Entscheidungsstichwort (Thema)
Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren - Grunderwerbsteuer: 7/10-Fiktion i.S. des § 114a ZVG Gegenleistung, unabhängig von tatsächlicher Zuschlagerteilung an Meistbietenden
Leitsatz (amtlich)
Beim Grundstückserwerb durch Abgabe des Meistgebots gehört der Betrag, in dessen Höhe der Gläubiger nach § 114a ZVG als befriedigt gilt, auch dann zur Gegenleistung, wenn dem Meistbietenden selbst der Zuschlag nicht erteilt wird (Anschluß an BFH-Urteil vom 15. November 1989 II R 71/88, BFHE 159, 241, BStBl II 1990, 228).
Orientierungssatz
1. Die Abgabe eines Meistgebots im Zwangsversteigerungsverfahren ist ein grunderwerbsteuerpflichtiger Vorgang unabhängig davon, ob es überhaupt und ggf. an wen zum Zuschlag kommt oder auf welche Motive der Erwerb zurückzuführen ist.
2. Die Befriedigungsfiktion des § 114a ZVG findet zivilrechtlich auch dann Anwendung, wenn der meistbietende Berechtigte die Rechte aus dem Meistgebot auf einen Dritten überträgt und diesem der Zuschlag erteilt wird (vgl. BGH-Urteil vom 6.7.1989 IX ZR 4/89).
Normenkette
GrEStG 1983 § 9 Abs. 1 Nr. 4, § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 9 Abs. 2 Nr. 1; ZVG § 114a
Tatbestand
I. Auf Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde für ein in Hamburg belegenes Grundstück die Zwangsversteigerung durch Beschluß des Amtsgerichts vom 25. September 1985 angeordnet. Durch Beschluß des Gerichts vom 20. März 1987 wurde der Verkehrswert des Grundstücks auf 222 000 DM festgesetzt. Im Versteigerungstermin am 28. August 1987 gab die Klägerin mit 130 000 DM das Meistgebot ab. Am 16. September 1987 trat die Klägerin die Rechte aus dem Meistgebot je zur ideellen Hälfte an ein Ehepaar ab. Diesem wurde durch Beschluß des Amtsgerichts vom 18. September 1987 der Zuschlag erteilt. Es blieben keine in Abteilung II und III des Grundbuchs eingetragenen Belastungen bestehen. Bei der Verteilung des Erlöses fiel die Klägerin mit Grundschulden über 280 000 DM nebst Zinsen aus. Die persönliche Forderung der Klägerin gegen die ehemalige Grundstückseigentümerin überstieg die 7/10-Verkehrswertgrenze. Im Zeitpunkt der Abgabe des Meistgebots war die Forderung der Klägerin gegen die damalige Grundstückseigentümerin höher als das abgegebene Meistgebot einschließlich der von den Eheleuten an die Klägerin geleisteten Zuzahlung in Höhe von 45 000 DM.
Für die Abgabe des Meistgebots setzte das beklagte Finanzamt (FA) durch Bescheid vom 29. Oktober 1987 Grunderwerbsteuer in Höhe von 3 500 DM gegen die Klägerin fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch der Klägerin, mit dem diese eine Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf 2 600 DM (= 2 v.H. vom Meistgebot in Höhe von 130 000 DM) begehrte. Durch Einspruchsentscheidung vom 8. September 1988 setzte das FA die Grunderwerbsteuer auf 3 108 DM (= 2 v.H. von 155 400 DM = 7/10 von 222 000 DM) herab. Im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen richtete sich die Klage. Die Klageschrift enthielt einen Klageantrag, der sinngemäß auf die Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf 2 600 DM gerichtet war. Die Klägerin machte (zunächst) weiter geltend, daß Bemessungsgrundlage allein das Meistgebot in Höhe von 130 000 DM sein könne. Für die Erhöhung der grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung auf 7/10 des Verkehrswerts könne sich das FA nicht auf die Befriedigungsfiktion des § 114a des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) stützen.
Während des Klageverfahrens erweiterte die Klägerin ihr Vorbringen dahingehend, daß sie trotz der Abgabe des Meistgebots keinen eigenständigen Erwerbsvorgang verwirklicht habe. Bei verfassungskonformer Auslegung des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) liege im Falle der Abgabe des Meistgebots durch die das Zwangsversteigerungsverfahren betreibende Gläubigerin mit anschließender Abtretung der Rechte aus dem Meistgebot ein einheitlicher Erwerbsvorgang vor. Erwerber seien allein die Eheleute, denen der Zuschlag erteilt worden sei. Die mit der Vorgehensweise des FA verbundene (teilweise) Doppelbesteuerung sei mit dem Ziel des GrEStG, den Wert der Gegenleistung beim Grundstückserwerber zu erfassen, nicht vereinbar. Sie beantragte deshalb nunmehr, den Grunderwerbsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Steuer auf 0 DM festzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der "ersten 2 600 DM" der angegriffenen Steuerfestsetzung sei die Erweiterung des Klageantrags als solche rechtlich zwar nicht zu beanstanden, sie stelle nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 264 Nr.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) keine Klageänderung dar. Die Klage sei insoweit jedoch unzulässig. Die Klägerin habe die Klagefrist nur für einen Teil des angegriffenen Steuerbescheids gewahrt. Zwar vertrete der Bundesfinanzhof --BFH-- (Beschluß des Großen Senats vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) für das Einkommensteuerrecht die Auffassung, es sei auch im Falle der Angabe eines bestimmten Teilbetrags in der Klage regelmäßig davon auszugehen, daß der betreffende Kläger sich nicht auf eine Teilanfechtung des Bescheids beschränken, ihn vielmehr vollen Umfangs angreifen wolle. Die vom BFH angeführten Besonderheiten des Einkommensteuerrechts weise das Grunderwerbsteuerrecht jedoch nicht auf. Im übrigen sei die Klage unbegründet. Mit der Abgabe des Meistgebots habe die Klägerin einen eigenständigen nach § 1 Abs.1 Nr.4 GrEStG 1983 steuerbaren Erwerbsvorgang verwirklicht. Das FA habe die Grunderwerbsteuer dafür zu Recht nach einer Gegenleistung von 155 400 DM bemessen. Als zusätzliche Leistung sei gemäß § 9 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 neben dem Meistgebot ein Betrag von 25 400 DM zu berücksichtigen. In dieser Höhe greife die sog. erweiterte Befriedigungswirkung des § 114a ZVG ein. Die Vorschrift des § 114a ZVG finde auch zu Lasten des zur Befriedigung aus dem Grundstück berechtigten Meistbietenden Anwendung, wenn er das Recht aus dem Meistgebot abgetreten habe und der Zuschlag einem anderen erteilt werde.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Diese rügt sinngemäß Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Grunderwerbsteuer unter Abänderung des Grunderwerbsteuerbescheids und der Einspruchsentscheidung auf 0 DM festzusetzen. Entgegen der Auffassung des FG sei der in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 1990 gestellte (erweiterte) Klageantrag in vollem Umfang zulässig. Es liege ein alleiniger Erwerbsvorgang ausschließlich in der Erteilung des Zuschlags an die Eheleute vor. Die Festsetzung der Grunderwerbsteuer sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber den Erwerbern des Grundstücks (den Eheleuten) widerspreche den Wertungen des GrEStG 1983. Im übrigen sei die festgesetzte Grunderwerbsteuer auch der Höhe nach unrichtig. Die Befriedigung der Klägerin bis zum 7/10-Wert sei erst durch den Zuschlag für die Eheleute eingetreten. Im Zeitpunkt des Zuschlags sei der erste grunderwerbsteuerrechtliche Tatbestand aber bereits abgeschlossen gewesen. Auf ihn könne der zweite grunderwerbsteuerrechtliche Tatbestand nicht mehr einwirken.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Zu Recht hat das FG die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung dem Grunde und der Höhe nach bestätigt.
a) Durch die Abgabe des Meistgebots im Zwangsversteigerungsverfahren über das Grundstück hat die Klägerin den Tatbestand des § 1 Abs.1 Nr.4 GrEStG 1983 erfüllt. Die Tatsache, daß in der Folge aufgrund der Abtretung der Rechte aus dem Meistgebot durch die Klägerin nicht ihr, sondern Dritten der Zuschlag erteilt wurde, beseitigt die einmal eingetretene Tatbestandsmäßigkeit der Abgabe des Meistgebots nicht. Der grundsätzlich besteuerungswürdige Übergang des Eigentums im Zwangsversteigerungsverfahren wird grunderwerbsteuerrechtlich bereits beim Meistgebot erfaßt. Der erst nach dessen Abgabe aufgrund des Zuschlags erfolgte Übergang des Eigentums am Grundstück unterliegt folgerichtig dann nicht der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs.1 Nr.3 Satz 2 Buchst.c GrEStG 1983). Die rechtstechnische Anknüpfung des Tatbestands an das Meistgebot hat notwendig zur Folge, daß der weitere Verlauf des Zwangsversteigerungsverfahrens keinen Einfluß mehr hat auf den einmal verwirklichten Steuertatbestand. Ob es überhaupt zum Zuschlag kommt oder ggf. an wen, beeinflußt die einmal entstandene Steuerpflicht grundsätzlich nicht. Dies entspricht der Regelung des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG 1983 für den rechtsgeschäftlichen Kauf eines Grundstücks. Auch hier knüpft der Tatbestand bereits an die schuldrechtliche Begründung eines Anspruchs auf Übereignung an, für die Besteuerung ist es dann grundsätzlich gleichgültig, ob dieser schuldrechtliche Anspruch auch erfüllt wird. Für Härten, die sich aus der Struktur des GrEStG ergeben, hat der Gesetzgeber allein die Regelung des § 16 GrEStG 1983 als Korrektur vorgesehen, deren Voraussetzungen im Streitfall jedoch nicht erfüllt sind.
Der Tatbestand des § 1 Abs.1 Nr.4 GrEStG 1983 wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß durch die Abtretung der Rechte aus dem Meistgebot an die Eheleute nach § 1 Abs.1 Nr.5 GrEStG 1983 ein weiterer grunderwerbsteuerrechtlicher Tatbestand erfüllt wurde. Auch dies entspricht der Systematik des Gesetzes. Aufgrund des Meistgebots hatte die Klägerin eine Rechtsposition inne, die es ihr erlaubte, das Grundstück durch Abtretung der Rechte aus dem Meistgebot gleichsam weiterzuveräußern. Dies rechtfertigt es, in der Aufeinanderfolge von Abgabe des Meistgebots und Abtretung der Rechte aus dem Meistgebot grunderwerbsteuerrechtlich zwei aufeinanderfolgende Tatbestände zu sehen. Dies entspricht wiederum der Regelung beim Grundstückskauf. Auch hier unterliegt der Kauf und Weiterverkauf eines Grundstücks --ohne daß der Zwischenerwerber Eigentümer des Grundstücks wird-- jeweils der Grunderwerbsteuer.
Eine Besteuerung nach § 1 Abs.1 Nr.4 GrEStG 1983 wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile (Ausfall ihrer durch Grundschuld gesicherten Forderung) zum Erwerb des Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren gezwungen war. Die Motive des Erwerbs spielen grundsätzlich für die Steuerpflicht nach dem GrEStG 1983 keine Rolle.
b) Zu Recht hat das FG angenommen, daß in die zur Berechnung der Steuer maßgebliche Gegenleistung auch der Betrag miteinzubeziehen ist, in dessen Höhe die Befriedigungswirkung nach § 114a ZVG eingetreten ist.
Nach § 9 Abs.1 Nr.4 GrEStG 1983 gelten beim Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren als Gegenleistung das Meistgebot einschließlich der Rechte, die nach den Versteigerungsbedingungen bestehenbleiben. Nach § 9 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 gehört zur Gegenleistung bei Abgabe eines Meistgebots jedoch auch der Betrag, in dessen Höhe der Gläubiger, der das Meistgebot abgegeben hat, gemäß § 114a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, die er auch für das GrEStG 1983 bestätigt hat (vgl. Senatsentscheidung vom 15. November 1989 II R 71/88, BFHE 159, 241, BStBl II 1990, 228 m.w.N.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Die Befriedigungsfiktion des § 114a ZVG findet zivilrechtlich auch dann Anwendung, wenn der meistbietende Berechtigte die Rechte aus dem Meistgebot auf einen Dritten überträgt und diesem der Zuschlag erteilt wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 6. Juli 1989 IX ZR 4/89, BGHZ 108, 248, m.w.N.). Anderenfalls könnte der Schutzzweck der Vorschrift des § 114a ZVG unterlaufen werden. Wer die Rechte aus dem Meistgebot veräußert, kann dafür eine dem Wert des Grundstücks entsprechende Gegenleistung verlangen. Insofern steht er wirtschaftlich demjenigen gleich, dem selbst auch der Zuschlag erteilt wurde. Obwohl die Klägerin im Streitfall die Rechte aus dem Meistgebot abgetreten hat und ihr deshalb selbst nicht der Zuschlag erteilt wurde, ist daher gleichwohl gegen sie die Befriedigungsfiktion des § 114a ZVG eingetreten. Damit aber hat sie nach der zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senats eine zusätzliche Leistung i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 GrEStG 1983 erbracht. Die Tatsache, daß die Wirkung des § 114a ZVG erst mit dem Zuschlag eintritt, steht dieser Betrachtungsweise nicht entgegen. Dies ist auch der Fall, wenn der Zuschlag dem Meistbietenden selbst erteilt wird. Auch dann wird nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in die Bemessungsgrundlage für den durch Abgabe des Meistgebots verwirklichten Tatbestand die durch den Zuschlag eingetretene Befriedigungsfiktion miteinbezogen. Auch wenn dem Meistbietenden selbst der Zuschlag nicht erteilt wird, gehört auch der Betrag zur Gegenleistung, in dessen Höhe der Gläubiger des Grundpfandrechts nach § 114a ZVG als befriedigt gilt (so bereits --wenn auch obiter dictum-- Senatsurteil vom 16. Oktober 1985 II R 99/85, BFHE 145, 95, BStBl II 1986, 148, 150).
2. Das FG hat die Klage abgewiesen. Da nach Auffassung des erkennenden Senats --wie dargelegt-- der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid rechtmäßig ist, erfolgte die Klageabweisung im Ergebnis zu Recht und ist die Revision der Klägerin deswegen unbegründet. Da das FG die Rechtmäßigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids insgesamt zu überprüfen hatte, kommt es für die Entscheidung über die Revision nicht darauf an, ob das FG zu Recht die Klage als teilweise unzulässig angesehen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 64998 |
BFH/NV 1994, 56 |
BStBl II 1994, 525 |
BFHE 174, 191 |
BFHE 1995, 191 |
BB 1994, 1208 |
BB 1994, 2194 |
BB 1994, 2194-2195 (LT) |
DB 1994, 1338 (L) |
DStR 1994, 938 (KT) |
DStZ 1994, 603-604 (KT) |
HFR 1994, 541 (LT) |
StE 1994, 354-355 (K) |