Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht
Leitsatz (amtlich)
über das Anfallen einer Vergleichsgebühr an Personen, die in Verfahren vor dem Finanzgerichten geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten.
Normenkette
AO § 316; FGO § 139; BRAGO 23; BRAGO 31/2; BRAGO 117
Tatbestand
Streitig ist
das Anfallen der Verhandlungsgebühr (§ 13 Abs. 1 Ziff. 2 der Gebührenordnung für Rechtsanwälte - RAGebO -),
das Anfallen der Vergleichsgebühr (§ 13 Abs. 1 Ziff. 3 a. a. O.). In den dem Kostenstreit zugrunde liegenden Steuerrechtsmittelverfahren hat der bevollmächtigte Steuerberater gegen die Einspruchsentscheidung das Rechtsmittel der Berufung bei dem Finanzamt eingelegt. Die Berufung hat in Anwendung des § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) ihre Erledigung gefunden, nachdem mit dem für die Veranlagung zuständigen Sachbearbeiter und dem Betriebsprüfer die Sach- und Rechtslage erörtert worden war. Die Kosten des Verfahrens gingen zu Lasten des Landes.
Entscheidungsgründe
Zu a): Der erkennende Senat hat mit Urteil II 147/54 S vom 6. Juli 1955, das zur Veröffentlichung bestimmt ist, ausgeführt, daß in Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung nicht stattfand, eine Verhandlungsgebühr nur dann anfällt, wenn eine gerichtliche Entscheidung oder eine ihr gleichzusetzende Maßnahme im Sinne der Gründe des erwähnten Urteils ergangen ist. Auf die Gründe dieses Urteils wird Bezug genommen. Das finanzgerichtliche Verfahren ist über die Einlegung der Berufung nicht hinausgekommen. Eine gerichtliche Entscheidung oder eine ihr gleichzusetzende Maßnahme liegen nicht vor. Hiernach ist ein Anspruch auf eine Verhandlungsgebühr nicht erwirkt.
Zu b): Der Bundesminister der Finanzen ist hinsichtlich dieser Frage dem Verfahren beigetreten. Er hat wie folgt Stellung genommen.
"Anfallen einer Vergleichsgebühr. Die Finanzgerichte München (Urteil vom 28. 10. 54 II 142/54 - EFG 55 Nr. 64), Niedersachsen (Urteil vom 3. 9. 54 IV 562 und 591/54 - EFG 54 Nr. 281) und Münster haben die Möglichkeit bejaht, daß dem obsiegenden Steuerpflichtigen in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 RAGebO eine Vergleichsgebühr erstattet wird, wenn das Finanzamt den angefochtenen Bescheid gemäß § 94 AO ändert und dadurch eine gerichtliche Entscheidung erübrigt wird.
Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen. Die Vergleichsgebühr gemäß § 13 Abs. 1 Ziff. 3 RAGebO setzt einen Vergleich gemäß § 779 BGB voraus, d. h. "einen Vertrag, durch den der Streit im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird".
Auch wenn davon abgesehen wird, daß die änderung des Bescheides gemäß § 94 AO - trotz der nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO erforderlichen Zustimmung des Steuerpflichtigen - kein Vertrag ist, muß doch berücksichtigt werden, daß über den Steueranspruch ein "gegenseitiges Nachgeben" der Beteiligten nicht möglich ist. Zwar können die zwischen der Finanzverwaltung und dem Steuerpflichtigen sowie deren Bevollmächtigten geführten Verhandlungen, die zu einer änderung des angegriffenen Steuerbescheides gemäß § 94 AO führen, oberflächlich betrachtet Vergleichsverhandlungen ähneln. Doch berechtigt diese äußerliche ähnlichkeit nicht, die beiden Fälle gebührenrechtlich gleich zu behandeln. Die Vergleichsgebühr wird - außer durch die Vermeidung der gerichtlichen Entscheidung - durch die Einwirkung des Bevollmächtigten auf die Parteien zum gegenseitigen Nachgeben gerechtfertigt.
Die Steuer muß vom Finanzamt indessen in der gesetzlichen Höhe erhoben werden. Die Verhandlungen des Finanzamts mit dem Steuerpflichtigen sind dementsprechend lediglich auf die tatsächliche und rechtliche Aufklärung des steuerlichen Tatbestandes, ggf. unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgesehenen Billigkeitserwägungen, gerichtet. Das Finanzamt darf die ursprünglich festgesetzte Steuerhöhe pflichtgemäß nur dann ändern, wenn es überzeugt ist, daß sich diese Höhe aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht halten läßt oder daß Billigkeitsgründe irgendwelcher Art vorliegen. Hieran liegt jedoch - mag es in der Wirkung auch darauf hinauskommen - kein "Entgegenkommen" gegenüber dem Steuerpflichtigen. Es fehlt an dem für einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB begriffserheblichen "Opfer"; dementsprechend weicht auch die innere Einstellung der Beteiligten, wenn diese sich pflichtgemäß verhalten, im Falle der änderung des Bescheids von der im Falle des Vergleichs ab. Diese grundsätzlichen Unterschiede dürfen, mögen sie auch zuweilen unterschätzt oder überhaupt übersehen werden, bei der Gebührenfrage nicht unberücksichtigt bleiben. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung wirkt sich für und gegen die Steuerpflichtigen aus. Würde hier der Auffassung Raum gegeben werden, daß er von der Finanzverwaltung dann nicht beachtet zu werden braucht, wenn sich aus der Nichtbeachtung eine günstigere Behandlung des Steuerpflichtigen ergibt, so würde sich zwangsläufig bald in weiten Kreisen die Auffassung durchsetzen, daß auch die obere Grenze der Steuerhöhe willkürlich sei. Im Hinblick auf die weittragenden Auswirkungen, die der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung - wie die Erfahrungen in manchen außerdeutschen Ländern zeigen - auf die Steuermoral zukommt, steht dieser Unterschied zwischen der änderung eines Steuerbescheides gemäß § 94 AO und dem Prozeßvergleich eine entsprechenden Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 RAGebO entgegen. Unter diesen Umständen kann es nicht entscheidend sein, daß durch die änderung des Bescheids ein gerichtliches Urteil erspart wird, so sehr dies im Hinblick auf die Belastung der Finanzgerichte und im Interesse der möglichst schnellen Erledigung der Rechtsmittelverfahren erwünscht sein mag.
Falls der Steuerpflichtige seinem Bevollmächtigten gegenüber etwa im Innenverhältnis auf Grund einer Honorarvereinbarung zur Entrichtung einer Vergleichsgebühr verpflichtet ist, kann ihre Erstattung auch nicht damit begründet werden (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht Hannover a. a. O.), daß es sich um eine nach § 316 Abs. 1 AO zu erstattende, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Auslage handele. Eine solche Vereinbarung würde gemäß § 94 RAGebO den Gegner nicht zur Erstattung verpflichten. Außerdem ist § 316 Abs. 2 AO für die Erstattung der Vertreterkosten Sonderbestimmung gegenüber § 316 Abs. 1 AO und geht dieser Bestimmung daher vor.
Die Versagung der Vergleichsgebühr dürfte jedenfalls in den Fällen auch der Billigkeit entsprechen, in denen dem Bevollmächtigten entweder wegen einer stattgefundenen mündlichen Verhandlung oder mit Rücksicht auf eine ergangene Entscheidung - z. B. Anordnung von Ermittlungen - nach lediglich schriftlichen Verhandlungen die Verhandlungsgebühr zusteht. Die Verhandlungsgebühr gilt in diesen Fällen auch die Bemühungen des Bevollmächtigten ab, die zur änderung des Bescheides gemäß § 94 AO führen. Ob auch für die anderen Fälle eine der Vergleichsgebühr entsprechende Gebühr eingeführt werden soll, wird bei den gegenwärtig laufenden Vorbereitungen für eine neue Rechtsanwaltsgebührenordnung zu prüfen sein."
Die Ausführungen des Bundesfinanzministers der Finanzen geben die Rechtslage zutreffend wieder. Ein Vergleich erfordert ein Nachgeben, auch wenn nur in einem geringen Umfange. Dieses ist aber bei einer Steueranforderung nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht möglich. Das Steuerrecht läßt seinem Wesen nach für eine Vereinbarung (Vergleich) keinen Raum. Diese Auffassung hat der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung vertreten. Sie ist in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 281/54 U vom 27. Januar 1955, Bundessteuerblatt 1955 III S. 92, erneut bestätigt worden; auf sie wird Bezug genommen. Wenn im Schrifttum für die Zulässigkeit eines Vergleichs auf § 220 Ziff. 3 AO verwiesen wird, so bietet diese Vorschrift keine Grundlage für eine abweichende Ansicht. Falls von der nach § 220 Ziff. 3 a. a. O. vorgesehenen Möglichkeit einer Regelung Gebrauch gemacht worden wäre, könnte sie nur diejenigen Fälle umfassen, in denen die Besteuerung vereinfacht und das steuerliche Ergebnis bei den Steuerpflichtigen nicht wesentlich geändert wird. Auch dieses spricht gegen die Zulässigkeit von Vergleichen. Eine Erledigung nach § 94 AO - wie im Streitfalle - führt zu keiner anderen Beurteilung.
Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der RAGebO (§ 91 Abs. 1) ist nicht möglich. Im Streitfall handelt es sich um einen Vorgang, der Merkmale einer Berichtigung zeigt, also um einen gegenüber einem Vergleich anders gearteten Tatbestand, wenn auch gewisse äußerliche ähnlichkeiten mit einem Vergleich gegeben sein mögen.
Fundstellen
Haufe-Index 408224 |
BStBl III 1955, 251 |
BFHE 1956, 137 |
BFHE 61, 137 |