Leitsatz (amtlich)
Erwirtschaftet ein auf die Kostendeckung ausgerichteter Wasserbeschaffungsverband in einem oder in mehreren Wirtschaftsjahren einen Gewinn, wird solange kein Gewerbebetrieb begründet, als die Gewinne lediglich der Erhaltung und der Wiedererlangung des durch frühere Verluste verlorenen Vermögens dienen sollen.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; GewStDV § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der Gemeinde X, die ihrerseits Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Wasserbeschaffungs- und Abwasserverbandes X war. Die Aufgabe dieses Verbandes - eines Wasser- und Bodenverbandes i. S. der Ersten Verordnung über Wasser- und Bodenverbände vom 3. September 1937, RGBl 1937 I, 933 - war die Versorgung der angeschlossenen Gemeinden mit Trink- und Brauchwasser.
Der Verband, der bereits für den Veranlagungszeitraum 1967 einen Gewinn ausgewiesen hatte, erzielte in den Streitjahren 1968 bis 1971 folgende Gewinne:
1968 1969 1970 1971
16 592 DM 1 126 DM 12 001 DM 61 985 DM
In den vorausgegangenen Jahren waren nur Verluste erwirtschaftet worden. Die Handelsbilanz zum 31. Dezember 1968 weist einen Verlustvortrag in Höhe von 99 261 DM aus.
Aufgrund dieses - bei einer Betriebsprüfung festgestellten - Sachverhalts und einer erneuten Erhöhung des Wasserpreises um 20 v. H. im Jahre 1971 kam der Beklagte und Revisionskläger (FA) zu dem Ergebnis, daß der Verband seinen Betrieb mit Gewinnabsicht geführt habe und deshalb gewerbesteuerpflichtig sei. Entsprechend setzte das FA für alle Streitjahre einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge fest. Demgegenüber vertritt die Klägerin unter Hinweis auf die Satzung des Verbandes die Ansicht, daß dieser keinen Gewerbebetrieb unterhalten habe. § 28 der Satzung bestimme, daß der Verband die Einnahmen nur zur Bestreitung seiner Ausgaben verwenden dürfe.
Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Der Verband habe - mit Ausnahme eines Restbetrages im Jahre 1971 - für alle Streitjahre einen Verlustabzug in Höhe der jeweiligen Gewinne geltend machen können. § 10 a GewStG und § 10 d EstG zeigten, daß der Gesetzgeber von der Versteuerung eines Gewinns absehen wolle, wenn ein Betrieb in den Vorjahren Verluste erwirtschaftet hat.
Mit der Revision rügt das FA unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 10. Dezember 1964 I 24/63 (HFR 1965, 273) Verletzung materiellen Rechts (§ 2 Abs. 1 GewStG, § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 GewStDV).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und - sinngemäß- die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Betrieb des Verbandes unterlag nicht der Gewerbesteuer.
1. Es kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob die Versorgung der Mitgliedsgemeinden mit Wasser ein Hoheitsbetrieb i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStDV ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. März 1965 I 277/62, HFR 1965, 423). Denn die Tätigkeit der Klägerin erfüllt nicht alle Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs; es fehlt die Absicht, einen Gewinn zu erzielen.
a) Mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, wer nach Gewinn strebt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GewStDV). Gewinn ist eine - nach steuerrechtlichen Grundsätzen ermittelte - Vermögensmehrung (vgl. z. B.- für Betriebsvermögensmehrung - BFH-Urteile vom 28. Oktober 1970 I R 72/69, BFHE 101, 108, BStBl II 1971, 247; vom 7. April 1967 VI 199/65, BFHE 88, 450, BStBl III 1967, 467, und - i. S. eines allgemeinen wirtschaftlichen Vorteils - BFH-Beschluß vom 17. Januar 1972 GrS 10/70, BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700). Deshalb fehlt die Gewinnabsicht, wenn mit den Einnahmen lediglich die Selbstkosten gedeckt werden sollen (BFH-Urteile vom 27. Mai 1964 I 226/62 U, BFHE 80, 29, BStBl III 1964, 485; I R 72/69). Zur Kostendeckung gehört - neben der Erwirtschaftung der laufenden Kosten - auch die Erhaltung des der gewerblichen Tätigkeit dienenden Vermögens.
b) Zur Abgrenzung von Gewinn und Kostendeckung kann nicht uneingeschränkt -über § 7 GewStG - auf den Gewinnbegriff des § 4 Abs. 1 EStG zurückgegriffen werden. Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluß GrS 10/70 darauf hingewiesen, daß die Gewinnerzielungsabsicht mehr umfasse, als der Gewinnbegriff des § 4 Abs. 1 EStG einschließt. Das gilt insbesondere auch für den Zeitraum, auf den sich diese Absicht beziehen muß. Gewinn i. S. des § 4 Abs. 1 EStG ist die durch den Vergleich zweier aufeinanderfolgender Wirtschaftsjahre entstehende Vermögensmehrung. Gewinn i. S. von § 1 Abs. 1 GewStDV ist demgegenüber das Gesamtergebnis (Überschuß der Einnahmen über die Betriebsausgaben) des Betriebes in der Zeit von seiner Gründung bis zu seiner Liquidation. Der Betrieb muß nach seiner Wesensart und nach der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen dazu geeignet und bestimmt sein, mit Gewinn zu arbeiten (vgl. z. B. Urteil des RFH vom 14. März 1929 VI A 1473/28, RStBl 1929, 329; BFH-Urteil vom 23. Januar 1969 IV R 36/68, BFHE 95, 97, BStBl II 1969, 340); liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Betrieb keine Einkunftsquelle i. S. des EStG. Das Einkommensteuerrecht und das Gewerbesteuerrecht gehen insofern - wie sich aus der in den §§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG und 1 Abs. 1 GewStDV getroffenen Regelung ergibt (vgl. dazu z. B. BFH-Urteil vom 17. Januar 1973 I R 191/72, BFHE 108, 190, BStBl II 1973, 260) - von den gleichen Grundlagen aus.
Entsprechend diesen Grundsätzen kann bei einem auf die Erzielung von Einnahmen zur Kostendeckung angelegten Betrieb der Entschluß, in einem oder in mehreren Wirtschaftsjahren einen Gewinn i. S. des § 4 Abs. 1 EStG zu erwirtschaften, solange keinen Gewerbebetrieb begründen, als diese Gewinne lediglich der Erhaltung und der Wiedererlangung des durch vorausgehende Verluste verlorenen Vermögens dienen sollen. Die Frage, ob der in den §§ 10 a GewStG und 10 d EStG getroffenen Regelung eine zeitliche Einschränkung dieses Grundsatzes entnommen werden muß, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der in diesen Vorschriften für den Ausgleich von Verlusten bestimmte Fünfjahreszeitraum ist im Streitfall nicht überschritten.
c) Diesem Ergebnis steht das Urteil des erkennenden Senats I 24/63, nach dem ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, wenn es über einen Zeitraum von fünf Jahren erhebliche Gewinne erwirtschaftet, nicht entgegen. Die Absicht der Gewinnerzielung ist ein subjektives Tatbestandsmerkmal, auf dessen Vorliegen im allgemeinen nur aus nachweisbaren äußeren Umständen geschlossen werden kann. Zu diesen Umständen gehört auch das spätere Verhalten des Steuerpflichtigen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 7. September 1965 I 69/63 U, BFHE 83, 495, BStBl III 1965, 677). Auf den allgemeinen Erfahrungssatz, daß die Erzielung von Gewinnen beabsichtigt war, wenn solche über mehrere Wirtschaftsjahre hin tatsächlich erwirtschaftet wurden, kann ein Urteil jedoch nicht gestützt werden, wenn die Möglichkeit besteht, daß die Gewinne nur dem Ausgleich von Vermögensverlusten dienen sollen.
2. Von diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall auszugehen.
Daß der Verband im Zeitpunkt seiner Gründung nicht die Absicht hatte, Gewinne zu erzielen, ergibt sich aus § 28 der für seine Wirtschaftsführung maßgeblichen Satzung. Danach dürfen die Einnahmen nur zur Bestreitung der Ausgaben des Verbandes verwendet werden. Eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht - wie sie bei Versorgungsbetrieben nach § 1 Abs. 3 der inzwischen aufgehobenen Dritten GewStDV anzunehmen war (vgl. Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs vom 21. Januar 1950 I 17/49 S, BStBl I 1952, 237) - besteht in diesen Fällen nicht.
Mit dieser Zielsetzung steht das tatsächliche Verhalten des Verbandes und seiner Rechtsnachfolger nicht in Widerspruch. Zwar hat der Verband in den Streitjahren nicht unbeträchtliche Gewinne erwirtschaftet. Diese Gewinne führten jedoch nicht zum vollen Ausgleich des in den Handelsbilanzen ausgewiesenen Verlustvortrages, der - wie die Körperschaftsteuerveranlagungen für die Streitjahre zeigen - nicht etwa auf verdeckte Gewinnausschüttungen in früheren Jahren zurückzuführen ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Tätigkeit des Verbandes - unbeschadet der Möglichkeit, die durch frühere Verluste eingetretenen Vermögensminderungen auszugleichen und entgegen der satzungsmäßigen Verpflichtung, die Einnahmen nur zur Kostendeckung zu verwenden - künftig nicht mehr nur der Aufrechterhaltung und Sicherstellung der Wasserversorgung, sondern darüber hinaus auch der Gewinnerzielung dienen sollte. Die Erhöhung des Wasserpreises im Jahr 1971 um 20 v. H. - auf die das FA ergänzend hingewiesen hat - ist kein solcher Anhaltspunkt; Preiserhöhungen können auch zum Ausgleich gestiegener Kosten bestimmt sein. Für diese Annahme spricht im Streitfall, daß die Tätigkeit des Verbandes bereits im darauffolgenden Jahr wieder zu Verlusten geführt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 72212 |
BStBl II 1977, 250 |
BFHE 1977, 78 |