Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigkeit einer Sprachheilpädagogin als freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Im Jahr 1994 übte eine Sprachheilpädagogin in Niedersachsen noch nicht eine den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Heilberufen ähnliche Tätigkeit aus. Möglicherweise war sie aber unterrichtend oder erzieherisch tätig.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt als selbständige Diplom-Pädagogin eine Praxis für Sprachtherapie. Die Sprachheilbehandlungen führt sie nach ärztlichen Verordnungen durch. Ihre Honorare rechnet sie mit den Krankenkassen ab. Entsprechende Zulassungen hatten ihr die AOK A (Niedersachsen) und der Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. gemäß § 124 Abs. 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erteilt. Seit dem 1. Februar 1999 führt die Klägerin die im Land Niedersachsen mögliche Berufsbezeichnung "med. Sprachheilpädagogin" (Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen vom 2. März 1998, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt ―NiedersGVBl― 1998, 126).
Für das Streitjahr (1994) setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) einen Gewerbesteuermessbetrag 1994 in Höhe von 125 DM fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1315 veröffentlichtes Urteil im Wesentlichen damit, dass die für eine Anerkennung als freiberufliche Tätigkeit notwendige Berufsregelung im Streitjahr (1994) noch nicht vorgelegen habe.
Mit der ―vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen― Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid 1994 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 1998 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zwar die Tätigkeit der Klägerin als Sprachheilpädagogin im Streitjahr (1994) zu Recht nicht als einen einem Katalogberuf ähnlichen Heilhilfsberuf angesehen; es hat aber rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob die Klägerin damit eine selbständige unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat.
1. Die Tätigkeit eines Sprachheilpädagogen war in Niedersachsen im Streitjahr (1994) keine einem Katalogberuf ähnliche freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
a) Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 18. Mai 2000 IV R 89/99, BFHE 191, 568, BStBl II 2000, 625; vom 29. November 2001 IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149; vom 16. Mai 2002 IV R 94/99, BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565, und vom 19. September 2002 IV R 45/00, BFHE 200, 317, BStBl II 2003, 21, sowie Senatsbeschluss vom 14. November 2000 IV B 156/99, BFH/NV 2001, 593, jeweils m.w.N.). Erfordert die Ausübung des Katalogberufs eine Erlaubnis oder ist sie ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, liegt ein ähnlicher Beruf nur vor, wenn auch diese ausgeübte Tätigkeit erlaubnispflichtig ist oder vergleichbaren Sanktionen unterliegt, wenn sie ohne Erlaubnis ausgeübt wird (Senatsurteile vom 5. Juni 1997 IV R 43/96, BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681, und in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149).
b) Zu Recht hat das FG deshalb erkannt, dass die Klägerin im Streitjahr (1994) mit ihrer Tätigkeit als Sprachheilpädagogin keinen den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Katalogberufen des Heilpraktikers oder Krankengymnasten ähnlichen Heilhilfsberuf ausgeübt hat. Für die Ausübung ihrer Berufe benötigen sowohl ein Heilpraktiker (§ 1 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes ―HeilprG―, RGBl I 1939, 251) als auch ein Krankengymnast (neuerdings: "Physiotherapeut"; § 16 Abs. 1 i.V.m. § 1 Nr. 2 des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes ―MPhG―, BGBl I 1994, 1084) eine Erlaubnis. Diese wird nur erteilt, wenn die Bewerber eine genau vorgeschriebene Ausbildung (vgl. für den Physiotherapeuten §§ 8 und 9 MPhG) erfolgreich abgeschlossen haben. Zudem unterliegen die Angehörigen dieser Berufe der Überwachung durch die staatlichen Behörden.
Dagegen konnte die Klägerin im Streitjahr (1994) ihrem Beruf als Sprachheilpädagogin in Niedersachsen noch ohne staatliche Erlaubnis nachgehen; eine Überwachung durch die zuständigen staatlichen Behörden fand mangels einer gesetzlichen Regelung dieses Berufsbildes in Niedersachsen noch nicht statt. Grundsätzlich konnte in Niedersachsen jeder diesen Beruf ergreifen und die Berufsbezeichnung "Sprachheilpädagoge" führen, ohne dass er bestimmte gesetzliche Vorgaben zu erfüllen hatte. Das Berufsbild des Sprachheilpädagogen in Niedersachsen wies daher jedenfalls im Streitjahr noch nicht die typischen und wesentlichen Berufsmerkmale der im Gesetz genannten Katalogberufe auf, zumal neben der für die Heilhilfsberufe notwendigen staatlichen Erlaubnis die Überwachung durch die Gesundheitsämter fehlte (s. dazu BFH-Urteile in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, und vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621).
Dass die Klägerin eine qualifizierte Ausbildung besitzt und kassenrechtlich zugelassen ist (zu den besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 124 Abs. 5 SGB V s. Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. September 2001 B 3 KR 13/00 R, SozR 3-2500 § 124 Nr. 9), steht dem nicht entgegen. Denn sie übte ihre Tätigkeit im Streitjahr (1994) ―anders als ein Heilpraktiker oder Krankengymnast― unabhängig von einer staatlichen Anerkennung und einer speziellen Ausbildung für einen Heilhilfsberuf sowie einer Überwachung durch die Gesundheitsämter aus.
2. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem zwischenzeitlich in Niedersachsen geltenden Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen vom 2. März 1998 (NiedersGVBl 1998, 126). Dieses Gesetz wirkt ―wie das FG zu Recht erkannt hat― nicht auf das Streitjahr zurück. Zudem waren die ―danach nunmehr mögliche― Erlaubnis und die notwendige Überwachung durch die zuständigen Behörden jedenfalls im Streitjahr (1994) noch nicht gegeben (Senatsurteil in BFHE 200, 317, BStBl II 2003, 21, sowie BFH-Urteil vom 1. September 1988 V R 195/83, BFH/NV 1989, 201; weiter Korn in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 18 Rz. 87, zu Stichwort Sprachheilpädagoge; vgl. weiter Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 18 EStG Rn. 156, und Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 18 EStG Rz. 185, unter Stichwort Logopäde; s. aber Brandt, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 2002, 867 ff., unter II.1.). Ungeachtet dessen hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, dass sie (inzwischen) selbst eine Erlaubnis nach dem Logopädengesetz besitzt.
3. Die Tätigkeit der Klägerin ist auch nicht etwa wegen der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― (vgl. Beschlüsse vom 29. Oktober 1999 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155; vom 10. November 1999 2 BvR 1820/92, BStBl II 2000, 158, und vom 10. November 1999 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160) und der entsprechenden Änderung des § 27 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als ähnlicher Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG anzuerkennen. Zwar sind danach bei Erfüllung bestimmter weiterer Voraussetzungen auch die Umsätze eines Sprachheilpädagogen nach § 4 Nr. 14 UStG ―ggf. auch ohne berufsrechtliche Regelung― umsatzsteuerfrei. Erkennbarer Normzweck dieser Steuerbefreiung ist aber allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer (vgl. auch Weymüller in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Stand: 1. September 2002, § 4 Nr. 14 Rz. 1; Birkenfeld, Das große Umsatzsteuerhandbuch, 3. Aufl. 1998, II Rz. 457, Stand: Dezember 2002; Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines UStG, zu BTDrucks V/1581, S. 5, 12). Diese für die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer geltende Regelung ist nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 2. Februar 2000 XI R 38/98, BFH/NV 2000, 839, und in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, sowie Beschluss vom 13. Dezember 1999 IV B 68/99, BFH/NV 2000, 705) indes nicht auf die einkommen- und gewerbesteuerrechtliche Rechtslage der Heilhilfsberufe übertragbar (so bereits BVerfG-Beschluss vom 26. März 1998 1 BvR 2341/95, Die Information über Steuer und Wirtschaft ―Inf― 1998, 384; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1998, 577). Insbesondere konnte der Gesetzgeber bei der Privilegierung der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufe einschließlich der Heil- und Heilhilfsberufe berücksichtigen, dass die betreffenden Berufsträger zum Erwerb ihrer hohen und breit angelegten Qualifikation in der Regel eine längere Ausbildungszeit auf sich nehmen mussten und in dieser Zeit meist keine Einkünfte hatten (Senatsurteil in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, unter Hinweis auf die Beschlüsse des BVerfG vom 25. Oktober 1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, und vom 14. Februar 2001 2 BvR 460/93, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2001, 1853; vgl. auch Senatsurteil vom 7. September 1989 IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359). Im Übrigen hat auch das BVerfG die den Hypnosetherapeuten betreffende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 15. März 2001 1 BvR 742/00; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl. 2002, § 18 Rz. 130).
4. Die Sache ist gleichwohl nicht spruchreif. Das FG hat nicht geprüft, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit als Sprachheilpädagogin eine unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat. Durch die Voraussetzungen, an die das Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen des Landes Niedersachsen vom 2. März 1998 (NiedersGVBl 1998, 126) heute die Erlaubnis zur Ausübung dieses Berufes knüpft, wird deutlich, dass Sprachheilpädagogen weitestgehend als Pädagogen tätig sind und daher möglicherweise eine unterrichtende und/oder erzieherische Tätigkeit ausüben (Steinhauff in Littmann/Bitz/ Pust, a.a.O., § 18 EStG Rn. 156; zu diesen freiberuflichen Tätigkeiten s. z.B. BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 XI R 2/95, BFHE 183, 450, BStBl II 1997, 687). Das FG hat indes nicht geprüft, ob die Tätigkeit der Klägerin unter diesem Gesichtspunkt als freiberufliche Tätigkeit anerkannt werden kann. Soweit der V. Senat des BFH sich im Urteil in BFH/NV 1989, 201 bereits mit dem Berufsbild des Logopäden auseinander gesetzt und entschieden hat, dieser habe damals keine einem Heilberuf ähnliche Tätigkeit ausgeübt, betraf das nur die damalige Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG zur Frage, ob die Umsätze eines Logopäden umsatzsteuerfrei seien.
Fundstellen
Haufe-Index 955253 |
BFH/NV 2003, 1264 |
BStBl II 2003, 721 |
BFHE 1974, 70 |
BFHE 2004, 70 |
BFHE 202, 70 |
BB 2003, 1653 |
DB 2003, 2208 |
DStR 2003, 1433 |
DStRE 2003, 970 |
HFR 2003, 879 |