Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflegungsmehraufwendungen eines angestellten Kaminkehrers; Kehrbezirk ist keine großräumige Arbeitsstätte
Leitsatz (NV)
1. Ein angestellter Kaminkehrer kann Mehraufwendungen für Verpflegung für die Dauer seiner Tätigkeit im Kehrbezirk als Werbungskosten abziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Kehrbezirk über ein ländliches Gebiet mit einem Durchmesser von mehr als zehn Kilometern erstreckt. Wird dabei auch der Betrieb des Arbeitgebers aufgesucht, ist der Mehraufwand nur für die Zeit ab Verlassen und bis zur Rückkehr in den Betrieb zu berücksichtigen.
2. Es bleibt offen, ob ein größeres räumliches Gebiet, bei dem es sich nicht um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, nach Neuregelung des Verpflegungsmehraufwands durch das JStG 1996 noch als großräumige Arbeitsstätte und damit als großräumiger Tätigkeitsmittelpunkt angesehen werden kann.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 Sätze 2-3, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist als angestellter Kaminkehrer bei einem Schornsteinfegermeister tätig.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1998) machten die Kläger bei den Werbungskosten des Klägers u.a. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwand an 220 Tagen in Höhe von je 10 DM geltend. Dazu führten sie aus, der Kläger habe zwar am Morgen eines jeden Arbeitstages am Betriebssitz seines Arbeitgebers seine Kehr- und Messaufträge in Empfang nehmen und sie abends auch dort zurückgeben müssen. Im Übrigen aber sei er in dem ihm übertragenen Kehrbezirk an ständig wechselnden Einsatzstellen tätig gewesen. Zum Nachweis legten die Kläger eine vom Arbeitgeber erstellte Bestätigung vor, ausweislich derer der Kläger im Streitjahr "arbeitstäglich mehr als acht Stunden im Kehrbezirk unterwegs und somit von seinem Wohnort abwesend" gewesen sei.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat demgegenüber die Auffassung, der Kehrbezirk des Klägers sei als weiträumig zusammenhängendes Arbeitsgebiet und damit als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers anzusehen. Das ergebe sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Februar 1994 VI R 109/89 (BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422). Aus diesem Grunde übe der Kläger auch keine zum Abzug von Verpflegungsmehraufwand berechtigende Einsatzwechseltätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus. Der begehrte Werbungskostenabzug sei daher zu versagen.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage in vollem Umfang statt. Dazu führte es in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1207 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen aus, der Kläger habe am Betriebssitz seines Arbeitgebers nicht den Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit gehabt, weil er dort keinen wesentlichen Teil seiner Arbeitsleistung habe erbringen müssen. Seiner Größe wegen sei auch der Kehrbezirk nicht als eine einzige weiträumige Arbeitsstätte des Klägers zu betrachten. Da der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung regelmäßig täglich mehr als acht Stunden von seiner Wohnung abwesend gewesen sei, seien Mehraufwendungen für Verpflegung im Streitfall pauschal abziehbar. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für eine solche Pauschalierung entschieden und dabei zulässigerweise in Kauf genommen, dass es im Einzelfall zu einer unzutreffenden Besteuerung kommen könne.
Mit der Revision rügt das FA, das angefochtene Urteil verletze § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG und weiche von dem BFH-Urteil in BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422 ab. Eine typische Einsatzwechseltätigkeit sei nicht gegeben, weil der Kläger täglich morgens und abends die Betriebsstätte seines Arbeitgebers aufgesucht und dort Verrichtungen vorgenommen habe, die einen nicht unwesentlichen Teil der Tätigkeiten eines Kaminkehrers darstellten.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger treten der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Abziehbarkeit von Verpflegungsmehraufwendungen bei nichtselbständiger Tätigkeit richtet sich seit In-Kraft-Treten des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nach den Regelungen des über § 9 Abs. 5 EStG sinngemäß anzuwendenden § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG.
Hierzu hat der erkennende Senat mit Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 16/04 (BFHE 209, 518, BFH/NV 2005, 1692) entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der den Betrieb seines Arbeitgebers mit einer gewissen Nachhaltigkeit fortdauernd und immer wieder aufsucht, um von dort aus seine berufliche Tätigkeit an ständig wechselnden auswärtigen Tätigkeitsstätten anzutreten oder um sie dort zu beenden, Mehraufwendungen für Verpflegung nicht gemäß Satz 3 dieser Vorschrift für die Dauer der Abwesenheit von seiner Wohnung steuerlich geltend machen kann. In diesen Fällen bildet der Betrieb nicht nur die regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers, sondern zugleich auch den Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit i.S. des Satzes 2 dieser Vorschrift. Für den Beginn bzw. das Ende der Auswärtstätigkeit ist daher das Verlassen bzw. Erreichen des Betriebs maßgeblich, sofern er aufgesucht wurde.
Ebenfalls mit Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 25/04 (BFHE 209, 523, BFH/NV 2005, 1694) hat der Senat erkannt, dass es für die Berücksichtigung des Verpflegungsmehraufwands nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer den Betriebssitz des Arbeitgebers oder sonstige ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtungen, denen er zugeordnet ist, nicht nur gelegentlich, sondern fortdauernd und immer wieder aufsucht (vgl. auch Senatsurteil vom 5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074). Eine zum Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen berechtigende Auswärtstätigkeit liegt daher immer dann vor, wenn (und solange) der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und gegebenenfalls auch außerhalb einer solchen regelmäßigen Arbeitsstätte beruflich tätig wird (vgl. dazu wiederum das Senatsurteil in BFHE 209, 518, BFH/NV 2005, 1692).
2. Die Vorentscheidung ist teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen; sie ist deshalb aufzuheben.
a) Zutreffend ist zunächst, dass der dem Kläger übertragene Kehrbezirk --entgegen der Auffassung des FA-- nicht in seiner Gesamtheit als ein einziger zusammenhängender, großräumiger Tätigkeitsmittelpunkt angesehen werden kann.
Der erkennende Senat hat zwar bislang die Auffassung vertreten, ein größeres räumliches Gebiet stelle auch dann eine großräumige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG dar, wenn es sich dabei nicht um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers (etwa ein Werksgelände) handelt, die einzelnen Einsatzstellen aber aneinandergrenzen und in unmittelbarer Nähe zueinander liegen (Urteil in BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422, unter 2. c der Gründe). Soweit damit als Folge die Nichtanerkennung eines beruflich veranlassten Verpflegungsmehraufwands verbunden war, hat der Senat ein solches Gebiet allerdings nur dann als einheitliche großräumige Arbeitsstätte angesehen, wenn sich (wie etwa für den Sonderfall eines in einem Forstrevier an verschiedenen Hieborten tätigen Waldarbeiters) aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Falles schon von vornherein die Frage stellte, welche kostenträchtigen Verpflegungsbedingungen einen derartigen Verpflegungsmehraufwand überhaupt hätten verursachen können (vgl. dazu das Senatsurteil vom 19. Februar 1982 VI R 61/79, BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466 einerseits, und das Senatsurteil vom 5. Mai 1994 VI R 6/92, BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534 andererseits).
Der Senat hat Bedenken, ob an dieser Rechtsprechung nach Neuregelung des Verpflegungsmehraufwands durch das JStG 1996 weiter festgehalten werden kann, da es seither für die Gewährung der Pauschbeträge weder darauf ankommt, wie sich die konkrete Verpflegungssituation am Einsatzort darstellt, noch darauf, ob überhaupt ein berufsbedingter Verpflegungsmehrbedarf eintritt (vgl. Senatsurteile vom 10. April 2002 VI R 154/00, BFHE 198, 559, BStBl II 2002, 779; vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BFH/NV 2005, 1686). Die Frage kann im Streitfall indessen dahingestellt bleiben. Der dem Kläger übertragene Kehrbezirk erstreckte sich nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG über ein ländliches Gebiet mit einem Durchmesser von mehr als zehn Kilometern, in dem die einzelnen Einsatzstellen nicht in unmittelbarer Nähe aneinander angrenzten. Ein derart weiträumiges Gebiet aber kann auch bei Anlegung der bisher geltenden Maßstäbe nicht mehr als einheitliche großräumige Arbeitsstätte beurteilt werden (vgl. Senatsurteile in BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534; vom 4. August 1994 VI R 92/93, BFH/NV 1995, 27; vom 7. Februar 1997 VI R 61/96, BFHE 182, 562, BStBl II 1997, 333).
b) Nicht zu folgen ist hingegen der Annahme des FG, dass es für den beanspruchten pauschalen Werbungskostenabzug schon ausreiche, dass der Kläger während der vom Gesetz geforderten Abwesenheitsdauer von mindestens acht Stunden aus beruflichen Gründen außerhalb seiner Wohnung tätig gewesen ist. Denn der Kläger hatte im morgens und abends aufgesuchten Betrieb seines Arbeitgebers seine regelmäßige Arbeitsstätte und seinen Tätigkeitsmittelpunkt. Darauf, ob er dort auch einen wesentlichen Teil seiner Arbeitsleistung zu erbringen hatte, kommt es dabei nicht an.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- keine Feststellungen dazu getroffen, wie lange sich der Kläger arbeitstäglich außerhalb des Betriebssitzes seines Arbeitgebers im Kehrbezirk selbst aufgehalten hat. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Die vom Arbeitgeber erstellte Bescheinigung ist in dieser Hinsicht mehrdeutig.
Fundstellen
Haufe-Index 1473560 |
BFH/NV 2006, 507 |
DStRE 2006, 454 |
HFR 2006, 250 |