Leitsatz (amtlich)
Bei Rechtsstreitigkeiten vor den Steuergerichten über die Gewährung von Wohnungsbauprämie ist im Fall des Obsiegens des Sparers der Anspruch auf Gewährung der Wohnungsbauprämie vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag in entsprechender Anwendung des § 155 AO a. F. zu verzinsen. An der im Urteil vom 28. Juni 1968 VI 316/65 (BFHE 93, 36, BStBl II 1968, 687) vertretenen gegenteiligen Rechtsauffassung hält der Senat nicht fest.
Normenkette
WoPG 1960 § 4 Abs. 4; AO a.F. §§ 155, 251a
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat den Antrag des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) abgelehnt, eine Wohnungsbauprämie für 1960 zu gewähren. Auf die Berufung vom 13. März 1962 sprach das FG dem Kläger die beantragte Wohnungsbauprämie zu. Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Hierauf gewährte das FA die Wohnungsbauprämie mit Verfügung vom 26. April 1965. Die Erstattung von Prozeßzinsen für die Zeit der Rechtshängigkeit des Anspruchs auf Wohnungsbauprämie (vom 13. März 1962 bis 26. April 1965) lehnte das FA ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage statt. Seine Entscheidung ist in den EFG 1969, 281 veröffentlicht. Die Vorinstanz führte im wesentlichen aus: Da die Vorschriften der AO über das Berufungsverfahren für Rechtsstreitigkeiten in Wohnungsbauprämiensachen entsprechend anzuwenden seien (§ 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG 1960), gelte auch § 155 AO a. F. in Verbindung mit § 5 StSäumG entsprechend. Dies folge aus dem engen Zusammenhang des § 155 AO a. F. mit dem gerichtlichen Verfahren. Komme § 155 AO a. F. nicht zur Anwendung, so sei der Zinsanspruch des Klägers nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts begründet (Urteil des BVerwG vom 7. Juni 1958 V C 272/57, NJW 1958, 1744). Danach sei der Schuldner für die Zeit der Rechtshängigkeit verpflichtet, Prozeßzinsen zu bezahlen. Dies entspreche dem allgemeinen - auch für das öffentliche Recht geltenden - Grundsatz des § 291 BGB. Das FG hat die Revision zugelassen, weil es von der Entscheidung des Senats vom 28. Juni 1968 VI 316/65 (BFHE 93, 36, BStBl II 1968, 687) abgewichen ist.
Mit der Revision rügt das FA einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 155 AO a. F. in Verbindung mit § 5 StSäumG und § 291 BGB. § 155 AO a. F. sei nicht anzuwenden, da das Wohnungsbau-Prämiengesetz kein Steuergesetz sei. Eine sinngemäße Anwendung des § 155 AO a. F. scheide aus, da § 4 Abs. 3 und 4 WoPG nicht auf den § 155 AO a. F. verweise und einer analogen Anwendung dieser Vorschrift die Rechtsnatur des Wohnungsbau-Prämiengesetzes entgegenstehe. Die Entscheidung des FG lasse sich auch nicht auf den Rechtsgedanken des § 291 BGB stützen. Anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht regelten die §§ 155 und 251a AO a. F. ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen im Steuerrecht Prozeßzinsen zu zahlen seien. Bei freiwilligen Subventionsleistungen des Staates sei es nicht gerechtfertigt, in sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB Prozeßzinsen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu gewähren.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Senat hat im Urteil VI 316/65 entschieden, daß bei Rechtsstreitigkeiten über die Gewährung von Wohnungsbauprämie und deren Rückforderung ein Anspruch auf Prozeßzinsen im Sinne von §§ 155 und 251a AO a. F., §§ 111 und 112 FGO nicht gegeben sei. Der Senat hat unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 25. November 1966 VI 317/65 (BFHE 88, 36, BStBl III 1967, 299) ausgeführt, zwischen den Steuer-, Erstattungs- und Vergütungsansprüchen einerseits und dem Anspruch auf Wohnungsbauprämie andererseits bestehe ein grundlegender Unterschied. Während Steueransprüche in das Vermögen des Steuerbürgers eingriffen, handele es sich bei den Wohnungsbauprämien um eine Vergünstigung, die der Staat dem Bürger freiwillig als Belohnung für dessen Sparen gewähre. Nach den §§ 4 Abs. 3 und 4, 5 Abs. 4 WoPG seien die Vorschriften der Reichsabgabenordnung und ihrer Nebengesetze nur insoweit entsprechend anwendbar, als es um die Gewährung der Wohnungsbauprämie, das Rechtsmittelverfahren sowie um die Festsetzung und Beitreibung der zurückzuzahlenden Prämie gehe. Ein Anspruch auf Prozeßzinsen lasse sich jedoch hieraus nicht herleiten. Dies erscheine auch sachgerecht. Es sei zu beachten, daß diese Regelung sich nicht nur zuungunsten des Sparers auswirke. Denn der Steuerbürger sei auch nicht zur Zahlung von Aussetzungszinsen (§ 251a AO a. F., § 112 FGO) verpflichtet. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest.
Ein Anspruch auf Prozeßzinsen in Rechtsstreitigkeiten über Wohnungsbauprämie läßt sich aus § 155 AO a. F. nicht unmittelbar begründen. § 155 Abs. 1 AO a. F. sieht lediglich eine Verzinsung von zu hoch festgesetzten und entrichteten Steuer schulden vor; § 155 Abs. 3 AO a. F. erstreckt diese Regelung auf Vergütungsansprüche. § 155 AO a. F. begründet indes keine generelle Verzinsungspflicht für alle Rechtsstreitigkeiten vor dem FG. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang des § 155 AO a. F. mit § 4 StSäumG, der erkennen läßt, daß Steuer-, Erstattungs- und Vergütungsansprüche sowie Ansprüche auf Rückzahlung hinterlegter Gelder nur verzinst werden, wenn dies in den Steuergesetzen vorgeschrieben ist (vgl. das BFH-Urteil vom 29. Juni 1971 VII K 31/67, BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740 für den im wesentlichen inhaltsgleichen § 111 FGO).
Auch das Wohnungsbau-Prämiengesetz enthält keine ausdrückliche Vorschrift über die Verzinsung rechtshängiger Ansprüche auf Wohnungsbauprämie. Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 WoPG finden bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung der Wohnungsbauprämie die Vorschriften der Reichsabgabenordnung entsprechende Anwendung. Nach § 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG sind für die Anfechtung von Bescheiden über die Gewährung von Wohnungsbauprämie die Vorschriften über das Berufungsverfahren entsprechend anwendbar. Diese Verweisung des Wohnungsbau-Prämiengesetzes auf die Vorschriften über das Berufungsverfahren schließt die Regelung der Reichsabgabenordnung a. F. über die Gewährung von Prozeßzinsen (§§ 155, 251a AO a. F.) mit ein. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich zwar nicht um Verfahrensvorschriften; denn die §§ 155, 251a AO a. F. gewähren einen Anspruch auf Prozeßzinsen und haben damit einen materiell-rechtlichen Inhalt. Dieser Zinsanspruch ist jedoch ausschließlich Ausfluß des Prozeßrechtsverhältnisses und damit eine Rechtsfolge des Berufungsverfahrens, auf das § 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG ausdrücklich und umfassend verweist. Wegen dieses engen und unmittelbaren Zusammenhangs der §§ 155 und 251a AO a. F. mit dem Berufungsverfahren ist davon auszugehen, daß die Verweisung des § 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG die Regelung über die Prozeßzinsen mitumfaßt. Diese Auffassung wird - jedenfalls für § 251a AO a. F. - durch die systematische Stellung dieser Vorschrift bestätigt. § 251a AO a. F. steht in den "Allgemeinen Vorschriften über das Verfahren", die auch für das Berufungsverfahren anzuwenden sind. Damit gehört diese Vorschrift auch nach ihrer systematischen Stellung zu den nach § 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG anzuwendenden Vorschriften der AO. Danach muß ein Sparer, der auf Rückzahlung einer zu Unrecht gewährten Prämie in Anspruch genommen wird, während der Aussetzung der Vollziehung nach § 251a AO a. F. zinsen entrichten. Nach Auffassung des Senats darf indes der Anspruch des Sparers auf Gewährung einer Wohnungsbauprämie hinsichtlich der Verzinsung nicht anders behandelt werden als der Anspruch des Staates auf Rückzahlung einer zu Unrecht gewährten Wohnungsbauprämie. Diese Auffassung findet eine Bestätigung darin, daß die §§ 155 und 251a AO a. F. bei Schaffung der FGO in diese übernommen wurden. Umfaßt indes die Verweisung des § 4 Abs. 4 Satz 3 WoPG auch die Rechtsfolge des § 155 AO a. F., so steht dessen Anwendung auf rechtshängige Ansprüche auf Wohnungsbauprämie nicht entgegen, daß § 155 AO a. F. nur die Verzinsung von zuviel entrichteten Beträgen aus Steuerschulden und von Vergütungsansprüchen regelt. Das WoPG selbst erstreckt den Regelungsbereich des § 155 AO a. F. auf die Ansprüche auf Gewährung von Wohnungsbauprämie, so daß der Gewährung von Prozeßzinsen in Wohnungsbauprämiensachen § 4 StSäumG nicht entgegenstehen kann. Dem entspricht auch die Neuregelung in § 8a Satz 1 WoPG in der Fassung des § 163 FGO. Diese Vorschrift, die in Prämiensachen schlechthin den Finanzrechtsweg für gegeben erklärt, nimmt die gesamte FGO und damit auch die §§ 111, 112 FGO in Bezug.
Maßgebender Gesichtspunkt für die Entscheidung VI 316/65, Prozeßzinsen in Wohnungsbauprämiensachen zu versagen, war, daß es sich bei den Wohnungsbauprämien um freiwillige Subventionsleistungen des Staates handle. Der Unterschied zwischen den Ansprüchen des Bürgers auf Leistungen dieser Art und den sich aus den Steuergesetzen ergebenden Ansprüchen verbiete, § 155 AO a. F. auf die Ansprüche auf Gewährung von Wohnungsbauprämie entsprechend anzuwenden. Indes ist zu beachten, daß es häufig allein eine Frage der gesetzestechnischen Durchführung ist, ob eine staatliche Förderung in Form von Steuervergünstigungen gewährt wird und sich somit in einer Verminderung der Steuerlast auswirkt oder ob besondere Leistungen - etwa Prämien - gewährt werden. So können die Steuerbürger die nach § 2 WoPG prämienbegünstigten Aufwendungen als Sonderausgaben geltend machen oder eine Wohnungsbauprämie beanspruchen (§ 8 Abs. 1 WoPG). Übt ein Sparer sein Wahlrecht dahin aus, daß er eine Wohnungsbauprämie beantragt, so hat er - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung der Wohnungsbauprämie - einen Rechtsanspruch auf deren Gewährung. Es erscheint nicht gerechtfertigt, in diesem Fall Prozeßzinsen im Hinblick auf den Charakter der Wohnungsbauprämie als Förderungsmaßnahme zu versagen, Prozeßzinsen jedoch dann zu gewähren, wenn der Sparer seine prämienbegünstigten Aufwendungen (§ 2 WoPG) als Sonderausgaben geltend macht (§ 8 Abs. 1 WoPG). Eine solche unterschiedliche Behandlung von prämienbegünstigten Aufwendungen je nachdem, ob Sonderausgaben geltend gemacht oder Wohnungsbauprämie beantragt werden, würde die wirtschaftlich schwächeren Sparer, die in besonderem Maße Wohnungsbauprämie beantragen, ungerechtfertigt schlechterstellen.
Für die hier vertretene Affassung spricht auch, daß § 155 Abs. 3 AO a. F. Prozeßzinsen auch bei Vergütungsansprüchen gewährt. Die sinngemäße Anwendung des § 155 Abs. 1 und 2 AO a. F. auf Vergütungsansprüche läßt erkennen, daß der Anspruch auf Prozeßzinsen nicht auf die Eingriffsverwaltung beschränkt ist, sondern auch dann in Betracht kommt, wenn Leistungen des Staates streitig sind, auf die der Bürger einen Rechtsanspruch hat. Da der Sparer, der für seine prämienbegünstigten Aufwendungen eine Wohnungsbauprämie beantragt, auf die Prämie einen Rechts anspruch hat, ist die Rechtslage hier im Grunde nicht anders als bei einem Anspruch auf Vergütung. Eine Versagung des Zinsanspruchs aus dem Charakter der Wohnungsbauprämie als subventionsartiger Leistung des Staates erscheint daher auch aus diesem Grund nicht gerechtfertigt.
Da das FG dem Kläger die Prozeßzinsen zu Recht zuerkannt hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 70449 |
BStBl II 1973, 550 |
BFHE 1973, 161 |