Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten; freiwilliges soziales Jahr
Leitsatz (amtlich)
Für ein Kind, das sich in einer Übergangszeit von mehr als vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres befindet, besteht während dieser Zeit kein Anspruch auf Kindergeld. Das Kind ist dabei auch nicht während der ersten vier Monate der Übergangszeit für das Kindergeld zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG 1997 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, c
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die 1979 geborene Tochter T des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) besuchte bis Ende Januar 1998 die Schule. Im August 1998 begann sie mit der Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob die Kindergeldfestsetzung für T für die Monate Februar bis Juli 1998 auf. Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 18 veröffentlichten Gründen ab, weil keiner der Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG (in der im Streitjahr 1998 gültigen Fassung ―im Folgenden: EStG) erfüllt gewesen sei.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, nach dem Sinn und Zweck des Kindergeldes sei ein Kind auch dann zu berücksichtigen, wenn es sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befinde, gleichgültig, wie lang die Übergangszeit sei. Ein freiwilliges soziales Jahr sei als Ausbildungsplatz i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG anzusehen. Dann ergebe sich der Kindergeldanspruch für T aus dieser Vorschrift.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 1998 aufzuheben und ihm für T für die Monate Februar bis Juli 1998 Kindergeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er tritt der Auffassung des Klägers entgegen, dass jede Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, ohne Rücksicht auf ihre Länge, zur Berücksichtigungsfähigkeit eines Kindes für das Kindergeld führen müsse. Auch sei die unterschiedliche Behandlung von Kindern, die auf einen Ausbildungsplatz warteten, und Kindern, die auf den Beginn eines freiwilligen sozialen Jahres warteten, nicht willkürlich.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Dem Kläger steht Kindergeld für T in der Zeit von Februar bis Juli 1998 nicht zu. Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wurde im Streitjahr 1998 für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistete (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, wurde gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG außerdem dann berücksichtigt, wenn es arbeitslos war und der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung stand. T erfüllte im streitigen Zeitraum keinen dieser Berücksichtigungstatbestände.
1. T hatte zwar das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und war in der Zeit von Februar bis Juli 1998 arbeitslos. Sie stand jedoch in diesem Zeitraum nicht der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung und kann deshalb nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG für das Kindergeld berücksichtigt werden.
2. Unstreitig absolvierte T in der Zeit von Februar bis Juli 1998 auch keine Ausbildung und leistete kein freiwilliges soziales oder freiwilliges ökologisches Jahr, so dass ihre Berücksichtigung für das Kindergeld weder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG noch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG in Betracht kommt.
3. T ist auch nicht deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, weil sie sich nach den vom FG getroffenen Feststellungen bereits um einen Platz für die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres bemüht hat. Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres ist nämlich grundsätzlich keine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge, dass das Warten auf eine Stelle für die Ableistung des freiwilligen Dienstes regelmäßig auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG begünstigt ist.
In Berufsausbildung befindet sich derjenige, der sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, 92, BStBl II 1999, 701, 703). Der Vorbereitung dienen hierbei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, m.w.N.).
Ein freiwilliges soziales Jahr ist danach grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn es dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (§ 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964, BGBl I 1964, 640). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Ableistung eines solchen freiwilligen sozialen Jahres grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt (vgl. BTDrucks IV/2138, S. 2).
Dies schließt allerdings nicht aus, dass in Einzelfällen ein solcher freiwilliger Dienst der Vorbereitung auf ein konkretes Berufsziel, z.B. den Beruf des Sozialarbeiters (BTDrucks IV/2138, S. 2), dienen kann. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen sind im Streitfall hierfür sprechende Umstände nicht ersichtlich.
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist auch nicht sinngemäß auf den Fall anwendbar, dass ein Kind auf eine Stelle zur Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres warten muss. Eine Gesetzeslücke besteht insoweit nicht. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, wertet der Gesetzgeber die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres grundsätzlich nicht als Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG.
4. T befand sich auch nicht in einer Übergangszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.
a) Hierbei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift in der vor der Einführung des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I, 2074) geltenden Fassung die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres überhaupt erfasst (so Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG― 63.3.3 Abs. 3, BStBl I 1998, 386, 389, 417; Korn/Greite, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rz. 48; Jachmann in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rdnr. C 22; a.A. Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz. 82 a; FG Berlin, Urteil vom 1. Juni 2001 10 K 10095/00, EFG 2001, 1304).
Selbst wenn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG auch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung auf eine solche Übergangszeit anzuwenden sein sollte, würde die Vorschrift im Streitfall nicht eingreifen, weil sie nur eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten begünstigt; dieser Zeitraum ist hier überschritten.
Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht. Die Gesetzesentwicklung bestätigt diese Auslegung. Durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b des Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes ―BKGG― vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1566) hat der Gesetzgeber eine § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vergleichbare Regelung (§ 2 Abs. 2 BKGG) eingeführt. In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass ein Kind, welches Übergangs- und Wartezeiten von mehr als vier Monaten zu überbrücken hat, sich darauf einstellen kann und muss, während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (BT-Drucks 9/842, S. 54).
b) Gegen diese Beschränkung der Begünstigung bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste.
Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27, und BVerfG-Beschluss vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, m.w.N.). Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist (ständige Rechtsprechung des BVerfG, BVerfG-Urteil vom 28. April 1999 1 BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59, 90, m.w.N.).
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist in erster Linie zugeschnitten auf Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Wird in einem solchen Fall die Viermonatsfrist überschritten, dann greift § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Auffangtatbestand (so zutreffend Korn/Greite, a.a.O., § 32 Rz. 50), wenn die Fristüberschreitung darauf beruht, dass das Kind sich zwar rechtzeitig und ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat, eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes aber nicht beginnen oder fortsetzen kann.
Wie der Senat im Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00 (zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, hat nämlich § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG keinen restriktiven Einfluss auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG in dem Sinn, dass auch im Rahmen der zuletzt genannten Vorschrift die Viermonatsfrist zu beachten ist.
Soweit wie im vorliegenden Streitfall § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht eingreift (siehe oben bei 3.) und daher § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht ergänzt, bestehen hiergegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber durfte bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass es regelmäßig möglich ist, innerhalb der Viermonatsfrist eine Stelle zur Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres oder vergleichbarer Dienste anzutreten. Den Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist, durfte er vernachlässigen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in einem solchen Fall, sofern die Fristüberschreitung für das Kind nicht absehbar ist und es deshalb nicht auf seine Erwerbsobliegenheit verwiesen werden kann, eine steuerliche Entlastung der Eltern im Rahmen von § 33a Abs. 1 EStG möglich ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1003713 |
BFH/NV 2003, 1641 |
BStBl II 2003, 841 |
BFHE 2004, 90 |
BFHE 203, 90 |
BB 2003, 2389 |
DB 2003, 2474 |
HFR 2004, 28 |