Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkäufe, die weniger als ein Jahr zurückliegen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 1974)
Leitsatz (NV)
Der im Juni 1977 zustandegekommene Verkauf eines Geschäftsanteils an einer GmbH liegt ausnahmsweise nicht weniger als ein Jahr vom Bewertungsstichtag 31. Dezember 1977 zurück, wenn die Verkaufsverhandlungen schon 1976 aufgrund eines Bewertungsgutachtens zum 31. Dezember 1975 stattgefunden haben und der förmliche Verkauf durch das vormundschaftsgerichtliche Genehmigungsverfahren hinausgezögert wurde.
Normenkette
BewG 1974 § 11 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klin., eine GmbH, betreibt eine . . .fabrik; ihr Stammkapital beträgt . . . DM. Am 31. Dezember 1976 hielten die Geschäftsanteile an der Klin. der Beigeladene A zu 42,5 v. H., die Beigeladene B zu 30 v. H. sowie C zu 27,5 v . H. Letzterer übertrug durch Vertrag vom 24. Juni 1977, bei dem er wegen Krankheit durch einen Pfleger vertreten war, seinen Geschäftsanteil an den Gesellschafter A. Die Vertragsverhandlungen hatten schon 1976 stattgefunden. Der Kaufpreis betrug . . . DM, das sind . . . DM für je 100 DM Nennkapital. Er war ab 1. Januar 1976 mit jährlich 6 v. H. zu verzinsen und sofort fällig. Der Bemessung des Kaufpreises lag ein Wertgutachten zum 31. Dezember 1975 zugrunde. Das Vormundschaftsgericht genehmigte den Vertrag noch im Jahre 1977.
Das beklagte FA stellte zum 31. Dezember 1977 den gemeinen Wert der Anteile an der Klin. nach dem Stuttgarter Verfahren (zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit . . . DM je 100 DM Nennkapital und schließlich) mit . . . DM je 100 DM Nennkapital fest.
Der Einspruch der Klin., mit dem sie beantragte, den gemeinen Wert der Anteile zum 31. Dezember 1977 unter Berücksichtigung des Verkaufs vom 24. Juni 1977 festzustellen, war erfolglos. Auf die Klage hat das FG den Feststellungsbescheid aufgehoben und den gemeinen Wert der Anteile an der Klin. unter Berücksichtigung des Verkaufs auf . . . DM je 100 DM Nennwert festgestellt. Es hat die Revision ohne Rücksicht auf den Streitwert zugelassen. Seine Entscheidung ist in EFG 1981, 435 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das FA stützt seine Revision darauf, daß nach der Rechtsprechung des BFH Voraussetzung für die Ableitung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile aus Verkäufen ,,mehrere Verkäufe" seien. Von dieser Rechtsprechung weiche das FG ab; seine Entscheidung beruhe auf dieser Abweichung. Sollte es denkbar sein, daß auch ein einziger Verkauf genüge, so habe im Streitfall der Verkauf nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben. Das FG hat § 11 Abs. 2 BewG 1965/1974 nicht richtig angewandt.
1. Der Senat kann nicht entscheiden, ob für die Ableitung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft ,,aus Verkäufen" ein einziger Verkauf genügt oder ob mehrere Verkäufe erforderlich sind; denn der vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Verkauf vom 24. Juni 1977 ist der Sache nach ein Verkauf, der nicht weniger als ein Jahr vom Bewertungsstichtag 31. Dezember 1977 zurückliegt (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG).
2. Der Zeitpunkt des formellen Abschlusses des Kaufvertrags vom 24. Juni 1977 spricht zunächst für die Auffassung des FG, daß dieser Verkauf unter der Sicht des Zeitabstandes vom Bewertungsstichtag 31. Dezember 1977 ein geeigneter Verkaufsfall sei. Denn dieser Zeitpunkt liegt weniger als ein Jahr vom Bewertungsstichtag zurück. Der III. Senat des BFH hat jedoch mit Urteil vom 30. Januar 1976 III R 74/74 (BFHE 118, 234, 236, BStBl II 1976, 280) entschieden, daß in Ausnahmefällen ein Verkauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, der formell kurz nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen wurde, geeignet sein könne, daraus den gemeinen Wert am vorhergehenden Feststellungszeitpunkt abzuleiten. Diese Entscheidung beruht auf der Überlegung, für nichtnotierte Anteile an einer Kapitalgesellschaft bestehe kein offener Markt in dem Sinne, daß Angebot und Nachfrage allgemein bekannt seien. Dem Verkauf solcher Anteile gehen deshalb häufig längere Verhandlungen voraus, so daß die Einigung über den Kaufpreis materiell schon vor dem förmlichen Vertragsabschluß zustande gekommen sein kann und damit im Feststellungszeitpunkt bereits vorlag.
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung an, daß beim Verkauf von GmbH-Anteilen die notwendig beurkundete Abtretung (vgl. § 15 Abs. 3 GmbHG) das Ende längerer Verhandlungen mit dem Ziel der Veräußerung sein kann. In Grenzfällen können deshalb Untersuchungen erforderlich werden, in welchem Zeitpunkt die Verhandlung über den Veräußerungspreis beendet war. Dabei dürfte es jedoch der Lebenserfahrung entsprechen, daß die am Verkauf Beteiligten die Entwicklung des Unternehmens der Gesellschaft bis zuletzt verfolgen und ihre Preisvorstellungen an diese Entwicklung anpassen werden. Bei einem Verkauf mitten im Jahr stellt sich deshalb die Frage, ob wegen des zeitlichen Bezugspunkts der Preisbildung ein Grenzfall gegeben sein könnte, allgemein nicht. Für den Streitfall hat das FG festgestellt, daß die Vertragsverhandlungen über den Verkauf der Beteiligung an der Klägerin schon 1976 stattgefunden haben. Der Preisbildung ist nach diesen Feststellungen ein Bewertungsgutachten zum 31. Dezember 1975 zugrunde gelegt worden. Dieses Gutachten berücksichtigt die Ertragslage der Gesellschaft nur bis zum Ablauf des Jahres 1975. Das FG hat weiter festgestellt, daß die förmliche Vereinbarung des Verkaufs und der Abtretung der Geschäftsanteile deshalb erst am 24. Juni 1977 stattgefunden habe, weil der unter Pflegschaft stehende Verkäufer seine Verwandten, seinen Pfleger und das Vormundschaftsgericht mit der Frage befaßt hat, ob Zeitpunkt des Verkaufs und vereinbarter Kaufpreis bei den gegebenen Verhältnissen des Unternehmens der Klin. für ihn angemessen seien. Damit steht fest, daß der im Vertrag vom 24. Juni 1977 vereinbarte Kaufpreis den Verhältnissen des Jahres 1976, wahrscheinlich sogar den Verhältnissen vom Beginn dieses Jahres entspricht. Er kann somit keinesfalls auf Verhältnissen beruhen, die weniger als ein Jahr vom Bewertungsstichtag 31. Dezember 1977 zurückliegen. Damit konnte aus diesem Verkauf der gemeine Wert der Anteile an der Klin. zum 31. Dezember 1977 nicht abgeleitet werden (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG).
3. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG, von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend zu recht, keine Feststellungen und keine Entscheidung darüber getroffen hat, ob der vom FA zum 31. Dezember 1977 festgestellte gemeine Wert der Anteile an der Klin. der Rechtslage entspricht. Sie ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413864 |
BFH/NV 1985, 67 |