Leitsatz (amtlich)
Die entgeltliche Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit des Instituts einer ...schule ist keine Ausübung öffentlicher Gewalt.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 3; UStDB § 19
Tatbestand
Das beschwerdeführende Institut ist eine Einrichtung der ...schule in A. Dem Institut sind eine Versuchs- und Lehrbrennerei und eine Versuchs- und Lehrkelterei angeschlossen. Seine Aufgaben sind die Durchführung von Forschungen auf dem Gebiete der Gärungschemie und des Brennereiwesens, die Unterstützung der Ausbildung der auf diesen Gebieten tätigen Personen und ihre Beratung und Betreuung. Außerdem führt das Institut auf Wunsch von Brennereien Untersuchungen über die Alkoholergiebigkeit von Rohstoffen nach den Bestimmungen der Zollbehörden und über die Zusammensetzung von Fruchtsäften durch. Es übernimmt ferner auf Antrag Betriebsberatungen und gutachtliche Stellungnahmen auf seinen Arbeitsgebieten (betreffend Beseitigung von Fehlern in der Arbeitsweise, Erzielung möglichst günstiger Ergebnisse, Einhaltung der Branntweinmonopolbestimmungen und dergleichen). Für die Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit vereinnahmt das Institut von seinen Auftraggebern Entgelte nach einer Gebührenordnung mit nach Schwierigkeitsgraden abgestuften Gebührenrahmensätzen. Eine Trennung der einzelnen Aufgaben und der vereinnahmten Beträge besteht weder in personeller noch in wirtschaftlicher, organisatorischer oder haushaltsmäßiger Hinsicht. Die Ergebnisse der Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit werden vom Institut für die Forschungs- und Lehrzwecke und von seinen Mitarbeitern zu wissenschaftlichen Abhandlungen in Fachzeitschriften ausgewertet.
Im vorliegenden Verfahren ist nur noch streitig, ob die Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit des Instituts -- wie dieses glaubt -- eine Ausübung öffentlicher Gewalt oder -- wie die Vorinstanzen annehmen -- eine gewerbliche Tätigkeit darstellt.
Mit der Rb. begehrt das Institut Aufhebung der Vorentscheidung wegen unrichtiger Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG und des § 19 Abs. 1 UStDB und Freistellung der für die streitige Tätigkeit vereinnahmten Entgelte (einschließlich Reisekostenersatz) von der Umsatzsteuer. Der Bf. bemängelt, daß das Finanzgericht die Begriffe "Ausübung öffentlicher Gewalt" und "Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben" zu eng umgrenzt habe. Zu Unrecht fordere die Vorinstanz das Bestehen eines Annahmezwanges. Dieser sei nur eines von mehreren Beweisanzeichen für die Ausübung öffentlicher Gewalt, die auch Tätigkeiten obrigkeitlicher Fürsorge umfasse, deren Annahme jedem freistehe. Das Institut wolle mit seiner Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit nicht mit privaten Stellen, die ähnliche Arbeiten ausführen, konkurrieren. Um seine Forschungsziele zu erreichen, müsse es Einblick in den gegenwärtigen Stand der Arbeitsmethoden bei den einzelnen Brennereibetrieben haben. Die vom Institut landwirtschaftlichen Unternehmern gegenüber erbrachten Leistungen stünden daher mit der Lehr- und Forschungstätigkeit der ...schule in A. in engem Zusammenhang. Der vorliegende Fall könne -- entgegen der Ansicht des Finanzgerichts -- nicht mit dem Sachverhalt des Urteils des Bundesfinanzhofs I 344/56 vom 26. November 1957 verglichen werden, das Bodenuntersuchungen durch eine einer Landwirtschaftskammer angegliederte Anstalt betreffe. Denn die Tätigkeit der Anstalt habe keinen wissenschaftlichen Zwekken gedient. Die streitige Tätigkeit des Bf. aber sei erforderlich, um seine wissenschaftliche Forschungsarbeit, die unstreitig eine Ausübung öffentlicher Gewalt darstelle, überhaupt erst zu ermöglichen. Aus diesem Grunde habe auch der Reichsminister der Finanzen im Erlaß S 4154--254 III vom 15. September 1939 (U-Kartei S 4154 Karte 33) die Steuerbehörden angewiesen, die im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung ausgeübte untersuchende und gutachtliche Tätigkeit der einer öffentlichen Hochschule eingegliederten wissenschaftlichen Institute ohne eigene Rechtspersönlichkeit nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Nach § 1 Ziff. 1 UStG ist grundsätzlich jeder Unternehmer, der im Inland gegen Entgelt Umsätze ausführt, zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Auch die Körperschaften des öffentlichen Rechts unterliegen der Umsatzsteuer, soweit sie sich als Unternehmer, d. h. selbständig gewerblich oder beruflich betätigen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit und damit keine Unternehmertätigkeit ist die Ausübung öffentlicher Gewalt (§ 2 Abs. 3 UStG).
Dieser Begriff ist weder im Umsatzsteuerrecht noch im sonstigen Steuerrecht noch im allgemeinen Verwaltungsrecht gesetzlich geregelt. Die Abgrenzung des Begriffs hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Verhältnisse vielmehr der Rechtsprechung überlassen. Diese hat im Laufe der Zeit eine Reihe von Merkmalen herausgearbeitet, bei deren Vorliegen Ausübung öffentlicher Gewalt anzunehmen ist. Eines dieser Merkmale ist, daß die ausgeübte Tätigkeit der Körperschaft des öffentlichen Rechts durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Gewohnheitsrecht zugewiesen ist. Hierzu gehört -- wie der Große Senat des Reichsfinanzhofs in seinem Gutachten Gr. S. D 5/38 vom 2. Juli 1938 (RStBl 1938 S. 743, Slg.Bd. 44 S. 198) dargelegt hat -- die Forschungs- und Lehrtätigkeit einer Hochschule. Die Parteien sind sich darüber einig, daß auch die Forschungs- und Lehrtätigkeit einer ...schule eine nicht umsatzsteuerbare hoheitsrechtliche Tätigkeit ist.
Die Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit eines Instituts kann dagegen nicht zu den den Hochschulen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben gerechnet werden. Insoweit besteht für den Leistungsempfänger auch kein Annahmezwang, der als Merkmal für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben in § 19 Abs. 1 Satz 2 UStDB besonders hervorgehoben ist. Es ist dem Bf. darin zuzustimmen, daß der Annahmezwang zwar ein wichtiges, keineswegs aber das einzige Merkmal für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist. Der Bf. beanstandet zu Recht den in der Vorentscheidung enthaltenen Satz: "Diese [die wenigen Ausnahmen von der Besteuerung] liegen nur vor, wenn der Leistende dem Leistungsempfänger als Hoheitsträger gegenübertritt, für ihn Annahmezwang besteht und die einzelne Leistung von dem Träger der öffentlichen Gewalt als Hoheitsgewalt ausgeübt wird." Es dürfte sich aber insoweit mehr um einen Mangel in der Formulierung als um ein sachliches Abweichen in der Bestimmung des Begriffs "Ausübung der öffentlichen Gewalt" handeln. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß eine Erfüllung von Hoheitsaufgaben auch bei einer Tätigkeit anzunehmen ist, die der Körperschaft des öffentlichen Rechts eigentümlich und ihr -- wenn auch nicht ausschließlich, so doch in ganz erheblichem Umfange (Urteil des Reichsfinanzhofs V 12/41 vom 11. Juli 1941, RStBl 1941 S. 847, Slg.Bd. 50 S. 292) oder im Regelfalle (Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs V 1/46 vom 10. September 1947, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz, § 2 Abs. 3 Rechtsspruch 1) -- vorbehalten ist.
Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn die Tätigkeit auch von privaten Unternehmern ausgeübt werden kann und tatsächlich ausgeübt wird. Das aber ist bei der Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit auf dem Gebiete des Brennerei- und Keltereiwesens unstreitig der Fall. Die Arbeitsweise der Privatinstitute unterscheidet sich von der des Bf. nur dadurch, daß der Bf. die Ergebnisse seiner Tätigkeit nach höheren Gesichtspunkten auswertet und die vorgefundenen verschiedenen Methoden miteinander vergleicht, um die am besten geeignete Methode herauszufinden. Die Arbeit des Bf. endet also nicht mit dem Abschluß der Untersuchung oder Beratung und der Erstattung des Gutachtens, sondern mündet in die allgemeine Lehr- und Forschungsaufgabe ein. Dadurch wird aber der Leistungsaustausch des Instituts und des Auftraggebers als solcher, auf den das UStG allein abstellt, in seinem Wesen nicht geändert. Es ist zu beachten, daß jeder einzelne Umsatz von der Umsatzsteuer erfaßt wird, ohne daß es darauf ankommt, ob das Umsatzgeschäft Selbstzweck ist oder darüber hinaus weiteren, höheren Zwecken dient.
Nach dem grundlegenden Gutachten des Reichsfinanzhofs V D 1/37 vom 9. Juli 1937 (RStBl 1937 S. 1306, Slg.Bd. 42 S. 253), dem sich die Rechtsprechung durchweg angeschlossen hat, ist die Vorschrift über die Umsatzsteuerfreiheit der Ausübung öffentlicher Gewalt nur mit "gebührender Vorsicht" anzuwenden; denn die Umsatzsteuer ist eine allgemeine, grundsätzlich jeden Umsatz belastende Verbrauchsteuer, bei deren Durchführung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine besondere Bedeutung zukommt, weil der private Unternehmer nicht durch den Wettbewerb steuerlich begünstigter Körperschaften des öffentlichen Rechts benachteiligt werden darf (Urteil des Reichsfinanzhofs V 293/38 vom 9. Februar 1940, RStBl 1940 S. 575, Slg.Bd. 48 S. 135). Übernimmt die öffentliche Hand in größerem Umfange Aufgaben, wie sie auch Privatpersonen übernehmen, und tritt sie dadurch -- gleichgültig, ob sie es will oder nicht will -- faktisch in Wettbewerb zur Privatwirtschaft, so ist die Tätigkeit nicht mehr der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten, also keine hoheitliche Tätigkeit.
Den Gesichtspunkt, daß Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie zu privaten Gewerbebetrieben in Wettbewerb treten, durch Ausnahmen von der allgemeinen Besteuerung nicht in eine wirtschaftlich günstigere Ausgangsposition gebracht werden dürfen als private Unternehmer, hat auch der I. Senat in seinem (amtlich nicht veröffentlichten, den Parteien aber bekannten) Urteil I 344/56 vom 26. November 1957 betreffend die Körperschaftsteuerpflicht der Bodenuntersuchungen einer landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt als entscheidend angesehen. Der Bf. hat im Einspruchs- und Berufungsverfahren, solange diese Urteil des Bundesfinanzhofs noch nicht ergangen war und das Urteil der Vorinstanz bestand, das eine Hoheitsaufgabe bei den Bodenuntersuchungen bejahte, beide Fälle als ähnlich liegend bezeichnet. Sie weisen in der Tat viele Parallelen auf. Die erstmals in der Rechtsbeschwerdebegründung aufgestellte Behauptung, daß erhebliche Unterschiede bestünden, weil die Bodenuntersuchungsanstalt keine wissenschaftlichen Ziele verfolge, trifft nicht zu. Die Anstalt hatte, wie sich aus dem Urteil des I. Senats ergibt, durch wissenschaftliche Auswertung der durch die Bodenuntersuchungen gewonnenen Erkenntnisse wichtige Aufgaben auf den Gebieten der Agrarkultur und der Lebensmittelchemie zu erfüllen, die eine allgemeine Förderung der Landwirtschaft, insbesondere eine Steigerung ihrer Produktion bezweckten und mindestens ebenso förderungswürdig waren wie die dem Bf. gestellten Forschungsaufgaben.
Die Vorinstanz hat durch Hinweis auf verschiedene Befreiungsvorschriften des UStG (insbesondere § 4 Ziff. 15 UStG) zutreffend dargelegt, daß auch nach dem Willen des Gesetzgebers der Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt eng auszulegen ist (vgl. ferner § 4 Ziff. 5 b aa, 6, 7 UStG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 26. Dezember 1954, BGBl 1954 I S. 505). Demgegenüber ist dem Einwand des Bf., seine landwirtschaftlichen Unternehmern gegenüber erbrachten Leistungen seien notwendige Nebenleistungen, die die wissenschaftliche Forschungsarbeit überhaupt erst ermöglichten, eine entscheidende Bedeutung nicht beizumessen. Wegen der im Hinblick auf die Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Wettbewerbsneutralität der Besteuerung erforderlichen engen Auslegung des Begriffs "Ausübung öffentlicher Gewalt" hat die Rechtsprechung seit jeher nur solche Leistungen des Hoheitsträgers als Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen, die unmittelbar auf die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben gerichtet sind. Leistungen, die sich an einen anderen Personenkreis wenden als die Hoheitsaufgabe, gehören grundsätzlich nicht dazu, auch wenn sie dieser mittelbar zugute kommen (Urteil des Reichsfinanzhofs V 170/38 vom 10. Februar 1939, RStBl 1939 S. 485, Slg.Bd. 46 S. 122; Gutachten des Reichsfinanzhofs V D 1/37 vom 9. Juli 1937, RStBl 1937 S. 1306, Slg.Bd. 42 S. 253, und Gr.S. D 5/38 vom 2. Juli 1938, RStBl 1938 S. 743, Slg.Bd. 44 S. 198). Nach dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 4154 -- 254 III vom 15. September 1939, auf den der Bf. zur Stützung seiner Auffassung besonders hinweist, ist die untersuchende und gutachtliche Tätigkeit von Hochschulinstituten nur dann regelmäßig nicht zur Umsatzsteuer heranzuziehen, wenn sie im Rahmender wissenschaftlichen Forschung ausgeübt wird. Davon kann aber nur dann die Rede sein, wenn das Institut nur solche Fälle zur Untersuchung und Begutachtung übernimmt, die wegen ihrer Besonderheit oder Einmaligkeit für die Forschungsarbeit von besonderem Interesse sind. Routinemäßige Untersuchungen, Beratungen und Begutachtungen von Normalfällen, die auf Antrag und im Interesse der Brennerei- oder Keltereibesitzer durchgeführt werden, fallen nicht darunter. Hier steht nicht die allgemeine Forschungs- und Lehrtätigkeit des Instituts, sondern der einzelne Leistungsaustausch zwischen ihm und dem Landwirt im Vordergrund, der in derselben Weise zwischen einem privaten Institut und dem Landwirt stattfinden könnte und daher keine Hoheitstätigkeit ist. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. September 1939 eine Verwaltungsanweisung ist, die die Steuergerichte nicht bindet, zumal da der Erlaß -- wie seine Fassung ("Ich bin damit einverstanden, daß ...") ergibt -- in erster Linie zur Erleichterung der Verwaltungsarbeit ergangen ist.
Da somit § 2 Abs. 3 UStG auf die Untersuchungs-, Beratungs- und Begutachtungstätigkeit des Bf. keine Anwendung findet, war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1961, 298 |
BFHE 1962, 84 |