Entscheidungsstichwort (Thema)
Reinvestitionsfrist nach § 6b EStG; intertemporales Recht; Überleitungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Fristen des § 6b Abs. 3 EStG 1987 sind durch das WoBauFG vom 22. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2408, BStBl I 1989, 505) nicht auf vier bzw. sechs Jahre verlängert worden.
Normenkette
EStG 1987 § 6b Abs. 3, § 52 Abs. 1 S. 1, Abs. 9; WoBauFG
Verfahrensgang
FG München (Dok.-Nr. 0139058; EFG 1996, 1207) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) veräußerte im Jahre 1988 seinen Gastronomiebetrieb in B. Für den auf den Grund und Boden und das Gebäude entfallenden Anteil am Veräußerungsgewinn (402 277 DM) bildete er eine Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 (Fassung vom 27. Februar 1987, BGBl I 1987, 657, BStBl I 1987, 274, 288 f.). Im Jahre 1990 erwarb er einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück in H. Auf diesem Grundstück errichtete er zusammen mit der Miteigentümerin ein Hotel, mit dessen Bau im Jahre 1991 begonnen und das im Jahre 1993 fertiggestellt wurde. Die Rücklage nach § 6b EStG löste er zum 31. Dezember 1990 in Höhe der Anschaffungskosten des Grundstücksanteils von 185 000 DM und zum 31. Dezember 1991 sowie 31. Dezember 1992 in Höhe der Gebäudeherstellungskosten von 7 351 DM bzw. 11 108 DM auf.
Der Kläger nahm an, dass im Streitfall die ―gegenüber der bisherigen Regelung― verlängerte Reinvestitionsfrist des § 6b Abs. 3 EStG i.d.F. des Wohnungsbauförderungsgesetzes (WoBauFG) vom 22. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2408, BStBl I 1989, 505) gelte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) war dagegen der Auffassung, die Reinvestitionsfrist sei bereits abgelaufen, weil § 6b Abs. 3 i.d.F. des EStG 1987 anzuwenden sei. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1992 i.d.F. der Einspruchsentscheidung berücksichtigte das FA daher den vom Kläger im Jahr 1992 nach § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG vorgenommenen Abzug in Höhe von 11 108 DM nicht und setzte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 260 307 DM an (gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage in Höhe von 209 925 DM zuzüglich eines Gewinnzuschlages gemäß § 6b Abs. 7 EStG in Höhe von 50 382 DM).
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1207.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit welcher der Kläger Verletzung des materiellen Rechts rügt. Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Senatsentscheidungen vom 18. Mai 1988 X R 63/82 (BFHE 154, 241, BStBl II 1988, 967) und vom 8. Mai 1995 X B 2/95 (BFH/NV 1995, 968). Eine noch nicht abgelaufene Frist werde durch neues Recht jedenfalls dann verlängert, wenn das Überleitungsrecht keine gegenteilige Anordnung treffe. Nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 EStG sei denkbar, dass sich die gesetzliche Anordnung zum zeitlichen Anwendungsbereich auf die Überleitung des Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) beschränke und damit ihren gegenständlich begrenzten Zweck erfüllt habe. Eine spätere Fassung, zu deren zeitlichem Geltungsbereich der Gesetzgeber keine besondere Bestimmung getroffen habe, müsse nicht notwendigerweise von der bereits bestehenden Überleitungsregelung erfasst werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer für 1992 in der Weise herabzusetzen, dass die Gewinnerhöhung auf der Rechtsgrundlage des § 6b EStG rückgängig gemacht wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass im Streitfall die Vorschrift des § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG 1987 anwendbar ist. Da der Kläger nicht vor Ablauf des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs mit der Herstellung begonnen hat, kommt ein Abzug von den Herstellungskosten nicht in Betracht.
1. Nach § 6b Abs. 3 EStG können Steuerpflichtige, soweit sie einen Abzug nach Abs. 1 nicht vorgenommen haben, im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden. Hinsichtlich der ursprünglichen Reinvestitionsfrist von vier Jahren, ihrer Verlängerung auf sechs Jahre und des zeitlichen Anwendungsbereichs der entsprechenden Bestimmungen sind die folgenden Regelungen einschlägig:
a) § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG in der im Zeitpunkt der Veräußerung des Gewerbebetriebs geltenden Fassung vom 27. Februar 1987 bestimmte u.a.:
Bis zur Höhe dieser Rücklage können Steuerpflichtige ―unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen― von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Wirtschaftsgüter (u. a. Grund und Boden und Gebäude), "die in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt worden sind", im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag abziehen. Die Frist von zwei Jahren verlängert sich bei neu hergestellten Gebäuden und Schiffen auf vier Jahre, wenn mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs begonnen worden ist (§ 6b Abs. 3 Satz 3 EStG 1987). Die Rücklage ist in Höhe des abgezogenen Betrags gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 4 EStG 1987). Ist eine Rücklage am Schluss des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie nach Abs. 3 Satz 5 der Vorschrift in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen, soweit nicht ein Abzug von den Herstellungskosten u.a. von Gebäuden in Betracht kommt, mit deren Herstellung bis zu diesem Zeitpunkt begonnen worden ist; ist die Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG 1987).
b) Durch das StRG 1990 ist § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG ―korrespondierend zum Wegfall des § 6b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG (betreffend Reinvestition in Anteile an Kapitalgesellschaften)― in der Weise geändert worden, dass die Bezugnahme des § 6b Abs. 3 Satz 2 auf die Einschränkungen des "Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5" (betreffend Einschränkungen bei der Veräußerung von Grund und Boden und Gebäuden) ersetzt wurde durch "Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4". Zugleich wurden verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen des § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG novelliert: U.a. wurde die Begünstigung erweitert auf die Reinvestition in Wirtschaftsgüter, die in dem der Veräußerung vorangegangenen Wirtschaftsjahr angeschafft oder hergestellt worden sind; der Abzugsbetrag wurde von 80 auf 50 v.H. herabgesetzt.
Der bisherige Abs. 6 des § 52 EStG wurde durch den folgenden neuen Abs. 9 ersetzt (Art. 1 Nr. 73 Buchst. h StRG 1990):
"§ 6b ist erstmals auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1989 vorgenommen werden. § 6b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 und Sätze 5 und 6, Abs. 3 Satz 2 sowie Abs. 7 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 1987 ist letztmals auf Erwerbsvorgänge vor dem 1. Januar 1990 anzuwenden. § 6b ist nicht anzuwenden auf Erwerbsvorgänge nach Satz 2."
§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erhielt durch Art. 1 Nr. 73 Buchst. a StRG 1990 folgende Fassung:
"Diese Fassung des Gesetzes ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, erstmals für den Veranlagungszeitraum 1990 anzuwenden."
Zu dem gleichzeitig geänderten § 6c EStG bestimmt § 52 Abs. 9 a EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 73 Buchst. h StRG 1990:
"§ 6c ist erstmals auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1989 vorgenommen werden."
Die Reinvestitionsfrist (oben unter 1. a) wurde vom StRG 1990 nicht berührt.
c) Durch das WoBauFG wurde § 6b Abs. 3 Sätze 1 bis 3 EStG neu gefasst. Die Vorschrift erhielt die folgende Fassung:
"Soweit Steuerpflichtige den Abzug nach Absatz 1 nicht vorgenommen haben, können sie im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden. Bis zur Höhe dieser Rücklage können sie von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt worden sind, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag abziehen; bei dem Abzug gelten die Einschränkungen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 bis 5 sowie Absatz 1 Sätze 3 und 4 entsprechend. Die Frist von vier Jahren verlängert sich bei neu hergestellten Gebäuden auf sechs Jahre, wenn mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs begonnen worden ist."
Dies bewirkte ―worauf sich der Kläger beruft― eine Verlängerung der Reinvestitionsfrist bei neu hergestellten Gebäuden von vier auf sechs Jahre.
Diese Änderungsvorschrift ist am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten (Art. 17 Abs. 1 WoBauFG).
2. Der erkennende Senat hat in seinem Aussetzungsbeschluss in BFH/NV 1995, 968 ausgeführt, eine abgelaufene Frist werde ohne eine diesbezügliche ausdrückliche gesetzliche Anordnung ―selbst wenn dies verfassungsrechtlich zulässig wäre― nicht rückwirkend verlängert. Andererseits spreche viel für die Annahme, dass eine noch nicht abgelaufene Frist durch neues Recht jedenfalls dann verlängert werde, wenn das Überleitungsrecht keine gegenteilige Anordnung treffe (ausführlich zu den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Senatsurteil in BFHE 154, 241, BStBl II 1988, 967). Hiervon ausgehend hat er in Betracht gezogen, dass man sich, solange ein materiell-rechtlicher Steueranspruch noch nicht z.B. durch Ablauf einer gesetzlichen Frist inhaltlich festgelegt und damit endgültig entstanden sei, auf den Standpunkt stellen könne, ein noch nicht abgeschlossener Sachverhalt könne mit Wirkung für die Zukunft geregelt werden. Solches komme hier deswegen in Betracht, weil die infolge ungenutzten Ablaufs der Reinvestitionsfrist sich ergebende Steuer (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG) aufgrund einer auf diesen Zeitpunkt zu datierenden Gewinnerhöhung entstehe. Er sieht nunmehr in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung in den Anwendungsvorschriften des EStG 1989/1990 eine ausdrückliche Regelung, dass für Veräußerungen von Gebäuden, die bis zum 31. Dezember 1989 vorgenommen wurden, die vierjährige Reinvestitionsfrist gilt.
3. Das FG hat die Auffassung vertreten, die Anwendbarkeit des § 6b Abs. 3 EStG 1987 und die Maßgeblichkeit der vierjährigen Reinvestitionsfrist folgten für den Streitfall aus § 52 Abs. 9 Satz 1 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 73 StRG 1990. Nach dieser bei In-Kraft-Treten des WoBauFG bereits geltenden Vorschrift sei die Neufassung des § 6b EStG erstmals auf Veräußerungen nach dem 31. Dezember 1989 anzuwenden; bereits laufende Fristen würden dadurch nicht verlängert. Der Ansicht von Söffing (Deutsches Steuerrecht 1990, 227), dass für die Anwendung des § 6b Abs. 3 EStG i.d.F. des WoBauFG mangels besonderer Regelung des In-Kraft-Tretens der Vorschrift im WoBauFG die allgemeine Anwendungsbestimmung des § 52 Abs. 1 EStG gelte ("Diese Fassung des Gesetzes ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1990 anzuwenden"), sei nicht zu folgen. Mit § 52 Abs. 9 Satz 2 EStG i.d.F. des StRG 1990 habe der Gesetzgeber nur eine redaktionelle Abstimmung mit der Streichung des § 6b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG 1987 ―betreffend Reinvestition in Anteile an Kapitalgesellschaften― vornehmen wollen. Der vorliegende Fall der Reinvestition in Gebäude sei nicht Gegenstand des § 52 Abs. 9 Satz 2 EStG. Dieser aus der Entstehungsgeschichte ersichtliche Wille des Gesetzgebers finde im Wortlaut der Vorschrift hinreichend Ausdruck, weil diese allein § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG ―nicht auch die für Gebäude und Schiffe geltende Sonderregelung des Satzes 3― in Bezug nehme und die Übergangsregelung nur für Erwerbsvorgänge gelte. Der eindeutige Wortlaut der entsprechenden Regelung für § 6c EStG in § 52 Abs. 9 a EStG bestätige diese Auffassung.
Der erkennende Senat hält diese Rechtsauffassung für zutreffend. Nach § 52 Abs. 9 Satz 1 EStG i.d.F. des StRG 1990 ist die ―hinsichtlich der Verlängerung der Reinvestitionsfrist nicht einschlägige― Neufassung des § 6b durch dieses Gesetz erstmals auf nach dem 31. Dezember 1989 vorgenommene Veräußerungen anzuwenden. Für bis zu diesem Zeitpunkt getätigte Veräußerungen verblieb es bei der bisherigen Rechtslage, mithin bei der bisherigen Reinvestitionsfrist von vier Jahren. Dies folgt aus § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1990 i.d.F. des StRG 1990 i.V.m. einem Umkehrschluss aus der vorgenannten Fassung des § 52 Abs. 9 Satz 1 EStG. Der zeitliche Anwendungsbereich jedenfalls dieser Neuregelung ist folglich abhängig vom Datum der Veräußerung. Die hierdurch bewirkte Rechtslage ist auch durch das WoBauFG nicht geändert worden und gilt zur Anwendung der Neuregelungen im WoBauFG ―so auch für die Verlängerung der Reinvestitionsfrist― fort. Nach der Bestimmung des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1990 ist "diese Fassung des Gesetzes" ab dem Veranlagungszeitraum 1990 anzuwenden, "soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist". Damit wird auf die für die zeitliche Geltung des § 6b EStG einschlägige Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 9 EStG i.d.F. des StRG 1990 verwiesen, die somit unverändert weitergilt. Dem BMF ist darin zu folgen, dass das WoBauFG als "punktuelles Änderungsgesetz" die von ihm nicht geänderten materiellen Vorschriften wie auch die Anwendungsvorschriften des § 52 EStG unberührt lässt. Mithin wird die Verlängerung der Reinvestitionsfrist vom Anwendungsbereich der bereits geltenden, nach ihrem Wortlaut einschlägigen Schlussvorschrift erfasst.
4. Da die angefochtene Entscheidung diesen Rechtsgrundsätzen entspricht, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 423926 |
BFH/NV 2000, 801 |
BStBl II 2000, 290 |
BFHE 2000, 473 |
BB 2000, 1398 |
BB 2000, 762 |
DB 2000, 750 |
DStR 2000, 491 |
DStRE 2000, 395 |
DStZ 2000, 649 |
HFR 2000, 1398 |
HFR 2000, 491 |
StE 2000, 210 |