Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindende Auskunft
Leitsatz (NV)
1. Eine Auskunft bindet das Finanzamt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur, wenn der Steuerpflichtige den Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten objektiv richtig und vollständig dargestellt hat.
2. Entstehen Zweifel, wie diese Sachverhaltsdarstellung zu verstehen ist, gehen diese zu Lasten des Steuerpflichtigen. Entsprechendes gilt, wenn der Sachverhaltsdarstellung ein Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen zugrundeliegt.
3. Eine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung besteht für das Finanzamt jedenfalls im Rahmen des gesetzlich ungeregelten Auskunftsersuchens nicht.
Normenkette
BGB § 242
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der F-GmbH. Ihr Wirtschaftsjahr läuft jeweils vom 1. Dezember bis 30. November. Die F-GmbH hatte anläßlich eines Grundstücksverkaufs im Wirtschaftsjahr 1978/79 eine 6b-Rücklage gebildet, die in der Bilanz der Klägerin zum 30. November 1981 noch mit 1733133 DM und in der Bilanz zum 30. November 1982 mit 1727534 DM ausgewiesen war.
Mit Schreiben vom 3. November 1981 richtete die Klägerin an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) ein Auskunftsersuchen, in dem sie u.a. auf den Ablauf der Frist für die Übertragung der Rücklage zum 30. November 1981 hinwies und die Absicht kundtat, ein Gelände mit Baulichkeiten von D zu erwerben. Außerdem trug sie vor:
Es wird sofort begonnen, die vorhandenen Bauten durch umfangreiche Umbauten und Ausbauten für unseren Betriebszweck brauchbar zu machen. Die Herstellungskosten für diesen Umbau bzw. Erweiterungsbau werden ca. DM 1 Mio betragen. Die Mittel der 6b-Rücklage sollen auf dieses Objekt übertragen werden. Bitte bestätigen Sie unsere Rechtsauffassung, daß für diesen Fall der Erweiterung bzw. Umbau die Zweijahresfrist sich auf vier Jahre verlängert.
Die Klägerin gab auf Rückfrage des FA weitere telefonische Auskünfte, über die in den Steuerakten u.a. vermerkt wurde:
Neue Halle 1500000 bis 1050000; ... Abriß S-Gebäude, neuer Bürotrakt, Umbau Produktionshalle in Lagerhalle; Wie schon aus der Höhe der Umbaukosten hervorgeht, sollen die Neuteile den umgebauten Gebäuden das Gepräge geben. Die Neubauteile sollen größen- und wertmäßig die Altbauteile bei weitem übersteigen.
Unter Darlegung des telefonisch ergänzten Sachverhalts und der Problematik von Herstellungskosten bei Um- und Ausbauten teilte das FA mit Schreiben vom 16. November 1981 der Klägerin mit:
Nach dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt scheinen die Voraussetzungen erfüllt zu sein. Hiernach bestehen gegen Ihre Rechtsauffassung - daß sich der Rücklagezeitraum auf vier Jahre verlängert - keine Bedenken.
Die von mir erteilte Auskunft berücksichtigt den zu Anfang geschilderten Sachverhalt. Diese Auskunft ergeht vorbehaltlich einer Änderung der Rechtsprechung, anders lautender Anweisungen vorgesetzter Dienststellen und Feststellungen eines anderen Sachverhalts (z.B. durch die Betriebsprüfung).
Mit Vertrag vom 27. November 1981 erwarb die Klägerin das bebaute Grundstück von D. Der Besitzwechsel erfolgte am selben Tag. Noch im November 1981 wurde ein freistehender Vorbau auf dem Grundstück zur Schaffung von Zufahrtswegen abgerissen (Kosten: 4294 DM). Ein Architekt legte am 17. November 1981 eine siebenseitige Stellungnahme über die mögliche Nutzbarkeit des Anwesens vor.
Antrag auf Bebauung des Grundstücks wurde am 30. Dezember 1982 gestellt unter Beifügung von Plänen, die vom 14./15. Juli 1982 datierten. Die Baugenehmigung wurde am 12. September 1983 erteilt. Angebote wurden von den Handwerkern im 2. Halbjahr 1982 abgegeben. Die Arbeiten für die Einrichtung der Baustelle wurden im Dezember 1982 ausgeführt. Die Kosten für die durchgeführten Baumaßnahmen beliefen sich insgesamt auf 888609 DM.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, daß die Rücklagefrist nur zwei Jahre betrage, und erließ entsprechende Körperschaftsteueränderungsbescheide für 1981 und 1982. Die Umbaumaßnahmen seien entgegen der Behauptung der Klägerin im Auskunftsersuchen nicht vor dem 30. November 1981 begonnen worden.
Die Klägerin erhob Klage und hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) zum 30. November 1981 und 30. November 1982 die Bildung einer Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von jeweils 1050000 DM zuließ. Das FA sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an die von ihm im Schreiben vom 16. November 1981 erteilte Auskunft gebunden.
Das FA beantragt mit der Revision, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt Verstoß gegen § 6b EStG und die Grundsätze von Treu und Glauben.
Die Klägerin stellt den Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG war aufzuheben. Die Sache war zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FA ist aufgrund seines Auskunftsschreibens vom 16. November 1981 nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, bei der Veranlagung zugunsten der Klägerin von einem vierjährigen Übertragungszeitraum auszugehen.
Voraussetzung für eine nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bindende Auskunft des FA ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) insbesondere, daß der vom Auskunftssuchenden mitgeteilte und für die Besteuerung maßgebliche Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten objektiv richtig und vollständig dargestellt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; vom 27. Juli 1988 I R 68/84, BFHE 154, 316, BStBl II 1989, 57; vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274). Aufgrund der Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß es im Streitfall daran fehlt.
a) Welcher Sachverhalt wesentlich ist, ergibt sich aus den Tatbestandsmerkmalen der Norm, deren Anwendung im Rahmen des Auskunftsersuchens geklärt werden soll, hier des § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG. Wesentlich ist danach, daß mit der Herstellung eines neuen Gebäudes vor Ablauf der zweijährigen Reinvestitionsfrist begonnen wird. Der rechtzeitige Beginn von Maßnahmen für den Umbau, für die Erweiterung oder den Ausbau von Gebäuden i.S. des § 6b Abs. 1 Satz 3 EStG genügt grundsätzlich nicht.
b) Der Inhalt der Sachverhaltsdarstellung des Auskunftsuchenden bestimmt sich entsprechend dem in § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Willenserklärung verankerten, allgemein gültigen Grundsatz danach, wie der Erklärungsempfänger, hier die Finanzbehörde, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte diese verstehen mußte (vgl. auch BFH in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274). Entstehen Zweifel, wie der seinerzeit vorgetragene Sachverhalt zu verstehen ist, so gehen diese zu Lasten desjenigen, der sich auf die verbindliche Zusage beruft (BFH in BFHE 154, 316, BStBl II 1989, 57). Eine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung besteht für das FA jedenfalls im Rahmen des gesetzlich ungeregelten Auskunftsersuchens grundsätzlich nicht. Der Senat stimmt insoweit dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 24. Juni 1987 IV A 5 - S 0430 - 9/87 (BStBl I 1987, 474; vgl. auch BFH in BFHE 154, 316, BStBl II 1989, 57) zu. Da der Grundsatz von Treu und Glauben für den Steuerpflichtigen und die Finanzbehörde gleichermaßen gilt (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1972 I R 224/70, BFHE 107, 343, BStBl II 1973, 87 m.w.N.), kann sich der Auskunftssuchende seiner Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Darstellung des Sachverhalts nicht dadurch entziehen, daß er auf den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 88 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) verweist. Im übrigen gilt hier der Grundsatz, daß die Finanzbehörde regelmäßig den Angaben des Steuerpflichtigen Glauben schenken darf (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. Juli 1978 VIII R 120/75, BFHE 125, 488, BStBl II 1979, 57). Auch wenn der Sachverhaltsdarstellung des Steuerpflichtigen ein Rechtsirrtum zugrunde liegt, ist dies nach den Grundsätzen von Treu und Glauben seiner Verantwortungssphäre und nicht der des FA und damit letztlich der der Allgemeinheit zuzuweisen. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Finanzbehörde auf erkennbare Rechtsirrtümer des Steuerpflichtigen im Rahmen eines Auskunftsersuchens hinzuweisen hat und welche Folgen sich aus der Unterlassung von Hinweispflichten ergeben. Dem Auskunftsersuchen und den telefonischen Auskünften der Klägerin läßt sich ein offenbarer Rechtsirrtum nicht entnehmen. Auch das Risiko, daß der dem FA geschilderte und der Auskunft zugrunde gelegte Sachverhalt, aus welchen Gründen auch immer, tatsächlich vom Steuerpflichtigen nicht verwirklicht werden kann, trägt der Auskunftssuchende. So war z.B. das FA im Streitfall nicht verpflichtet zu überprüfen, ob aus planerischen, technischen u. ä. Gründen der Bau eines neuen Gebäudes noch vor dem entscheidenden Bilanzstichtag von der Klägerin begonnen werden konnte. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn der rechtzeitige Beginn eines neuen Gebäudes erkennbar ausgeschlossen ist, kann dahingestellt bleiben, da der Abriß eines Gebäudes als Beginn eines neuen Gebäudes angesehen werden kann (vgl. BFH in BFHE 138, 63, BStBl II 1983, 451; in BFHE 142, 477, BStBl II 1985, 208; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6b EStG Anm. 243).
c) Das FG durfte danach von einer bindenden Auskunft nur ausgehen, wenn es festgestellt hätte, daß der verwirklichte Sachverhalt objektiv mit dem im Auskunftsersuchen dargestellten tatsächlich übereinstimmt. Das hat es nicht getan. Nach den Feststellungen des FG kann auch der Senat nicht davon ausgehen, daß der vorgetragene dem verwirklichten Sachverhalt entspricht. Danach wurde bis zum Ablauf der Reinvestitionsfrist lediglich ein freistehender Vorbau abgerissen, an dessen Stelle unstreitig kein neues Gebäude errichtet wurde, und eine Stellungnahme eines Architekten zur möglichen Nutzbarkeit des Anwesens erstellt. Diese wenigen Maßnahmen entsprechen nicht den Darlegungen der Klägerin im Schreiben vom 3. November 1981, wonach sofort begonnen werden sollte, die vorhandenen Bauten durch umfangreiche Umbauten und Ausbauten nutzbar zu machen. Diese Darstellung hat die Klägerin auch in ihren telefonischen Auskünften nicht eingeschränkt.
Da somit eine Bindung des FA an die erteilte Auskunft nicht besteht, kann der Senat offenlassen, ob die Auskunft überhaupt für das Entstehen der Steuerschuld ursächlich war (vgl. dazu BFH-Urteil vom 9. Mai 1967 II 176/63, BFHE 89, 20, BStBl III 1967, 522).
2. Die Sache ist jedoch zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen, da sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht entscheiden läßt, ob die Klägerin bereits vor Ablauf der zweijährigen Reinvestitionsfrist des § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG mit der Herstellung eines neuen Gebäudes auf dem erworbenen Grundstück begonnen hat.
Das FG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - offengelassen, ob die von der Klägerin bis zum Ablauf des 30. November 1981 durchgeführten Baumaßnahmen - insbesondere der Abbruch des alten Vorgebäudes - schon als Beginn der Herstellung der Lagerhalle zu beurteilen sind. Es wird noch aufzuklären haben, ob im Hinblick auf die bei Ablauf der Reinvestitionsfrist bestehenden konkreten (Um-)Baupläne der Klägerin die vor dem 1. Dezember 1981 durchgeführten Baumaßnahmen schon als Beginn der Herstellung des Lagergebäudes anzusehen sind.
Fundstellen
Haufe-Index 419841 |
BFH/NV 1994, 838 |