Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist zweifelhaft, ob eine Personenvereinigung als Mitunternehmerschaft (§ 215 Abs. 2 Ziff. 1 AO, § 14 EStG) oder als körperschaftsteuerpflichtiger nichtrechtsfähiger Verein (§ 1 Abs. 1 Ziff. 5, § 3 KStG) anzusehen ist und wurde sie zum Vorteil der Gesellschafter seit vielen Jahren als Mitunternehmerschaft behandelt, so kann ein Gesellschafter gegen die Versteuerung des bei der Veräußerung seines Gesellschaftsanteils erzielten Gewinns nicht einwenden, es liege keine Mitunternehmerschaft, sondern eine private Beteiligung an einer Körperschaft vor.
Normenkette
AO § 215 Abs. 2 Nr. 1; EStG §§ 13-14; KStG § 1 Abs. 1 Ziff. 5, § 3
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt berechtigt war, die Einkommensteuervorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 1961 wegen eines bei dem Verkauf von Anteilen an einer Waldbetriebsgesellschaft erzielten Veräußerungsgewinns (§ 14 EStG) zu erhöhen.
Die Bfin. besaß 65 von 480 Anteilen einer Waldbetriebsgesellschaft - im folgenden "Gesellschaft" genannt -. Im Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1936 ist die Gesellschaft bezeichnet als "Gesellschaft des bürgerlichen Rechts". Das aus einer Stammgutsauflösung herrührende Eigentum steht den Gesellschaftern zur gesamten Hand zu. Das Vermögen der Gesellschaft besteht u. a. aus den Waldflächen mit Gebäuden und Inventar. Die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens ist in einem Verwaltungsstatut geregelt, das im wesentlichen einen Teil des Gesellschaftsvertrages bildet. Danach finden die die Bruchteilsgemeinschaft betreffenden Vorschriften der §§ 741 bis 785 BGB Anwendung. Auf das Vermögen sind Anteilsscheine ausgegeben. Verwaltungsorgane der Gesellschaft sind der Verwaltungsrat, der die Gesellschaft vertritt und ihre Geschäfte führt, und die Gesellschaftsversammlung. über die Verwendung der Reinerträge beschließt die Gesellschaftsversammlung.
Das Finanzamt stellte die Gewinne der Gesellschaft jeweils einheitlich fest und erfaßte sie bei den einzelnen Gesellschaftern als Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft.
Durch notariellen Vertrag verkaufte die Bfin. im Jahr 1960 60 Anteile für je 10 500 DM, insgesamt für 630 000 DM, an den Staat. Das Finanzamt erhöhte deshalb durch Bescheid vom 17. März 1961 die Einkommensteuervorauszahlungen von bisher vierteljährlich je 1 042 DM auf je 37 204 DM zum 10. Juni, 10. September und 10. Dezember 1961. Dabei ging das Finanzamt von einem Veräußerungsgewinn für das stehende Holz von 451 320 DM aus.
Die Oberfinanzdirektion legte auf die Beschwerde der Bfin. einen Veräußerungsgewinn von 343 677 DM zugrunde und setzte die Einkommensteuervorauszahlungen auf je 27 653 DM herab. Im übrigen wies sie die Beschwerde als unbegründet zurück.
Mit der Berufung wandte sich die Bfin. gegen die Annahme eines steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns. Die Gesellschaft sei nicht als GdbR, sondern als Kapitalgesellschaft anzusehen. Da die Bfin. nicht wesentlich beteiligt sei (§ 17 EStG), sei der Veräußerungsgewinn nicht steuerpflichtig. Selbst wenn man eine GdbR annehme, sei der Veräußerungsgewinn deshalb nicht steuerpflichtig, weil der Grund und Boden mit dem stehenden Holz nicht im Eigentum der GdbR, sondern im Privateigentum der Gesellschafter stünden. Gegenstand der Gesellschaft sei lediglich die gemeinschaftliche Nutzung des Besitzes gewesen. Bei den veräußerten Gesellschaftsanteilen habe es sich deshalb nur um Anteilsrechte über zukünftige Gewinne aus einem forstwirtschaftlichen Vermögen gehandelt. Diese Nutzungsanteile hätten in den zurückliegenden 20 Jahren niemals mehr als 8 000 DM jährlich erbracht. Nur bezüglich des Nutzungsrechts handle es sich um die Veräußerung eines Anteils an einem Forstwirtschaftlichen Betrieb. Dieser Betrieb dürfte hinsichtlich der Anteilsveräußerungen nicht einem Gewerbebetrieb gleichgestellt werden.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück und führte aus: Das Verfahren, das die Einkommensteuervorauszahlungen des Gesellschafters einer Waldbetriebsgesellschaft betreffe, sei nicht geeignet, die Frage zu prüfen, ob die bisher unbestritten als GdbR behandelte Gesellschaft steuerrechtlich als Kapitalgesellschaft anzusehen sei. Diese Frage müsse im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (§ 215 AO) geprüft werden. Sowohl die Satzung als auch das Verwaltungsstatut der Gesellschaft wiesen auf eine GdbR hin. Der Wald gehöre zum notwendigen Betriebsvermögen der Gesellschaft, nicht zum Privatvermögen der Gesellschafter. Zweifelhaft könne im Hinblick auf den unterschiedlichen Wortlaut der §§ 14 und 16 EStG nur sein, ob der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer die Land- und Forstwirtschaft betreibenden GdbR steuerpflichtig sei. Diese Frage sei indessen zu bejahen. Zumindest sei die Auffassung des Finanzamts und der Oberfinanzdirektion vertretbar. Da die Berechnung des Veräußerungsgewinns für das stehende Holz und der sich für den Veranlagungszeitraum 1961 voraussichtlich ergebenden Einkommensteuer keinen Fehler erkennen ließen, bestehe keine Veranlassung, die Vorentscheidung aufzuheben.
Mit der Rb. macht die Bfin. geltend, daß das Finanzamt verpflichtet gewesen sei, den abgeschlossenen Tatbestand sofort und endgültig rechtlich zu beurteilen. Es sei unzulässig, daß sich das Finanzamt unter Berufung auf die Vorläufigkeit des Verfahrens zunächst auf den ihm günstigsten Rechtsstandpunkt stelle. Die Vorinstanzen hätten zu Unrecht die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen als einen unter die §§ 13 und 14 EStG fallenden Vorgang angesehen; denn das Gesetz wolle eine Privilegierung der Land- und Forstwirtschaft, da die Anteilsveräußerung in § 14 EStG nicht aufgeführt sei. Schließlich weise die Gesellschaft die typischen Merkmale einer Kapitalgesellschaft auf. Die Gesellschaftsversammlung beschließe über die Verwendung der Reinerträge; die Gesellschaftsanteile seien frei veräußerlich, vererblich und verpfändbar; die Gesellschafterbeschlüsse würden mit Mehrheit gefaßt und könnten vor Gericht angefochten werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Das Finanzamt ist berechtigt, die Vorauszahlungen der Steuer anzupassen, die sich für den laufenden Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird (§ 35 Abs. 2 Satz 2 EStG). Zwar ist die in einem Vorauszahlungsverfahren getroffene Entscheidung für die endgültige Festsetzung der Steuer nicht bindend. Der Sache nach geht es jedoch bei einem Streit um Vorauszahlungen letzten Endes um eine den Grund und die Höhe der endgültigen Steuer betreffenden Frage (vgl. Urteil des erkennenden Senats IV 427/62 U vom 9. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 530, Slg. Bd. 80 S. 154). Deshalb ist über das gegen einen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid schwebende Rechtsmittel in jedem Falle sachlich zu entscheiden (vgl. das Urteil des erkennenden Senats IV 9/64 vom 14. Januar 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 S. 334). Die Auffassung der Vorinstanz, daß die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion schon deshalb zu bestätigen sei, weil sie auf einem zumindest vertretbaren Rechtsstandpunkt beruhe, ist deshalb unzutreffend. Das Finanzgericht hätte zu der sachlich-rechtlichen Frage abschließend Stellung nehmen müssen. Da die Vorentscheidung jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis zu bestätigen ist, braucht sie wegen dieses Mangels nicht aufgehoben zu werden.
Die Waldbetriebsgesellschaft ist keine Kapitalgesellschaft. Eine Kapitalgesellschaft im Sinn des § 17 EStG liegt nur vor, wenn ihre zivilrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Es muß sich um ein selbständiges Rechtssubjekt handeln. Das Gesellschaftsvermögen muß Eigentum der Gesellschaft sein; es darf bürgerlich-rechtlich nicht den Gesellschaftern zustehen. Die Waldbetriebsgesellschaft ist jedoch, wie sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, eine nicht rechtsfähige Personenvereinigung, deren Vermögen den Gesellschaftern zur gesamten Hand zusteht. Für die Anwendung des § 17 EStG ist deshalb kein Raum. Die Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns ergibt sich jedoch aus den Vorschriften der §§ 13, 14 EStG.
Zutreffend führt die Vorinstanz aus, daß die Vorschrift des § 14 EStG auch auf die Veräußerung von Anteilen an einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb anzuwenden ist. In der Entscheidung IV 214/63 U vom 27. August 1964 (BStBl 1964 III S. 627, Slg. Bd. 80 S. 425) sprach der erkennende Senat aus, daß auf die Veräußerung eines Anteils an einer Gemeinschaft, die einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Ziff. 2 EStG entsprechend anzuwenden ist. In § 14 EStG ist zwar dieser Fall nicht genannt. Wenn aber der Buchgewinn aus der Veräußerung eines solchen Anteils nicht unter § 14 EStG fiele, so läge ein tariflich nicht begünstigter Gewinn nach § 13 EStG vor. Es handelt sich deshalb bei der entsprechenden Anwendung der für gewerbliche Mitunternehmer geltenden Vorschrift des § 16 Abs. 1 Ziff. 2 in Verbindung mit der Tarifbegünstigung des § 34 EStG nicht um eine die Steuerpflicht erst begründende, sondern sie abschwächende analoge Rechtsanwendung. Die Vorschriften der §§ 13 und 14 EStG sind im Streitfall maßgebend, da es sich um die Veräußerung von Anteilen an einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb handelt. Diese Anteile sind nicht als Kapitalbeteiligung im Sinn des § 20 EStG anzusehen.
Es kann zweifelhaft sein, ob die Waldbetriebsgesellschaft auf Grund ihrer Verfassung als körperschaftsteuerpflichtiger, nichtrechtsfähiger Verein im Sinn von § 1 Abs. 1 Ziff. 5 KStG zu betrachten ist. Die Grenze zwischen einem nichtrechtsfähigen Verein und einer Personengesellschaft kann nicht eindeutig gezogen werden (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs I 61/38 vom 14. Februar 1939, RStBl 1939 S. 702; I 269/37 vom 28. Februar 1939, RStBl 1939 S. 744; I 270/37 vom 28. Februar 1939, RStBl 1939 S. 746). Im Urteil I 121/59 U vom 18. Oktober 1960 (BStBl 1960 III S. 496, Slg. Bd. 71 S. 664) sah der Bundesfinanzhof als entscheidend für die Bejahung der Körperschaftsteuerpflicht eines nichtrechtsfähigen Vereins an, daß aus praktischen Gründen der überschuß nicht unmittelbar bei den Empfängern zu erfassen war.
Bei der Waldbetriebsgesellschaft handelt es sich um einen Grenzfall. Zu ihrer rechtlichen Beurteilung braucht jedoch nicht abschließend Stellung genommen zu werden. Denn ausschlaggebend ist angesichts der Zweifelhaftigkeit der Rechtslage, daß das Finanzamt die Gesellschaft seit jeher als Personengesellschaft behandelte und die Gewinne unmittelbar bei den Gesellschaftern zur Einkommensteuer heranzog. Diese Sachbehandlung entsprach sowohl den von der Gesellschaft in den Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellungen (§ 215 Abs. 2 AO) als auch den von der Bfin. selbst bei ihren Einkommensteuerveranlagungen abgegebenen Erklärungen. Wäre die erstmals im vorliegenden Rechtsmittelverfahren vorgetragene Auffassung der Bfin., daß die Waldbetriebsgesellschaft körperschaftsteuerpflichtig sei, zutreffend, so bedeutete dies, daß die von der Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahre 1936 erzielten und ausgeschütteten Gewinne zu Unrecht nicht der Doppelbelastung durch die Körperschaftsteuer bei der Gesellschaft und durch die Einkommensteuer bei den einzelnen Gesellschaftern unterlegen hätten. Angesichts der Zweifelhaftigkeit der rechtlichen Beurteilung der Waldbetriebsgesellschaft muß die Bfin. jedoch die bislang von den Gesellschaftern zu ihrem Vorteil vertretene und von allen Beteiligten für rechtens gehaltene steuerliche Behandlung der Gesellschaft gegen sich gelten lassen.
Die Rechtsprechung hat wiederholt betont, daß die Steuerbehörden berechtigt sind, einem Steuerpflichtigen, der Jahre hindurch aus einer bestimmten steuerlichen Gestaltung einen Vorteil gehabt hat, an seinem Verhalten festzuhalten, auch wenn sich das später für ihn ungünstig auswirkt (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 454/34 vom 15. Januar 1936, RStBl 1936 S. 553; Urteile des Bundesfinanzhofs I 200/58 U vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 192, Slg. Bd. 68 S. 500; VI 343/62 S vom 8. April 1964, BStBl 1964 III S. 271, Slg. Bd. 79 S. 107). Dieser Grundsatz wirkt auch zugunsten der Steuerpflichtigen. Denn es kann umgekehrt einem Steuerpflichtigen später nicht deshalb ein steuerlicher Nachteilsausgleich versagt werden, weil die frühere, für ihn ungünstige Sachbehandlung sich nachträglich als ungesetzlich (z. B. verfassungswidrig) herausstellt. Entscheidend ist die tatsächliche Auswirkung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 22/62 U vom 8. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 94, Slg. Bd. 76 S. 262).
Es ist deshalb für die Entscheidung des Streitfalles davon auszugehen, daß die bisherige Sachbehandlung des Finanzamts, nach der die Waldbetriebsgesellschaft eine Personengesellschaft, und zwar eine landwirtschaftliche Mitunternehmerschaft (§ 215 Abs. 2 Ziff. 1 AO in Verbindung mit § 13 EStG) darstellte, maßgebend ist. Da die Bfin. sich somit nicht darauf berufen kann, daß die veräußerten Anteile als Kapitalbeteiligungen im Sinn des § 20 EStG zu behandeln seien, war der Veräußerungsgewinn nach den §§ 13 und 14 EStG in Verbindung mit § 34 EStG zur Einkommensteuer heranzuziehen.
Das Finanzgericht stellte den Streitwert - ähnlich wie bei Stundungssachen - mit einem Zehntel des Unterschiedsbetrages zwischen den ursprünglichen Vorauszahlungen für das Jahr 1961 und den sich nach der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion ergebenden Vorauszahlungen fest. Wie der erkennende Senat jedoch in dem Urteil IV 427/62 U entschied, ist Streitwert auch dann der volle Steuerbetrag, wenn es sich nur um Vorauszahlungen handelt. Das rechtfertigt sich daraus, daß der Rechtsstreit um die Vorauszahlungen letzten Endes den Grund und die Höhe der endgültigen Steuer betrifft. Der Streitwert war deshalb mit dem vollen streitigen Steuerbetrag festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 411691 |
BStBl III 1965, 554 |
BFHE 1966, 144 |
BFHE 83, 144 |
BB 1965, 1095 |
DStR 1965, 599 |