Entscheidungsstichwort (Thema)
(Nachholung von Abzugsbeträgen nach § 10e Abs.3 EStG, Baukindergeld)
Leitsatz (amtlich)
1. Die "Ausnutzung" eines Abzugsbetrags (§ 10e Abs.3 EStG) kommt auch in Betracht, wenn der Steuerpflichtige die Wohneigentumsförderung nach § 10e EStG geltend gemacht hat, um den Kindergeldzuschlag gemäß § 11a Abs.1 BKGG zu erhalten.
2. Ein Abzugsbetrag (§ 10e Abs.3 EStG) ist auch insoweit nicht ausgenutzt, als sich im Abzugsjahr eine vom Steuerpflichtigen beantragte Ermäßigung nach § 34f Abs.2 EStG bei der Berechnung der festzusetzenden Steuer wegen der geringen Höhe der tariflichen Einkommensteuer nicht oder nur teilweise ausgewirkt hat (Bestätigung des BFH-Urteils vom 25.Januar 1995 X R 191/93, BFHE 177, 65, BStBl II 1995, 586). Hat der Steuerpflichtige einen Zuschlag zum Kindergeld nach § 11a BKGG erhalten, ist der Nachholungsbetrag um den Betrag zu kürzen, welcher der durch den Kindergeldzuschlag ersetzten Minderung des Einkommens entspricht.
Orientierungssatz
Für die Steuerermäßigung nach § 34f Abs.2 EStG ist nicht erforderlich, daß der Steuerpflichtige den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG wenigstens mit 1 DM geltend macht.
Normenkette
EStG § 10e Abs. 1, 3, § 34f Abs. 2; BKGG § 11a
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 09.02.1993; Aktenzeichen VII 140/91) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit dem 31. Januar 1988 verwitwet und hat zwei Kinder. Seit dem 5. Dezember 1988 nutzt er das ihm gehörende Einfamilienhaus in S selbst. In seiner Einkommensteuererklärung (Anlage FW) für 1988 machte er u.a. einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 11 382 DM geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat im Einkommensteuerbescheid 1988 die Einkommensteuer wie folgt festgesetzt:
Gesamtbetrag der Einkünfte 40 336 DM
./. §§ 10, 33, 10e Abs.6 EStG 20 612 DM
./. § 10e Abs.1 EStG 11 382 DM
---------
Einkommen 8 342 DM
./. Kinderfreibeträge 4 968 DM
--------
zu versteuerndes Einkommen 3 374 DM
tarifliche Steuer/Splittingtabelle 0 DM
./. kindbedingte Ermäßigungen nach § 34f EStG 1 200 DM
festgesetzte Einkommensteuer 0 DM
Weil unter Berücksichtigung des Abzugsbetrages nach § 10e
Abs.1 EStG das Einkommen (§ 2 Abs.4 EStG) des Klägers mit 8
342 DM geringer war als der Grundfreibetrag von 9 611 DM,
wirkten sich die Kinderfreibeträge von 4 968 DM steuerlich
nicht aus. Der Kläger machte deshalb den Zuschlag zum
Kindergeld nach § 11a Abs.1 des Bundeskindergeldgesetzes
(BKGG) geltend.
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1989
begehrte der Kläger die Nachholung des im Vorjahr nicht
ausgenutzten Abzugsbetrages in Höhe von 11 381 DM. Er vertrat
die Auffassung, der Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG sei nur
in Höhe von 1 DM ausgenutzt. Diesen Mindestbetrag habe er in
Anspruch nehmen müssen, um das sog. Baukindergeld nach § 34f
EStG zu erhalten. Im übrigen habe sich der Abzugsbetrag nach §
10e Abs.1 EStG nicht steuerlich ausgewirkt, denn auch ohne
Berücksichtigung des restlichen Abzugsbetrages in Höhe von 11
381 DM ergebe sich eine Steuerschuld von 0 DM:
Gesamtbetrag der Einkünfte bisher
40 336 DM
./. §§ 10, 33, 10e Abs.6 EStG
20 612 DM
./. § 10e Abs.1 EStG
1 DM
---------
Einkommen
19 723 DM
./. Kinderfreibeträge
4 968 DM
---------
zu versteuerndes Einkommen
14 755 DM
tarifliche Steuer lt. Splittingtabelle
1 140 DM
kindbedingte Ermäßigungen nach § 34f EStG
1 200 DM
festgesetzte Einkommensteuer
0 DM
Das FA berücksichtigte den geltend gemachten Nachholungsbetrag
im Einkommensteuerbescheid 1989 (Streitjahr) zunächst nicht;
in der Einspruchsentscheidung ließ es nur die Nachholung in
Höhe von 1 269 DM zu. Es vertrat die Auffassung, der
Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG sei im Abzugsjahr 1988 in
Höhe von 10 113 DM "ausgenutzt" i.S. von § 10e Abs.3 EStG;
dieser Betrag sei erforderlich gewesen, um den Zuschlag zum
Kindergeld zu erhalten.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der der Kläger die
Herabsetzung der Einkommensteuer 1989 auf 0 DM begehrte,
abgewiesen. Das Urteil ist in den Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 1993, 652 abgedruckt.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 10e Abs.3 EStG. "Ausgenutzt" im Sinne dieser Vorschrift seien nur Abzugsbeträge, die zu einer Ermäßigung der Einkommensteuer geführt hätten. Der Umstand, daß er, der Kläger, den vollen Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG in der Einkommensteuererklärung für 1988 geltend gemacht habe, sei insoweit ohne Bedeutung. Über die Frage, ob und inwieweit die Abzugsbeträge "ausgenutzt" seien, werde erst im Rahmen der Steuerfestsetzung, für welche die Nachholung beantragt werde (Nachholungsjahr) entschieden, denn eine gesonderte Feststellung des Nachholungsbetrages sei gesetzlich nicht vorgesehen.
Er beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer 1989 auf 0 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Ergebnis begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung der Einkommensteuer nach dem Klagantrag. Ein Abzugsbetrag ist i.S. des § 10e Abs.3 EStG "nicht ausgenutzt", soweit er bei Berücksichtigung des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Baukindergeldes nach § 34f Abs.2 EStG nicht erforderlich war, um im Abzugsjahr eine Steuerfreistellung zu erreichen (I.). Hat der Steuerpflichtige einen Zuschlag zum Kindergeld erhalten, ist der nach den vorstehend ausgeführten Grundsätzen berechnete Nachholungsbetrag um den Betrag zu kürzen, welcher der durch den Kindergeldzuschlag ersetzten Minderung des Einkommens entspricht (II.).
I. Nach § 10e Abs.3 Satz 1 EStG in der für den Streitfall maßgebenden Fassung kann der Steuerpflichtige die Abzugsbeträge nach den Absätzen 1 und 2, die er in den ersten drei Jahren des Abzugszeitraumes nicht ausgenutzt hat, bis zum Ende des vierten Jahres des Abzugszeitraumes abziehen.
1. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 25. Januar 1995 X R 191/93 (BFHE 177, 65, BStBl II 1995, 586) entschieden: Ein Abzugsbetrag ist i.S. des § 10e Abs.3 EStG auch insoweit "nicht ausgenutzt", als er unter Berücksichtigung einer beantragten und zu beanspruchenden Steuerermäßigung nach § 34f Abs.2 EStG nicht erforderlich war, um eine Steuerfreistellung zu erreichen. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe dieser Entscheidung verwiesen.
2. Das FG ist insoweit von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das Urteil war deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
a) Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze hätte der Kläger, um im Abzugsjahr 1988 zu einer Steuerfestsetzung von 0 DM zu kommen, den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG nicht benötigt.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist für die Steuerermäßigung nach § 34f Abs.2 EStG nicht erforderlich, daß der Steuerpflichtige den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG wenigstens mit 1 DM geltend macht. § 34f Abs.2 EStG setzt u.a. voraus, daß der Steuerpflichtige die Steuerbegünstigung nach § 10e Abs.1 EStG "in Anspruch nimmt". Die Geltendmachung des Baukindergeldes enthält deshalb gleichzeitig die Erklärung, daß für dieses Objekt auch die Grundförderung nach § 10e EStG in Anspruch genommen wird, auch wenn wegen der Möglichkeit der Nachholung nach § 10e Abs.3 EStG ein Abzugsbetrag nicht geltend gemacht wird (Abschn.213a Abs.3 Sätze 2 und 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1990; Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 34f EStG Rz.53; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9.Aufl., § 34f Anm.2a; Stephan, Die Besteuerung selbstgenutzten Wohneigentums, 4.Aufl., S.301; Feldhaus, Die Information 1987, 409, 410; a.A. Erhard in Blümich, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz/Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 34f EStG Rz.37).
c) Im Streitfall hat der Kläger einen Zuschlag zum Kindergeld nach § 11a BKGG erhalten, weil im Einkommensteuerbescheid für 1988 die Steuer unter Berücksichtigung des Abzugsbetrages nach § 10e Abs.1 EStG für 1988 berechnet worden ist und dadurch das Einkommen --anders als in dem im Senatsurteil in BFHE 177, 65, BStBl II 1995, 586 entschiedenen Fall-- geringer war als der Grundfreibetrag. Hierdurch hat sich der Abzugsbetrag zwar nicht in Form einer steuerlichen Entlastung, jedoch in Form des --die fehlende steuerliche Entlastung durch Kinderfreibeträge ausgleichenden-- tatsächlich erhaltenen Kindergeldzuschlages ausgewirkt. Dies ist bei der Berechnung des höchstmöglichen Nachholungsbetrages zu berücksichtigen.
II. Hat der Steuerpflichtige einen Zuschlag zum Kindergeld erhalten, ist der nach den vorstehend ausgeführten Grundsätzen berechnete Nachholungsbetrag um den Betrag zu kürzen, welcher der durch den Kindergeldzuschlag ersetzten Minderung des Einkommens entspricht.
1. Die erstmals mit Wirkung ab 1. Januar 1986 durch das 11.Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 27. Juni 1985 (BGBl I 1985, 1251) eingeführte Vorschrift des § 11a BKGG ergänzt im Rahmen des Familienlastenausgleichs das System der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern für die Fälle, in denen sich die steuerlichen Kinderfreibeträge wegen zu niedrigen Einkommens nicht oder nicht voll auswirken. Eltern, denen für ihre Kinder Kindergeld und Kinderfreibetrag zustehen, die aber mangels hinreichenden Einkommens den Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll nutzen können, erhalten insoweit einen Ersatz in Form eines Zuschlages (Wickenhagen-Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Kommentar, § 11a Anm.1, 3).
2. Der Zuschlag zum Kindergeld betrug nach § 11a Abs.6 BKGG in der 1988 geltenden Fassung 1/12 von 22 v.H. des Unterschiedsbetrages zwischen dem zu versteuernden Einkommen und dem maßgeblichen Grundfreibetrag, höchstens jedoch von 22 v.H. der Summe der dem Berechtigten zustehenden Kinderfreibeträge. Der Prozentsatz von 22 v.H. entsprach dem im Jahr 1988 in der unteren Proportionalzone geltenden Grenzsteuersatz (§ 32a Abs.1 Nr.2 EStG 1987). Der Zuschlag gleicht danach die wegen niedrigeren Einkommens nicht greifende steuerliche Entlastung durch den Kinderfreibetrag in der Höhe aus, in der sich der Kinderfreibetrag nicht ausgewirkt hat.
3. Der höchstmögliche Zuschlag zum Kindergeld betrug für 12 Monate bei --wie im Streitfall-- zwei Kindern 1 092 DM (22 v.H. von 4 968 DM). Dies entspricht der steuerlichen Entlastung, zu der die Kinderfreibeträge bei einem um die Kinderfreibeträge höheren Einkommen mindestens geführt hätten. Erhält der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- den vollen Kindergeldzuschlag, wird dadurch eine Minderung des Einkommens in Höhe der ihm zustehenden Kinderfreibeträge ersetzt; bei einem geringeren Kindergeldzuschlag nur der diesem Betrag entsprechende Teil. Ist durch einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 und 2 EStG das zu versteuernde Einkommen geringer als der Grundfreibetrag und erhält der Steuerpflichtige deshalb als Ersatz für die Nichtauswirkung der Kinderfreibeträge einen Zuschlag zum Kindergeld, so ist der Abzugsbetrag in der Höhe ausgenutzt, welcher der durch den Kindergeldzuschlag ersetzten Minderung des Einkommens entspricht.
4. Die demgegenüber vom Kläger vertretene Auffassung hätte zur Folge, daß sich die Kinderfreibeträge im Ergebnis doppelt auswirkten: für das Abzugsjahr --im Streitfall das Jahr 1988-- in Form der an die Stelle der steuerlichen Entlastung tretenden (Bargeld-)Zahlung des Zuschlages zum Kindergeld und im Nachholungsjahr --im Streitfall im Jahr 1989-- in Form des zusätzlichen --nachgeholten-- Abzugsbetrages. Der durch die Ersatzfunktion des Zuschlages zum Kindergeld begründete steuerrechtliche Regelungszusammenhang zwischen Kinderfreibetrag (§ 32 Abs.6 EStG) und Kindergeldzuschlag (§ 11a BKGG) verbietet deshalb, die Auswirkung eines Abzugsbetrages nach § 10e Abs.1 und 2 EStG auf den Kindergeldzuschlag außer Betracht zu lassen (ebenso Oberfinanzdirektion Münster vom 27. November 1990, Deutsches Steuerrecht 1991, 217; Erhard in Blümich, a.a.O., § 10e EStG Anm.372; Meyer in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10e EStG Anm.258; Obermeier, Das selbstgenutzte Wohneigentum, 4.Aufl., Anm.296; Jaser/Wacker, Die neue Eigenheimbesteuerung, 7.Aufl., S.99; a.A. Kleeberg in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10e Anm.D 4; Schmidt/Drenseck, a.a.O., 14.Aufl., § 10e Anm.8 d Rz.104).
5. Im Streitfall hätte der Kläger (wie unter I.2. ausgeführt), um im Abzugsjahr 1988 zu einer Steuerfestsetzung von 0 DM zu kommen, den Abzugsbetrag von 11 382 DM nicht benötigt. Bei der Steuerberechnung im Einkommensteuerbescheid 1988 ist jedoch der Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG berücksichtigt worden. Der Kläger hat deshalb antragsgemäß den vollen Kindergeldzuschlag erhalten. Dieser Kindergeldzuschlag tritt an die Stelle einer steuerlichen Entlastung von 4 968 DM (= der dem Kläger zustehenden steuerlichen Entlastung durch Kinderfreibeträge für zwei Kinder). In dieser Höhe ist deshalb der Abzugsbetrag für 1988 ausgenutzt. Im Streitjahr konnte der Kläger hiernach einen nicht ausgenutzten Abzugsbetrag von 6 414 DM (11 382 DM abzüglich 4 968 DM) beanspruchen.
Die Einkommensteuer für das Streitjahr 1989 errechnet sich wie folgt:
zu versteuerndes Einkommen
lt. Einspruchsentscheidung 15 927 DM
+ vom FA berücksichtigter Nachholungsbetrag 1 269 DM
./. Nachholungsbetrag lt. Urteil 6 414 DM
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zu versteuerndes Einkommen 10 782 DM
Steuer lt. Splittingtabelle 262 DM
./. kindbedingte Ermäßigungen nach § 34f
EStG (1 200 DM) 262 DM
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festgesetzte Einkommensteuer 0 DM
Fundstellen
Haufe-Index 65979 |
BFH/NV 1996, 174 |
BStBl II 1996, 364 |
BFHE 180, 93 |
BFHE 1997, 93 |
BB 1996, 1210 (L) |
DB 1996, 1266 (L) |
DStR 1996, 1279-1281 (KT) |
DStZ 1996, 439-440 (KT) |
HFR 1996, 485-487 (L) |
StE 1996, 375 (K) |