Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Bei dem nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG gebotenen Vergleich dürfen die ausgefallenen Rechte des erwerbenden Gläubigers nicht dem Meistgebot (einschließlich der Rechte, die nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben) hinzugezählt werden.
Normenkette
GrEStG § 9 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Der Klägerin, einer Kreissparkasse, ist in der Zwangsversteigerung ein Grundstück zugeschlagen worden. An diesem hatte ihr eine verzinsliche Grundschuld von 60.000 DM zugestanden. Dies diente der Sicherung eines Kontokorrentkredites. Das bare Meistgebot der Klägerin betrug 67.000 DM. Aufrechterhalten blieben eine Reallast und ein Wohnungsrecht; deren Wert war in den Versteigerungsbedingungen mit 6.000 DM angesetzt und wurde vom Finanzgericht (FG) auf 6.540 DM veranschlagt. Vom Versteigerungserlös entfielen 18.632,60 DM auf Verfahrenskosten und der Klägerin vorgehende Rechte. Der Klägerin wurden zugewiesen 168,90 DM für Kosten der Rechtsverfolgung, 21.980 DM für Zinsen aus der Grundschuld und 26.635,38 DM auf die Grundschuld selbst. Mit 33.634,62 DM ist die Klägerin ausgefallen.
Das Finanzamt (FA) hat die Klägerin zunächst zur Grunderwerbsteuer in Höhe von 5.147,80 DM veranlagt, diesen Bescheid aber auf den Einspruch der Klägerin hin zurückgenommen und Freistellungsbescheid erteilt. Nachdem die Klägerin das Grundstück für 74.680 DM veräußert hatte, hat das FA gemäß § 9 Abs. 2 GrEStG eine Grunderwerbsteuer von 570 DM angefordert. Diese Maßnahmen hat die Oberfinanzdirektion (OFD) beanstandet. Sie ist der Ansicht, die Grunderwerbsteuer sei durch das Meistgebot der Klägerin in der ursprünglich festgesetzten Höhe von 5.147,80 DM angefallen. Dementsprechend hat das FA seinen Freistellungsbescheid und den Nacherhebungsbescheid auf eine Grunderwerbsteuerforderung von wiederum 5.147,80 DM berichtigt. Der Einspruch der Klägerin war erfolglos. Das FG hat die Grunderwerbsteuer auf 570 DM herabgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Frage, ob die Klägerin allein schon auf Grund ihres Meistgebots (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1 Nr. 4, § 15 Nr. 4 GrEStG) - und nicht erst nach Weiterveräußerung gemäß § 9 Abs. 2 GrEStG - zur Grunderwerbsteuer heranzuziehen war, oder ob die Steuer aus diesem Erwerb - unbeschadet des § 9 Abs. 2 GrEStG - gemäß § 9 Abs. 1 GrEStG nicht zu erheben war. Diese Frage hat das FG mit Recht im zweitgenannten Sinne entschieden.
Die Voraussetzungen der Nummern 1 und 3 des § 9 Abs. 1 GrEStG sind offensichtlich und unbestrittenermaßen erfüllt. Die Annahme, daß die Klägerin das Grundstück nicht zur Rettung ihres dinglichen Rechts erworben habe, leitet der Beklagte nur aus der Ansicht ab, daß im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG der Gesamtaufwand der Klägerin den Vergleichswert übersteige. Das trifft jedoch nicht zu.
Einigkeit besteht darüber, daß die Klägerin für den Hauptbetrag der Grundschuld 60.000 DM aufgewandt hat. Das ist nicht selbstverständlich, weil die Grundschuld (§ 1191 BGB) - anders als die Hypothek (§ 1113 BGB) - nicht akzessorisch ist, eine zur Sicherung bestellte Grundschuld somit auch dann in vollem Umfang dem Gläubiger zusteht, wenn sie nicht valutiert ist. Der Schluß des FG, daß auch die Zinsbeträge im Kontokorrentverhältnis voll valutiert seien, weil andernfalls das Versteigerungsgericht auf die Zinsansprüche nichts hätte zuteilen dürfen, geht daher - als auf einer falschen Prämisse beruhend - fehl. Gleichwohl ist der BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächliche Feststellung gebunden, daß Haupt- und Zinsansprüche aus der Grundschuld voll valutiert sind. Denn diese Feststellung ist rechtlich und denkgesetzlich möglich und durch keine Verfahrensrüge (§ 288 Nr. 2, § 290 AO a. F.) angefochten.
Demzufolge stehen auf der einen Seite des gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG gebotenen Vergleichs das bare Meistgebot von 67.000 DM sowie der Wert der bestehen gebliebenen Rechte (Reallast und Wohnungsrecht), auf der anderen Seite der Aufwand der Klägerin auf ihr dingliches Recht mit 60.000 DM zur Hauptforderung und 21.980 DM bezüglich der Zinsen, der Betrag der vorgehenden Rechte mit 18.632,62 DM sowie wiederum der Wert der bestehen gebliebenen Rechte. Die erstgenannte Summe übersteigt die zweitgenannte nicht; die Voraussetzung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ist damit erfüllt.
Von dieser Berechnung weicht die des Beklagten in zwei Punkten ab: er glaubt, den Aufwand der Klägerin für den Erwerb ihres Grundpfandrechtes nur mit 60.000 DM (Nominalbetrag der Hauptforderung) ansetzen zu können, und ist überdies der Ansicht, der erstgenannten Summe aus Meistgebot und aufrechterhaltenen Rechten den Betrag von 33.781,52 DM zuschlagen zu müssen, mit dem die Klägerin in der Versteigerung ausgefallen ist.
Im letztgenannten Punkt kann sich der Beklagte auf das Urteil des BFH II 23/55 U vom 18. Juli 1956 (BFH 63, 188, BStBl III 1956, 270) berufen. An der dort dargelegten Auffassung kann jedoch nicht festgehalten werden. Sie widerspricht dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG, von dem - zumal bei Einengung einer Befreiungsvorschrift (Urteil II 89/64 vom 16. Februar 1966, BFH 85, 302, BStBl III 1966, 319) - nur abgewichen werden könnte, wenn er offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widersprechen und zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (Urteil II 116/63 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 91, BStBl III 1967, 29). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Vielmehr ist der Senat bei erneuter Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß sich der nach Sinn und Zweck gewollte Inhalt des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG in der hier maßgebenden Beziehung mit dessen Wortsinn deckt. Denn § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG bezweckt nicht mehr, als in einer bestimmten Beziehung (für eine andere vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG) den eingangs des § 9 Abs. 1 GrEStG aufgestellten Grundsatz zu sichern, daß nur der Gläubiger die Vergünstigung dieser Vorschrift erhält, der das Grundstück "zur Rettung seines Rechts" erworben hat; diese Absicht wird widerlegt, wenn der Gläubiger für den Erwerb des Grundstücks mehr aufwendet, als zur Ausbietung seines Grundpfandrechts nötig ist. Deshalb kann die Vergünstigung des § 9 Abs. 1 GrEStG auch einem Erwerber nicht gewährt werden, der die in § 11 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bezeichneten Leistungen (Abfindung für Nichtbieten) in einer Höhe erbracht hat, die zusammen mit dem Meistgebot über den Betrag hinausgeht, der zur Ausbietung seines Grundpfandrechts erforderlich gewesen wäre. Dieses Ergebnis auf § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG (statt auf den einleitenden Satz des § 9 Abs. 1 GrEStG) zu stützen, muß aber - abgesehen vom Wortlaut dieser Vorschrift - bedenklich erscheinen, weil dann auch die in § 11 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG bezeichneten Leistungen in den Vergleich einzubeziehen wären, dadurch aber ein Gläubiger entgegen dem Sinne des § 9 Abs. 1 GrEStG gehindert werden könnte, sein Grundpfandrecht steuerbegünstigt auszubieten. Jedenfalls geht es nach Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 GrEStG nicht an, bei dem nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG gebotenen Vergleich entgegen dessen Wortlaut dem Meistgebot noch den Betrag zuzurechnen, mit dem der Gläubiger in der Versteigerung ausgefallen ist. Denn dadurch würde gerade der Schaden, den die Steuerbegünstigung des § 9 Abs. 1 GrEStG mindern soll, zum steuerrechtlich schädlichen Tatbestandsmerkmal. Demgegenüber ist zwar nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG der Ausfall in gewissen Grenzen zuzurechnen; beide Vorschriften beruhen aber auf der Erwägung, daß in diesen Fällen der Gläubiger trotz allem kraft seines niedrigeren Meistgebots (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG) oder seiner geringen Gegenleistung (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG) für den Erwerb der Rechte aus dem Meistgebot (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 GrEStG) ein gutes Geschäft gemacht hat. Darum geht es in § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG nicht; die Rechnungsgröße "Meistgebot einschließlich der Rechte, die nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben" ist auch nicht mit dem Gesamtbetrag im Sinne des § 14 GrEStG 1927 zu vergleichen; der "Gesamtbetrag" des § 14 GrEStG 1927 entspricht vielmehr eher dem "Vergleichsbetrag" des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1940. Die ausgefallenen Rechte des Erwerbers können somit bei dem nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG gebotenen Vergleich nicht dem Meistgebot hinzugezählt werden, wohl aber nach näherer Maßgabe des § 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG der Besteuerungsgrundlage bei Eintritt der Steuerpflicht und im Rahmen der durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG veranlaßten Prüfung.
Nach den eingangs dargelegten Grundsätzen ist auch die Frage zu behandeln, ob zu dem "Betrag, den der Pfandgläubiger für den Erwerb des Pfandrechts aufgewandt hat" (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG), auch die dem Gläubiger effektiv zustehenden Zinsen gehören. Hier scheint der Wortlaut zunächst für die (verneinende) Ansicht des Beklagten zu sprechen. Daß eine solche Auslegung dem Sinn des § 9 Abs. 1 GrEStG nicht gerecht wird, ergibt sich schon aus der oben angedeuteten Erwägung, daß bei dieser Ansicht einer Grundschuld des Gläubigers, die bei der Begründung noch nicht valutiert worden ist, sondern nur zur Sicherung etwaiger späterer Ansprüche dienen sollte, kein Erwerbsaufwand gegenüberzustehen braucht. Als Erwerbsaufwand müssen daher auch diejenigen dinglich geschützten Nebenansprüche (§§ 1118, 1191 Abs. 2 BGB) gelten, die der Gläubiger im Hinblick auf ihre Deckung durch das dingliche Recht auflaufen ließ (wie bei den vorgehenden Rechten in § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG ausdrücklich klargestellt ist, daß auch die Zinsen zu berücksichtigen sind).
Mittelbar ergibt sich das auch aus dem Recht der Zwangsversteigerung. Denn nach § 12 des Zwangsversteigerungsgesetzes haben die Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen und andere Nebenleistungen den Rang vor dem Hauptanspruch. Der Gläubiger kann also seinen Hauptanspruch nur dann ausbieten, wenn er zuvor seine Zinsansprüche ausbietet. Das Ausbieten des Hauptanspruchs gestattet ihm aber § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG mit der Maßgabe, daß der Gläubiger insoweit nicht mehr "retten" darf als seinen Erwerbsaufwand.
Demzufolge war die Revision des Beklagten mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Richtigzustellen war jedoch der Entscheidungssatz des FG. Dieses hat die Steuer auf 570 DM festgesetzt. Das beruht auf der richtigen Erkenntnis, daß mit Aufheben des auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützten Berichtigungsbescheids nicht nur der ursprüngliche Freistellungsbescheid, sondern auch die - zuvor unanfechtbare - Nachveranlagung gemäß § 9 Abs. 2 GrEStG wieder auflebt. Beide Folgen treten aber unmittelbar kraft Gesetzes ein. Das FG konnte seinerseits den Nachversteuerungsbetrag nicht festsetzen, weil die Nachversteuerung nach § 9 Abs. 2 GrEStG nicht Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens war. Der Entscheidungssatz des FG war daher dahin zu fassen, daß der auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützte Berichtigungsbescheid und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung (und zwar ersatzlos als unbegründet) aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 412468 |
BStBl III 1967, 296 |
BFHE 1967, 96 |
BFHE 88, 97 |