Leitsatz (amtlich)
Zur Behandlung der im Rückerstattungsverfahren geleisteten Zahlungen bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns des Rückerstattungsverpflichteten (§ 6 ff. KStG, § 4 EStG).
Normenkette
Amerik. REG; Gesetz der Militärregierung Nr. 59; EStG; KStG
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) hat im Jahre 1936 von der Firma Y. OHG, aus jüdischem Besitz, Wirtschaftsgüter zum Preise von RM 2 040 000 käuflich erworben. In dem auf Grund des amerik. Rückerstattungsgesetzes Nr. 59 eingeleiteten Verfahren hat sie sich durch Vergleich vom 27. Juli 1950 verpflichtet, DM 1 100 000 auf den geleisteten Kaufpreis nachzuzahlen. Das Grundkapital beträgt nach der DM-Eröffnungsbilanz 1950 (neben der gesetzlichen und einer freien Rücklage von insgesamt 787 461 DM) 1 950 000 DM. Das Wirtschaftsjahr läuft vom 1. Juli bis 30. Juni.
Die Stpfl. hat den Rückerstattungsverpflichtungen bilanzmäßig erstmalig dadurch Rechnung getragen, daß sie in die vorläufige Bilanz per 30. Juni 1950 auf der Aktivseite ein Restitutionskonto Y. mit DM 770 000 (entstanden aus DM 1 100 000 gekürzt um 1/3 Abschreibung auf Grund des Erlasses des Hessischen Ministers der Finanzen vom 27. Juni 1950) und auf der Passivseite eine Rückstellung von DM 1 100 000 gebildet hat. In der endgültig am 16. August 1951 genehmigten Bilanz wurde der Besitzposten gestrichen, so daß wegen der Rückerstattungsverpflichtung nur das Passivum von DM 1 100 000 verblieb. Im Ergebnis wurde also auf Grund der vorläufigen Bilanz der Gewinn um die Differenz von 1 100 000--770 000 DM, also 330 000 DM gemindert.
Das Finanzamt hat den Gewinn um diesen Betrag erhöht, weil es die Auffassung vertrat, das Ergebnis des Rückerstattungsverfahrens müsse erfolgsneutral gehalten werden, indem die DM-Eröffnungsbilanz bereits die volle Rückstellung ausweisen müsse. Die Stpfl. hat diese Auffassung bekämpft und im Berufungsverfahren begehrt, den Gewinn der Bilanz per 30. Juni 1950 nicht nur um den strittigen Betrag, sondern um die volle Nachzahlung von DM 1 100 000 zu mindern.
Auf die Berufung (Sprungberufung) hat das Finanzgericht sich der Auffassung der Stpfl. angeschlossen und die Notwendigkeit der Bildung einer Rückstellung per 21. Juni 1948 verneint. Unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags der Stpfl. hat es sodann das Veranlagungsergebnis für 1949 dahin abgeändert, daß es den Gewinn um 1/2 von DM 330 000 = DM 165 000 gekürzt hat.
Entscheidungsgründe
Hiergegen hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt.
Sie ist begründet.
Nachdem das Finanzamt den im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag, einen Teil der Nachzahlung auf Firmenwertkonto zu aktivieren, fallen gelassen hat, beschränkt sich der Streit darauf:
War die Stpfl. verpflichtet, in die DM-Eröffnungsbilanz eine Rückstellung wegen drohender Restitution aufzunehmen? Ggf. in welcher Höhe? Verneinendenfalls: Wie ist die in dem Vergleich vom 27. Juli 1950 übernommene Verpflichtung bilanzmäßig zu behandeln?
Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, daß -- auch nach Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) -- (§ 27) -- der Kaufmann verpflichtet sein kann, einer drohenden Rückerstattung durch Bildung einer Rückstellung in der DM-Eröffnungsbilanz Rechnung zu tragen. Es komme auf die Verhältnisse des Einzelfalles am Stichtag an. Auf Grund seiner Prüfung hat es sodann mit eingehender Begründung die Notwendigkeit einer Rückstellung für den 21. Juni 1948 verneint. Die Feststellungen, die das Finanzgericht getroffen und die Folgerungen, die es gezogen hat, sind nach mehrfacher Richtung so bedenklich, daß Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung zur Ergänzung der Ermittlungen erfolgen muß.
Der Senat hat zu der hinsichtlich der DM-Eröffnungsbilanz streitigen Frage in der Entscheidung I 134/52 S vom 6. Oktober 1953, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 339 Stellung genommen. In dieser Entscheidung ist auf ein Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs vom 26. Februar 1949 verwiesen, in der der Oberste Finanzgerichtshof es als unzweifelhaft bezeichnet hat, daß ein Erwerber eines Unternehmens, das aus ehemals jüdischem Besitz stamme, bereits seit Mitte 1945 der drohenden Pflicht zur Rückerstattung, wie sie sich schon in Art. I Ziff. 2 des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung ankündigte, Rechnung getragen haben würde. Der erkennende Senat hat dazu in dem Urteil I 134/52 S ausgesprochen, daß die spätere Entwicklung der Rechtsprechung in Rückerstattungssachen die Veranlagungsbehörde und die Steuergerichte nicht von der Verpflichtung befreie, im Einzelfall zu prüfen, wie ein vorsichtiger Kaufmann die Lage hinsichtlich einer etwa drohenden Rückerstattung am 21. Juni 1948 beurteilen mußte. Hieran hält der Senat fest.
Vorliegendenfalls kommt das Gesetz der amerik. Militärregierung Nr. 59, das bereits im Jahre 1947, also vor dem Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz, erlassen worden ist, in Betracht. Wenn das Finanzgericht in seinen weiteren Ausführungen seine Auffassung dahin zusammenfaßt: der vorliegende Sachverhalt zwinge jedenfalls nicht mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit zur Bildung einer Rückstellung und in solchen Fällen sei es gerechtfertigt, das Ermessen des Kaufmanns als ausschlaggebend anzusehen, so kann der Senat dem nicht folgen. Mit dieser Formulierung hebt das Finanzgericht den von ihm an die Spitze der Entscheidung gestellten Grundsatz, es könne je nach den Umständen eine Verpflichtung bestehen, in gewissem Umfange wieder auf. Ein Wahlrecht gibt es für den Steuerpflichtigen nur auf Grund des § 27 LAG. Dem kaufmännischen Ermessen des Steuerpflichtigen selbst wird man allerdings hinsichtlich des Umfangs einer als notwendig erkannten Rückstellung einen gewissen Spielraum einräumen müssen.
Es kommt nicht darauf an, wie der Steuerpflichtige subjektiv seine Situation beurteilt, wie es auch nicht notwendig ist, daß eine "jeden Zweifel ausschließende Sicherheit" besteht, sondern entscheidend ist, wie objektiv ein alle Möglichkeiten zugunsten und zuungunsten sorgfältig abwägender Kaufmann sich zur Frage der Gefährdung seines Unternehmens durch ein Rückerstattungsverfahren stellt. Eine Rückstellung muß gebildet werden, nicht erst, wenn eine Gefährdung mit Sicherheit zu erwarten ist, sondern bereits dann, wenn die Würdigung aller Umstände, hier der Umstände, die sich aus dem Besatzungsrecht zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, dem Verhalten des Rückerstattungsberechtigten, möglicherweise auch aus dem bei der Arisierung gezahlten Kaufpreis, ergeben, die Möglichkeit einer Gefährdung seines Unternehmens als gegeben erscheinen läßt. Ob in der RM-Schlußbilanz bereits eine Rückstellung gebildet war, spielt aus den Gründen des Urteils des Bundesfinanzhofs I 119/53 U vom 15. Dezember 1953, BStBl. 1954 III S. 33, keine Rolle. Auch dem § 6 des D-Markbilanzgesetzes (DMBG) kommt in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung zu, wie uberhaupt die Lage, wie sie sich für einen Betrieb wegen möglicher Demontage ergibt, nicht mit der Lage eines Rückerstattungsverpflichteten verglichen werden kann. Im Demontageverfahren zeigt sich die Gefährdung erst durch individuelle Maßnahmen, die sich gerade gegen einen bestimmten Betrieb richten. Die Gefahr der Wiederaufrollung eines Erwerbs im Arisierungsverfahren dagegen war ganz allgemein für jeden Erwerber jüdischen Eigentums in die Nähe gerückt, nachdem zuerst das Gesetz Nr. 52 und später das amerik. Rückerstattungsgesetz Nr. 59 ergangen war. Spätestens nach Erlaß dieser beiden Gesetze mußte sich jeder, der in der Zeit seit 1935 jüdisches Eigentum erworben hatte, fragen, ob nicht in seinem Fall eine Gefährdung bestehe. Darum ist es entgegen der Auffassung der Stpfl. auch unerheblich, wann der Antrag beim Zentralanmeldeamt gestellt worden ist. Die Anmeldung dort war wohl Voraussetzung für eine Durchführung der Rückerstattung in den durch das Gesetz Nr. 59 vorgeschriebenen Bahnen. Es war aber nicht ausgeschlossen, daß schon vorher ernsthafte Ansprüche inter partes geltend gemacht wurden, die nach dem Gesetz Nr. 59 durchgeführt werden konnten, wenn die Anmeldung später unter Wahrung der Frist erfolgte. Die Gegner der Stpfl. (die Rückerstattungsberechtigten) haben die Frist zur Anmeldung nicht verstreichen lassen, sondern den Antrag rechtzeitig gestellt, nachdem sie bereits lange vor dem Stichtag an die Stpfl. herangetreten waren und Bilanzabschlüsse der rückliegenden Jahre gefordert und erhalten hatten. Das Finanzgericht hat weiter zur Stützung seiner Auffassung auf das von der Stpfl. geforderte Gutachten verwiesen. Das Gutachten liegt in den Akten nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, ob es dem Finanzgericht voll inhaltlich bekannt geworden ist. Zur Bestätigung, daß die Stpfl. mit einer Rückerstattung nicht zu rechnen brauchte, kann es keinesfalls herangezogen werden. Einmal war der Gutachter notwendig an die Unterlagen gebunden, in die ihm die Firma Einsicht gewährte, und weiter konnte er ein Gutachten im Jahre 1946 nur nach der zum damaligen Zeitpunkt gegebenen Rechtslage abgeben. Das Rückerstattungsgesetz, das 1947 in Kraft trat, hätte seiner schwerwiegenden Forderungen wegen eine Ergänzung des Gutachtens erforderlich gemacht. Aus dem Umstand, daß die Stpfl. selbst sich bereits 1946 ein Gutachten erstatten ließ, geht umgekehrt hervor, daß sie schon vor dem Ergehen des Rückerstattungsgesetzes durch die Sorge vor einer Wiederaufrollung des Erwerbs aus jüdischem Besitz bedrückt war. Regelmäßig wird der Ablauf des späteren Verfahrens Schlüsse darüber erlauben, wie die Rückerstattungsverpflichteten ihre Situation beurteilt haben. In der Entscheidung I 134/52 S hat der Senat als möglicherweise bedeutsames Moment auf das Verhältnis der Nachzahlung zum Vermögen der Rückerstattungsverpflichteten hingewiesen. Auch im vorliegenden Fall ist das Verfahren durch einen Vergleich zu Ende geführt worden. Die Stpfl. hat sich, ohne es auf ein gerichtliches Verfahren ankommen zu lassen, einer Nachzahlung unterworfen, die 50 % des ursprünglichen Kaufpreises überstieg und die sie fast ihr halbes DM-Kapital (einschließlich der Rücklagen) kostete Der Umstand, daß die Stpfl. auf die von den Rückerstattungsberechtigten von Anfang an gestellte Forderung, die sie später in vollem Umfang annahm, ein Angebot auf etwa die Hälfte derselben machte (25 % der Aktien plus 300 000 DM), hätte das Finanzgericht veranlassen müssen aufzuklären, was in der Zeit vom 21. Juni 1948 bis zum Tage des Angebotes (23. April 1949) geschehen war, um sie, die am Stichtage, 21. Juni 1948, noch völlig unbesorgt gewesen sein will, zu veranlassen, von sich aus ein so bedeutendes Angebot zu machen. Nachdem vor dem 21. Juni 1948 die Vermögenskontrolle eingeleitet war, die Rückerstattungsberechtigten von dem Treuhänder Bilanzen verlangt und erhalten hatten, nachdem weiter die Aufforderung an die Rückerstattungsverpflichteten ergangen war, Vorschläge zu machen, konnte das Finanzgericht nicht zu der Feststellung gelangen, daß bis zum Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz nichts geschehen sei, was die Stpfl. hätte veranlassen müssen, mit einer Nachforderung zu rechnen. Daß sich die Rückerstattungsberechtigten, worauf das Finanzgericht hinweist, zunächst abwartend verhalten haben, besagt nichts, denn es versteht sich von selbst, daß bei dem Umfang des Objekts die Durchführung des Verfahrens jedenfalls nicht übereilt werden konnte.
Die Sache geht zur erneuten Prüfung an das Finanzgericht zurück. Gelangt das Finanzgericht unter Würdigung aller aufgezeigten Umstände zur Bejahung der Notwendigkeit einer Rückstellung auf den 21. Juni 1948, dann bleibt zu untersuchen, in welcher Höhe dieselbe gebildet werden mußte. Hierfür wird das Ergebnis des Verfahrens, der Vergleich, einen Anhalt bieten. Gelangt das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß eine Rückstellung nicht gebildet zu werden brauchte oder reicht die Rückstellung zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Vergleich nicht aus, dann ist weiter zu prüfen, wie bilanzmäßig hinsichtlich des nicht gedeckten Teils der Verpflichtung zu verfahren ist. Am Stichtag der Bilanz 1950 (30. Juni 1950) stand fest, daß die Stpfl. mit einer Nachzahlung von DM 1 100 000 rechnen mußte. Der Vergleich hat zwar erst am 27 Juli seine endgültige Form erhalten. Die Gestaltung war aber durch Austausch der Urkunden bereits vor dem 30. Juni sichergestellt. Unter diesen Umständen mußte die sich aus ihm ergebende Belastung in voller Höhe in der Bilanz per 30. Juni 1950 ausgewiesen werden. Eine Untersuchung über eine mögliche Bilanzänderung erübrigt sich. Jede Bilanz war unrichtig, die der am 30. Juni 1950 auch ziffernmäßig bereits feststehenden Verpflichtung nicht Rechnung trug. Die Ausführungen des Finanzgerichts, das einerseits die Notwendigkeit der Rückstellung auf den 21. Juni 1948 verneint, die Bilanz per 30. Juni 1950 andererseits aber ohne Ausweis der vollen Belastung für nicht zu beanstanden erklärt, sind nicht zu halten.
Fundstellen
Haufe-Index 407876 |
BStBl III 1954, 118 |
BFHE 1954, 544 |