Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wesen und Wirkung der sogenannten Anrufungsauskunft im Sinne des § 56 LStDV.
Gegen eine vom Finanzamt erteilte Anrufungsauskunft ist weder das Berufungsverfahren noch das Beschwerdeverfahren zulässig. Eine richterliche Entscheidung über die in der Anrufungsauskunft vertretene Rechtsauffassung des Finanzamts kann nur im Steuerfestsetzungsverfahren (Haftungsverfahren) herbeigeführt werden.
Feststellungsklagen sind im Besteuerungsverfahren im allgemeinen nur zulässig, wenn sie vom Gesetz ausnahmsweise besonders zugelassen sind.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3; LStDV §§ 46, 56; AO §§ 228, 235, 237, 303
Tatbestand
Die Stadt X. ersuchte als Arbeitgeberin das Finanzamt um die Genehmigung, ihre Beiträge an die Zusatzversorgungskasse der Bayer. Gemeinden nach Abschn. 55 Abs. 13 LStR pauschal versteuern zu dürfen. Das Finanzamt stimmte dem zu, wies aber zugleich darauf hin, daß für Arbeitnehmer, für die weniger als 312 DM jährlich eingezahlt werde, nicht der Freibetrag von 312 DM, sondern höchstens der eingezahlte niedrigere Betrag vom Gesamtbetrag der Beiträge abgezogen werden könne. Die Stadt X., die das für unrichtig hält, legte Beschwerde ein; sie möchte für alle Arbeitnehmer einen Freibetrag von je 312 DM von dem Gesamtbetrag der Beiträge absetzen; das Bayer. Staatsministerium der Finanzen habe auch den Städten Y. und Z. dieses Verfahren zugestanden. Die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht stellte fest, die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion sei unzulässig gewesen; gleichzeitig wies es die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Es habe sich um eine Auskunft des Finanzamts im Sinne des § 56 LStDV gehandelt. Gegen solche Auskünfte sei aber weder das Berufungsverfahren (§§ 229, 235 AO) noch das Beschwerdeverfahren (§§ 237, 303 AO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) gegeben. Im Urteil IV 365/51 U vom 24. Oktober 1951 (BStBl 1952 III S. 146 Slg. Bd. 56 S. 373) habe der Bundesfinanzhof zwar ausgesprochen, § 235 Ziff. 5 AO gebe einen im Rechtsmittelverfahren verfolgbaren Anspruch auf die Feststellung, daß nicht gezahlt zu werden brauche; dort habe es sich aber um einen abgeschlossenen Einzelfall gehandelt, bei dem das Finanzamt zu entscheiden gehabt habe, ob eine geleistete Zahlung steuerpflichtig sei. Hier dagegen habe das Finanzamt nur mitgeteilt, wie seiner Ansicht nach eine steuerliche Zweifelsfrage zu beurteilen sei. Man könne allerdings annehmen, daß das Finanzamt damit auch gesagt habe, daß es die Lohnsteuer nachfordern werde, wenn die Stadt X. die Sache anders behandle. Die Stadt X. könne und müsse ihren Rechtsstandpunkt über die Berechnung der Lohnsteuer in einem Rechtsmittelverfahren gegen einen etwaigen Haftungsbescheid durchfechten. Eine Auskunft als solche könne nicht in Rechtskraft erwachsen; sie binde keinen Beteiligten. Weil an die Auskunft keine Rechtswirkungen geknüpft seien, sei sie auch keine Verfügung im Sinne der §§ 237, 303 AO (vgl. Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 23. April 1956, Entscheidungen der Finanzgerichte 1956 S. 322). Die Stadt X. habe sich zwar bei der Oberfinanzdirektion über die Auskunft des Finanzamts beschweren können. Es handle sich aber nicht um ein Rechtsmittel im Sinne der §§ 237, 303 AO, sondern um ein an keine Frist und an keine Form gebundenes Vorstelligwerden bei der vorgesetzten Behörde (sogenannte Dienstaufsichtsbeschwerde). Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Auskunft des Finanzamts", und Berie-Hentrich, Lohnsteuerrecht S. 317, hielten zwar die Beschwerde unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 500/52 U vom 30. Juli 1953 (BStBl 1953 III S. 295, Slg. Bd. 58 S. 10) für zulässig. Aus diesem Urteil ergebe sich aber nur, daß gegen eine Auskunft nach § 56 LStDV nicht das Berufungsverfahren gegeben sei; daß das Beschwerdeverfahren zulässig sei, spreche das Urteil nicht aus.
Mit der Rb. erstrebt die Oberfinanzdirektion die Aufhebung der Vorentscheidung. Die Stadt X. hat sich der Rb. angeschlossen. Beide Behörden sind der Auffassung, das Finanzgericht habe über die Streitfrage sachlich entscheiden müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Den Bescheid des Finanzamts konnte das Finanzgericht ohne Rechtsverstoß als eine Auskunft des Finanzamts im Sinne des § 56 LStDV (sogenannte Anrufungsauskunft) ansehen. Es war zweifelhaft, wie die Summe der Beiträge, die nach Abschn. 55 Abs. 13 LStR 1957 die Grundlage für die Pauschbesteuerung bildeten, zu berechnen war. Die Bestimmungen über den Freibetrag von 312 DM, den der Arbeitgeber bei Ausgaben für die Zukunftssicherung seiner Arbeitnehmer absetzen kann (vgl. § 2 Abs. 3 Ziff. 2 Satz 3 LStDV 1957, Abschn. 55 Abs. 7 LStR 1957) sind als fortgeltender Milderungserlaß aus der Zeit des autoritären Regimes von den Steuergerichten zu beachten und auszulegen, wie der Senat in der Entscheidung VI 1/54 U vom 31. Oktober 1957 (BStBl 1958 III S. 4, Slg. Bd. 66 S. 8) ausgeführt hat. Mit dem Bescheid an die Stadt X. äußerte das Finanzamt seine Rechtsauffassung über die Auslegung dieser Bestimmung und damit über die Bemessungsgrundlage für die Pauschbesteuerung, die der Senat übrigens für Fälle dieser Art in der Entscheidung VI 1/54 U, a. a. O., ebenfalls als dem Gesetz entsprechend anerkannt hat.
Die Pflicht des Finanzamts, auf Verlangen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers über bestimmte Fragen im Lohnsteuerverfahren Auskunft zu geben, hängt mit der Struktur des Steuerabzugsverfahrens zusammen. In diesem Verfahren muß der Arbeitgeber gewissermaßen als Steuererheber an der Quelle bei der Zahlung von Arbeitslohn den gesetzlich bestimmten Teil des Arbeitslohns einbehalten und als Einkommensteuer (Lohnsteuer) für Rechnung des Arbeitnehmers an das Finanzamt abführen. Erhebt der Arbeitgeber zu wenig an Lohnsteuer, so kann das Finanzamt ihn bis zur Höhe der geschuldeten Lohnsteuer persönlich in Anspruch nehmen, obgleich der eigentliche Schuldner der Lohnsteuer (Einkommensteuer) der Arbeitnehmer ist. Das Gesetz überläßt es dann dem Arbeitgeber, mit den Rechtsbehelfen des bürgerlichen Rechts vom Arbeitnehmer Ersatz für die verauslagte Lohnsteuer zu verlangen. Es liegt auf der Hand, daß das finanzielle Risiko, das mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Vornahme des Steuerabzugs verbunden ist, dem Arbeitgeber nur zugemutet werden kann, wenn das Finanzamt in Zweifelsfällen eine verbindliche Auskunft über die Handhabung des Lohnsteuerrechts geben muß. Die Rechtsprechung hat von jeher aus diesen grundsätzlichen überlegungen gefolgert, daß es gegen Recht und Billigkeit verstößt (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -), wenn das Finanzamt einen Arbeitgeber, der entsprechend einer von ihm erbetenen und vom Finanzamt erteilten Auskunft verfahren ist, wegen unrichtiger Steuereinbehaltung in Anspruch nehmen will, sofern das Finanzamt später die Rechtsfrage anders beurteilt als zuvor in der Auskunft (vgl. die Rechtsprechung bei Hartz-Over, a. a. O.).
Mit diesem Vertrauensschutz für den Arbeitgeber erschöpft sich aber, wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, die Rechtswirkung einer Auskunft des Finanzamts. Sie ist keine Entscheidung über den Steueranspruch und keine Steuerfestsetzung. Das Finanzamt kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft eine dem Arbeitgeber erteilte Auskunft widerrufen. Es ist auch nicht gehindert, im Lohnsteuerverfahren oder im Veranlagungsverfahren dem Arbeitnehmer gegenüber einen anderen, ungünstigeren Rechtsstandpunkt zu vertreten als im Auskunftsverfahren gegenüber dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber ist ferner nicht verpflichtet, die Lohnsteuer entsprechend der ihm gegebenen Auskunft zu berechnen, wenn er die Auskunft für rechtlich unzutreffend hält. Er geht allerdings, wenn er nicht der Auskunft entsprechend verfährt, das Risiko ein, wegen unrichtiger Lohnsteuererhebung persönlich in Anspruch genommen zu werden, sofern die der Auskunft zugrunde liegende Rechtsauffassung von den Steuergerichten bestätigt wird. über den Steueranspruch selbst entscheidet das Finanzamt erst, wenn es gemäß § 38 Abs. 3 EStG, § 46 LStDV, einen Haftungsbescheid erläßt, der im Berufungsverfahren angefochten werden kann. Gegen die Auskunft aber ist, weil sie keine Steuerfestsetzung ist, das Berufungsverfahren nicht gegeben, wie bereits in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 500/52 U vom 30. Juli 1953, a. a. O., ausgesprochen ist. Aber auch eine förmliche Beschwerde nach §§ 237, 303 AO in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG hat das Finanzgericht mit Recht nicht zugelassen, weil die Auskunft keine Verfügung, sondern nur eine äußerung der Rechtsauffassung des Finanzamts ohne verpflichtende Kraft für die Beteiligten ist. Die sogenannte Dienstaufsichtsbeschwerde an die vorgesetzten Behörden, auf die das Finanzgericht die Beteiligten hingewiesen hat, ist, wie es zutreffend ausführt, kein Rechtsmittel im Sinne der AO. Dafür, daß die Auskunft nach § 56 LStDV nicht selbständig anfechtbar ist, spricht im übrigen auch, daß gegen eine Zollauskunft in § 236 AO ausdrücklich der Rechtsmittelweg eröffnet ist.
Es wird zuweilen, vor allem unter Berufung auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 627/27 vom 15. März 1928 (RStBl 1928 S. 265, Slg. Bd. 23 S. 191) angenommen, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine sogenannte negative Feststellungsklage allgemein zulässig sei (vgl. Oswald in Steuer und Wirtschaft 1957, Spalten 455 ff.). Im Urteil VI A 627/27, a. a. O., hat der Reichsfinanzhof ausgesprochen, daß in allen Fällen, in denen nach Zahlung einer Steuer ein Erstattungsantrag begründet wäre, der Steuerpflichtige, solange die Steuer noch nicht bezahlt ist, einen im Berufungsverfahren verfolgbaren Anspruch auf die Feststellung habe, daß nicht gezahlt zu werden brauche. Es sollte damit offenbar aber kein unbeschränkt auszudehnender Rechtsgrundsatz aufgestellt werden, der auch für Fälle der vorliegenden Art zur Zulassung einer negativen Feststellungsklage führen müßte. Der damals entschiedene Fall lag, wie das Finanzgericht zutreffend bemerkt, wesentlich anders. Dasselbe gilt für das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 365/51 U vom 24. Oktober 1951, a. a. O. Der Bundesfinanzhof hat in anderen Fällen, insbesondere in den Entscheidungen II 158/52 U vom 13. Januar 1954 (BStBl 1954 III S. 87, Slg. Bd. 58 S. 462), III 1/55 U vom 23. September 1955 (BStBl 1955 III S. 316, Slg. Bd. 61 S. 303) und III 33/56 S vom 6. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 253, Slg. Bd. 63 S. 145) ausgesprochen, daß Feststellungsklagen im Besteuerungsverfahren nur zulässig seien, wenn sie, wie z. B. gegen einen Abrechnungsbescheid im Sinne des § 125 AO, ausnahmsweise ausdrücklich zugelassen seien. Der Senat schließt sich dieser Auffassung hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Anrufungsauskünften an.
Die Oberfinanzdirektion befürwortet die Zulassung von Feststellungsklagen im Lohnsteuer-Auskunftsverfahren vor allem mit dem Hinweis auf die schwierige Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren und sein Interesse an einer schnellen, klaren und verbindlichen steuergerichtlichen Entscheidung; man könne in aller Regel davon ausgehen, daß das Finanzamt bei der in der Auskunft vertretenen Auffassung verbleiben und den Arbeitgeber persönlich in Anspruch nehmen würde, wenn er nicht der Auskunft entsprechend verfahre. Diese Zweckmäßigkeitserwägungen der Oberfinanzdirektion könnten vielleicht die Gesetzgebung veranlassen, für die Zukunft - ähnlich wie bei Zollauskünften - ein Rechtsmittel gegen Lohnsteuer-Anrufungsauskünfte des Finanzamts zuzulassen. Nach dem geltenden Recht ist ein solches Rechtsmittel jedenfalls nicht gegeben. Die Auskunftspflicht des Finanzamts ist nicht einmal im EStG selbst, sondern nur in der LStDV vorgesehen. Es ist auch nicht richtig, daß das Rechtsschutzbedürfnis der Arbeitgeber die Zulassung einer Feststellungsklage, wie die Oberfinanzdirektion sie befürwortet, notwendig macht. Die Interessen des Arbeitgebers sind im allgemeinen dadurch ausreichend geschützt, daß er vor persönlicher Inanspruchnahme gesichert ist, wenn er nach der erteilten Auskunft verfährt. Die Arbeitnehmer werden auch nicht benachteiligt, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der ungünstigen Auskunft berechnet. Denn die Arbeitnehmer, um deren Einkommensteuer (Lohnsteuer) es geht, können nach der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer je nach den Verhältnissen die Erstattung nach § 152 AO oder im Lohnsteuer-Jahresausgleich oder im Veranlagungsverfahren betreiben; dabei können sie eine richterliche Entscheidung über den Steueranspruch selbst erwirken. Will der Arbeitgeber nicht nach der Lohnsteuerauskunft verfahren, so kann die richterliche Entscheidung dadurch beschleunigt werden, daß für einen abgekürzten Zeitraum ein Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber erlassen wird. Dabei kommt man in der Regel ebenso schnell zu einer richterlichen Entscheidung wie bei der von der Oberfinanzdirektion befürworteten Feststellungsklage.
Gegen die Zulassung einer Feststellungsklage bestehen auch Bedenken allgemeiner Art. Die Zulassung einer Feststellungsklage würde den Kreis der in der AO zugelassenen Rechtsbehelfe ohne sachliche Notwendigkeit vermehren und die schwierige Abgrenzung erforderlich machen, unter welchen Voraussetzungen die Feststellungsklage zulässig sein sollte. Denn daß man Feststellungsklagen nicht unbeschränkt zulassen kann, steht wohl außer Zweifel. Die Zulassung einer Feststellungsklage für Fälle der vorliegenden Art führte auch im Ergebnis dazu, das Berufungsverfahren gegen eine Anrufungsauskunft, das die Rechtsprechung abgelehnt hat, auf einem Umweg doch einzuführen. Schließlich könnte man dann Feststellungsklagen wohl kaum auf das Lohnsteuerverfahren beschränken. Es wäre schwer zu vertreten, daß z. B. ein Kaufmann, dessen geschäftliche Dispositionen von der Entscheidung einer bestimmten steuerrechtlichen Zweifelsfrage abhängen, nicht bereits vor dem Veranlagungsverfahren die Zweifelsfrage zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen könnte, um bald eine klare Grundlage für seine Dispositionen zu haben. Daß dabei aber das Rechtsmittelsystem der AO gesprengt würde, liegt auf der Hand.
Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß die gemäß Abschn. 55 Abs. 13 LStR pauschalierte Lohnsteuer von der Stadt X. übernommen werden soll; insofern geht es im Gegensatz zum Normalfall bei der Lohnsteuer um eine eigene steuerliche Belastung der Stadt X. Aber die interne Maßnahme der übernahme der Lohnsteuer ändert das Wesen der Lohnsteuer nicht.
Verfährt die Stadt X. nicht nach der Auskunft des Finanzamts und behält das Finanzamt seine in der Auskunft niedergelegte Rechtsauffassung bei, so ist es zweckmäßig, für einen abgekürzten Zeitraum die Stadt X. in Anspruch zu nehmen und im Berufungsverfahren gegen den Haftungsbescheid die Streitfrage zu klären. In dem gegenwärtigen Verfahren konnte das Finanzgericht jedenfalls ohne Rechtsverstoß die sachliche Prüfung der Streitfrage ablehnen.
Fundstellen
Haufe-Index 423986 |
BStBl III 1960, 108 |
BFHE 1960, 290 |
BFHE 70, 290 |