraus doch nicht, dass der Ablauf der Festsetzungs- (Feststellungs-)frist nicht gehemmt worden wäre. Wenn es sich so verhielt, wie es die Klägerin geschildert hat, so steht die Fortsetzung der Prüfung im Jahr 1995 einem erneuten Prüfungsbeginn gleich.
Das FA kann, wenn es eine Außenprüfung nach ihrem Beginn sofort wieder für einen längeren Zeitraum als sechs Monate unterbrochen hat, innerhalb der Festsetzungsfrist mit einer neuen Prüfung beginnen und dadurch die zunächst nicht eingetretene Ablaufhemmung herbeiführen. Das hat der Senat bereits für den Fall entschieden, dass eine Steuerfahndungsprüfung unmittelbar nach deren Beginn für mehr als sechs Monate unterbrochen worden ist (Urteil vom 2. Juli 1998 IV R 39/97, BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28). Der Senat hat in diesem Urteil ausgesprochen, dass dann, wenn die Hemmungswirkung wegen Prüfungsunterbrechung entfällt, die spätere Wiederaufnahme der Prüfung als neue Prüfung gilt, die erneut eine Hemmungswirkung entfaltet. Er hat das damit begründet, dass der Steuerpflichtige innerhalb der Festsetzungsfrist immer damit rechnen muss, dass Ereignisse mit ablaufhemmender Wirkung eintreten und zwar auch dann, wenn zuvor eine Hemmung weggefallen ist. Diese Erwägungen gelten für die in § 171 Abs. 5 AO 1977 geregelte Ablaufhemmung bei Beginn einer Fahndungsprüfung ebenso wie für die in § 171 Abs. 4 AO 1977 normierte Ablaufhemmung bei Beginn einer Betriebsprüfung.
Fahndungsprüfung und Außenprüfung unterscheiden sich allerdings insoweit, als letztere eine Prüfungsanordnung erfordert. Es handelt sich dabei um einen schriftlich zu erteilenden Verwaltungsakt, der den Umfang der Außenprüfung bestimmt (§ 196 AO 1977). Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass bei Wegfall der Hemmungswirkung infolge Unterbrechung der ersten Prüfung um mehr als sechs Monate die Hemmungswirkung der weiteren Prüfung von einer neuen Prüfungsanordnung abhänge (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 171 Rz. 68).
Der Senat folgt dieser Auffassung nicht (wie hier: Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 171 Rz. 44). Sie ergibt sich nicht zwingend aus dem Gesetzeswortlaut. Richtig ist zwar, dass auch die "neue" Prüfung eine Prüfungsanordnung voraussetzt. Allerdings kann das FA dabei auf die bereits vorhandene Prüfungsanordnung zurückgreifen.
Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO 1977 knüpft nicht an den Erlass der Prüfungsanordnung an. Die Prüfungsanordnung ist zwar Voraussetzung dafür, dass mit der Prüfung ablaufhemmend begonnen werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. April 1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649, unter B.II.1.c bb; Klein/Rüsken, a.a.O., § 171 Rz. 41). Die Prüfungsanordnung bestimmt auch den Umfang der Ablaufhemmung. Maßgebend für den zeitlichen Beginn der Ablaufhemmung ist jedoch allein der (nachhaltige) Beginn der Prüfungshandlungen.
Eine Prüfungsanordnung "verfällt" innerhalb der Festsetzungsfrist nicht durch bloßen Zeitablauf. Sie gestattet vielmehr Prüfungsmaßnahmen bis zum Eintritt der Bestandskraft der aufgrund der Prüfung ergehenden Bescheide bzw. der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977. Selbst wenn eine bereits für abgeschlossen gehaltene Prüfung wieder aufgenommen werden soll, bedarf es keiner neuen Prüfungsanordnung (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 196 AO 1977 Tz. 4; Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 196 AO 1977 Rz. 175). Der Steuerpflichtige ist lediglich in entsprechender Anwendung des § 197 AO 1977 von dem erneuten Prüfungsbeginn zu unterrichten.
Es bedarf auch dann keiner neuen Prüfungsanordnung, wenn nach ihrem Erlass mehr als sechs Monate lang überhaupt keine Prüfungsmaßnahmen durchgeführt werden. Sofern die Prüfung schließlich innerhalb der Festsetzungsfrist begonnen wird, tritt die Ablaufhemmung vorbehaltlich der in § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 geregelten Ausnahme ein.
Bedarf es aber weder bei längerer Unterbrechung einer zunächst nachhaltig begonnenen Außenprüfung ―wie auch im zuletzt genannten Fall eines um mehr als sechs Monate verzögerten Beginns der Außenprüfung― keiner neuen Prüfungsanordnung, so ist kein Grund ersichtlich, warum eine neue Prüfungsanordnung erforderlich sein soll, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen wird, mehr als sechs Monate ruht, dann jedoch vor Ablauf der Festsetzungsfrist zügig beendet wird. Eine solche Prüfungsanordnung könnte ―vorbehaltlich eventueller Erweiterungen oder Einschränkungen, die selbstverständlich ausdrücklich angeordnet werden müssten― keinen anderen Inhalt haben, als die ursprünglich ergangene.
Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Auffassung entfällt die Hemmungswirkung der wieder aufgenommenen Prüfung auch nicht deswegen, weil das FA ―in der Meinung, die begonnene Prüfung fortzusetzen― keinen neuen "Prüfungsbeginn" mitgeteilt hat. Hiergegen spricht insbesondere nicht der von der Klägerin hervorgehobene Umstand, dass die Mitteilung des voraussichtlichen Prüfungsbeginns i.S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 als Verwaltungsakt anzusehen ist. Der Grund für die Qualifizierung der Mitteilung als Verwaltungsakt liegt darin, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu verschaffen, sich gegen einen nicht angemessenen Zeitraum zwischen Ankündigung und Beginn der Prüfung zur Wehr zu setzen (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 I R 49/83, BFHE 149, 104, BStBl II 1987, 408). Unter diesem Gesichtspunkt ist es jedoch gleichgültig, ob das FA dem Steuerpflichtigen den Beginn der Prüfung oder ―ggf. konkludent durch Erscheinen des Prüfers― deren Fortsetzung nach längerer Unterbrechung mitteilt.
Die vom Senat befürwortete Auslegung entspricht auch dem Gesetzeszweck. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, wollte der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 verhindern, dass die Finanzbehörde vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Ablaufhemmung durch den Beginn einer "pro-forma-Prüfung" herbeiführt. Einen darüber hinausgehenden "engeren Gesetzeszweck" kann der Senat entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht erkennen. Sicher ist es richtig ―wie die Klägerin meint―, dass die Unterbrechung der Prüfung unter den Voraussetzungen des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 die Ablaufhemmung vernichten soll. Das heißt aber ―wie bereits im Senatsurteil in BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28 ausgeführt― nicht, dass die Ablaufhemmung innerhalb der Festsetzungsfrist nicht durch eine andere Maßnahme wiederhergestellt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO. Über die Kosten des Revisionsverfahrens war eine Entscheidung zu treffen, obwohl sich die Revision nur gegen eine Zwischenentscheidung des FG richtete (s. Senatsurteil vom 14. März 1985 IV R 1/81, BFHE 143, 223, BStBl II 1985, 368).
Fundstellen
Haufe-Index 939369 |
BFH/NV 2003, 956 |
BStBl II 2003, 552 |
BFHE 1974, 7 |
BFHE 2004, 7 |
BFHE 202, 7 |
BB 2003, 1322 |
DB 2003, 1365 |
DStR 2003, 977 |
DStRE 2003, 832 |
DStZ 2003, 502 |
HFR 2003, 758 |