Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff ,,mit bloßem Auge wahrnehmbar" i. S. der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT
Leitsatz (NV)
Schon Zweifel daran, ob sichtbare Anzeichen an der Ware auf ein Tränken, Bestreichen oder Überziehen zurückzuführen sind, führen zum Ausschluß aus der Tarifnr. 59.08.
Normenkette
GZT Vorschrift 1 A und 2 A a zu Kap. 59; Vorschrift 1 b zu Kap. 60; Tarifnrn. 59.08 und 60.01
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 1. Juli 1986 bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für eine als ,,Fixiereinlagestoff, Art. X" bezeichnete Ware. Es handelt sich um ein schwarzes, weder gummielastisches noch kautschutiertes Kettengewirke, das aus 70 % Zellwolle und 30 % synthetischen Spinnfäden hergestellt worden ist. Das Gewirke ist einseitig im sog. Pulver- oder Pastendruckverfahren ,,punktbeschichtet".
Die OFD erteilte der Klägerin am 29. Juli 1986 eine vZTA und wies darin die Ware der Tarifst. 60.01 B II b des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Den Einspruch der Klägerin wies die OFD mit Entscheidung vom 20. März 1987 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie u. a. aus: Die Ware gehöre entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zur Tarifnr. 59.08 GZT. Nach der Vorschrift 2 A zu Kap. 59 GZT gehörten dazu nur Gewebe, bei denen das Tränken, Bestreichen oder Überziehen mit bloßem Auge wahrnehmbar sei. Die Ware weise auf einer Seite kleine glänzende Punkte auf. Der sichtbare ungleichmäßige Glanz gebe für sich allein keine konkreten Hinweise auf die Art seiner Entstehung. Insbesondere gebe es keine sichtbaren Hinweise darauf, daß er durch das Aufsprühen von Kunststoffpartikelchen verursacht worden sei. Ein Glanz auf einem Gewebe/Gewirke könne nämlich durch verschiedene Behandlungen des Materials erzielt werden; es müsse nicht grundsätzlich immer eine Kunststoffbehandlung sein. Das visuelle Ergebnis müsse zu dem Ergebnis führen, daß eine Kunststoffschicht als solche mit bloßem Auge wahrgenommen werden könne. Das sei hier nicht der Fall.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend: Die Beschichtung sei ,,mit bloßem Auge" wahrnehmbar. Die Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT regle nur, wie festgestellt werden könne, ob das Tränken, Beschichten oder Überziehen eines Stoffes ausreichend sei, um diesen Stoff der Tarifnr. 59.08 GZT zuzuweisen. Die Feststellung der Art des dazu verwendeten Materials gehöre nicht zu dieser visuellen Prüfung. Auf einer Seite der vorgelegten Warenmuster seien bei einer einfachen visuellen Prüfung mit bloßem Auge deutlich weiße Partikel wahrnehmbar. Visuelle Hilfsmittel seien dazu nicht notwendig. Damit sei aber die Bedingung der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT erfüllt.
Die Klägerin beantragt, die vZTA aufzuheben und festzustellen, daß die streitbefangene Ware der Tarifnr. 59.08 GZT zuzuweisen ist.
Die OFD beantragt, die Klage als unbegründet zurückzuweisen. Sie führt u. a. aus: Eine Zuweisung zur Tarifnr. 59.08 GZT komme nur in Betracht, wenn auch die Art des zur Beschichtung verwendeten Materials mit bloßem Auge wahrnehmbar sei (vgl. Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens - NRZZ - in Erläuterungen zum Zolltarif - ErlZT - zu Tarifnr. 59.08 Teil I Rdnr. 10). Aber auch für den Fall, daß der erkennende Senat dem nicht folge, könne die Klage keinen Erfolg haben. Auf dem Gewirke sei nämlich mit bloßem Auge keine Beschichtung als solche zu erkennen. Erkennen ließen sich lediglich auf der einen Seite des Gewirkes ungleichmäßig verteilte winzig kleine glänzende Punkte. Diese könnten auch durch eine andere Behandlung des Gewirkes als durch Aufsprühen von Kunststoffpartikelchen verursacht worden sein.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die OFD hat die streitbefangene Ware zu Recht in die Tarifst. 60.01 B II b GZT eingeordnet.
Die zu tarifierende Ware ist ein Gewirke. Sie wird grundsätzlich von der Tarifnr. 60.01 GZT erfaßt. Nach der Vorschrift 1 b zu Kap. 60 GZT sind von diesem Kapitel jedoch ausgenommen Gewirke des Kap. 59. Die Tarifnr. 59.08 GZT gilt nach ihrem Wortlaut für ,,Gewebe, mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen". Als Gewebe in diesem Sinn gelten nach der Vorschrift 1 A zu Kap. 59 GZT auch Gewirke der Tarifnr. 60.01. Die zu tarifierende Ware ist also ein von der Tarifnr. 60.01 ausgenommenes Gewirke des Kap. 59 GZT, wenn sie entsprechend der Tarifnr. 59.08 getränkt usw. ist. Nach der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT gehören allerdings Gewebe (Gewirke) nicht zur Tarifnr. 59.08, ,,bei denen das Tränken, Bestreichen oder Überziehen mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist". Die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt die zu tarifierende Ware. Sie bleibt also in der Tarifnr. 60.01 GZT.
Die Tarifnr. 59.08 GZT erfaßt nach ihrem Wortlaut nur Gewebe (Gewirke), die ,,mit . . . Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen . . ." sind. Die zu tarifierende Ware ist, wie nicht streitig ist, mit Kunststoffen ,,punktbeschichtet". Es ist nicht ganz unzweifelhaft, ob eine solche Punktbeschichtung die Begriffe Tränken, Bestreichen oder Überziehen i. S. der Tarifnr. 59.08 GZT erfüllt (vgl. aber ErlZT zu Tarifnr. 59.08 Teil I Rdnr. 10, wonach Gewebe, die z. B. mit sichtbaren thermoplastischen Kunststoffpartikelchen bestreut sind, zur genannten Tarifnummer gehören). Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, da die Zuweisung zur Tarifnr. 59.08 GZT bereits nach der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT ausscheidet.
Der Senat kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage unentschieden lassen, ob die Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT voraussetzt, daß auch die Art des zur Tränkung usw. verwendeten Materials mit bloßem Auge wahrnehmbar sein muß. Denn der bloße Augenschein läßt eine solche überhaupt nicht erkennen. Die Warenprobe, auf der die angefochtene vZTA beruht, weist zwar auf beiden Seiten mit bloßem Auge sichtbare Unterschiede auf. Auf der einen Seite ist ein leichter ungleichmäßig reflektierender Glanz erkennbar. Worauf dieser Glanz beruht, vermittelt der bloße Augenschein dem Betrachter aber nicht. Insbesondere läßt er nicht ohne weiteres den Schluß zu, das Gewirke sei getränkt, bestrichen oder überzogen. Dieser Glanz könnte auch andere Ursachen haben. Damit steht aber fest, daß die Ware die Voraussetzungen der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT erfüllt und daher nicht zur Tarifnr. 59.08 GZT gehört. Es bleibt daher nur übrig, sie der Tarifnr. 60.01 GZT zuzuordnen.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 30. September 1982 Rs. 317/81 (EuGHE 1982, 3257) und die Senats-Urteile vom 14. Dezember 1982 VII K 11/82 und vom 26. Juli 1983 VII K 6/77 (BFHE 138, 117 und 139, 102) bestätigt. Unter die Tarifnr. 59.08 GZT fällt danach nur eine Ware, die bei einfacher visueller Überprüfung unmittelbar erkennen läßt, daß sie die Voraussetzungen dieser Tarifnummer erfüllt. Schon Zweifel daran, ob sichtbare Anzeichen an der Ware auf ein Tränken, Bestreichen oder Überziehen zurückzuführen sind, führen zum Ausschluß der Tarifnr. 59.08 GZT. Das ergibt sich deutlich aus dem Urteil in EuGHE 1982, 3257, 3261 (vgl. insbesondere Absatz 20 der Urteilsgründe S. 3265; vgl. auch BFHE 139, 102, 105). Nur so wird die Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT auch dem mit ihr verbundenen wesentlichen Anliegen gerecht, eine rasche Überprüfung bei der Verzollung zu ermöglichen (EuGHE 1982, 3257, 3264, Abs. 12 der Urteilsgründe; vgl. auch BFHE 139, 102, 104). Der Senat hat daher in BFHE 138, 117, 120 in einem vergleichbaren Fall entschieden, aus dem Glanz der einen Seite eines Gewebes allein könne nicht die Folgerung gezogen werden, die Ware sei getränkt, bestrichen oder überzogen i. S. der Tarifnr. 59.08 GZT.
Fundstellen
Haufe-Index 415381 |
BFH/NV 1988, 539 |