Leitsatz (amtlich)
Das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG gilt auch für Renten und dauernde Lasten, die ein Steuerpflichtiger seinem potentiell unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten auf Grund besonderer Vereinbarung gewährt. Der Senat hält an der Auffassung fest, daß § 12 Nr. 2 EStG im Verhältnis zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine eigenständige Bedeutung hat (Urteil vom 6. November 1970 VI R 94/69, BFHE 100, 456, BStBl II 1971, 99).
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im Dezember 1952 auf seine Klage hin nach § 48 des Ehegesetzes (EheG) ohne Schuldausspruch geschieden.
Noch vor Ergehen des Scheidungsurteils hatte er sich in einem Unterhaltsvertrag verpflichtet, für den Fall der rechtskräftigen Scheidung ohne Schuldausspruch zum Unterhalt seiner früheren Ehefrau und der gemeinschaftlichen Kinder monatlich 400 DM zu bezahlen und die Kosten für Miete, Strom, Gas, Schulgeld, notwendige Anschaffungen usw. zu tragen. Im Streitjahr 1968 bezahlte er an seine geschiedene Ehefrau monatlich 800 DM und für Umzugskosten weitere 3 000 DM. In seiner Einkommensteuererklärung 1968 beantragte er, diese Unterhaltszahlungen im Betrag von 12 600 DM als dauernde Lasten (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu berücksichtigen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte diesen Antrag ab und gewährte lediglich einen Freibetrag von 1 200 DM (§ 33a EStG). Das FA war der Ansicht, § 12 Nr. 2 EStG stehe dem Abzug der Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben entgegen.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab und führte im wesentlichen aus: die geschiedene Ehefrau des Klägers gehöre zu dem Kreis der gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen. Bei einer Scheidungsklage nach § 48 EheG ohne Schuldausspruch sei die Unterhaltsregelung des § 61 Abs. 2 EheG maßgebend. Danach sei unterhaltspflichtig, wer die Scheidungsklage erhoben habe, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspreche. Das Vorbringen des Klägers, er habe die Unterhaltszahlungen auf Grund einer besonderen Vereinbarung und auf Grund von außerhalb des gesetzlichen Unterhaltsrechts liegenden Gründen geleistet, sei unbeachtlich. Zu einer anderen Beurteilung führe nicht, daß die geschiedene Ehefrau des Klägers sich - nach ihrer eigenen eidesstattlichen Erklärung - bei Rückkehr des Klägers aus der Kriegsgefangenschaft geweigert habe, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Der Kläger könne heute nicht mehr dartun, daß seine geschiedene Ehefrau bei Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände im Scheidungsverfahren wohl hätte schuldig geschieden werden müssen.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, des Heimkehrergesetzes, des GG und einen Verstoß gegen die Denkgesetze.
Die mehr als zehnjährige Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau infolge Wehrdienst und anschließender Gefangenschaft habe zur Zerrüttung der Ehe geführt. Die Scheidung sei unausweichlich gewesen, nachdem sich seine frühere Ehefrau einem anderen Manne zugewandt habe. Das FG habe diesen Sachverhalt nicht richtig gewürdigt. Zu einer Konventionalscheidung sei es nur aus Rücksichtnahme auf die Person und das gesellschaftliche Ansehen seiner geschiedenen Ehefrau gekommen. Mit dem Hinweis auf die Unverletzlichkeit der Intimsphäre (Art. 1 und 2 GG) dürfe im Streitfall die Berücksichtigung des wahren Sachverhalts nicht abgelehnt werden, da die tatsächlichen Ursachen der Scheidung durch die eidesstattliche Versicherung seiner geschiedenen Ehefrau aufgedeckt seien. Nur aus Kostengründen habe der Kläger seinerzeit als beim zuständigen LG zugelassener Anwalt die Scheidungsklage selbst eingereicht. Schließlich habe das FG auch verkannt, daß er nach dem Unterhaltsvertrag an seine geschiedene Ehefrau und seine vier Kinder monatlich nur 400 DM zu bezahlen habe, während er gegenwärtig allein für seine geschiedene Ehefrau laufende Zahlungen von etwa 10 000 DM jährlich aufbringe. Danach sei davon auszugehen, daß er als nicht potentiell zum Unterhalt Verpflichteter freiwillige Unterhaltszahlungen leiste.
Eine Verletzung der Art. 3 und 6 GG sieht der Kläger darin, daß sein Bestreben, seine geschiedene Ehefrau nicht mit dem Makel des Ehebruchs zu belasten und auf einen Schuldausspruch im Urteil zu verzichten, steuerlich nicht dadurch berücksichtigt wurde, daß seine Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben anerkannt wurden. Der im Grundgesetz verankerte Schutz der Person sei auch im Steuerrecht zu berücksichtigen. Die Vorentscheidung verletze auch den Grundgedanken des Heimkehrergesetzes vom 19. Juni 1950 / 30. Oktober 1951 (BGBl I 1950, 221, 1951, 875), den Spätheimkehrern in jeder Beziehung zu helfen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Zahlungen an seine geschiedene Ehefrau in voller Höhe als Sonderausgaben zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht die Zahlungen des Klägers an seine geschiedene Ehefrau nicht als Sonderausgaben zum Abzug zugelassen.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG können auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Diese Regelung wird jedoch durch § 12 Nr. 2 EStG insoweit eingeschränkt, als Zuwendungen an eine gegenüber dem Steuerpflichtigen gesetzlich unterhaltsberechtigte Person nicht abziehbar sind, selbst wenn diese Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhen. Denn § 12 Nr. 2 EStG kommt im Verhältnis zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine eigenständige Bedeutung zu (Urteil des BFH vom 6. November 1970 VI R 94/69, BFHE 100, 456, BStBl II 1971, 99). Demzufolge gilt das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG - wie das FG zutreffend ausführt - auch für Renten und dauernde Lasten an unterhaltsberechtigte Personen. An dieser Auffassung, der das Schrifttum zum Teil nicht zustimmt (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., § 12 Anm. 112, und Deutsches Steuerrecht 1971 S. 125), hält der Senat fest. Wie bereits in der Entscheidung VI R 94/69 unter Bezugnahme auf Wortlaut und Sinnzusammenhang des § 12 EStG eingehend ausgeführt wurde, bezieht sich der einleitende Satz dieser Vorschrift "unbeschadet der Vorschrift des § 10" nicht auf § 12 Nr. 2 EStG. Diese Auffassung des Senats findet ihre Bestätigung in der Entstehungsgeschichte der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1 und 12 Nr. 2 EStG. Der Wortlaut der Einleitung in § 12 EStG "unbeschadet der Vorschrift des § 10" geht zurück auf die Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG 1925. Nach dieser Vorschrift durften "unbeschadet des § 15 Abs. 1 Nr. 3" EStG 1925 u. a. bestimmte Aufwendungen, die sich als Verwendung des Einkommens darstellen, nicht als Ausgaben abgezogen werden. Nach der hier in Bezug genommenen Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1925 waren Ausgaben "die Schuldzinsen und die auf besonderen privatrechtlichen, öffentlich-rechtlichen oder gesetzlichen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, soweit sie nicht zu den Werbungskosten gehören und nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die für die Einkommensteuer außer Betracht bleiben. Aufwendungen zur Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht gehören auch dann nicht hierzu, wenn sie auf Grund einer besonderen privatrechtlichen Verpflichtung erfolgen". § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1925 wurde in § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1934, § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG 1925 in § 12 Satz 1 EStG 1934 übernommen. Daß dabei nicht ausdrücklich auch die Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1925 - das Abzugsverbot für auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruhende Aufwendungen - mitübernommen wurde, beruht darauf, daß der Gesetzgeber den Abzug von auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruhenden Renten und dauernden Lasten als durch § 12 Nr. 2 EStG ausgeschlossen und damit überflüssig ansah. Dies ergibt sich aus der Klammerbemerkung in der Begründung zu § 12 EStG 1934 (RStBl 1935, 33 [41]), wo auf die Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1925 ausdrücklich verwiesen wird. Aus diesem Hinweis kann gefolgert werden, daß der Gesetzgeber davon ausging, das Abzugsverbot des § 15 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1925 ergebe sich bereits aus § 12 Nr. 2 EStG 1934. Hierfür spricht auch Abschn. D V der Ergänzungsrichtlinien für 1934 (RStBl 1935, 785 [792]). Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt schließlich die Erwägung, daß bei gegenteiliger Auslegung des § 12 Nr. 2 EStG der zweiten Alternative dieser Bestimmung kaum praktische Bedeutung zukäme.
Ob eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, richtet sich nach bürgerlichem Recht. Im Falle einer Ehescheidung sind die sich aus dem Ehegesetz ergebenden Rechtsfolgen des Scheidungsurteils maßgebend. Im Streitfall ist die Ehe auf Klage des Klägers ohne Schuldausspruch nach § 48 EheG geschieden worden. Damit konnte die Ehefrau des Klägers gegen diesen gemäß § 61 Abs. 2 EheG einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, gehörte somit zum Kreis der potentiell gesetzlich Unterhaltsberechtigten, während der Kläger potentiell gesetzlich unterhaltsverpflichtet war.
Mit dem Einwand, bei Berücksichtigung der wahren Scheidungsgründe hätte die Ehe aus dem Verschulden seiner früheren Ehefrau geschieden werden müssen, kann der Kläger nicht durchdringen. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG in diesem Zusammenhang auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Ehefrau des Klägers nicht weiter eingegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 31. Oktober 1969 VI R 60/68, BFHE 97, 303, BStBl II 1970, 115, und vom 14. November 1969 VI R 50/68, BFHE 98, 240, BStBl II 1970, 376) bildet für die steuerrechtliche Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen geschiedenen Eheleuten das Scheidungsurteil als richterlicher Gestaltungsakt hinsichtlich der Verschuldensfrage die alleinige Grundlage. Ehescheidungsgründe, die im Scheidungsprozeß nicht vorgebracht und deshalb im Scheidungsurteil nicht berücksichtigt sind, müssen auch für die Besteuerung außer Betracht bleiben. Der Auffassung des Senats liegt die Erwägung zugrunde, daß es nicht Aufgabe der Finanzverwaltungsbehörden und Steuergerichte ist, etwaigen - vom Tatbestand des Scheidungsurteils angeblich abweichenden - "wahren" Umständen nachzugehen. Diese Auffassung entspricht dem für Finanzverwaltungsbehörden und FG geltenden Gebot, ein unzuträgliches Eindringen in die persönlichen Verhältnisse der Steuerbürger zu vermeiden. Dies gilt auch dann, wenn die geschiedenen Ehegatten bereit sind, die im persönlichen Bereich liegenden "wahren" Scheidungsgründe vor den Finanzverwaltungsbehörden und Steuergerichten nachträglich aufzudecken. Andernfalls würden gesetzliche Zuständigkeitsgrenzen verwischt, das Scheidungsurteil als richterlicher Gestaltungsakt unbeachtet bleiben und widersprechende Entscheidungen über die Rechtsbeziehungen zwischen geschiedenen Eheleuten auf den einzelnen Rechtsgebieten möglich werden.
Ob der Kläger sich im Streitfall vor Scheidung der Ehe in einem Unterhaltsvertrag wirksam zu Unterhaltszahlungen verpflichtet hat, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung. Unterhaltszahlungen an einen gesetzlich Unterhaltsberechtigten fallen unter das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG unabhängig davon, ob sie im Einzelfall auf einer besonderen Vereinbarung beruhen. Es ist auch unerheblich, daß die tatsächlich geleisteten Beiträge des Klägers die im Unterhaltsvertrag vereinbarten Leistungen angeblich weit übersteigen. Für die Anwendung des § 12 Nr. 2 EStG reicht es aus, daß der Kläger die laufenden Zahlungen an seine potentiell unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ohne besonderen außerhalb des gesetzlichen Unterhaltsverhältnisses bestehenden Verpflichtungsgrund leistet. Nach dieser Grundregel ist auch das, was der Unterhaltsverpflichtete etwa über das nach bürgerlichem Recht angemessene Maß hinaus an den geschiedenen Ehegatten leistet, eine Zuwendung an den gesetzlich Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG (Urteil des BFH vom 18. September 1964 VI 12/64, HFR 1965, 500).
Unbeachtlich ist, daß der Kläger - bei Kenntnis der Rechtslage - seine geschiedene Ehefrau hätte veranlassen können, die Scheidungsklage zu erheben. Maßgebend für die steuerrechtliche Behandlung der Zuwendungen ist allein, daß die frühere Ehefrau des Klägers tatsächlich auf seine Klage hin von ihm geschieden wurde. Ein anderer möglicher, aber nicht verwirklichter Sachverhalt muß für die Frage, ob die Ehefrau des Klägers gesetzlich unterhaltsberechtigt im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG ist, außer Betracht bleiben.
Die auf das Heimkehrergesetz vom 19. Juni 1950/ 30. Oktober 1951 gestützten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Das Heimkehrergesetz enthält keine Vorschriften, die eine steuerliche Sonderbehandlung von Unterhaltszahlungen der Spätheimkehrer an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen vorsehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 12 Nr. 2 EStG nicht gegen die Art. 1, 2, 3 und 6 GG. Es ist nicht ersichtlich, worin der Kläger eine Verletzung des Rechts auf Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sieht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) kommt nicht in Betracht, da nach geltendem Recht Unterhaltszahlungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen grundsätzlich und einheitlich nicht als Sonderausgaben behandelt werden. Diese Handhabung beruht auf der Erwägung, daß die Leistung des gesetzlichen Unterhalts für den Unterhaltsverpflichteten eine typische Verwendung seines Einkommens ist. Folgerichtig bestimmt deshalb das Gesetz auch, daß der Empfang des gesetzlichen Unterhalts für den Unterhaltsberechtigten keine Einkunft begründet (§ 22 Nr. 1 EStG). Die Berufung des Klägers auf Art. 6 GG kann deshalb keinen Erfolg haben, weil Art. 6 GG lediglich den Schutz einer bestehenden Ehe regelt, während es im Streitfall um die steuerrechtliche Beurteilung nachehelicher Beziehungen geht.
Fundstellen
Haufe-Index 70568 |
BStBl II 1973, 776 |
BFHE 1974, 167 |